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V.

Der Morgen graute noch nicht, als sich Heinz von seinem Lager erhob, auf dem er schlaflos gelegen, lautlos aus der Kammer schlich, und aus einem Winkel ein gepacktes Bündel nebst einem tüchtigen Reisestab hervorzog. Sein Herz klopfte hörbar in der Brust, als er an den unruhig träumenden Vater vorüberschritt, über den er tausend Segenswünsche ausschüttete. Nun wandte er sich, zu gehen, Abschied zu nehmen von der Hütte, in der er geboren, die der Schauplatz seiner jugendlichen Freuden und Leiden war; aber er vermochte es nicht, die Schwelle zu überschreiten, es zog ihn noch einmal zurück, und mit schüchternem Fuß trat er hinter einen Verschlag, welcher das jungfräuliche Lager der Schwester in sich schloß.

Das Mädchen lag im süßen Schlummer der Unschuld; auf dem nackten weißen Arme ruhte das Köpfchen, dessen Wangen wie frische Rosen glühten; um den Nacken und die sittig verhüllte wogende Brust schmiegte sich des Haares weiche Goldfülle; um die fein gespaltenen Lippen schwebte ein seliges Lächeln und die Augenlider deckten die blauen Sterne, wie zwei weiße Rosenblätter. Heinz kniete nieder, und der weiche Athem der Schlummernden umfächelte seine Wangen. »Leb' wohl, du liebe, liebe Schwester!« flüsterte der Jüngling, indem er sich Gewalt anthat, die Thränen zurückzuhalten. Gott weiß, ich möchte gerne bei dir bleiben, aber ich kann nicht! Ich muß fort in die weite, weite Welt, und sollt'es auch mein Herz brechen. Vielleicht sieht's der Vater ein, wie hart er gegen mich gewesen; und dann sollst du ihn trösten, herzliebes Schwesterlein. Mögen Gottes Engel mit dir sein und dich führen auf all' deinen Wegen!«

Er beugte sich über sie und hauchte einen leisen Kuß auf ihre Lippen; sie regte sie, als wollte sie sprechen. Heinz lauschte, aber sie schlief fort, nur vom sanften Strahl des Mondes übergossen. Der Jüngling zog jetzt eine kleine Kapsel aus seiner Brust, öffnete sie, betrachtete die Locke, die darin lag, schloß sie wieder und legte das Geschenk in die Hand der Schwester. »Mögest du es bewahren, wie ich dich selbst in meinem Gedächtnisse ewig bewahren werde!«

Nun erhob er sich, öffnete leise die Thür und trat in's Freie. Die Morgenluft wehte kühlend um seine heißen Wangen. Mit raschen Schritten eilte er fort, dem Walde zu. Aber er mußte sich noch einmal wenden, mußte noch einmal die väterliche Hütte mit ihrer Umgebung fest in seine Erinnerung prägen; dann eilte er flüchtig davon, bis ihn der Wald mit seinem Dunkel aufnahm.

Ueber das Ziel seiner Reise war er sich nicht klar; er wandte sich dahin, wohin ihn seit seiner frühesten Kindheit die Sehnsucht getrieben. Es galt ihm auch gleich, wohin er kam. Ueberall, dachte er, braucht man ja tapfere Männer. Er kannte die Welt nur aus Büchern; er wußte nicht, daß die alte romantische Heldenzeit, von der er gelesen, und von der er nun schlafend und wachend träumte, längst untergegangen. Er hatte auch seinen Vorsatz geheim gehalten, nicht einmal dem Pater Thomasius hatte er ihn vertraut. Wir wissen, daß dieser Entschluß nicht neu war; längst schon hatte er ihn gefaßt und verworfen. Aber die Härte des Vaters war ihm immer unerträglicher geworden, und nun hatte er endlich all' seinen Muth zusammengerafft, um den Plan zur Flucht auszuführen.

