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Rübezahl wird's zu böhmisch!

Aber Wochen vergingen darüber. Nur müßt ihr wissen: Unser Berggeist lebt nicht in der Zeit, nur manchmal, gastweis. Was sind ihm Wochen, Monde, Jahre? Zeit ist ihm wie Raum, Erinnern ein Kopfwenden, Vorher und Nachher ein Hier und Dort; Werden und Vergehen, Lenzerwachen und Wintertod nur ein Drinnen und Draußen am ewigen Sein. Darum versteht er die Menschen nicht bei all seiner Weisheit, die Menschen, deren Erdenfluch – zugleich aber ihre ganze Würde – in ihrer Zeitgebundenheit beschlossen liegt. Wie er die Tage hinbringt? Drunten in blauen Bergestiefen teilt kein Tagen und Dunkeln den Strom der Ewigkeit, den auch keine Begebenheit zu schnellerem Wellenschlag zusammendrängt, kein langsam Werden, Säumen und Harren dehnt. Und steigt er empor – ob droben die Sonne herrsche oder die Sterne funkeln: Ja, der Bergwald rauscht und rauscht, wie er immer gerauscht hat, das ist eine große heilige Unteilbarkeit der lebendigen Welt. So hat noch keiner das Gesetz seines Geisterseins ermessen.

Ein lüsternes Wisserlein von der hohen Schule zu Prag saß mal in einem Dorfkretscham unweit von Hirschberg mit einem wandernden Webergesellen, der ein gar kurzweiliger Kauz, auf seiner Kammer, abends nach dem Läuten. Und vom Rübezahl schwatzten sie. Der Weber, der ein närrisch Augenzwinkern hatte, wußt' erstaunlich Bescheid, als wär der sein Gevatter. »Was mag der Alte anfangen den ganzen lieben langen Tag?« meinte der Student, »daß ihm die Zeit nicht lang werde?« – »Die Zeit, die Zeit!« lachte der andere, »frag nicht so dumm, Bürschel, trink du lieber!« und reichte ihm den Krug. Und der Studiosus trank und trank, und als er die Nase aus des Kruges Dunkel herfürtat, da war er allein, und da pochte es, und der Wirt polterte herein und fragte, ob der Herr denn endlich ausgeschlafen habe, hohe Zeit sei's, den Weg unter die Füße zu nehmen. »Wirt, ist er toll?« fuhr der Gast auf, »hab eben meinen Ranzen abgestreift und den ersten Schluck getan. Der Stuhl ist noch nicht warm worden unter mir!« Der Wirt hielt ihn seinerseits für übergeschnappt oder für einen losen Schelm. Sie sagten sich allerhand Freundlichkeiten, bis der Wirt den Gesellen, der sein Nachtquartier nicht zahlen wollte, wie denn das Bett schier und glatt geblieben war, vor die Tür setzte, allwo er ganz benommen seine Straße zog. Nach einer Stunde traf er jenen Weber, der grinsend auf einem Baumstamm saß und statt eines Grußes wie mitten im laufenden Gespräch sagte: »Ja, mein, was nennt ihr, ›den ganzen Tag‹, junger Freund? Der Rübezahl zieht, wenn's ihm Spaß macht, die Zeit an wie ein Hemde, dann zählt er wohl auch mal nach Tagen. Sonst ist's ihm wie ein Augenblinzen oder ein Becherstürzen, indes ihr Streit, Buben in die Welt setzt und aufzieht, euer Dasein mit Dummheit, Mühsal und Niedertracht anfüllt und sterbt. Glück auf, Herrlein!« und verschwand in einer Steinwand wie ein Schatten, wenn eine Wolke über die Sonne rennt. Da hatte der Herr Studiosus einen Gedankenbrocken, daran er fein kauen mochte, ist ihm aber, acht ich, gediehen; er hat's später begriffen, daß ihm der Herr des Gebirges da ein Angebind in sein Lebensränzel geschoben, kostbarer denn einen dicken Tannenzapfen, der sich daheim als lauteres Gold erwiesen hätte. Und so mag ich mir denn kein Langes und Breites aussinnen, was ja doch gelogen wär, und bekenne lieber redlich, so ihr mich fragt, was inzwischen Rübezahl getrieben: – Ich weiß es nicht.

