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II.

Der Morgen schwang schon seine Purpurfahnen über die Bergspitzen des Harzes, als der Ritter aus einem tiefen und wohlthuenden Schlummer erwachte. Die frische Lust quoll durch die Dachluke, würzig und belebend, Vögel zwitscherten hoch im blauen Aether, und ein Apfelbaum erhob sein Haupt bis an den First des Daches und streckte seine Zweige, mit weißen Blüthenbüscheln geschmückt, in das Gemach, welches dem Ritter zum Schlafzimmer gedient hatte. »Ich grüße dich, du heilige Morgenstunde!« sprach der Ritter vor sich hin. »Die Welt ward neugeboren, und die Natur jauchzt im Brautschmuck zum Himmel auf.« Sie ist schön, göttlich rein und gut, und nur der Mensch ist's, der sie schändet, während er sie über das Irdische erheben sollte. Wie dort die Sonne emporsteigt im Purpurmantel, so seh' ich ein neues Jahrhundert heranbrechen, eine glänzende Sonne mitten in Völkerblut!«

Die Hausfrau war schon lange thätig und bereitete die Morgensuppe; sie wagte nicht, den edlen Gast aus seinem Schlummer zu stören. Endlich trat dieser in das Wohngemach und ward von der schaffenden Bäuerin freundlich und sittig begrüßt. Er fragte nach dem Befinden des Verwundeten; die Wunde hatte sich fast geschlossen; noch wenige Tage, und sie würde gänzlich vernarbt sein, meinte der Bauer. Auch Heinz hatte sich dem Schlafe entrissen und reichte dem Ritter, wenn auch schüchterner, als gestern, die Hand. Der Vater wollte diese Keckheit entschuldigen.

»Vergebt dem Knaben, mein edler Herr!« sprach er. »Er hat die Welt noch nicht gesehen und weiß nicht, was sich gegen Männer Eures Standes ziemt.«

»Ei, Ihr wollt ihm doch nicht verwehren, daß er mich mit einem deutschen Handschlag begrüße?« entgegnete der Ritter heiter. »Wohl ihm, wenn er die Kluft nicht kennt, die das Vorurtheil von Jahrhunderten zwischen den Ständen aufgerissen. Der Knabe gefällt mir, er hat ein offenes Angesicht und ein ehrlich deutsches Auge! Ich lese aus diesen Zügen mehr, ein schöneres Loos, als zu dem Ihr den Knaben bestimmt.«

Helle Mutterfreude spiegelte sich aus dem Antlitz der Frau bei diesen Lobsprüchen, während des Bauern Stirn sich furchte. »Ihr leset wohl falsch, Herr!« sprach er. »Heinz wird nie etwas Anderes werden, als ein Bauer. Ich bitt' Euch, weckt nicht Wünsche in seiner Brust, die sich nie erfüllen können. Das Elend wird größer, je mehr wir uns dagegen auflehnen. Wer in der Jugend nichts kannte, als den Bettelstab, den schreckt er auch im Alter nicht« Ein tiefer Seufzer begleitete diese Worte. Der Ritter legte ihm eine tiefere Bedeutung unter, als er vielleicht hatte. »Ihr strebtet selbst vielleicht in Euerer Jugend nach Höherem«, sprach er mit aller Wärme der Theilnahme. »Wollt Ihr mir Euer Vertrauen schenken, so sollt Ihr's nicht bereuen. Ihr lebtet nicht immer in diesem Stande?«

