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IX.

Die Herbstnebel breiteten ihre feuchten Schleier über Berg und Thal; der Wind brauste über die Stoppeln und fegte die letzten gelben Blätter von den Bäumen; die fernen Bergspitzen des Harzes waren schon mit Schnee bekleidet. Kein Sternlein lachte heute von dem trüben Nachthimmel auf die ihres Schmuckes entkleidete Natur, die Bäume ächzten in Sturmhauche des Windes und schlugen ihre theils blätterlosen Wipfel zusammen, der Nebel fiel wie ein feiner Staub, drang jedoch durch die kleinsten Ritzen der menschlichen Umhüllung und war deshalb dem an Wind und Wetter nicht gewöhnten Körper um so empfindlicher.

Durch das Dickigt des Waldes huschten zwei Gestalten und an ihrer Hast und ihrer dabei beobachteten Vorsicht hätte ein Augenzeuge entnehmen können, daß sie auf verbotenem Wege wandelten. Endlich blieben sie lauschend stehen. »Verhalte dich ruhig« Heinz!« sagte der Eine flüsternd, indem er sich zu dem vor Frost zitternden Begleiter umwandte. »Was klapperst du mit den Zähnen, Heinz? Gefällt diese Nacht dir nicht? Ich ginge fürwahr auch lieber im lichten Sonnenscheine pirschen!«

Der Knabe raffte all' seine Standhaftigkeit zusammen, um die Zeichen des markerschütternden Frostes zu verbannen. Der Vater fuhr im vorigen Tone fort: »Stelle dich dorthin, Heinz; lege das Ohr aus dem Boden, und wenn du Geräusch vernimmst, wie nahende Schritte, so gieb das bewußte Zeichen.«

Heinz that, wie der Vater befohlen, er faßte auf einer geringen Anhöhe Posto, streckte sich auf das feuchte Moos nieder und lauschte mit angehaltenem Athem. So lag er geraume Zeit; die nasse Kälte durchzitterte sein Gebein, und bald kam auch die Furcht in sein Herz. Alle Mährchen und Sagen, die er wußte, kreisten mit einem Male durch seine Erinnerung, und er schloß die Augen, um die Nebelgestalten nicht zu sehen, die geisterhaft an ihm vorüberzogen.

Der Vater drang indes geräuschlos durch das Gebüsch, dessen Zweige er zurückbog; abgeknickte Zweige bezeichneten ihm diesen Weg und mit vorgestrecktem Kopf schien er sein Ziel zu suchen. Dies war endlich gefunden; das Schmerzensgestöhne eines Thieres drang ihm entgegen; er tastete mit der Hand darnach und faßte einen behaarten Körper. Es war ein Hase, der sich in der gelegten Falle gefangen; der nächtliche Jäger befreite den Gefangenen von seinen Banden und zugleich von seinem Leben, indem er ihm ein Messer in den Hals stieß. Hierauf fand er Platz in dem geräumigen Quersack. Die Falle wurde wieder aufgestellt, und der Walddieb verfolgte seinen Weg weiter. Eine andere Falle hat eine gleiche Beute gemacht, mit welcher er, wie mit der ersten verfuhr. Die dritte war zerstört; ein stärkeres Thier, das sich gefangen, mußte sich losgerissen haben. Kolbach murmelte einen Fluch und nahm eben so vorsichtig seinen Weg zurück.