Die mächtigen Eichen und Buchen umrauschten den Jüngling geheimnisvoll; die Vögel erwachten in den Büschen und zwitscherten dem schmerzbeladenen Wandrer entgegen. In dem sich blauenden Himmel wirbelten und jauchzten die Lerchen und ihr Lied klang ihm, als wollten sie sagen: »Du thörigtes Menschenkind, warum so viel Trauer in deiner jungen Brust? Laß dahinten die Sorgen und was dich drückt, und schau' in den jungen Tag mit leichtem Herzen und lachendem Gemüthe!«

Und wie die Sonne durch das grüne Laubdach brach und zu seinen Füßen auf dem weichen Moos in neckenden Gestalten spielte, da zerstob der Kummer in seinem Herzen wie Rauch, und er fragte sich selbst: warum bin ich denn so traurig gewesen? Dann klang freilich Mariens Name durch feine Seele; aber bewahrte er ihr Bild nicht treu in seiner Brust? Auch an den Vater dachte er und fragte sich selbst: ob er wohl erschrocken sein wird, wenn er aufwacht und mich nicht findet? ob er wohl gar um mich weinen wird? Wenn er daran dachte, so hätte er gleich wieder umkehren mögen, aber er that es doch nicht. »Wenn er mich lieb hätte, würde er nicht so hart gegen mich gewesen sein!« sagte er zu sich selbst. Dann malte er sich die Zukunft mit den reizendsten Farben aus. »Wenn ich als Ritter heimkehre,« schwärmte er, »auf prächtigem Roß, mit blanken Waffen, berühmt und geehrt von allen Leuten, dann wird der Vater fein schauen, und mich nicht mehr schlagen, als wenn ich ein gottloser Bube wäre! Und Marie, die wird sich gar nicht satt sehen können an der prächtigen Rüstung!«

Lustig sprang er in die Höhe, wenn er sich das Alles so recht ausmale. Und warum sollte er denn nicht ein berühmter Ritter werden können? Er war der kräftigste Bursche weit und breit, und so geschickt und tapferer er jetzt den Stock schwang, daß die Blätter des Gebüsches umherflogen, so tapfer konnte er gewiß auch sein Schwert handhaben und auf die Feinde einhauen.

Heinz war immer so fortgegangen in dem schönen, grünen Walde, dessen Mährchen wie ein toller Kinderschwarm in seinem Gedächtnisse sich tummelten. Die Sonne spielte freudig in dem grünen Gezweige; Heinz wünschte, daß er nur immer so fortgehen möchte. Aber bald machte der Hunger seine Rechte geltend. Es reute ihn, daß er nicht einmal ein Stück Brot von zu Hause mitgenommen. Nun mußte er sich mit den Beeren behelfen, die er fand. Diese gaben seinem gesunden Organismus keine Befriedigung, und nun hatten der lustige Wald, der blaue Himmel und die goldene Sonne auf einmal fast all' ihren Reiz für ihn verloren. Er sehnte sich nach Menschen, und der Weg schien ihm immer länger. Endlich öffnete sich der Wald zu einer Lichtung, in welcher ein freundliches Dorf lag. Jubelnd sprang Heinz darauf zu, aber da fiel ihm ein neuer Zweifel schwer auf's Herz. Womit sollte er das Brot bezahlen, das er fordern wollte? Es um Gotteswillen verlangen, dessen begann er sich zu schämen. Der Hunger ließ ihm indeß nicht lange Zeit zum Besinnen, er ging an das nächste Haus und bat mit niedergeschlagenen Augen um Brot – um Gotteswillen.

»Wohin die Reise?« fragte eine freundliche Frau.

»Weit, weit in's Reich;« antwortete er. Er hätte gern einen recht entfernten Ort genannt, aber es fiel ihm kein Namen ein.

»Der Herr geleite Euch, junger Gesell!« wünschte die Frau, indem sie ihm Brot gab. Noch nie hatte er mit so gutem Appetit gegessen als heute, und neugestärkt ging er weiter. Der Wald nahm ihn wieder auf und breitete wohlthätig seine Schatten über sein Haupt. Die Müdigkeit zwang ihn zu ruhen; er legte sich am Fuße einer riesigen Eiche nieder und entschlummerte. Bunte Traumbilder umgaukelten ihn. Abenteuerliche Gestalten bewegten sich wirr durch einander; er sah blanke Waffen und schnaubende Rosse und sich selbst mitten darunter. Dann ging Alles unter in einen blutig rothen Schein, der sich theilte und ihm ein dunkles schauriges Gewölbe zeigte, in dem er selbst angekettet lag. Ein großer unheimlicher Mann trat herein, entblößte das Schwert – Heinz erwachte.