»Doch!« entgegnete der Bauer. »Was läßt sich von dem Leben eines armen Mannes erzählen? Was ist's, wenn ihm einmal der Gedanke kommt, daß er zu Besserem geboren sein könnte, als den Acker zu bestellen und bei der Jagd des Lehensherrn das Wild zusammenzutreiben? Ich war ein ungebendiger Bube, verkannte die weise Bestimmung Gottes, daß der Arme geschaffen, um dem Reichen zu dienen. Mein Vater bewohnte diese Hütte. Der selige Graf war ein strenger, unerbittlicher Herr! Das kleinste Vergehen wurde hart gebüßt. Ich sah meinen Vater oft genug mißhandeln, sah das spöttische Lächeln seiner Diener und Reisigen; ich ergrimmte und schlug in kindischem Zorn einst einen übermüthigen Knecht, der meinen Vater behandelte, wie ein gebietender Herr. Ich war schwach und waffenlos, ich entfloh der Rache. Ich gesellte mich zu einer Schaar Landsknechte, ward bewaffnet und streifte im Lande umher; wir führten ein wildes Leben; gegen den armen Landmann geberdeten wir uns als unbarmherzige Herren und waren doch unterwürfig gegen unsern Hauptmann. »Warum entliefst du, wenn du einem Herrn gehorchen willst?« sprach ich zu mir selbst. Von einer Streiferei kehrte ich nicht zurück, versenkte meine Waffen in eine Felsschlucht und floh nach meiner Heimath. Der Vater empfing mich mit Freudenthränen, und der gnädige Graf ließ mich nur peitschen für meine Missethat. O es war ein sehr gnädiger Herr! Ich könnt' Euch noch viel mehr von seiner Milde erzählen. Seht, Herr, der Bauer ist des Strickes um seinen Hals so gewohnt worden, daß er freiwillig zu ihm zurückkehrt, wenn er ihn einmal im Uebermuth abgeworfen.«

Die kurze Erzählung athmete den tiefen Grimm und die grollende Bitterkeit, die das Herz des Bauern zu erfüllen schien.

Der Ritter betrachtete den Armen mehr mitleidig als zürnend. »Ist das die Frucht der Verheißung, die ich Euch gegeben?« sprach er. »Wer soll die Freiheit erkämpfen, wenn das Volk die Hände in den Schooß legt, ohne Vertrauen auf sich selbst? Selbst der gefangene Löwe beißt in seine Ketten, wenn ihn sein Peiniger verspottet. Ist es so, wie Ihr sagt, dann verschwenden die Propheten der neuen Zeit ihre begeisternden Worte umsonst!«

»Ich habe nachgedacht über Euern Luther!« antwortete der Bauer. »Er muß ein edler Mann sein, ist er, wie Ihr ihn schildert. Die Priester malen ihn schwarz, wie den Teufel. Der Fürst sei nicht mehr denn der Bauer, so sprachet Ihr ja! Seht, es wollte mir nie in den Kopf, das der Herrgott seine Welt nur für die Mächtigen geschaffen habe, und der Bauer geboren sei, um zu dienen! Ist ihr Blut heißer und röther denn unseres? Haben sie mehr Augen, Ohren und Hände, denn wir? Werden sie nicht hülflos geboren, wie wir, und sterben, wie wir? Wer hat die Thiere des Waldes, die Vögel des Himmels, die Fische des Wassers erzeugt? Wer hat sie den Herren zum Eigenthum gegeben? Sind sie nicht dem geringen Manne preisgegeben, wie dem hohen? Seht, das waren meine Träume, aber die Peitsche lehrt es anders und – wir glauben der Peitsche. Aber noch mehr würden wir Eurem Luther glauben, wenn er uns lehrte, diese Peitsche zerbrechen!«

»Die Wahrheit überzeugt und die Wahrheit flammt aus Luther's Worten!« rief der Ritter. »Nehmt dies Büchlein; Luther schrieb es; leset darin, wenn Ihr Stunden habt, wo Ihr die Ueberzeugung wollt, daß alle Menschen frei und gleich sind vor dem Richterstuhle Gottes!«

Der Bauer griff nach dem ihm dargereichten Buche. »Ich selbst verstehe diese Zeichen nicht,« sprach er, »aber Heinz hat es erlernt vorn Pater Thomas. Ich dank' Euch, mein edler Herr!«