Er fand den Knaben fast erstarrt. »Steh' auf, Heinz wir wollen nach Hause,« flüsterte er und rüttelte seine Schultern. Heinz schlug die Augen auf, erhob sich und schmiegte sich an den Vater. Der Rückweg war leicht gefunden, denn das zurückgebogene Gesträuch hatte sich noch nicht wieder geschlossen. Eine Streite weit waren sie unangefochten gekommen; plötzlich aber blieb Kolbach stehen und lauschte mit angehaltenem Athem in die Nacht. Es war ihm, als höre er ein fernes Hundegebell. »Gott verdamme sie!« murmelte er. Aber das Gebell ward lauter und lauter und endlich ganz vernehmlich. Heinz zitterte und schmiegte sich fester an des Vaters Brust. »Fürchte dich nicht!« flüsterte Kolbach »Wenn ein Gott ist, so läßt er uns nicht verderben!« Schneller ward sein Schritt, und immer näher kam der verfolgende Feind. Rasch entschlossen nahm der Wilddieb eines der erbeuteten Thiere und warf es wie hinter sich, indem er sich zugleich in schnellen Lauf setzte. Das dichte Gestrüpp, die niederhangenden Aeste der Bäume hinderten ihn gar sehr, und es bedurfte all' seiner Gewandtheit, um auf diesem Wege fortzukommen Seine List schien jedoch gelungen; ein durchdringendes Hundegebell entstand, doch immer entfernter, je größeren Vorsprung er gewann. Das weggeworfene Wild beschäftigte offenbar die Verfolger. Die Flüchtlinge hatten aber kaum den Saum des Waldes erreicht, als sie sich schon wieder zu nähern schienen. Da nahm Kolbach das letzte Beutestück und schleuderte es hinter sich. Die Flucht ging nun rascher von statten. Wenn auch der dichte Nebel die ganze Gegend umhüllte und nicht erlaubte, drei Schritte vorwärts zu schauen, so war er doch zu vertraut mit allen Wegen und Stegen, um sich verirren zu können, und der undurchdringliche Nebelschleier kam im Gegentheil seiner Flucht sehr zu statten.

Erschöpft und hochaufathmend kam der Flüchtling endlich vor seiner Hütte an, öffnete die Thüre, verriegelte sie sorgfältig und trat in das kleine Gemach, wo ihn Liesbeth in stiller Trauer erwartete. Kolbach setzte den Kunden nieder; er war erstarrt und regungslos. Die Mutter warf sich weinend über ihn, während sie dem Gatten nur einen stummen Blick des Vorwurf's zusandte, schloß ihn fest an die Brust und suchte ihn mit dem Hauch ihres Mundes zu erwärmen.

Kolbach verlöschte zunächst den Kienspahn, der das Gemach beleuchtete, versteckte dann seinen Quersack in den entferntesten Winkel und entkleiden sich. Heinz war unter den zärtlichen Bemühungen der Mutter zum Leben erwacht, und Liesbeth drückte darüber ihre Freude in den Worten aus: »Die Heiligen seien gelobt!«

»Schnell zu Bette!« gebot Kolbach kurz und begann selbst den Knaben zu entkleiden.

»Was hast du gethan?« seufzte die Frau sorgenvoll.

»Nichts, das mich schlechter machte vor meinem Gewissen!« war die Antwort. »Sie haben mich gehetzt wie ein wildes Thier. Gott verfluche sie dafür!«

In wenig Minuten schien die Familie in festen Schlaf versunken; aber der Schein täuschte; in Liesbeth's Herzen zitterten noch Gram und Sorge, in Kolbach's Brust kochte der Groll. Nur Heinz war in erquickenden Schlummer gefallen.

Lauschend richtete sich Kolbach in die Höhe, sein Herz klopfte an die starke Brust, um seine Lippen schwebte ein finsteres Lächeln. Er vernahm ein Geräusch, das Schnaufen von Hunden und endlich pochte es heftig an die verriegelte Thür. »Heilige Gottesmutter beschütze uns!« betete Liesbeth.

»Nur ruhig!« entgegnete Kolbach »Bei deiner Seligkeit kein Wort!«

Das Klopfen ward immer starker und ungeduldiger; Kolbach ließ nur schnarchende Töne vernehmen. Endlich bedachte er, daß er, ohne Verdacht zu erregen, sich nicht mehr schlafend stellen dürfe. Er erhob sich deshalb und rief durch das Fenster, im Ton eines Schlaftrunkenen: »Wer ist da?«

»Aufgemacht!« entgegnete eine rauhe Stimme.

