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VII.

Die Zeit kam heran, wo Luther in Augsburg erscheinen und vor einer Kirchenversammlung sich über seine Lehren verantworten sollte. Von allen Seiten kamen ihm Warnungen, nicht in den Fallstrick zu gehen, den ihm die römische Clerisei gelegt, selbst die sächsischen Kurfürsten, seine erlauchten Beschützer, waren um ihn besorgt; aber der kühne Glaubensheld achtete all' dieser Gefahren nicht, die man ihm vorspiegelte. »Ich bin ein unbedeutender Mönch,« sprach er; »was hätten sie davon, wenn sie mich tödteten? Schwiege auch mein Mund, so würden die Steine reden. Alle die edlen Herren, die sich um mein Schicksal mit gütiger Sorge bekümmern, müßten sich ja meiner schämen, verkröch' ich mich, wie ein Kätzlein, das vom Braten genascht und die Strafe fürchtet. Ich sage mit meinem Freunde Hutten: »Ich hab's gewagt!« Einen Rücktritt giebt's nicht mehr, ich muß vorwärts!« Er schlug ·auch die bewaffnete Begleitung aus, die ihm der Kurfürst anbot; als schlichter Mönch am Wanderstabe wollte er gen Augsburg pilgern; und schüttelten auch seine Freunde bedenklich den Kopf, so mußten sie doch seinen Glaubensmuth bewundern.

Es war am Vorabende des zur Abreise bestimmten Tages. Luther stand in seiner Zelle und blies aus der Flöte, seinem Lieblingsinstrument; die weichen Töne verschmolzen mit der lauen Abendluft, die durch das geöffnete Fenster in die Zelle strömte. Er blickte nach den Sternen am tiefblauen Firmament, und so viel der goldnen Blumen dort oben blühten, so viel erblühten Hoffnungen in seinem Herzen. Und die Melodieen erklangen immer heller und freudiger und wurden endlich zum lauten Siegesjubel, bis sie wieder in wehmüthiger Klage verhauchten. Luther stand an einem großen Abschnitte seines Lebens. Beschleicht uns doch eine gewisse Wehmuth, wenn wir einen Ort nur auf kurze Zeit verlassen, der uns lieb geworden, und er wollte eine Reise unternehmen, die leicht keine Wiederkehr gestatten konnte. Trotz dieser Gefühle schwankte er keinen Augenblick in seinem Entschlusse. Er hatte es überhört, daß es an seine Zelle pochte, und wandte sich erst um, als sich die Thür öffnete. Rasch legte er die Flöte weg und schritt den beiden eintretenden Männern bewillkommnend entgegen.

»Ihr habt mich in meiner Abendandacht überrascht!« sprach er. »Der Frömmler reibt sich die Kniee wund, um dem Herrn ein Gebet in hohen schwülstigen Worten darzubringen, kasteit sich und sagt: Dies ist Gott wohlgefällig Ich aber glaube, der Herr hört nicht auf das Wert, sondern auf das Gefühl, dem es entströmt. In den weichen Tönen meiner geliebten Flöte jauchst mein Gefühl zum Himmel empor, wie die Lerche ihr schmetterndes Morgenlied singt, und mir ist, als sei dies Gebet ihm wohlgefällig. Musik und Dichtkunst sind ja ein Theil der Sprache, in welcher die Engel dem Herrn lobpreißen. In ihnen verhaucht die Brust ihren Schmerz, in ihnen strömt sie ihre Wonnen ans, und in ihrem trauten Umgang fühlen wir uns über das Irische erhoben, Gott näher.«