Der unheimliche Traum machte dem Jüngling den Kopf schwer; er schüttelte ihn wie Fieberfrost und fiel als verderblicher Reif auf die Blüthen seiner Wünsche. Er erhob sich und schritt fürbaß, minder heiter, als zuvor. Die Sonne sank mehr und mehr, und eben fielen ihre letzten Strahlen roth glühend auf die Erde, als der Wald sich öffnete und eine weite blühende Landschaft vor den Blicken des Staunenden lag. Im Vordergrunde breitete sich eine Stadt aus mit ihren Thürmen und himmelhohen Häusern, wie er sie noch nimmer gesehen, zahllose Dörfer lagen weithin über bunte Felder ausgesäet und ein breiter Fluß schlang sich durch grüne Wiesen und goldglänzende Kornfelder. Eine lange dunkelbewaldete Bergkette schloß das herrliche Panorama. Vergessen war mit einem Male der böse Traum und jauchzend klatschte der Jüngling in die Hände, denn er meinte nun, die ganze Welt habe sich vor ihm aufgethan.

Er verfolgte mit klopfendem Herzen den Weg, der nach der Stadt führte; aber je näher er ihr kam, um so mehr sank sein Muth. An wen sollte er sich wenden unter den vielen Menschen, die ihm alle so fremd waren? Er hatte das Thor durchschritten und stand nun in der prächtigen Hauptstraße und staunte Alles an, weil ihm Alles neu war. Viele Menschen gingen an ihm vorüber und sahen ihn gar nicht an; er wunderte sich, daß sie seinen Gruß gar nicht erwiederten, geschweige daß sie selbst ihn grüßten. Planlos streifte er durch die Straßen, und der Abend kam so herbei. Nun war es doch wohl Zeit, sich nach einem Obdach und einem Imbiß umzusehen; aber wo Beides finden? Sinnend stand er da und seufzte recht schwer über seine Rathlosigkeit. Er wagte keinen Menschen anzusprechen, denn die Leute waren ja alle so stolz. Da sah er ein junges Mädchen daherkommen; ihr freundliches Gesicht flößte ihm besonderen Muth ein, er beschloß sich Raths bei ihr zu erholen; je näher sie aber kam, um so mehr zagte er wieder. Zögernd und verlegen trippelte er auf sie zu; sie bemerke seine Verlegenheit und blieb stehen. Heinz wollte sprechen, aber die Zunge versagte ihm den Dienst, er fühlte, wie alles Blut ihm in die Wangen schoß.

»Fehlt Euch etwas?« fragte das Mädchen theilnehmend.

»Ich wollte Euch nur bitten, Jungfrau,« antwortete Heinz schüchtern, »Ihr wollet mir Auskunft geben, ob ich in dieser Stadt nicht einen Ritter finde, der mich als Knappen annehme.«

Das Mädchen lächelte. »Seid Ihr fremd hier?« fragte sie.

»Wildfremd!« entgegnete er. »Und ich weiß nicht, wo ich die Nacht zubringen soll.«

»O ich weiß wohl einen Ritter,« versetzte das Mädchen, »der wird Euch gern aufnehmen. Seht Ihr dort das große Haus? Ueber dem Thore hängt des Ritters Conterfei. Da geht nur getrost hin und sagt: Ihr wollet ein Bett und einen Imbiß für die Nacht! Ihr dürft aber nicht blöd und schüchtern sein, sondern müßt recht keck von der Leber reden. Laßt Euch heute auch noch nichts merken, daß Ihr Knappe werden wollt. Laßt es Euch gut schmecken und schlaft wohl!«

Heinz dankte und ging nach dem empfohlenen Hause. Es war ihm bänglich zu Muthe, alt er durch das geräumige Thor trat. Ein schön gekleideter Mann mit einer weißen Schürze kam ihm entgegen und fragte nach seinem Begehr. Heini faßte sich ein Herz und forderte keck einen Imbiß und ein Bett. Der Mann sah den Ankömmling musternd an, winkte ihm indeß zu folgen. Bald stand ein schmackhaftes Abendbrot vor ihm, und als er zur Ruhe begehrte, wies man ihm ein weiches Bett an. Heinz wälzte sich mit wahrer Wollust auf dem ungewohnten Lager und, indem er an das Glück dachte, der Knappe eines so gastfreundlichen Ritters zu sein, entschlief er in seligen Träumen.

