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II.

Die dahingeschwundenen Jahre hatten eben keine große Veränderung im Hauswesen Kolbach's hervorgebracht. Kolbach selbst war älter geworden, aber sein Haß gegen den Lehnsherrn war jung geblieben und mit seinem Fleisch und Blut verwachsen. Sein Gemüth hatte sich immer mehr umdüstert und gedankenvoll schien er über Planen zu brüten, die gewiß nicht unschuldiger Art waren, wie das unheimliche Funkeln seines Auges verkündete. Das Unglück hat zweierlei Wirkungen: entweder löst es die Rinde von der Brust und facht die halb erloschene Liebe zur Menschheit in uns an, wir stürzen uns in den Arm der Liebe und mit den rinnenden Thränen sinkt auch die Last von unserem Herzen, wir fühlen uns wiedergeboren und die ganze Natur bietet und neue Freuden; oder jene Rinde erstarrt und verschließt alle sprudelnden Quellen des besseren Seins, die Welt hat ihren Reiz für uns verloren, die Liebe wird uns fremd, wir kennen nur den Haß.

Kolbach's Unglück war von der letzteren Art. Sein Gemüth war von Haus aus von rauherer Masse. Nur die Sonne der Liebe hatte es zuweilen durchwärmt. Er war ein Grübler, und das harte Loos, das er mit Tausenden seiner Brüder theilte, machte seinen Blick befangen. Sein Verstand vermochte nicht zu ergründen, wie das Vorrecht entstanden, was der Arme verschuldet, um der Schemel der Reichen, der Hochgeborenen, zu sein. Diese Gedanken lagen zwar noch chaotisch in seinem Geiste durch einander, aber sie machten ihn schon allen Bevorrechteten feindlich gesinnt. Das Zusammentreffen mit Hutten und die Lehre Luther's, von der er so viel gehört, die er aber nicht geistig genug auffaßte, brachte Licht in dieses Chaos, und war er bis jetzt nur dunkel gefühlt, erhielt nun eine bestimmte Richtung. Fast hätte aber die Liebe über den Haß ihre siegende Gewalt behauptet, wenn nicht die Züchtigung, die der strenge Graf über ihn verhängte, sein aufthauendes Gemüth wieder erstarrt hatte. Von nun an war der Frieden auf ewig aus seinem Hause verschwunden, und Liesbeth gab endlich seufzend alle Hoffnung auf, den Gatten mit der Welt zu versöhnen. Sie trauerte ihre Lebenstage still dahin, aber der Kummer zerstörte allmälig den Leim ihres Daseins. In wenigen Jahren war sie um Vieles gealtert, der Glanz ihrer Augen war erloschen, und nur, wenn sie auf ihre Kinder sah, belebte eine wehmüthige Freude ihr bleiches Antlitz.

Es war aber auch, als wolle der Herr sie in diesen Kindern für alles verlorene Glück entschädigen, so herrlich waren sie herangeblüht. Heinz war ein Jüngling geworden, strotzend in jugendlicher Lebenskraft Er hatte für eines Grafen Sohn, gelten können, hätte nicht der grobe Bauernkittel diese schlanken, kräftigen Glieder bedeckt. Aus seinen Augen sprühte frohe Lebenslust, durch die zuweilen eine Flamme der Sehnsucht, wie eine phantastische Blume, zuckte; denn die kindischen Träume waren noch nicht vergessen. Noch immer zog es ihn in einsamen Stunden hinaus in die schöne geträumte Welt.

Marie war in dem Alter, wo die Jungfrau mit dem Kinde um das Vorrecht streitet. Sah man ihre blühende, in üppiger Schönheit prangende Gestalt an, so mußte man bekennen, daß die Jungfrau den Sieg gewonnen, lernte man aber ihr ahnungsloses, gänzlich unbefangenes Gemüth kennen, so mochte man das schöne Mädchen wohl nur für ein Kind halten. Die grobe Bauerntracht that dieser Schönheit keinen Eintrag, vielmehr verlieh sie ihr einen eigenthümlichen Reitz. Ihr unverdorbener Geschmack wußte Alles so zu ordnen, daß man die unscheinbare Hülle über dem lieblichen Kern vergaß.