»Und wenn ich nun zu Luther komme,« sagte der Ritter, »darf ich ihm verkünden, daß die Peitsche den Bauer nicht unfähig gemacht, den Ruf der Freiheit zu vernehmen?«

»Ihr dürft es, beim lebendigen Gott!«

Der Ritter hatte den Morgenimbiß zu sich genommen und rüstete sich zur Weiterreise. Heinz hatte sein Roß vorgeführt; es wieherte muthig und blies die Nüstern auf im frischen Morgenwinde. Der Knabe sollte ihn eine Strecke begleiten, und in dem jugendlichen Antlitz las man die Freude darüber. Der Ritter nahm Abschied vom Bauer und seinem Weibe. »So lang ich lebe,« sprach der Ersten, »seid Ihr der einzige Edelmann, vor dem ich mehr fühle, denn Furcht. Schämt Ihr Euch dessen nicht, so will ich Euch gestehen, daß ich Euch liebe und achte. Ihr thatet, was Keiner gethan hätte. Aber mehr noch, als Eure Hülfe, gewann Euer Wort Euch meine Liebe. Ich möch' Eure Kniee umfassen und Eure Hand küssen, nicht wie einem gestrengen Herrn, sondern wie einem Engel vom Himmel! Verschmäht Ihr's nicht, so nennt mir Euren Namen, daß ich ihn in's Gebet schließe. Mir ist, als könn' ich vertrauensvoller beten, seitdem Ihr mir gesagt, daß vor Gott alle Menschen gleich seien!«

»Ich heiße Ulrich von Hutten,« antwortete der Ritter. »Verschweigt es, daß ich Euer Gast war; man möchte Euch darum zürnen. Vielleicht sehen wir bald uns wieder. Lebt wohl und vergeßt nicht, daß auf die Nacht ein schöner Morgen folgt.«

Er schwang sich zu Roß und verließ das Gehöft des Bauern. Heinz ging rüstigen Schritts neben ihm her und antwortete munter auf die Fragen des Ritters. Wer einmal an einem frischen sonnigen Frühlingsmorgen durch ein blühendes Thal gewandert ist, der weiß es, daß alle Nebel des Mißmuths zerreißen, die bis dahin die Seele umhüllten; es ist, alt wolle der unendliche blaue Himmel nur Freude und Frohsinn umfangen; die Sonne strahlt so hell auf die Millionen Thautropfen, daß der Trübsinn entschwindet, und die Vögel schmettern so jauchzend in den Lüften, daß die Grillen böser Sorgen vor dem hellen Sang verstummen. So erblühte es in Hutten's Herzen. Hatte er auch manche rauhe Lebensbahn durchwandelt, hatte ihn auch kaum erst ein Sturm aus dem sichern Hafen verschlagen, so war er doch weit entfernt, seinen Geist den Wetterschlägen zu beugen, die dessen frische Blüthen nicht abzustreifen vermochten; und seinen frohen Sinn umdüstern zu lassen. Das Unglück macht so leicht menschenfeindlich; auch Hatten grollte, aber es war ein heiliger Groll gegen die Unterdrücker des Wahren und Rechten, sein Herz schlug in warmer Liebe für die Menschheit, für die geknechtete Menschheit, die aus ihren Banden zu erlösen das Ziel seines Strebens war. Er kannte keine Menschenfurcht; die Blitze seines Zorns schleuderte er gegen die Fürsten der Kirche, wie gegen deren Diener, gegen tyrannische Purpurträger, wie gegen die kleinen Knechte, welche die Herren spielen möchten.