Die Sonne brannte schon durch die Fensterscheiben, als Heinz wunderbar gestärkt erwachte. Er fühlte die beste Meinung von dem Ritter und vergegenwärtigte sich schon die herrlichsten Tage. Mit diesen Gedanken kleidete er sich an und nahm sich vor, sich nun dem edlen Ritter als Knappe anzubieten. Seinen Bündel und Stock in der Hand stieg er die Treppe hinab. Der Mann, der ihn gestern empfangen, wünschte ihm einen guten Morgen. Heinz dankte höflich und begehrte den Herrn Ritter zu sprechen. Er mußte sein Begehren wiederholen, denn der Weißbeschürzte schien ihn nicht zu verstehen. Als dieser sich überzeugt, daß er nicht falsch gehört, schüttelte er den Kopf und betrachtete seinen Gast genauer. »Und was wollt Ihr bei dem Ritter?« fragte er.

»Ich will ihn bitten, mich als Knappen anzunehmen;« war die Antwort. »Eine wunderschöne Jungfrau hat mich hieher gewiesen und ich will gern hier bleiben.«

Der Andere schien gute Lust zu haben, über das wunderliche Begehren des Fremden, der ihm nun erst als Vagabund erschien, aufzubrausen; da trat das freundliche Mädchen von gestern Abend herzu, wandte sich an den angenehm überraschten Jüngling und sprach: »Der Herr Ritter bedarf leider jetzt keines Knappen; ich habe ihn selbst gefragt. Geht drum mit Gott, der bald Eure Wünsche erfüllen möge.«

Dem armen Heinz standen die Thränen in den Augen, daß er abziehen mußte; er wäre nun erst recht gern bei dem guten Ritter geblieben. Er zögerte zu gehen, nahm umständlichen Abschied und schritt endlich traurig aus dem großen, schönen Hause, über dessen Eingang ein Ritter in vollständiger Rüstung stand. – Das Mädchen lachte und beschwichtigte den Mann mit der weißen Schürze, der Einwendungen machen wollte, indem sie sprach: »Still, ich werde es bei dem Vater verantworten!« –

Des Jünglings Gemüth war recht trübe gestimmt, und ein leiser Zweifel begann sich in ihm zu regen, ob er recht und klug gehandelt, als er dem Vater davongelaufen. Was der Vater ihm so oft gesagt, das kam ihm nun in's Gedächtniß: »wozu der Mensch geboren ist, das wird ihm; hätte Gott dich zum Ritter bestimmt, so wärest du nicht als Bauer geboren worden.« Er dachte schon an Umkehr, aber mit Stolz verwarf er diesen Gedanken sogleich. »Spott und Strafe dafür ertragen? Nimmermehr!« rief er aus und schritt rüstiger vorwärts.

Die lieblich blühende Gegend, die freundlich lachende Sonne gossen wieder Muth und Hoffnung in sein Herz. Er pfiff ein lustiges Lieb, daß die Vögel einen Wettgesang mit ihm anstimmen. Endlich erhoben die Berge des Thüringer Waldes ihre Häupter vor ihm; er trat in das Halbdunkel ihrer Thäler, durch welche brausende Waldbäche sich stürzten. Der Duft der dunkelgrünen Kiefernwälder stärkte ihn, und er bewunderte die mächtig aufstrebenden Felsblöcke, auf denen unmittelbar der blaue Himmel zu ruhen schien. Nun umgaben ihn die Berge, denen blaue Umrisse schon in des Knaben Brust die Sehnsucht nach der Ferne geweckt. Alles war so feierlich still um ihn, nur die Fichten und Tannen steckten die Häupter zusammen, und das Klappern einer Sägemühle oder das Pochen eines Eisenhammers hallte eintönig in die tiefe Waldstille.«

Heinz ging längs eines brausenden Waldbaches hin; er schaute in die hüpfenden Wellen, die so klar und durchsichtig waren, das man bis auf den Grund sehen konnte, wo sich grüne Wasserpflanzen um das glatte Gestein schlangen. Er warf einen Zweig auf die springende Fluth, die ihn pfeilschnell mit sich forttrug, und war neugierig zu wissen, ob der Zweig wohl in das Meer kommen würde, in das, wie er wußte, sich endlich alle Bache und Ströme ergössen.