»Zurück, ihr Diebe!« antwortete Kolbach. »Hier findet Ihr nichts. Hier wohnen arme Leut! Zurück, sag' ich, oder dem Ersten, der sich blicken läßt, schlag' ich den Schädel ein!«

»Narr du!« erwiederte die Stimme. »Oeffne im Namen des Grafen, deines Herrn!«

»Alle Ehrfurcht und allen Gehorsam meinem gnädigen Herrn!« sagte der Bauer. »Aber wer seid Ihr? Wer giebt mir Bürgschaft, daß Ihr nicht den Namen des edlen Herrn mißbraucht, um Euch Eingang zu verschaffen in mein Haus?«

»Ich bin der Forstwart Hubert,« war die Antwort. »Offne, sag' ich!«

Kolbach konnte nun nicht langer widerstreben. Er ging, schob den Riegel zurück, und der Jäger trat in's Gemach. Die Hunde scharrten vor der Thüre.

»Was ist der Befehl meinen gnädigsten Herrn Grafen?« fragte Kolbach ehrerbietig.

»Kannst du nicht dies verdammte Dunkel ein Weniges erhellen?« entgegnete der Jäger verdrießlich. Kolbach suchte ein Feuerzeug und gab sich lange Mühe, Licht hervorzubringen Endlich brannte der Spahn. Der Jäger musterte forschend die Gestalt des Bauern, der sich in einen alten Mantel gehüllt hatte. Kolbach war in der Verstellungskunst genug geübt, um sich nicht zu verrathen. Er blieb unbefangen und schien nur erstaunt über den späten Besuch.

»Ihr habt einen Todtenschlaf, guter Freund!« sagte der Jäger.

»Es ist das Einzige, was dem Armen bleibt;« antwortete Kolbach. »Wenn er den Tag vollbracht hat im Schweiße seines Angesichts, so kommt der Schlaf und schließt ihm freundlich die müden Augen.«

»Du pflegest wohl dein Tagewerk bis in die Nacht auszudehnen?«

»Wenn die Sonne untergegangen, gönn' ich auch dem müden Körper Ruhe.«

»Und lässest du nie eine Ausnahme stattfinden?«

»Nie! was hätt' ich auch noch zu schaffen, wenn mich die Nacht von meinen Feldern treibt? Das Leben des Bauern geht seinen einfachen; einförmigen Gang fort.«

»Und doch bist du noch vor einer halben Stunde im Walde gesehen worden.«

»Ich? Dann muß der böse Feind sich in meine Gestalt gehüllt haben! Ich selbst, wie Ihr mich da seht, bin seit Sonnenuntergang nicht über die Schwelle getreten. Glaubt mir Herr, ich bin kein Schwarzkünstler, daß ich um Mitternacht Kräuter zu suchen gehen müßte.«

»Man hat dich auf einer andern Fährte gefunden. Dein Gaumen soll ein Freund von Wildpret sein.«

»Ihr scherzt wohl! Wie könnte mich nach einer Speise gelüsten, die der arme Bauer kaum dem Namen nach kennt? Wir armen Leut sind gar genügsam; haben wir doch oft nicht Brot genug, um unsern Hunger zu stillen.«

»Und statt des Brotes holt ihr euch Fleisch aus dem Walde. Ist's nicht so?«

»Es ist nicht so. Der Bauer versteht sich schlecht auf Weidmannskunst. Und lieber Hungers sterben, als den Tod eines Verbrechens willen finden.«

»Wie? Du gewissenhafter Mann, wenn es mir nun beliebte, deine Hütte zu durchsuchen nach verbotenen Früchten?«