Ulrich von Hatten war einem mächtigen, reichen und reichsfreien Adelsgeschlechte in Franken entsprossen; sein Vater hatte ihn für den geistlichen Stand bestimmt und schickte ihn im elften Jahre in ein Kloster. Aber des Knaben feuriger Geist ertrug den Zwang der Ordensregel nicht; im sechzehnten Jahre entzog er sich dem Kloster durch die Flucht und erbitterte durch diesen Schritt seinen Vater so, daß er ihn nicht mehr als seinen Sohn betrachtete. Ausgestoßen aus einem vornehmen Geschlechte, ohne Heimath, ohne Glücksgüter, aber auch ohne Verhältnisse, ohne Rücksichten konnte er nun ganz und ungetheilt seinem großen Vaterlande, seinem Volke gehören. Er hatte nichts als seinen Geist, sein Schwert und seine Feder, drei Waffen, deren jede einzelne hinreichte, sich eine Stillung in der Welt zu erringen. Aber das Glück war ihm nicht hold, oder es war ihm hold, indem es ihn eine lange Leidenschule durchlaufen ließ, um ihn zum rüstigen Kämpfer für sein Volk zu stählen. »So sehen wir ihn,« sagt ein neuerer Geschichtschreiber, »einen literarisch-ritterlichen Abenteurer, in Europa umhergetrieben, zu Wasser und zu Land, durch Pest und Schiffbruch, durch räuberische Feinde, die ihm sein Letztes abnahmen, und durch die Qualen einer fürchterlichen Krankheit, die er in seinem zwanzigsten Jahre schuldlos erbte; jetzt hülflos und krank, aus Mangel des letzten Groschens, als gemeinen Söldner unter den Fähnlein der Lanzknechte im venetianischen Kriege, jetzt auf Wanderungen durch den Süden und Norden Deutschlands, von den Gebildeteren und freieren Geistern hochgeschätzt, von der Masse mißachtet, oft mißhandelt, weil er in unscheinbarem Aufzug, ohne Geld, ohne Titel, ohne Amt erschien. Aber nichts lähmte seinen Muth, und vermochten auch bitterste Erfahrungen und schwere körperliche Schmerzen auf Stunden seinen Geist zu umwölken, so rang er sich doch sogleich wieder frei und hell hindurch. Das heilige Feuer der Idee, das in ihm war, hob ihn über alle diese Gemeinheiten des Lebens. Und wofür er im Innersten glühte, was er am heißesten liebte, das waren, wie er selbst ausspricht, »die göttliche Wahrheit, die allgemeine Freiheit.«

Auf seinen Wanderungen hatte er das tiefe Elend des gemeinen Mannes gesehen. Es erweckte in ihm mehr als Mitleid, es mahnte ihn zur That; sein Muth glaubte an die Rettung und sein Wille sprach: Es muß gerettet werden. Durch Wahrheit zur Freiheit, durch Freiheit zu immer lichterer Wahrheit! Das war sein Wahlspruch, und wer diese unterdrückte, dem trat er als unversöhnlicher Feind gegenüber. Er begann einen großen Kampf mit den Waffen des Geistes, die in's Leben trafen. Mit Haß und Verfolgung kämpften seine Gegner.

Der erste Lichtstrahl in Hutten's Leben war sein Aufenthalt am Hofe des Kurfürsten Albrecht II., des Erzbischofs von Mains. Albrecht war der Medicäer Deutschlands; sein Hof war der Sammelplatz der edelsten und freiesten Geister. »Wo,« ruft Hutten, »wo ist in ganz Deutschland ein wahrhaft gelehrter Mann, der Albrecht nicht kennt? oder von welchem gelehrten und genialen Manne ist er jemals begrüßt worden, den er nicht mit seiner Gnade und seiner Freigebigkeit überhäufte? Wie sorgfältig hat er Reuchlin gegen seine Feinde, die Finsterlinge, geschützt? Mit welcher Sehnsucht hat er nicht Erasmus zu sich gerufen? Wie oft fragt er uns nicht nach den Arbeiten, nach dem Wohlergehen jedes guten Kopfes?« – Die Finsterlinge klagten über die Freiheit in Sitten und Denkart am Hofe zu Mainz; ein katholischer Fürst sitze auf dem Thron, aber das Scepter führe ein ungläubiger Minister; an den Kirchen sehe man den heiligen Bonifacius; doch an der Tafel, im Schlafgemach, im geheimen Rathe sitze Luther. Hier wuchsen und reiften die Ideen des feurigen Hutten von einer Nationalreformation; Ulrich's Vetter, Frowin von Hutten, war jener ungläubige Minister.