Plötzlich hörte Heinz vor sich ein fröhliches Pfeifen, das zuweilen durch ein eben so lustiges Jodeln unterbrochen wurde. Der Klang der Menschenstimme that ihm wohl, denn die Natur hat ja nichts Schöneres, nichts Lieblicheres. Wir sind mitten in der Wüste, weithin kein grünes Plätzchen, wo wir ruhen könnten, unter uns heißer Sand, über uns der glühende Himmel: da hören wir eine Menschenstimme, die um einen Tropfen Wassers fleht; wir dursten selbst, wir können nicht retten, aber wir sehen einen Bruder, der gleich uns leidet; und ein wehmüthiger Trost schwebt uns durch's Herz. – Um uns hat die Natur alle ihre Reize ausgegossen, ein Stück Himmel scheint auf die Erde gefallen, Duft und Farbenpracht und Vogelgesang schaukeln unsere Seele wie aus einem Meere der Wonne; aber wir fühlen uns doch einsam in all' der Herrlichkeit: da tönt eine Menschenstimme an unser Ohr, und nun erst empfängt diese paradiesische Schöpfung Leben und rückt unserm Herzen näher.

Heinz verdoppelte seinen Schritt, um den lebenslustigen Wandersmann einzuholen, und endlich gelang ihm dies auch. Es war ein ältlicher Mann mir gutmüthig lachendem Gesicht, in einem linnenen Kittel gekleidet, auf dem Rücken einen hohen schmalen Kasten mit verschlossener Thür. »Wohin des Weges, Wandersmann?« fragte der Jüngling.

»Kreuz und quer, rechts und links und endlich gradaus!« lachte der Wanderer. »Wollt Ihr mit?«

»Ihr macht Euch wohl lustig über mich?« entgegnete Heinz aufgebracht.

»Keineswegs, junger Gesell!« war die Antwort. »Was ich sage, ist die pure Wahrheit. S'ist mir ziemlich eins, wo ich hinkomme, und so geh' ich immer der Nase nach; die mag sich nun rechts drehen oder links, denn wohin ich auch komme, da giebt's Menschen mit allerhand Gebrest und Allen weiß ich zu helfen und zu rathen. Deswegen bin ich überall willkommen, obgleich die Leute mich lieber nicht brauchten. Ihr müßt nämlich wissen, daß Ihr einen sehr berühmten Doktor vor Euch habt, der zum Trost der leidenden Menschheit geboren worden ist. Der Kasten, den Ihr da seht, der ist voll von köstlichen Arzneien, Tinkturen und Latwergen. Für alle Gebreste, die bekannt sind und nicht bekannt, habe ich Mittel und Arznei; das berühmte Goldwasser, das ich einzig zu destilliren verstehe, heilt von allen Uebeln, von Zahnweh, Kopfschmerz Kolik und von allen neun und neunzig Fiebern –«

Der Fremde war im besten Zuge, alle Tugend seiner Tinkturen nach hergebrachter Gewohnheit auszukramen, der Jüngling hörte ihm auch geduldig und ernsthaft zu, bis sich endlich der Wunderdoctor selbst unterbrach: »Aber da schwatz' ich und werfe Perlen vor die Säue, denn Ihr seht mir grade nicht aus, als wenn Ihr meine Tinkturen nöthig hättet. Wie Ihr da geht und steht, scheint Ihr mir aus recht festem Holz geschnitzt.«

»Gesund bin ich,« entgegnete der Jüngling, »dafür sei Gott Lob und Dank. Giebt's denn so viel kranke Menschen in der Welt, das ihr überall Leute findet, die Eurer Mittel bedürfen?»

»Wenn auch nicht leiblicher Arzenei, so bedürfen sie doch geistiger. Versteht Ihr das?«

»O ja! Ihr seid also ein Stück von einem geistlichen Herrn.«

»Nichts davon! Die Pfaffen sind meine schlechtesten Kunden! Aber es giebt noch gar viel geistiger Bedürfnisse, wo ich ein Licht aufzustecken weiß. Ihr scheint mit eben nicht aus vornehmem Blut, und so brauch' ich vor Euch kein Hehl zu haben. Seht, der Bauersmann hat gar viele Stellen, wo ihn der Schuh drückt, und wo ihm kein Mensch in der Welt helfen kann, als er selbst. Aber er weiß es nicht, wie er's anzufangen hat. Ihm darüber nun die Augen zu öffnen, dazu bin ich da. Versteht Ihr das?«

»Nicht ganz;« gestand der Jüngling.