»Thut es! Alle Raume stehen Euch offen. Nicht ein Fuß breit Raum soll Euch verborgen bleiben! Und so Ihr findet, was Ihr sucht, will ich sagen: ich habe gelogen wie ein schlechter Hund!«

Der Jäger schaute den Bauer durchdringend an. Die Zuversicht desselben imponirte ihm und machte ihn zweifelhaft. »Sieh' zu,« sagte er, »das du die Probe vor dem Grafen bestehest, wie vor mir!« sagte er und schritt, von Kolbach geführt, zur Thüre hinaus. Die Hunde umsprangen ihn heulend. Der Bauer hütete sich wohl, mit den Bestien in Berührung zu kommen, und verriegelte die Thür rasch hinter dem Jäger. »O ihr feilen Knechte!« murmelte er vor sich hin. »Eure Schlingen sind zu grob gesponnen, um mich zu fangen! Ich wäre doch ein erbärmlicher Wicht, wüßt' ich so plumpe Spürhunde nicht zu täuschen! Es wird mir auch mit dem Grafen gelingen!«

Liesbeth hatte in banger, zitternder Erwartung dem Ende des peinlichen Verhöres entgegengesehen, und ein tiefer Seufzer entrang sich nun der gequälten Brust. Noch einmal wollte sie all' ihre Beredtsamkeit versuchen, um den Gatten auf den Weg des Bessern zurückzuleiten. »In dieser Stunde,« sprach sie, sich halb von ihrem Lager in die Höhe richtend, »wo uns nur Gott hört, beschwöre ich dich nochmals bei dem Blute des Heilands, bei der unbefleckten Empfängniß der Jungfrau Maria, laß ab von dem Pfade des Lasters! Bin ich dir denn nichts mehr, daß du mein Bitten verachtest, meinem Flehen das Ohr verschließest? Der böse Feind hat dich bestrickt, hat deinen Sinn finster gemacht und alle Liebe aus deiner Brust verscheucht! Was du sinnest, ist Haß, was du sprichst, ist Lästerung. Seitdem ist die Eintracht aus unserer Hütte entwichen, die unsere Armuth würzte. Du hast kein Lächeln, kein freundliches Wort mehr für die Deinen. Wir könnten so glücklich sein, wenn du dem bösen Feinde nicht Eingang vergönntest in dein Herz. Wir könnten ruhig schlafen, wenn dich keine Schuld bedrückte. So aber läßt dich das Gewissen und mich die Sorge um dich nicht ruhen.«

»Du redest thörigt;« antwortete Kolbach. »Mein Gewissen ist rein!«

»Ueberrede dich nicht selbst!« fuhr die Frau dringend fort. »Der Haß deines Herzens hat es betäubt; aber es wird erwachen, vielleicht zu spät. Der böse Feind ist geschäftig; aber glaube mir, was er sagt, ist Lüge. Er bläst dir sündlichen Stolz ein, daß du dich erhebest über dich selbst und dich gleich achtest denen, die Gott zu deinen Herren gesetzt; die Habsucht ist es, die dich überredet, die Güter des Reichen seien auch die des Armen; aber es ist nicht so. Gott hat dies Alles nach seiner Weisheit geordnet, und wie es ist, so ist es recht und gut.«

»Nicht Gott, sondern die Menschen haben es geordnet;« grollte der Bauer. »Die ganze Erde war dem Menschengeschlechte gegeben, und die Armuth entstand erst durch Habsucht und Bedrückung.«

»O du Verblendeter!« entgegnete Liesbeth. »Willst du über die Einrichtungen des allmächtigen Gottes klügeln? Hat der Herr dir nicht ein Zeichen gegeben, daß du auf bösen Wegen wandelst? Unser Sohn ward fast ein Opfer deines Verbrechens und um der gerechten Strafe zu entgehen, ergabst du dich der Lüge!«

»Der Mächtige ist der Unterdrücker des Armen,« erwiederte Kolbach, »und darum wird der Arme des Mächtigen Feind. Ich brauchte Waffe gegen Waffe, List gegen List. Meine Lüge war Nothwehr.«