Marie war noch immer des Vaters Liebling; sie allein war es, die noch einen Sonnenstrahl in sein umdüstertes Gemüth zu werfen vermochte. Aber sie war nicht allein des Vaters Herzblatt, das zarte Verhältnis zwischen Bruder und Schwester bestand immer noch. Heinz hütete sie wie seinen Augapfel und würde Leib und Leben geopfert haben, um ihr einen Wunsch zu erfüllen. Marie vergalt ihm diese aufopfernde Liebe nicht immer gut. In dem blondgelockten Köpfchen verbarg sich der Schelm, und die muthwillige Marie wußte den Bruder zuweilen so zu quälen, wie eine kokette Schöne den schmachtenden Liebhaber zu quälen pflegt. Marie war bei aller Herzensgüte flüchtiger Sinnesart. Von der Mühe des guten Pater Thomasius hatte sie noch wenig Nutzen gezogen. Aus Dankbarkeit gegen den Bruder gab sie sich zuweilen zu dessen Schülerin her; aber kaum hatte der Unterricht begonnen, als sie gewöhnlich lachend aufsprang und versicherte, die dummen Schnörkel seien gar nicht werth, daß man sich so viel Mühe mit ihnen gebe. Heinz mußte dann unwillkürlich in ihr Lachen einstimmen, und so blieb er immer von der Laune des schalkhaften Mädchens abhängig. –

Frau Liesbeth fühlte sich schwächer, denn je; sie sandte nach dem Pater Thomasius, daß er mit ihr bete nach dem rechten, katholischen Glauben; denn so weit sich auch die Lehre Luthers schon ausgebreitet hatte, Frau Liesbeth vermochte es nicht, sich von dem Glauben zu trennen, in dem sie selig zu werden hoffte, ja sie hielt es schon für Sünde, die neue Lehre zu prüfen. Kolbach ließ sie gewähren; er selbst war ein eifriger Anhänger der lutherischen Lehre, in so fern sie mit seinen eigenen Ansichten übereinstimmte. Vieles davon verwarf er, was den Grundsätzen widersprach, die er ihr untergelegt.

Schweigend stand er am Lager seiner Gattin und betrachtete sie mit einem Blick, der wohl ahnen ließ, wie tief er ihren Verlust fühlen würde. Sie winkte ihn mit der Hand näher, er setzte sich neben sie und faßte ihre Rechte. »Mein Lebensende ist nah;« sagte sie mit schwacher Stimme. »Ich fühle, daß dies Herz ausgeschlagen haben wird, wenn die Sonne zu Rüste geht. Es ist auch gut so, denn es ist müde. Es hat nur für dich geschlagen und unsere Kinder. Du hast es vielleicht nicht gewußt. Es war zu schwach, dich glücklich zu machen; an dem Kummer darüber ist es gebrochen. O daß es in Frieden dahin fahren könnte! daß ich dich glücklich sähe! daß ich sähe, wie der böse Feind, der deinen Sinn gefangen hält, von dir ließe! Dann wollt' ich freudig sterben! Ich will die heilige Jungfrau bitten, daß sie dich umschwebt, wenn ich nicht mehr bin, und deine Seele zum Frieden führt!«

»Ich sehne mich nach diesem Frieden!« seufzte Kolbach.

»So wirst du ihn auch finden!« rief Liesbeth lebhaft. »Vergiß, was die Menschen dir Uebles gethan, vergiß und vergieb, wie du wünschest, daß dir Gott vergeben möge. Sei zufrieden mit dem geringen irdischen Gut, das dir Gott bescheert, und neide Keinem, daß er mächtiger ist, als du! Bist du doch reich in deinen Kindern und auf dem Brote, das du in Zufriedenheit issest, ruht der Segen des Herrn.«

»Aber der Schweiß meines Angesichts macht es bitter;« erwiederte Kolbach.

»Es ist das Gebot des Höchsten!« entgegnete die Frau. »Vertraue und bete, und die Besucher werden von dir weichen. Kehre in den Schooß unserer heiligen Religion zurück, und die Ruhe wird wieder über dein Herz kommen! Das war unser Fluch, daß du den Lockungen der bösen Feindes folgtest, der im Finstern schleicht!«

Pater Thomasius trat ein und unterbrach mit seinem Friedensgrusse das Gespräch. »O hochwürdiger Herr,« wandte sich die kranke Frau zu ihm, »wollet doch meinen Mann im Namen des Herrn vermahnen, daß er abläßt von der gottlosen lutherischen Lehre.«