»O du liebe heilige Unschuld!« rief der Andere. »Nun so erlaubt, daß ich Euch mit der Nase drauf stoße. Ihr wißt, wie viel Ungemach der Bauersmann von seinen gestrengen Lehnsherren zu erdulden hat; Ihr müßtet denn aus einem Lande her sein, wo die Rosinen Einem in's Maul wachsen. Zehnten geben und frohnden, das ist die ganze Wohlthat, die ihm widerfährt und dazwischen vergnügt sich noch der gnädige Herr, ihm die Saaten zu zertreten und dem armen Bauer den Rücken zu gerben, wenn er nur ein unbescheidenes Wort fallen läßt. Der Bauer hat's bisher ertragen, weil er nicht anders wußte, als das sei von Gott und Rechtswegen so. Aber es ist Zeit, daß ihm die Augen geöffnet werden, und ich bin der Mann, der ihm den Staar sticht.»

»Ei, da hat mein Vater längst offene Augen,« lachte Heiz, »denn was Ihr da sagt, hat er schon vor Jahren gesagt.«

»Wirklich?« rief der Fremde. »Nun ich bin nicht neidisch, und es freut mich, daß er selbst an sich die Cur gemacht. Aber es ist nicht genug, das Uebel sehen, man muß es auch ausrotten. Was sagte Euer Vater darüber?«

»Zu unserm Herzeleid viel schreckliches Zeug!« seufzte der Jüngling. »Er führte sündliche Reden von Mord und Rache –«

»Herrlich, herrlich!« jubelte der Wandrer. »Der Weizen blüht. Könnt Ihr lesen, junger Gesell?«

»Ich werde doch!« antwortete Heinz fast beleidigt.

»Nun so les't!« erwiederte jener, seinem Begleiter ein kleines gedrucktes Buch reichend. Heinz las: »Der Neukarsthans von Ulrich von Hutten.« Er stutzte. »Hutten?« rief er. »Ei, den Ritter kenn' ich!«

»Was du sagst!«

»Freilich! Er war ja in meines Vaters Hause!« versetzte Heinz. »Von der Zeit an schreibt sich das finstere Wesen meines Vaters so eigentlich. Ich begleitete den Ritter ein Stück Wegs. Wenn ich ihn nur wieder fände, dann wäre mir geholfen!«

»Brauchst du Hülfe?« Heinz erzählte offenherzig das Anliegen seines Herzens. Der Wunderdoctor lachte dazwischen und sagte dann: »Du bist ein wunderlicher Gesell und willst hoch hinaus, Indeß, wer weiß, wozu es Mancher in dieser Zeit noch bringt! »Ich will dir sagen, wie du zu dem Ritter Hutten gelangst. Geh' nur immer in gerader Richtung fort, bis all' diese Berge hinter dir liegen, dann kommst du in ein schönes Land mit weinbekränzten Hügeln, das ist das Frankenland; da fragst du nach der Ebernburg, dort ist der Ritter. Und wenn du willst, so magst du ihm noch einen Gruß von dem Melchior Gruber bestellen, und er wäre frisch dran, die Vögel fliegen zu lassen. Ich geh' nun bald rechts ab. Du aber gehst stracks vorwärts. Ich will dir da ein Paar Duzend Karsthänse geben, die such' auszubreiten unter dem gemeinen Volk. Es steht klar und bündig drin, was der gemeine Mann zu ertragen hat von den großen Hansen und Fettbäuchen, und wie dem abgeholfen werden kann. Du magst's auch lesen zu eigener Erbauung.«

Heinz nahm das Päckchen, das ihm Melchior bot, und schob es in sein Bündel, indem er für die Auskunft dankte und die Aufträge auf's Beste zu besorgen versprach. Dann trennte er sich von seinem Gefährten und ging seines Wegs fort. Um sieh die Zeit zu vertreiben, las er in dem Büchlein und erstaunte über Alles, was er darin geschrieben fand. Das Elend des Volkes, das mit glühenden Farben ausgemalt war, die Verderbniß der Pfaffen, die nur der bitterste Haß so schildern konnte – Alles das war ihm neu, und er konnte gar nicht an die Wahrheit glauben, weil sein unbefangenes Gemüth jene Eindrücke noch nicht erfahren hatte. Pater Thomasius war ja so gut und fromm!«