Aufgetaucht ist er, der Unberechenbare, Wetterwendische, einmal ganz flüchtig in Jaromierz. Das klingt verteufelt tschechisch, meint ihr? Weiß Gott, nach Böhmen ist er ausgebrochen aus seinem Bannkreis, und hatte es doch verschworen! Aber so ist er halt.

Es war im Herbst des Jahres 45. Die Österreicher und Preußen stunden sich wochenlang in ihren Lagern gegenüber, ziemlich nahe. Der König selber wohnte, gar wenig königlich, im Dörflein Somnitz und hatte böse Zeit. Nádasdy, der Unermüdliche, machte ihm in aufreibendem Kleinkrieg das Leben schwer, seine ungarischen Reiter wurden immer dreister und unausstehlicher, die Verpflegung der Mannschaften ward schwieriger, immer kärglicher das Futter der Pferde, und des Geldes ward immer weniger. Herzeleid sah zu aller Sorge unser Lauscher auf Friedrichs sonst so klarer Stirn. Daheim war ihm sein redlicher gelehrter Freund Jordan gestorben, und bald war ihm der geliebte Freund seiner Jugend gefolgt, sein treuer Cäsarion, der Oberst von Keyserlingk.

Ich darf die Sonne sehn, und du nicht mehr!
So ist's denn wahr, ach nur zu wahr, daß er,
Der Unerbittliche, ohn Unterschied
Das Schönste in das Nichts hinunterzieht.
Ob Wert, ob unwert! Ehre oder Schande!
Wer fragt danach noch am Cocytusstrande:
Was hat Achill, was Hektor dem Thersites
Voraus? Auch ich geh schleun'gen Schrittes
Der Heimstatt zu, der dunklen; Tage, Stunden
Sind, wie sie kamen, mir im Flug entschwunden.
Halb schon durchmessen ist die Lebensbahn,
Und nah und näher rückt das Ziel heran.
Geduld! Nicht lang mehr währt's, so grüß ich dich
Im dunklen Schattenreich, um inniglich
Mit dir in düstrer Friedensfreistatt dort
Die Freundschaft zu erneun und fort und fort
Dir liebend nah zu sein. –
Indes solang in dieser Welt
Das Schicksal mich gefesselt hält,
Bleibt mir dein Bildnis unvergessen.
Solang gibt's auch kein Glück, das je
Mir lindern mag mein brennend Weh.
Laß unter Deinen Grabzypressen
Mein Haupt mich senken; ungemessen
Laß meine Schmerzenswollust sein!
Dort will ich heiße Herzenstränen
Und Seufzer dir aus nie gestilltem Sehnen
Und tiefempfundne Lieder weihn,
Mit Myrten dann und Blumen – sieh, es glänzen
Noch meine Tränen drauf – Dein Grab bekränzen.

Und doch, glückselig preis' ich den,
Der heitrer Stirn mit Seelenadel
Dem Tode kann entgegensehn,
Ein Ritter ohne Furcht und Tadel.

In stiller Augustnacht hatte der König dies Gedicht geschrieben, während draußen Panduren mit preußischen Husaren Schüsse wechselten. Ungesehen stund ein Lauscher am offenen Fenster und hörte staunend, wie der königliche Dichter mit tränenerstickter Stimme sich seine eigenen Verse vorsprach. Das war ein Neues, ein Unerwartetes! Wann lernt er ihn zu Ende? Der Herr der Schlachten, der harte Schicksalszwinger, ein zärtlich Gemüt, ein tränenweiches! Wie anders, diesen Menschen in seiner Einsamkeit zu belauschen, wie anders, Zeuge seines immer entschlossenen Handelns zu sein.