»Ich würde Sünde thun!« antwortete der würdige Mönch. »Der kurzsichtige Mensch ist zu schwach, zu entscheiden, welcher Pfad zum Heile führt. Ich glaube aber, wer den Weg wandelt, den seine Ueberzeugung ihm vorschreibt, der ist auf rechtem Pfade, und am Ende kommen wir Alle an ein Ziel, wenn wir nicht thun, was dem Herrn ein Greuel ist. Wäre Luther's Werk vom bösen Geiste ausgegangen, so hätt' es Christi Kirche schon überwunden.«

Frau Liesbeth schüttelte den Kopf; Kolbach gab weder ein Zeichen des Beifalls, noch des Mißfallens von sich. »Ich bat Euch zu mir, ehrwürdiger Vater,« begann die Erstere wieder, »daß Ihr das Bekenntniß meiner Sünden höret und· mich freisprechet im Namen des Erlösers, und mir die letzte Oelung gebet auf die Reise, die ich antreten werde. Meine Stunden sind gezählt. Darum erbarmet Euch der durstenden Seele!«

Auf Thomasius Geheiß verließ Kolbach das Gemach, und der Pater blieb mit seiner kranken Beichttochter allein in demselben. Frau Liesbeth hatte ein kleines Kreuzlein aus dem Busen gezogen und küßte es; der Rosenkranz lag neben ihr. Thomasius kniete nieder und wollte das Gebet beginnen, als sein Auge wie gebannt auf dem Kreuzlein haften blieb. Eine gewaltige Bewegung schien in seinem Innern vorzugehen. »Woher habt Ihr dies Kreuz?« fragte er endlich bebend und die Hand danach streckend.

»Es ist das Erbtheil, das ich von meiner Mutter empfing;« antwortete Liesbeth. »Sie war arm, ihre Eltern hatten sie verstoßen einer unglücklichen Liebe wegen, deren Frucht ich war. Ich war sechs Jahre alt, als ich an ihrem Sterbebette kniete. Sie nahm dies Kreuz von der Brust, küßte es und gab es mir. Nimm hin, sprach sie, es ist das Einzige, was ich dir hinterlasse, es ist das kostbarste Gut, denn es ist von ihm. Nimm es bin; es wird dir ein Talisman sein auf allen deinen Lebenswegen.«

»Allgerechter Gott!« rief der Mönch aus. »Und dies Kreuz gehörte deiner Mutter? Sieh' her, dieser Namenszug! Es ist der meine! O mein Kind, mein Kind!« Er warf sich über die kranke Frau, und heiße Thränen rollten über seine Wangen. Die Ueberraschung breitete einen Rosenschimmer über Liesbeth's Wangen. Zweifel und Hoffnung stritten sich in ihrem Herzen, und sie wagte nicht an die letzte zu glauben.

»Kind meiner Liebe, meiner Sünde!« fuhr der Mönch fort. »Ich muß dich finden, um dich zu verlieren! Wehe mir, und wenn du auch dem Leben wiedergegeben würdest, so müßt' ich doch verbergen, daß du Blut von meinem Blute bist. Das ist die Frucht der Sünde. Und deine Mutter, wie viel litt sie um mich?! Hat sie mir vergeben, daß ich ihre Jugend gebrochen, ihr Dasein dem Verderben geweiht?«

»Sie liebte Euch ja und betete für Euch!« entgegnete Liesbeth. »Seid Ihr mein Vater, so sei dieser Tag gesegnet. Wie lange Jahre stand ich einsam und verlassen in der Welt. Die Mutter ruhte im Grabe und den Vater kannte ich nicht! Aber die heilige Jungfrau erhörte mein brünstiges Gebet, wenn auch spät. –

Aber nun laßt mich beichten, Vater, ehe es zu spät sein möchte!«

»Welcher Makel könnte auf deiner Seele lasten?« entgegnete Thomasius. »Du duldetest still und schweigend und hast dir damit die Krone des Lebens erworben. Viel eher ist es an dir, mir zu vergeben, was ich an dir verbrach. Höre mich und sei keine strenge Richterin!«

Die Unterredung dauerte lange Zeit; sie mußte von erschütternder Wirkung für die Kranke sein, denn ihre Aufregung war groß. Endlich ergriff sie des Mönches Hand; »O verschweige es meinem Manne,« sprach sie, »was Ihr mir da gesagt habt. Ein Abgrund des Verderbens würde sich aufthun, so er nur ahnete! So mag der Herr zum Besten wenden, was Ihr gethan habt! Versprecht es mir bei dem Blute des Heilands!«

»Ich verspreche es!« entgegnete der Mönch feierlich. Und nun hörte er die Beichte der Tochter und sprach sie ihrer Sünden ledig. Und endlich verrichtete er noch die heilige Handlung der letzten Oelung.