Der Abend dunkelte und Heinz war mitten in einem düstern Fichtenwalde; selbst den wenig betretenen Steg hatte er verloren und stand nun rathlos, schaute hinter sich und vor sich, aber nirgends fand er einen Lichtstrahl, der ihm zum Führer hätte dienen können. Auf gut Glück ging er endlich vorwärts; denn der Wald mußte doch früher oder später ein Ende nehmen und er zu Menschen kommen. Die Angst gab ihm neue Kräfte; er lief was er laufen konnte und hatte endlich die Freude, einen hellen Punkt zu sehen, der wie ein Stern durch das Dunkel des Waldes schimmerte. Froher Hoffnung voll folgte er dieser Richtung durch das dichteste Gestrüpp, über Höhen und Tiefen. Der Stern verschwand und erschien wieder, wurde größer und größer, bis er endlich zum helllodernden Feuer ward, um welches mehrere dunkle Männergestalten saßen. Es wandelte den Jüngling fast ein Grausen an bei diesem Anblick. Die alten Mährchen von Waldgeistern und Kobolden traten lebendig in seine Erinnerung; er zögerte, ob er es wagen sollte, sich dem Feuer zu nähern. Es blieb ihm jedoch nicht lange Wahl. Das Gebell eines Hundes scholl ihm entgegen und, ein Kreuz vor sich schlagend, schritt er muthig vorwärts.

Heinz hatte bald Ursache, sich seiner Furcht zu schämen. Es waren Köhler, die ihm gastfreundlich Schwarzbrot und Wasser und ein Lager von Moos und dürrem Laube boten. Die riesigen, berußten Gestalten mußten allerdings im Scheine des Feuers einen seltsamen Eindruck auf den Jüngling hervorbringen, und er verhehlte ihnen dieses nicht. Sie lachten herzlich darüber und ließen sich in ein Gespräch mit ihm ein, über Herkunft, Zweck seiner Wanderung und dergleichen. Nachdem er darüber Bescheid gegeben, fiel ihm das Versprechen ein, das er dem Wunderdoctor geleistet; er nahm eins der ihm anvertrauten Bücher aus seinem Bündel und las den horchenden Köhlern daraus vor. Bald schüttelten sie während der Vorlesung mißbilligend den Kopf, bald nickten sie beistimmend. »Das Buch hat nicht unrecht,« sagte Einer, als Heinz eine Pause machte. »Es geht dem gemeinen Mann freilich trübselig genug, aber er kann's nicht ändern, und mit dem Dreinschlagen ist's auch nichts. Der arme Bauer zög' doch den Kürzern, denn die Großen lassen einander nicht fallen, und wenn der Bauer einmal den Gehorsam aufgekündigt hat, so läßt er keinen Befehl mehr gelten. Und wenn er sich nun auch mit Adel und Bürgerschaft zusammenthut, so essen die die Castanien, an denen er sich die Finger verbrannt. Man muß halt Alles seinen Weg gehen lassen und kann nur beten: Gott besser's! Die Euch aber geschickt haben, hätten bedenken sollen, daß Ihr zu jung seid zu solchem Gewerbe. Es wird Euch Niemand glauben, dem noch der Flaum um's Kinn spielt.«

Heinz erzählte sein Zusammentreffen mit dem Arzneiträger, und daß er nur in dessen Auftrage handle. »Wollt Ihr einen guten Rath annehmen,« fuhr der Köhler fort, »so werft das Zeug da in's Feuer. Ihr scheint mir wenig geschickt zu solchen Künsten, und 's könnt' Euch in arge Ungelegenheit bringen, wenn man's ausfindig machte, was Ihr bei Euch tragt. Ihr solltet mich dauern, denn Ihr seid, so viel mir däucht, ein ehrlich junges Blut. Laß's in Rauch aufgehen!«

»Der Jüngling besann sich. »Ich hab's dem Melchior versprochen, die Bücher zu verbreiten;« wendete er ein.

»Ei das thut Ihr ja!« lachte der Köhler. »Wir haben's all' gehört, was sie besagen. Und die Asche könnt Ihr meinetwegen in alle vier Winde streuen, so habt Ihr Eure Schuldigkeit gethan. Besinnt Euch nicht lang. Die Pfaffen würden sich fürwahr nicht lang besinnen, Euch selbst zu verbrennen, sähen sie das Ding bei Euch!«

Diesem Argument konnte Heinz nicht widerstehen. Er warf die Bücher in das Feuer, und die Flammen leckten lustig an den Blättern. In wenig Minuten waren sie Asche.