»Aus meinem Herzen gesprochen!« entgegnete Einer der Männer, Hutten. »Wie oft hat mich die süße Dichtkunst nicht getröstet und aufgerichtet; dann war sie wieder der Blitzstrahl, der mich zum Helden machte, den ich auf die Feinde schleuderte, daß sie sich krümmten. In meiner frühen Kindheit schon fühlte ich ihren Flügelschlag, der mich umrauschte; ich ahnete ihn nur, später lernte ich ihn verstehen. Mein Leben war so arm an Rosen der Freude; sie war die einzige Blume, die mir blühte. Die Zaubernacht der Liebe begriff ich nur einmal, um zugleich ihren Schmerz zu fühlen. Es war an jenem Tage, als der edle Maximilian mich mit dem Lorbeerkranze beschenkte. Ich achtete der Tausende nicht, die sich gaffend um die Tribüne drängten, als Constantia, die schöne Tochter des Nürnberger Patriciers, mir die Dichterkrone auf die Stirne drückte; ich. war ganz in dem Anschauen der herrlichen Jungfrau versunken. Wie das Morgenroth eines beginnenden Liebesfrühlings strahlten ihre Wangen; ihre Augen leuchteten wie das Zwillingsgestirn der Hoffnung; sie senkte die Wimpern, als ich begeistert zu ihr aufschaute. Ich vergaß selbst den milden hochsinnigen Kaiser, den Jubelruf des Volkes hörte ich nicht; ich hätte freudig meine Dichterkrone hingegeben für ein Liebeswort aus ihrem Munde. Es war ein Traum; er ging vorüber, um nie wiederzukehren, aber er lebt in meiner Erinnerung und breitet oft wehmüthige Schatten über meine Seele. – Doch verzeiht, daß ich Euch mit solchen Dingen behellige, die Euch wie Mährchen klingen müssen.«

»Wie schöne Mährchen, die Gott selbst gedichtet!« antwortete Luther gedankenvoll. »Der Mönch darf nicht an die Freuden der Liebe denken, weiche selbst das karge Mahl des Bettlers würzen. Er ist ärmer als der Bettler, denn er darf sein kummervolles Herz nicht ausschütten vor einer liebenden, tröstenden Gattin. Die Welt ist für ihn starr und todt, denn er darf den Gottesathem nicht fühlen, der sie beseelt. Wenn ich die Armen in ihrer Hütte belauschte, da hab' ich sie oft beneidet um das stille Glück, das aus dem dürren Gestein der Noth und Sorge erblühte, wie die Alpenrose unter dem Eise der Gletscher.«

Der zweite Gast, Philipp Melanchthon, sah den Freund mit besorgten Blicken an. Luther dachte damals noch nicht daran, die Satzungen der Kirche, die dem Priester nicht erlaubten, sich ein Weib zu nehmen, umzustürzen und verschloß Gedanken, wie die eben geäußerten, tief in seine Brust. Er trat eine geheimnisvolle Stille ein; Keiner der Männer wagte den feierlichen Moment zu unterbrechen, in dem gleichsam die Ahnung einer neuen Ordnung der Dinge ausgesprochen ward. Da erschallte plötzlich drunten auf dem Hofe ein kräftiger Männergesang, der in der Ruhe der Nacht über allen Ausdruck erhaben klang.

Ueberrascht sahen sich die Freunde an. »Irr' ich nicht,« sprach Luther, »so sind dies unsere jungen Freunde, die mir den letzten Nachtgruß bringen.« Er trat an's Fenster und sah drunten eine Schaar Studenten wogen, über welche einige Fackeln grelle Schlaglichter warfen. Als der Choral geendigt war, erscholl aus hundert Kehlen ein donnerndes »Vivat Dr. Martinus Luther!« und ein unermeßlicher Jubel erhob sich, als man den verehrten Lehrer am Fenster erblickte.

Luther begann zu sprechen, und das tobende Jauchzen verwandelte sich plötzlich in eine Todtenstille. »Meine lieben Freunde!« sprach er. »Mein Herz ist bewegt von den Beweisen Eurer Liebe, die Ihr dem scheidenden Lehrer und Freunde darlegt Ich möchte Euch danken und kann doch das rechte Wort nicht finden, das Alles ausspräche, was ich fühle. Ich gehe muthiger meinem Geschick entgegen, da ich weiß, daß ich Eure Liebe mit mir nehme, da ich überzeugt bin, daß Ihr auf der Bahn der Wahrheit weiterschreiten werdet, die mich euch zu zeigen, Gott gewürdigt hat. Laßt Euch nicht irre machen durch das Geschrei der Feindes Sie werden das Trug und Nacht schelten, was doch lauteres Licht und Wahrheit ist. Hörst nicht auf sie! Ich gehe, um vor Fürsten und Herren die Wahrheit meiner Lehre zu bekennen. Sie werden mich verleumden und sagen, ich habe widerrufen; glaubt es nicht! Denn wenn auch die ganze Welt wider mich aufstünde, so würde ich doch sagen: So ist es und nicht anders! Ihr seid ausersehen, daß Ihr nach mir der Welt das Licht verkünden sollt, Ihr seid die jungen, hoffnungsreichen Sprossen im Garten Gottes. Was Ihr mit der jugendlich begeisterten Seele erfaßt, davon laßt nimmer ab. Das ist mein Vermächtnis, das ich Euch hinterlasse! Das ist mein Dank für Eure Liebe. Der Herr segne Euch, der Herr behüte Euch!«