Ein verwegener Parteigänger, Oberstleutnant Franquini, hatte einen Anschlag auf das Quartier seines französischen Gesandten, des Marquis Valory, mit dem der König so gern seinen Spaß hatte, unternommen, einen Überfall, der infolge lächerlicher Verwechslung wie eine Posse auslaufen sollte. Wenn aber der Fritz gewußt hätte, wer ihm diese heitere Wendung gegeben hat! Er hat sich's als Dichter und Spötter in der Folge auf seine Weise zurechtgelegt. Zehn Jahre später nämlich hat er sein lustiges Gedicht aus jener Moritat gemacht, das komische Heldenepos: Das Palladion. In dem hat er alle Heiligen des katholischen Himmels aufgeboten, das schnurrige Abenteuer seines »dicken Marquis« zu verherrlichen, hat Satan und den Herrgott selber bemüht, hat auch nach Bedarf den katholischen sogar eine Art von protestantischen Heiligen entgegengestellt, hat aber vor allem seinen treuesten und tapfersten Freunden und Kampfgenossen und den Heldengeistern der Toten von Hohenfriedberg manch schönes Ruhmesblatt dareingeflochten, wie es denn diesem übermütigen Erzeugnis der Karnevalslaune nicht an edelgeformten Schilderungen und reinen Klängen der Weihe gebricht. Wollt ihr einmal vernehmen, wie lustig unser großer König scherzen konnte?

Drüben zerbrachen sie sich die papistisch frommen Köpfe, warum diesem Preußenkönig gar nicht beizukommen sei; da offenbart es dem armen Prinzen von Lothringen, »Karlchen«, der heilige Nepomuk im weinschweren Traume:

»Du weißt, mein Prinz, wie einst in Sturm und Streite
Die hohe Feste Ilion
Ein wundertätig Götterbildnis feite.
So hat auch Preußen sein Palladion!
Frau Genoveva und Frau Hedewig,
Die beiden heil'gen Damen, fanden sich
Und schenkten jenen, euch zum Tort,
Der Siege Unterpfand und Hort,
Und zwar in der Gestalt – du rätst es nie! –
Eines französischen Marquis;
Kurz, das Palladion, auf mein heilig Wort,
Es ist der dicke Herr von Valory!
Traut keiner sich, den Schatz zu stehlen,
Kann's denen drüben niemals fehlen;
Schnappt ihr ihn weg durch ein Husarenstück,
Zum Teufel ist dann Preußens Glanz und Glück,
Aus ist's mit seiner Glori!
Drum holt euch den Valory.«

Nachdem so mancher Anschlag auf das lebendige Palladion mißglückt ist, wird der rauhe, räubermäßige Franquini mit dem wichtigen Auftrag betraut. Aber Frau Genoveva hat den gemütlichen Herrn aus Paris gewarnt: Sie, die Schutzheilige der Seinestadt, und St. Hedwig, die Ältermutter des Hohenzollernhauses, sind gut preußisch! Valory hat daraufhin sein Nachtquartier gewechselt. Aber wie! Hören wir den lustigen Spötter:

Nicht fern vom Lager war ein Tschechennest,
Von dem sich eigentlich nichts sagen läßt;
Doch auch für dies kam mal der Tag,
Da ward's berühmt mit einem Schlag!
Sein edler Name Jaromjersch –
Wie soll ich, ohne das Ohr zu erschrecken,
An dem einen klangvollen Reim anpflöcken?
Als Reimwort scheint's mir halt gar zu närrsch!
Wie soll ich euch diese zerfallnen Baracken,
Diese verlassenen Mauern beschreiben,
Auch der Aventüre nichts schuldig bleiben,
Da es galt, den dicken Marquis zu packen?
In diesem Drecknest, wie wohl solche
Hausung 'nem Savoyardenstrolche
Kaum anstehn mag, bezieht nunmehr
Unser Marquis sein Losament,
Und meint noch wunder, wie schlau er wär'!
Allwo ihm, aus besondrer Schätzung
Von einem erlesenen Regiment
Ein Posten ward vor die Tür gegeben,
Zu behüten sein teures Leben
Vor jeder Verletzung
Und zu bewahren die Gegend rundum
Samt dem großen Palladium.
Doch hört, wie als Abgrund von Witz und Geist
Sich jetzo Frankreichs Gesandter erweist!
Was sagt ihr? An der vorderen Tür
Schob er Riegel und sonstwas für;
Die hintere indessen,
Wo 'ne Entführung offenbar
Am handlichsten zu machen war,
Die hat er glatt vergessen!