Kolbach trat mit Heinz und Marie in's Gemach. Die beiden Kinder warfen sich am Lager ihrer Mutter nieder und weinten bittere Thränen. Da füllten sich auch die halbgebrochenen Augen der Scheidenden mit goldenen Tropfen. Sie legte die Hände segnend auf die Scheitel der Kinder und sprach mit schwacher Stimme: »Sei Gott mit Euch! Wenn ich zur allerheiligsten Jungfrau komme, will ich sie bitten, daß sie Euch Mutter werde. Sie wird mein Gebet erhören und Euch umschweben auf all' Euren Wegen. Vertraut nur auf den, der im Himmel wohnt: er wird Euch nimmer verlassen! – Weinet nicht, meine Kinder; Eure Thränen machen mir das Herz schwer. Bleibt gut und fromm, damit ich Euch wiederfinde, wenn die Gottesmutter Eure Seelen einst in den Schooß der Heiligen führt. Küsse mich, Marie, mein theures Kind – auch du, Heinz, mein –«; Ihre Augen umwölkten sich, ein furchtbares Geheimnis schien ihre Brust zu belasten, sie winkte eifrig den Gatten heran, der vergebens seine Rührung zu verbergen suchte. Sie bewegte die Lippen; er legte sein Ohr daran. »Nur Marie ist dein Kind;« flüsterte es. »Heinz ist – der Graf – vergieb –« der Tod verschloß die Lippen der Frau. Kolbach lauschte vergebens aus ihren Athemzug. Die wenigen Worte, die er vernommen, schienen den Wahnsinn in sein Gehirn gegossen zu haben. Seine Augen traten aus ihren Höhlen, seine Finger krallten sich in einander. »Sprich weiter, weiter!« kreischte er. »Weiter, sage ich! Im Namen der Hölle!« – »Bist du todt?« fuhr er fort, als er keine Antwort empfing. »Todt? Du lügst! Da lauscht ja das Leben hinter deinen Lippen, das falsche Leben! Widerrufe, sag' ich, nimm die gräßliche Lüge nicht mit in's Grab! Lüge? Wer lügt noch am Rande des Grabes? Sie sprach Wahrheit, entsetzliche Wahrheit!« – »Hahaha!« lachte er wahnsinnig auf. »Du treues Weib, schlafe wohl und die Erde sei dir leicht, leichter, als – mein Fluch!«

Er hatte sich erhoben, und sein schmerzverzerrtes Antlitz bot einen gräflichen Anblick. Die Hände hatte er in die Augenhöhlen gedrückt und seine Brust arbeitete krampfhaft. Marie verbarg ihr Antlitz zitternd an der todten Mutter Brust. Heinz näherte sich schüchtern dem Vater, legte seine Hand auf dessen Schulter und sprach bittend: »Vater!« Der Angeredete schrak zusammen. »Wer nennt mich Vater?« sagte er; und als habe ihn eine Schlange berührt, so schleuderte er den Arm des Jünglings von sich. »Hinweg von mir, Bastard!« rief er wild. »Nun was stehst du? Scharre die dort in die Erde, ich habe keinen Theil an ihr!« Er verließ das Gemach und ließ die Geschwister in namenloser Bestürzung zurück.

Pater Thomasius ahnete wohl den Beweggrund dieser Aufregung; er seufzte tief auf und schwieg, da sein Gefühl ihm sagte, daß erst die Zeit das rauhe Gemüth des Gatten dem Troste zugänglich machen müsse. Heinz stand wie vorn Blitze getroffen. »Ehrwürdiger Vater,« sprach er endlich, »sagt mir, womit habe ich das verdient?«

»Trage geduldig, mein Sohn!« entgegnete der Pater. »Dein Vater ist krank, nicht am Körper, sondern an der Seele. Vertraue dem Vater dort oben. Findet er's gut, so wird er einst alle Räthsel lösen. Kniee nieder und sprich ein Gebet für die geschiedene Seele dieser Dulderin. Ihr Leben war ein mühevoller Werktag, darum wird sie der Herr nun mit dem Kranze der Seligen schmücken!«

Die Hände falteten sich, die Lippen bewegten sich im stummen Gebet. Ruhig gefaßt erhob sich der Greis, aus der Kinder Augen aber flossen noch bittre Thränen des Schmerzes. –