Albrecht stand noch nicht ganz über seiner Zeit. Er ließ sich den Auftrag des Papstes gefallen, den Ablaßhandel in Deutschland betreiben zu lassen. Hutten ließ dagegen eine Schrift ausgehen, in welcher er die Berechtigungen des römischen Stuhls angriff und die Vorgänger des regierenden Papstes Diebe, Tyrannen, Straßenräuber nannte. Der Papst forderte die Auslieferung des grimmigen Feindes, und Hutten verließ Albrecht's Hof, um seinen Gönner nicht in Verlegenheiten zu bringen.

Nach dem Tode seines Vaters bestürmte ihn die Mutter mit Bitten, von der gefährlichen Bahn umzukehren, sich in den Schooß stiller Häuslichkeit zu flüchten; aber sein Entschluß war eisern. » Jacta est alea« rief er. »Ich hab's gewagt!« Er verzichtete auf das väterliche Erbe und warf sich von neuem in den Sturm des Lebens. Der Bergmannssohn erhob in Wittenberg das Panier der Wahrheit; er wollte nicht geringeren Muth in dem großen Kampfe zeigen. »Wache auf, du edle Freiheit!« schrieb er an den kühnen Augustiner-Mönch »Wir haben dennoch hie etwas ausgerichtet und fortgesetzt. Der Herr sei fürder auf unsrer Seite und stärke uns, um dessen willen wir uns jetzt hart bemühen, seine Sache zu fördern und seine heilsame, göttliche Lehre wiederum lauter und unverfälscht hervorzubringen und an den Tag zu geben. Solches treibt Ihr gewaltig und unverhindert; ich aber nach meinem Vermögen, so viel ich kann. Seid nur keck und beherzt und nehmet gewaltig zu und wanket nicht. Ich will Euch in Allem, es gehe, wie es wolle, getrost und treulich beistehen; deshalb dürft Ihr mir hinfort ohne alle Furcht alle eure Anschläge kühnlich offenbaren und vertrauen. Wir wollen durch Gottes Hülfe unser aller Freiheit schützen und erhalten, und unser Vaterland von dem Allen, damit es bisher unterdrückt und beschwert gewesen, getrost erretten. Ihr werdet sehen, Gott wird uns beistehen. So denn Gott mit uns ist, wer ist wider uns?«

Hutten war jetzt in Begriff, diesen seinen gewaltigen Mitkämpfer persönlich heimzusuchen, und die frohe Erwartung färbte sein bleiches Antlitz mit hellem Roth. Seine Brust war so leicht und frei, er athmete freudig die reine Morgenluft, trug er doch das Bewußtsein in sich, einen neuen Anhänger der Lehre seines Geistesverwandten gewonnen zu haben.

»Nun kehre zu deinem Vater zurück, Heinz!« sagte der Ritter freundlich zu seinem kleinen Begleiter. »Ich danke dir für dein Geleite; dein Vater wird dich erwarten und die Mutter wird besorgt um dich sein! Zudem trabt meine alte Liese zu munter, als daß du ihr folgen könntest!«

»O Herr Ritter,« antwortete der Knabe, »ich mochte am liebsten mit Euch ziehen!«

»Und Vater und Mutter verlassen?« erwiederte Hutten streng. »Das wäre nicht wohlgethan! Was wolltest du draußen in der Welt, du schwaches Reis in dem Sturme der Zeit, der selbst kräftige Eichen beugt? Bist du denn nicht gern in der Hütte deines Vaters?«