Saß der Verrat doch sowieso
Unter dem Dach von faulem Stroh,
Indem der Kerl, der hier Wirt war,
Fürsorglich schon geschmiert war
Vom Oberstleutnant Franquini –
Der spielt sich auf wie ein Achill,
Ein Untier, falsch wie'n Krokodil.
Wär ich nun der Ritter Bernini,
Wie malt ich getreu
Euch ein Konterfei
Von dem Palast, dem prächtigen,
Dem Schweinstall niederträchtigen,
Wo sich die große Moritat
Mit dem Marquis begeben hat.
Denkt euch ein formlos Ungefähr
Von Wänden in die Kreuz und Quer,
Bar jedes Schmuckes, kahl und leer,
Nur schwarz geschmort und halb schon eingesunken,
Die unheimlichste aller Diebsspelunken.
Da roch's nach Ambra nicht – es hat gestunken.
Zwei Räume barg das traute Dach:
Der vordre war das Schlafgemach
Des braven Sekretarii,
Im hintren ruhte der Marquis –
Sie lagen nicht lange wach.
Kaum war es finster worden, kaum
War unser dicker Herr zu Bett,
Da lag er schon und schlief wie'n Baum;
Und so im Nachbarkabinett
Darget, der seine rechte Hand war,
Rühmlich ob seiner Treu bekannt war:
Fromm noch den Rosenkranz durchlief er,
Dann schlief er.
Da – himmelhernieder durch die Nacht
Herschwebt der heil'ge Stephan sacht,
Und setzt sich – wupp – unserm biederen Tropf
Im ersten Schlaf grad auf den Kopf.
»Ei, ei, mein Sohn, sie wollen dich greifen!
Ich seh' im Feld da draußen, geführt
Von dem Halunken, eurem Wirt,
Schon lange den wilden Franquini streifen!
Und du – du schläfst hier wie 'ne Bestie?«
Darget erwacht – mit 'ner Gänsehaut,
Horcht in die Nacht und um sich schaut,
Wer da eingedrungen und ihn beläst'ge:
Nichts! Keine Seele! Er ist allein!
Und er schläft wieder ein.
Gleich meldet sich's wieder, das Spükeding:
» Was meinst du, wenn er dich jetzo fing'?!« ...
's ist eine Stunde nach Mitternacht –
Die Schelle geht draußen – es lärmt und kracht;
Läßt so'n Pandur, der wild aufs Plündern,
Sich durch 'ne verschlossene Türe hindern?
Krach – bumm! Schon ist er näher getreten! –
Was tut jetzt das wackere Schreiberlein
In sotanen Nöten?
Frankreichs Sache gilt's hier, das begreift er,
Ich sitz in der Falle – das sieht er ein:
Er reißt sich zusammen, den Nacken steift er
Und schnarrt: »He, wen sucht ihr? was soll das sein?«
»Wen? Den Marquis!« Aus dem Stimmengewirr
Ist schwer zu erraten, was sie meinen:
Seine Staatspolitik? – So fluchen die einen –
Seine wertvollen Möbel? Sein Tafelgeschirr? –
»Wohlan«, der besonnene Schreiber sagt,
» Ich bin der Gesandte, nach dem ihr fragt.
Und hier, wenn ihr sonst euch bedienen wollt,
Sind Beutel mit neuen Louis in Gold.«
Das Raubgesindel, eh' man's gedacht,
Flugs hat's hier reinen Tisch gemacht;
Nur weiß der Himmel, wie das gekommen:
Hatten sie's in der Eile nicht acht? –
Von dem andern Verschlag,
Der daneben lag,
Hat keiner weiter Kenntnis genommen! –
Kaum traf da der Höllenlärm sein Ohr,
Fuhr der dicke Herr aus dem Schlafe empor,
Und jetzt war's unfehlbar um ihn gescheh'n,
Wo nicht im heikelsten Augenblick
Ein gar holdseliges Gespük
Vom Himmel sich schwang, ihm beizustehn.
Man denke: grad aus dem Bette gesprungen,
Ganz kopflos, schreiend aus vollen Lungen,
So wollt' er eben fasernackt
– Gebt's zu: ein Aufzug, höchst vertrackt –
Dem Räuberhaufen
In die Arme laufen,
Und da war er gepackt!
Die Heil'ge in himmlischer Jüngferlichkeit,
Hatte zum Glück einen Fächer bereit,
Dahinter in schämigem Erschrecken
Konnt' sie ihr liebliches Antlitz verstecken,
Nur ganz bescheiden in magdlicher Tugend
Dabei durch die Gitterstäbchen lugend.
Gott, wie die Weiberchen halt so sind!
Ihn aber, der ja toll und blind,
Versenkt sie geschwind –
Zeichen und Wunder! Eins, zwei, drei –
In tiefen Schlummer, schwer wie Blei;
Indes die Räuber
Den guten Schreiber
Von dannen schleppen mit Siegesgeschrei –
So wie er vom Leib seiner Mutter kommen!
Die dämlichen Kerle, sie glauben, nun sei
Das Vogelnest ausgenommen!
Und sie, sie trügen im Ernste davon
Der Preußen großes Palladion!