Die Köhler zeigten ihm am andern Morgen den Weg und wünschten ihm glückliche Reise. Der Hochwald war nun überstiegen und der Wanderer gelangte wieder in freundliche Thäler und blühende Fluren; die Berge dachten sich immer mehr ab und statt der düstern Fichten und Tannen umfingen ihn wieder grüne Buchen und Eichenwälder.

Als er so, frohen Gemüths, eines Mittags am Saum eines Waldes vorüberging, sah er ein vollständig gerüstetes Roß an einen Baum gebunden, das ihn neugierig mit den klugen Augen anschaute. Ein Paar Schritte davon lag im weichen Grase ein baumstarker Ritter schlafend. Die Rechte hielt den Schwertgriff umfaßt und um die linke war eine Leine geschlungen, die mit dem andern Ende am Hals des Rosses befestigt war. Heinz stand überrascht still und betrachtete Roß und Reiter mit Wohlgefallen, obgleich der Letztere ein gar grimmiges Gesicht zur Schau trug.

Das Roß, als errathe es die Gedanken des Jünglings, wieherte laut auf. Davon erwachte der Ritter und erhob sich. »Was hast du hier zu schaffen, Bursche? fragte er, nicht eben freundlich.

»Nichts, als Euer schönes Roß zu betrachten!« erwiederte Heinz beherzt. »Wenn Ihr's nicht gerne sehet; so geh' ich schon.«

»Gefällt dir das Roß?« fragte der Ritter weniger rauh.

»Gewiß, es ist ein edles Thier!« entgegnete der Jüngling. »Ich hab' mir schon gewünscht, ein ähnliches zu besitzen.«

»Welch' kühne Wünsche du hast!« lachte der Ritter. »Es würde dir auch was Rechtes nützen! Wer oder was bist du denn eigentlich und wohin führt dich dein Weg?«

»Noch bin ich nichts,« sagte Heinz »aber ich möchte vorerst ein Knappe und endlich ein tapferer Ritter werden, und darum geh' ich nach der Ebernburg zum Ritter Hutten, der mir dazu verhelfen soll. Ihr müßt wissen, daß ich ihn recht genau kenne!«

»Also ein Ritter willst du werden?« lachte der Andere. »Dein Adel stammt wohl vom Ackerpflug? Laß deine Gedanken nicht zu hoch stiegen und begnüge dich mit dem Knappen. Dazu scheinst du gemacht, denn die liebe Natur hat dich eben nicht stiefmütterlich ausgestattet. Nach der Ebernburg steht dein Sinn? Nun, dahin will ich auch, und wenn's dir nicht zu gering dünkt, der Knappe des Ritters Wolfenzahn zu werden, so will ich dich wohl annehmen. Eine Mähre wird sich schon für dich finden, bis dahin mußt du freilich zu Fuße reiten.«

»Ihr seid Ritter Wolfenzahn?« staunte Heinz.

»Kennst du den Namen? Nun ja, man wird schon die Kinder damit erschreckt haben, wie mit einem Popanz. Fürchte dich indessen nicht; ich thu' dir kein Arges.«

»Ich fürchte mich vor dem Teufel nicht!« prahlte der Jüngling.

»So gefällst du mir! Topp, wir bleiben zusammen! Ruhe dich aus; der Mittag brennt heiß, und hast du Hunger und Durst, so wird mein Vorrath wohl für uns Beide ausreichen, bis wir wieder Quartier haben. Wie heißest du?«

»Heinz!« – Fröhlich warf sich der Jüngling in's Gras und that den Vorräthen des Ritters alle mögliche Ehre an. Er war nun Knappe und seiner trunkenen Phantasie schien es, trotz Wolfenzahn's Zweifel, mehr als gewiß, daß er es auch noch zum Ritter bringen würde. Er hatte von dem berüchtigten Raubritter schon viel gehört und immer ein heimliches Grauen bei der Erzählung von dessen wilden Thaten empfunden: und nun war er gar der Knappe dieses Ritters!

Endlich brachen die Wanderer auf. Heinz hielt mit dem Rosse rüstig Schritt, und am andern Tage lag schon das schöne Frankenland vor ihnen mit seinen stolzen Ritterburgen, seinen freundlichen Städten, blauen Strömen, lachenden Fluren und grünen Rebenhügeln. –


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