»Warum trieb dich das in die Flucht, was du kein Verbrechen nennst?«

»Weil ich kein Blut vergießen wollte!« entgegnete er finster. »Wären wir zusammengetroffen, so hätte Einer von uns sterben müssen.«

»O du allerheiligste Jungfrau!« rief Liesbeth entsetzt. »Du wärest zum Mörder geworden! Und die Hand an der unschuldiges Blut klebte –; erkennst du nicht die Gnade des Himmels, die deinen Frevel nicht auf die äußerste Spitze treiben wollte? Versöhne den Himmel durch Reue; schwöre den Frevel ab, wenn du mich liebst, wenn du mich je geliebt hast!«

»Woher sollen wir Brot nehmen, wenn wir hungern?«

»Gott, der die Raben speist, wird auch uns versorgen! Ich lasse nicht von dir! Du mußt mir versprechen, das fürchterliche Gewerbe zu verlassen, das dich zum Mörder machen kann! O versprich es mir! Laß den bösen Geist nicht Macht über dich haben. Wir werden wieder glücklich sein!«

Kolbach konnte der flehenden Bitte nicht widerstehen. Die weichen Töne ihrer Stimme bewegten die Saiten seines Herzens. Er küßte die Gattin. »Du versprichst es mir?« schmeichelte sie. »Ja!« antwortete er zögernd.

»Die heilige Jungfrau sei gelobt!« rief Liesbeth, froh aufathmend. »Nun wird auch der Frieden wieder in unsere Hütte kommen, und wir werden wieder glücklich sein!«

Voll von dieser süßen Hoffnung entschlummerte sie; in seiner Brust aber stürmte es fort, und erst der Morgen sandte einen erquickenden Schlaf über sein Haupt. Armes Weib! Deine bunten, lieblichen Traume von Glück und Frieden sollten nicht in Erfüllung gehen! –

Kolbach erwachte mit einiger Unruhe. Er bedachte, ob es ihm gelingen werde, den Scharfblick des Grafen zu täuschen, wie den Jäger? Und wenn es ihm nicht gelänge, wenn der Graf nur den leisesten Argwohn hegte, was würde dann sein Loos sein? Um jede Spur zu entfernen, verbrannte er den blutbefleckten Quersack und ermannte sich zur Entschlossenheit. Sein Herz pochte, als gegen Mittag der Graf mit einem kleinen Gefolge, unter dem der Jäger sich befand, auf seine Hütte zuritt. Liesbeth weinte. Ihre Thränen ermannten ihn, er tröstete sie und gebot ihr, durch kein Wort sich zu verrathen. Heinz und Marie wurden auf das Feld geschickt.

Kolbach empfing den hohen Gast mit demüthiger Verbeugung. Auf jede Frage war er vorbereitet; er hatte wieder die Stellung eines entschlossenen Feindes errungen. Der Graf blickte finster drein und beachtete kaum die ehrfurchtsvolle Begrüßung. Mit seiner Begleitung und den Rüden drang er in die Hütte.

»Was befiehlt mein gnädiger Herr?« fragte Kolbach.

»Wahrheit sollst du sprechen!« entgegnete der Graf rauh. »Oder bei den Donnern Gottes, ich halte ein unbarmherziges Gericht über dich!«

»Habe ich je die Wahrheit zurückgehalten?« erwiederte Kolbach.