So hat sich's später gar witzig der König in seiner kecken Dichterlaune ausgedacht, mit der er manchen mehr geärgert hat, als ihm selber guttat. Was wußte der Freund Voltaires vom Rübezahl! Ob er wohl nur seinen Namen gekannt hat? Damals wußte man nur von Nymphen und Grazien und ähnlichem porzellanzierlichen, undämonischen Dämonenvölkchen zu Putzstubengebrauch, die man freilich nur zu artigen Redeblümlein nach welschem Schnitt verwandte und nicht allzu ernst nahm; auch in höfischen Gärten und Parken dehnte und drehte das gar anmutige Gliederchen, die aussahen, als wären sie soeben aus spitzenbesetzten Reifröcklein geschlüpft. Kannte man doch auch die Natur gartenzahm zugestutzt; mit der freien Wildnis, wo die alten ungeleckten Geister hausen, wußte man wenig anzufangen. Von der und ihrem strengen Gebieter verstund nur noch das arme Volk in den Spinnstuben zu erzählen, das gottlob kein Französisch sprach; dort in den Winkeln der Armut überdauerte der Traum vom deutschen Geisterwalde die welschverschrobene Zeit. Und doch hat jene Zeit uns unseren größten deutschen Helden geboren, der unterm fränkischen Lack sich als urdeutscher Mann fühlte, der, wo er zürnte, als der Redliche und Reine in gutem deutschen Zorn und Stolz und deutscher Lumpenverachtung erglühte. Ja, es war eine wunderliche Zeit; und, wie mich dünkt, doppelt wunderlich schaut sie auf einmal drein, wenn der Geist der schlesischen Berge in all seiner Ungekämmtheit und Ungeheuerlichkeit sich mitten hineinpflanzt, als müßte das so sein. Wahrlich, unser Fritz hätte erstaunte Augen gemacht, der Feind des Aberwitzes, wäre ihm einer mit so albernem Märchenpopanz und Spuk ins Gehege gekommen; er konnte ob der Dummheit der Menschen so wundervoll verzweifelte Augen machen. Nein, nein, dergleichen paßte ganz gewiß nicht in seine Welt, und wir bangen förmlich davor, es könne zwischen den beiden, dem von Rheinsberg und Sanssouci und dem aus dem Dunkel der Berge noch einmal eine ernsthafte Begegnung setzen. Müssen's halt in Ergebenheit abwarten, bei Rübezahl sind freilich alle Dinge möglich; dann aber Gnade Gott unserm Fritz und seiner Philosophie.