Kolbach irrte wie ein Wahnsinniger durch Wald und Feld. Seine Augen kannten längst keine Thränen mehr, um so schwerer aber drückte ihn der ungeheure Schmerz zu Boden. »Wo ist noch ein Reiner unter den Menschen,« rief er, »wenn das Laster in der Gestalt eines Engels einhergeht? Sie liebte ich allein, und sie verrieth mich an einen Verfluchten. Für sie hätte ich mein Leben gelassen, ich wäre in die Hölle gegangen für sie, und dafür häufte sie Schmach und Schande auf mein Haupt. Sie legte die Frucht des Verbrechens an mein Herz, ich nährte die junge Schlange, und sie lachte über den Thoren, den ein süßes Wort mit Blindheit schlug. Hahaha! Lacht doch, ihr uralten Eichen, lacht doch, ihr Büsche, lacht den Narren aus, der auf die Treue eines Weibes baute!« – »Und bin ich nicht hochgeehrt,« fuhr er mit gräßlichem Hohne fort, »daß der gräfliche Schurke in meine geringe Hütte herniederstieg? Sollt' ich ihm nicht auf den Knieen danken für die hohe Gnade, die er mir bewies, indem er mir mein einziges Kleinod stahl? War er denn der Erste, der diese Sitte erfand? Hab' ich nicht von einem Manne gelesen, der tausend Schafe hatte, und als ein Freund kam, ihn heimzusuchen, nahm er seinem armen Nachbar das einzige Lamm und schlachtete es seinem Freunde zu Ehren? Ich bin ja nur ein schlechter Bauer, der nicht merkte, daß ein Dieb sein Kleinod gestohlen. Und die fremde Brut hab' ich in meinem Neste genährt, habe sie mit meiner Liebe umfangen! Darum träumte er von blanken Waffen und edlen Rossen und hatte kein Herz für das Leid des gemeinen Mannes! Darum! Es war ja nicht mein Blut! – Bin ich nicht ein elender, erbärmlicher Wicht? Sein Maß war voll, als ich zu seinen Füßen lag und ihn um Erbarmen flehte, um deretwillen, die mich verrieth. Und doch zückte meine Hand nicht das Messer, und doch durchbohrte ich nicht sein Herz! Oft hätt' ich ihn tödten können, und die Schatten des Grabes hätten meine That bedeckt. Kein Rächer wäre gegen mich aufgestanden. War es Feigheit, die meine Faust fesselte? O nein! Das wäre ja ein kurzer Tod gewesen, Kinderspiel gegen das, was er tausendmal an mir verbrach. Ich will ihn tiefer treffen, ich will sein Herz treffen durch den eigenen Sohn! Die Frucht seiner Sünde soll ihn zu Tode würgen!«

Als werfe seine Brust die Last von sich, indem sie einen so dämonischen Racheplan bildete, so ward er ruhiger; seine Schritte wurden gemäßigter und endlich wendete er diese selbst seiner Hütte wieder zu, als die Nacht hereinbrach. Die Kinder schraken vor ihm zusammen, als er in ihre Mitte trat. Dem Jüngling schenkte er keinen Blick, aber Marie zog er schweigend an seine Brust und küßte sie auf die Stirne. Dann schritt er zu dem Lager, auf dem die Leiche der Frau Liesbeth lag. Ihre Züge waren mild, fast lächelnd; die Todtenlampe warf ihren Schimmer wie einen Heiligenschein um ihr Haupt. Kolbach betrachtete sie starr, und je länger er sie betrachtete, um so mehr schwand der finstere Groll aus seinem Antlitz »Ich würd' es für Lüge halten,« murmelte er vor sich hin, »wenn dein Mund es nicht selbst bekannt hätte. Ist dies der Tod einer Verworfenen? Dann hülle dich, Tugend, in die Larve eines Teufels! Er sei des Grasen Sohn, sprachst du ja; die Frucht des Ehebruchs! – Trägt die Taube die Schuld, wenn der Geier sie zerreißt? Deine Unschuld war die Taube! Und jenes entsetzliche Recht, von einem Teufel erfunden – wie, wenn es der Graf benutzt hätte? Dann wärst du nur das Opfer, und ihn allein träfe aller Fluch meines schmerzbeladenen Herzens! Warum nahmst du dein Geheimnis nicht mit in's Grab? Ich wäre glücklich gewesen in meinem Wahn und hatte die Brut des Tigers an meinem Busen genährt!«

Er sank in sich zusammen. Niemand wagte, sich ihm zu nähern, selbst Marie nicht, die sonst über den Vater Alles vermocht; Heinz zog sich eingeschüchtert zurück. Er sann und sann, womit er den Zorn seines Vaters verdient, und fand nichts.