»Antworten sollst du, nicht fragen!« donnerte der Graf. »Wo warest du in der vergangenen Nacht?«

»In meiner Hütte, auf meinem Lager,« entgegnete Kolbach; »wo mich der Mann fand, den ich in Eurem Gefolge erblicke.«

»Sieh', das ist eine Lüge!« rief der Graf. »Im Walde warst du, auf dem Wildfang. Bekenne, wenn du einen gnädigen Richter an mir finden willst.«

»Soll ich Verbrechen bekennen, die ich nicht begangen?« entgegnete der Bauer. »Ich vertraue Eurer Gerechtigkeit, die einen Unschuldigen nicht verdammen wird.«

»Ha, diese Unschuld, ich kenne sie!« grollte der Graf. »Auf, durchsucht die Hütte, nehmt die Hunde mit! Wehe dir, wenn das kleinste Zeugniß deiner Schuld sich findet.«

»Thut, wie Ihr gesagt habt!« antwortete der Bauer, bemerkte aber mit Schreck, wie die Hunde schnobernd eine Spur verfolgten, die nach dem Winkel führte, wo der verrätherische Quersack verborgen gewesen war. Kolbach starkes Trotz kämpfte indes alsbald den Schreck nieder.

»Folgt den Hunden!« gebot der Graf. Das Gefolge that nach seinem Befehl und gelangte an die bezeichnete Stelle, wo die Hunde bellend scharrten; man räumte das aufgestapelte Geräthe hinweg, fand indeß nichts, was auf einen Beweis hätte führen können. Der Graf behielt den Angeschuldigten forschend im Auge, aber seine Beobachtungskunst scheiterte an der starren Kälte desselben. »Habt Ihr Beweise?« rief er den Zurückkehrenden entgegen. Man berichtete, was man wußte. »So sind Beweise vorhanden gewesen!« schnaubte der Graf.

»Unnützer Knecht!« haderte er mit dem Jäger; »warum durchsuchtest du nicht alsbald die Hütte?« Während der Gescholtene sich vertheidigte, beroch einer der Rüden die Kleider Kolbachs und bellte. »Du bist schuldig, so wahr ich meines Vaters Sohn bin!« fuhr ihn der Graf an. »Bekenne, Schurke, wenn dein elendes Leben dir lieb ist!«

»Wohl ist es elend,« sprach der Bauer dagegen, »und Ihr könnt es nehmen, ohne daß ich es beklage. Ich habe kein Verbrechen zu bekennen.«

»Ich will dir die Zunge lösen!« schnaubte der Graf zornentbrannt. »Greift ihn und schlagt ihn so lange, bis er bekennt!«

In Kolbach's Augen loderte eine düstere Gluth auf. Er ballte die Faust, er schien einen Moment zu sinnen, ob er Gewalt mit Gewalt begegnen solle; aber die Klugheit siegte, er ließ sich ergreifen.

Da stürzte Frau Liesbeth mit einem Weheruf vor dem Grafen nieder, umfaßte seine Kniee und rief in herzzerreißenden Tönen: »Barmherzigkeit, Gnade! Habt Erbarmen mit uns! Wir sind arm und hülflos, wir sind Euch ergeben bis in den Tod: Seid barmherzig, wie Euch Gott barmherzig sein möge!«

»Weib!« sagte Kolbach finster, fürchtend, sie möge ihn in der Angst ihres Herzens verrathen. »Weib, belästige den gestrengen Herrn Grafen nicht! – Thut, was Ihr verantworten könnt vor dem Richter dort oben!«

»Schweig', frecher Knecht!« zürnte der Graf. »Vollzieht meinen Befehl!« Liesbeth ließ den Zürnenden nicht los. »Hat Euch denn kein Weib gesäugt,« rief sie in der Verzweiflung des Schmerzes, daß kein Flehen Euer Herz bewegen kann? – O vergebt mir, Herr! ich spreche Wahnsinn. Ich kränke Euch, da ich Euch zum Mitleid rühren möchte. Alles, was ich sagen möchte, umschließt ja nur die zwei Worte: »übt Barmherzigkeit!«