Diese mit volltönender Stimme gesprochene Anrede brachte eine wunderbare Wirkung hervor. Die jugendlichen Gemüter waren begeistert, entflammt; die Studenten streckten die Hände nach Luther empor, schwenkten die Baretts und der Ruf: »Es lebe Doctor Martin Luther« wollte kein Ende finden. Endlich zogen sie ab, und Luther wandte sich zu seinen Freunden zurück. Es glänzte in seinen Wimpern, wie eine Thräne. »Die Jugend und also die Zukunft,« sprach er, »hängt an mir mit all' ihren Lebensfasern. Wir werden siegen, denn Gott ist mit uns! Wie würden sie Zeter schreien, wenn sie diesen meinen Triumph gesehen hätten! Ich gehe getrost, denn die Ueberzeugung, daß die Wahrheit unseres Strebens Wurzel gefaßt, ist mir eine treffliche Wegzehrung.«

»O wenn nur diese Reise kein Unglück über dich verhängt!« seufzte Melanchthon. »Mir ist, als wär' es besser, du gingst nicht gen Augsburg!«

»Soll ich unsern Anhängern ein Aergerniß geben?« sprach Luther heftig dagegen. »Sollen sie sich des Vertrauens schämen, das sie dem Feigen geschenkt, der der ganzen römischen Macht den Fehdehandschuh vorgeworfen und erzittert, wenn der wirkliche Kampf beginnt? Sagt Ihr, Ritter, würdet Ihr mich achten können, wenn ich bliebe, während die Ehre mich herausfordert?«

»Ich hielt es anfangs mit denen, die Eurer Reise entgegen waren;« antwortete Hutten. »Aber ich habe eingesehen, daß Ihr Recht habt, daß Ihr Eure Lehre offen vor aller Welt bekennen müßt, um zu siegen! Die Wahrheit und Freiheit fordern Streiter, die nicht aus dem Verborgenen Idee Pfeile senden, sondern die sich öffentlich zum großen Gottesurtheil stellen. Ihr habt nichts zu befahren von der Clerisei. Der edle Kaiser Maximilian will Euch wohl; er wird Euch kein Haar krümmen lassen. Der ritterliche Held ist von jenem Sigismund verschieden, wie der Tag von der Nacht! Er bricht sein gegebenes Wort nicht!«

»Ist Gott mit uns, wer will wider uns sein!« rief Luther glaubensstark. »Die Pforten der Hölle werden uns nicht überwältigen. Ich fühle. mich so stark und erhoben, daß ich einer Welt in Waffen gegenübertreten könnte und das Wort Gottes verkündigen, nur bedeckt mit dem Schilde der Wahrheit!«

»Dann kam ich vergebens,« sprach Melanchthon traurig, »um dich zu überreden, diese Reise aufzugeben. Ich beuge mich deinem stärkeren Geist; aber die Bahn, die du wandelst, will ich auch verfolgen. Opfern sie dich, wie den Märtyrer Huss, so will ich dein Hieronymus sein.«

»Treuer Freund!« entgegnete Luther, ihn umarmend. »So weit wird es nicht kommen. Sieh, ich bin heiter; meine Seele ist nur voll Siegesahnung.«

»Und ich werde Euch eine Strecke Wegs begleiten!« fiel Hutten ein. »Ihr werdet mir diese Gunst vergönnen. Ich bin ein irrender Ritter, der überall seine Heimath hat.«

»Ich darf offen gegen Euch sein,· weil Ihr mein Freund seid!« erwiederte Luther. »Ich weiß Eure Güte wohl zu schätzen, aber erlaubt mir, daß ich sie ablehne. Allein will ich· meines Weges wandeln. Wir kämpfen für ein Ziel, für die Wahrheit; aber Ihr habt einen andren Weg gewählt, denn ich. Ihr wollt Gewalt, ich will Ueberzeugung. Das Reich, das ich gründen will, ist ein Reich des freien Geistes. Ich predige den Frieden. Man soll nicht sagen können, ich sei ein Rebell, der sich mit Euch verschworen habe, die bestehende Ordnung in stützen. Verkennt mich nicht und laßt mich meines Weges allein gehen!«

Hutten drang nicht weiter in ihn. Die Freunde gingen und überließen ihn der Ruhe der Nacht, um sich für den ersten Tag der Pilgerfahrt, der morgen anbrach, zu stärken.