Und doch, Majestät, und doch, mein Herr Philosoph von Sanssouci, war Er es damals, Rübezahl und kein anderer, der dem Pandurengesindel die Tür zu des Gesandten Schlafkämmerlein als eine ungehobelte Bretterwand erscheinen ließ – nichts von Genoveva, nichts von Hedwig! Und wiederum war Er es, der das erste Wort gesprochen, das dem wackeren Sekretarius, der später in Ew. Majestät Diensten sich so treu bewährt hat, den verwegenen Gedanken eingab, für seinen Herrn sich zu opfern. Sie werden am besten wissen, welche ein Dienst Ihnen selber damit geschehn, daß Ludwigs Gesandter nicht in der Österreicher Hände fiel. » Herr Marquis, verzeihen Sie die Störung!« Und Herr Marquis vorn, Herr Marquis und Ew. Exzellenz hinten, daß der arme Darget weder zum Schreien noch zum Fragen kam, bis er's begriffen hatte, was er begreifen sollte: daß er hier die Ehre habe, Seine Exzellenz darzustellen, des Allerchristlichsten Königs Gesandten. Genug, der Pandurenkerl, der solchermaßen dem Preußenkönig zu dienen wußte, war kein anderer als unser Meister Überall. Ja, wenn der Fritz gewußt hätte! Ist auch dann noch mit dem Räubergesindel mitgeritten und hat ihm groben Schabernack gespielt, wovon in Friedrichs Palladion nichts geschrieben steht. Ich glaube übrigens, im Schabernack hätten die beiden Geister sich am schnellsten verstanden.

Aber das waren nur so Gelegenheitsscherze. Als Franquini und seine Kumpanei noch mit dicken Köpfen ihren Rausch ausschliefen, den sie sich zur Feier ihrer Heldentat und ihres Danebengreifens angezecht hatten, wanderte Rübezahl mit Sturmesschritten längst wieder daheim durch seine mondbeglänzte Bergwildnis. Da unten, hol's der Henker, da war's ihm doch zu böhmisch. Es war ihm immer, als wiche was von ihm, und zwar seine beste Kraft, als müßte er vermenschen, um nimmer herauszufinden aus dem Elend, wenn er zu lange sich in der dicken Luft aufhielte, die ihm nicht gut tat. War ihm doch am Fenster in Somnitz, als er den Fritz sein Gedicht sprechen gehört, ganz pudelnärrisch gewesen, so – ja wie denn? Ei, du blaue Blitzlohe, ich glaube gar: so als würgte ihn was im Halse und jückte ihm was im Auge! Lächerlich, bodenlos lächerlich! Und schließlich und endlich und immer wieder: Was gingen ihn, da schlag doch ein Hagelwetter drein, was gingen ihn die albernen Händel des Preußenkönigs an, mocht' der auch noch ein so seltsamer Kostgänger Gottes sein! – Lumpenhändel, jawohl! wollt's nicht wieder auf die alte Narrheit hinauslaufen – er lachte, daß die Felsen hallten –: Hie katholisch, da evangelisch? Wieder saß er in seinem weiten Felsengemach, der Schneegrube, und bedachte das Menschenherz. Ich kenn' das Gesindel, rede mir keiner drein! Er spuckte weit aus – und doch: Er wollte es nur nicht wahr haben, wieviel an Menschenhaß und -verachtung ihm schon hinweggetaut war unter dem Glanz jener großen blauen Augen, in denen er alle Würde der Mannheit hatte schimmern sehen – und nun gar auch noch Tränen!


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