Der Knabe erröthete und senkte schweigend das Antlitz, als habe er eine Sünde begangen. »Sprich frei!« ermahnte Hutten, und Heinz schlug die klaren Kinderaugen auf, aus denen ein Strahl der Begeisterung glühte. »Die Welt ist so groß und schön!« sprach er, »und ich habe noch so wenig davon gesehen, ein Plätzchen, das wie ein Sandkorn ist gegen die Länder und Meere des Erdbodens!«

»Ei, woher weißt du denn das?« fragte Hutten lächelnd.

»Woher? Aus den Büchern, die mich Pater Thomasius lesen lehrte. Wie viel herrliche Sachen hab' ich durch die schwarzen Buchstaben erfahren, die mir sonst so wunderlich und kraus vorkamen! Als ich noch klein war, da glaubt' ich, hinter den Bergen dort hörte die Welt auf. Wie war ich so einfältig! Jetzt weiß ich, daß es hinter jenen Bergen noch schöner ist als bei uns, und daß kein Mensch an das Ende der Welt kommt, wenn er auch sein ganzes Leben lang immer fortginge. Ich weiß auch, daß es große Städte giebt mit Häusern, die alle so groß und prächtig sind, wie das Schloß des gnädigen Grafen, und daß viele tausend Menschen leben, die in Gold und Seide gekleidet sind und Waffen tragen, so blank wie die Sonne!«

»Du bist ja gar ein kluger Knabe geworden!« lächelte Hutten. »Und nun gefällt es dir nicht mehr unter dem niedern Dache deines Vaters?«

»Ach, Herr, es ist vielleicht eine Sünde, daß ich es sage, aber ich mochte fort in die weite Welt!« rief Heinz. »Ich denke, wenn ich brav wäre, so könnte ich auch einst ein Rößlein reiten und ein Schwert tragen. Vater schilt mich, wenn ich davon spreche, aber ich träume Tag und Nacht davon. Wie schön ist's in dem grünen Wald. Wenn die Vögel singen, ist es mir, als wenn sie meinen Namen riefen und sprächen: Komm mit! und wenn die Blätter rauschen, so thut es mir im Herzen weh. Es ist, alt ob's Sonntag wäre, wenn Vater mich in den grünen lustigen Wald führt. Wenn ich mich bücke und dürres Holz sammle, da schauen die Blumen mir in die Augen, schütteln die Köpfchen und flüstern: einfältiger Knabe, was machst du hier? Und zuweilen springt ein Reh aus dem Gebüsch, schaut mich an, als wenn's sagen wollte: Heinz, warum wohnst du nicht lieber in dem herrlichen Wald, als in der engen, dunkeln Hütte? Darum bin ich so gern in dem herrlichen Wald, und doch weiß ich, daß es draußen in der Welt noch schöner ist; und wenn die Vögel singen: Komm mit! so möcht ich gleich über Berg und Thal laufen. Aber ich denke dann, wie der Vater schelten und die Mutter weinen würde, und drücke die Ohren zu, daß ich die Vögel nicht höre; aber ich bin traurig einen ganzen Tag lang.«

»Sei zufrieden, lieber Heinz!« tröstete der Ritter. »Draußen in der Welt ist es nicht so schön, als in deinem lustigen Wald. Da giebt es böse Menschen, die den unterdrücken und mißhandeln, der nicht ihres Glaubens und ihres Sinnes ist.«

»Ei, ich würde ein Schwert tragen und sie strafen, wenn sie Unrecht thäten!« rief der Knabe mit Feuer. »In den Büchern des Paters Thomasius hab' ich viel von tapfern Rittern gelesen, weiche die Bösen erschlagen und die Guten beschützten. Warum trüge der Ritter ein Schwert, wenn er das nicht könnte?«


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