Kaum flammte die Sonne durch das Morgenroth, als Luther schon zur Fahrt gerüstet stand und in den weichen, wonnigen Morgenhimmel schaute; er war in seine grobe, unscheinbare Kutte gehüllt, in der Hand trug er den Wanderstab, ein linnener Sack, der ihm um die Schulter hing, beherbergte seine wenigen Reiseeffecten, unter diesen seine treue geliebte Flöte. Seine Augen glänzten glaubensmuthig und kühn, und mit froher Heiterkeit begrüßte er die Freunde, die sich nicht nehmen ließen, ihm das Geleit zu geben. Eine große Zahl Bürger, angesehener Beamten, befreundeter Lehrer der Hochschule und Studenten hatte sich versammelt und drängte sich um den Scheidenden, ihm noch einmal die Hand zu drücken, die besten wärmsten Wünsche ihm darzubringen. Luther war gerührt von so viel Liebe und Theilnahme, aber er kämpfte die Rührung nieder und zeigte den starken Streiter für Wahrheit und Licht. Sein Wort, das so voll Muth und Selbstbewußtsein klang, verscheuchte die bangen Ahnungen der besorgten Freunde sogar; Alle schienen in fühlen, daß ein schützender Genius über den kühnen Reformator wache.

Alle Hände, die sich ihm grüßend entgegenstreckten, drückte er mit herzlichem Danke. »Ich gehe mit Gott!« sprach er. »Er wird mich leiten und führen und wird mich behüten mitten unter den grimmigen Feinden, wie er die drei frommen Männer im Feuerofen unversehrt erhielt.«

Endlich riß er sich von der Menge los, nur noch von seinen vertrautesten Freunden umgeben; die Menge rief ihm ein lautschallendes Lebewohl nach. Die jugendliche Begeisterung ist oder nicht so schnell zurückzudrängen, als sie geweckt wird. Die Studenten waren nicht geneigt, den verehrten Lehrer einer dunkeln Zukunft entgegenziehen zu sehen und ruhig in ihre Hörsäle zurückzukehren; wie nach einem gemeinsamen Entschlusse folgten sie dem Scheidenden und sangen mit voll und stark tönender Stimme ein Abschiedslied, daß es an den hohen Giebelhäusern hundertfach wiederhallte, und die Schläfer, die den Mittag herbeizuträumen pflegten, erwachten. Noch heute begleiten auf solche Weise die Musensöhne ihre schreibenden Brüder aus der treuen Musenstadt, und Jeder, der einst ein solches Geleit genossen hat, wird sich des wehmüthig weichen Gefühles erinnern, das ihn in diesen Momenten beschlich. Auch in Luther's Augen glänzte ein goldener Tropfen, als er endlich, weit außerhalb der Thore Wittenbergs, die Freunde zurückkehren hieß und nun zum letzten Male Abschied nahm. Er war schon weit von ihnen entfernt, als er noch ihren Nachruf hörte, aber er schritt rüstig seines Weges fort und wandte sich nicht um, bis der letzte Laut verhallte. Nun erst sah er noch einmal zurück auf den Schauplatz seines Wirkens. Die Zinnen der Stadt glänzten in der Morgensonne, die Lerchen wirbelten in den Lüften und sangen fröhliche Lieder, die Bäume rauschten, er fühlte sich einsam und doch nicht muthlos. Die hohe Bedeutung seiner Reise kräftigte ihn. So muß dem Helden sein, der in eine Schlacht zieht. Und war es nicht ein heißer Kampf, dem er entgegenzog? Er allein trat der ganzen römischen Clerisei mit ihrer Macht entgegen und hatte nichts zur Wehre, als seinen Muth und die Wahrheit, zwar mächtige Waffen, die aber seine Vorgänger, wie das Beispiel des edlen Huß von Hussinez zeigte, nicht vor dem Feuertode zu schützen vermocht hatten. Als er so allein die Straße fortwandelte, während ihm nur hier und da ein Bauer begegnete, der den Ordensbruder andächtig grüßte, nahm er seine Flöte zur Hand, hauchte in sie die Gefühle seines Herzens, und die Töne gestalteten sich zu der begeisterten Melodie der nachher berühmt gewordenen Liedes: Eine feste Burg ist unser Gott! –

Der Ruf des Augustiner-Mönchs war schon so sehr durch alle Gauen Deutschlands gedrungen, daß man ihn überall auf seinem Zuge fast mit ehrerbietiger Scheu anstaunte. Vorzüglich war es das Volk, welches sich schaarenweise zu seinen Vorträgen, die er unter freiem Himmel hielt, wo man ihm die Kirchen verschloß, drängte.