Einfach und still wurde die Entseelte zur Erde bestattet. Heinz und Marie weinten an ihrem Sarge und auch aus den grauen Wimpern des Paters Thomasius quollen Thränen. Nur Kolbach hatte keine Thränen; er war tief in sich gekehrt, Keiner wagte zu ihm zu reden: einen so furchtbar ernsten Ausdruck hatte sein Antlitz. Als man eben die Leiche erheben wollte, um sie zum Friedhof zu tragen, kam der Graf mit einem Knappen dahergesprengt. Als er die Traueranstalten sah, hielt er sein Roß an. »Wen begräbst du?« fragte er.

»Mein Weib, Herr!« entgegnete Kolbach demüthig.

Der Graf griff nach seiner Börse und warf ein Goldstück zu des Bauern Füßen, indem er weiter sprengen wollte. Da schoß ein Blick des tiefsten Hasses wie eine Schlange aus Kolbach's Augen nach dem Grafen. »Gestrenger Herr Graf!« rief er in flehendem Tone. Der Graf wandte sich. »Wollt Ihr mein Weib noch einmal sehen, ehe sie das Grab verschlingt,« fragte er.

Der Graf sah den Bauer überrascht an, zweifelhaft, ob er lachen oder zürnen sollte. »Bist du wahnsinnig?« rief er und sprengte davon. Kolbach hob das Goldstück auf und lachte bitter in sich hinein. »Ha, die Blüthe ist geknickt,« sprach er zu sich selbst, »was kümmern den Stolzen nun die erstorbenen Trümmer! Mitleidig wirft er mir ein Scherflein zu, um die Verlorene zu bestatten, in deren Armen er einst eine süße Stunde geschwelgt. Ihr seid großmüthig, Herr Graf!«

Als die Erdschollen auf den Sarg der Mutter fielen, da war es dem armen Heinz, als werde sein ganzes Lebensglück verscharrt, als habe er nun keinen Freund mehr in der weiten Welt, und selbst der Himmel, zu dem er hoffend aufblickte, schaute kalt auf ihn herab.

Und er hatte recht; es ward ihm keine glückliche Stunde mehr in der Hütte, aus der nun aller Segen entwichen zu sein schien. Wer nahm nun noch Theil an seinem Schmerz, wenn die Härte des Vaters ihn verletzte? Der Schwester ihn zu klagen, vermochte er nicht. Sollte das schwache Mädchen stärker sein, denn er?

Und immer rauher ward der Vater gegen ihn, überhäufte ihn mit Spott, und den Namen Sohn hörte er gar nicht mehr aus seinen Lippen. Nur gegen Marie war er freundlich und sanft. Heinz zitterte vor ihm, und immer mehr bemächtigte sich die Sehnsucht seines Herzens, aus der Heimath zu fliehen. Nur Eines hielt ihn immer noch zurück, die Trennung von Marie. Oft, wenn des Vaters Härte Thränen seinen Augen entpreßt, da gab er sich das Versprechen, nicht länger diese Qual zu ertragen; die Welt stand vor ihm in ihrem ganzen Schmuck und winkte ihm. Schon hatte er den Wanderstab ergriffen und die Schwelle überschritten, da lächelte ihm Marie entgegen und der Stab entfiel seiner Hand, seufzend hob er den Fuß zurück. Pater Thomasius tröstete ihn wohl, aber er ermahnte ihn immer, zu dulden und dem Himmel zu vertrauen, der die Räthsel lösen werde, wenn es sein Rathschluß sei. Hatte er den Tag geduldet, so kam doch mindestens der Schlaf und drückte ihm die müden Augen zu. Aber dieses Glück ward dem Vater nicht zu Theil, und er bedauerte den Armen, dem ein böser Geist den Frieden stahl, und betete zu Gott, daß er sich sein erbarmen möge. Darum konnte er auch dem Vater nicht zürnen, so grausam er auch mit ihm verfahren mochte. »Er würde nicht gegen sein Blut wüthen,« dachte er, »wenn ihn der Feind der Menschen nicht befangen hielte.« –


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