Seine Beredtsamkeit war gewaltig, das Feuer seiner Rede erschütterte und entflammte, während die Klarheit seiner Gedanken überzeugte. Die niedergedrückte Classe des Arbeitsstandes hing begierig an dem Munde des neuen Propheten und lauschte den Worten, die Gleichheit der Menschenrechte predigten, eine neue bessere Zelt verkündeten. Meinte Luther auch nicht eine Gleichheit in irdischen Dingen, sprach er auch nur von einem Reiche der Wahrheit, das gegründet werden solle, so legten diese Menschen, die in harter Arbeit ihr Leben als einen beständigen Leidenstag betrachten gelernt hatten, den Aussprüchen des Predigers doch gern ihre eigenen Meinungen und Wünsche unter, und die lutherische Lehre fand in dieser Gestalt einen Anhang, der den geistlichen und weltlichen Gewalthabern ernstliche Besorgnisse wohl einzuflößen im Stande war. Dazu kam, daß damals seine Lehre noch nicht zu der Mäßigung gelangt war, die bei aller Entschiedenheit in Glaubenssachen ihn später zu einem abgesagten Gegner aller politischen Uebergriffe machte. Vom Feuer seiner Begeisterung ließ er sich zuweilen hinreißen, auch das weltliche Gebiet zu berühren, in dem sich wenigstens eben so viel Mißbräuche fanden, als in dem geistlichen. Als Luther zu Heidelberg disputirte, rief ein Professor in ahnungsvoller Angst: »Wenn das die Bauern hörten, würden sie uns steinigen!«

Gereichte auch das Zuströmen des Volkes zu Luther's Vorträgen, besonders der Geistlichkeit, zum Aergerniß, so konnte man es doch nicht verhindern. Einen offenen Gewaltstreich gegen ihn durfte man nicht wagen, da er im Schutze eines mächtigen deutschen Fürsten stand und einen verborgenen noch weniger, da man die öffentliche Meinung fürchten mußte, die eine solche Maßregel gewiß nicht zu Gunsten der schon schwankenden geistlichen Gewalt gedeutet haben würde. Man mußte sich deshalb damit begnügen, den »vorwitzigen Mönch« mit Verachtung zu behandeln und ihn mit Hohn zu kränken. Luther lächelte über diese Angriffe der Gegner, sein Bewußtsein erhob ihn über dergleichen Schmähungen, die von den Klardenkenden nach ihrer Gebühr gewürdigt wurden.

Denn nicht allein unter dem Volke zählte Luther seine Anhänger, sondern die Gebildeten aus den höchsten Ständen bekannten sich offen und insgeheim, nach dem Vorgange der sächsischen Kurfürsten, zu Freunden seines Strebens. Bei Vielen mochte freilich die Ueberzeugung von der Wahrheit seiner Lehre weniger die Ursache ihrer Theilnahme sein, als politische Beweggründe, die weltliche Macht auf Kosten der geistlichen zu erheben, aber das Resultat blieb dasselbe; das große Reformationswerk wurde geschützt und gepflegt und zu seiner vollkommenen Reife herangebildet.

Wie Luther in Augsburg erschien und wie wenig es den römischen Prälaten gelang, den kühnen eisenfesten Mann einzuschüchtern und zum Widerruf zu zwingen, ist in den Annalen der Geschichte der Menschheit verzeichnet, ebenso wie er den Fallstricken seiner Feinde entkam, die ihn im Geheimen verderben wollten, weil der edle Kaiser sich zu dem Wortbruch jenes Sigismund nicht verleiten ließ.

Hutten blieb nicht mehr in Wittenberg, als Luther daraus geschieden war. Er trat seine Pilgerfahrt von Neuem an, denn seinem rastlos strebenden Geiste war die Ruhe nicht beschieden, die der genügsame Bürger und Landmann zu den höchsten Genüssen des Lebens rechnet.


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