Der Schmerz haucht auch dem unbedeutenden Menschen eine gewisse Hoheit ein, und die Gattin des armen Häuslers war kein gewöhnliches Web; ihre Weise zu denken und zu fühlen erhob sich oft über die Sphäre ihres Standes. In diesem Augenblicke war sie erhaben und schön, in so fern in der Erhabenheit auch Schönheit liegt. Selbst der Graf schien überrascht und betrachtete sie einen Moment mit Interesse. Liesbeth las schon in seinen milderen Zügen Hoffnung; aber die gewohnte Härte nahm bald wieder Raum in seinem Antlitze; ein Wink seines Auges gebot den Dienern den strengen Befehl zu vollziehen. Liesbeth sank ohnmächtig zu des Grafen Füßen, als sie dies sah. Noch ein Wink, und ein anderer Diener hob die bleiche Frau auf und ließ sie auf einem Sessel nieder. Kolbach riß sich bei diesem Anblicke mit Gewalt los, stürzte vor dem strengen Gebieter in die Kniee und rief: »Erbarmen, um meines Weibes willen! O seht Ihr nicht, sie stirbt – und sie ist mein ganzes Gut! Laßt mich tödten, o Herr, nur laßt mich nicht schlagen!«

Ungeduldig stampfte der Graf mit dem Fuße. Da rissen die gescholtenen Diener den Bauer empor, und die Vollziehung des barbarischen Befehls begann mit all' der Härte, durch welche knechtische Seelen ihrem Gebieter sich zu empfehlen streben. Kolbach stieß keinen Laut des Schmerzes aus; er biß die Lippen blutig und schloß die Augen; selbst den wiederholten Aufforderungen, zu bekennen, setzte er ein beharrliches Schweigen entgegen. Endlich sank er nieder, und nun erst gebot der Graf, einzuhalten. Das Gesicht des bewußtlos Scheinenden wurde mit kaltem Wasser bespritzt. »Für diesmal entgehst du der Strafe,« sagte der Graf; wehe dir aber, so meine Jäger wieder deine Fährte entdecken. Bei den Donnern Gottes, ich lasse dich an den Füßen neben einem räudigen Hunde aufhängen!« Der Graf verließ mit seinem Gefolge die Hütte des Bauern. Als der Hufschlag der Abziehenden verhallte, richtete sich Kolbach empor. Seine Augen glühten wie die eines hungernden Tigers, jeder Zug seines Antlitzes spiegelte wieder, was sich in seiner Seele begab, seine Brust wogte, seine Hände ballten sich, er rang nach Worten, um den ganzen Haß, der ihn erfüllte, in einen einzigen gräßlichen Fluch auszuströmen. Endlich preßte er die Worte hervor: »Fluch, Fluch, tausendfältiger Fluch dir für diese Stunde! So viel Thränen du den Augen meines Weibes erpreßt, so vielmal mögest du bereuen, was du an mir gethan! Wie dein Herz dem Mitleid verschlossen war, so mögest du keine Gnade finden, wo du sie suchst! Einsam sollst du sterben und händeringend sollst du den Tod rufen, dich von der Marter des Lebens zu befreien! All' dein Glück, all' deine Hoffnungen müssen in Rauch aufgehen, wie der Frieden, der kaum wiedereingekehrt war, und den du vertriebst! Vor deinem ärgsten Feinde, vor deinem verachtetsten Knechte müssest du winseln, und er muß dich verhöhnen und unbarmherzig sein, wie du selbst!«

Aus keuchender Brust war dieser Fluch gequollen, aber sein Haß war noch nicht erschöpft. Gräßlich lachte er auf. »O mitleidige Seele! Du fürchtetest, ich sei den Streichen deiner Knechte erlegen! Es wären dir ja zwei rüstige Hände entgangen, die für dich arbeiten und schaffen, damit du schwelgen kannst bei brechenden Tafeln! Du meintest, ich solle winseln und wehklagen, damit du dich weidest an meinem Schmerze; ich solle bekennen, daß ich von dem Gute nahm, das allen Menschen gegeben ist? O wie freu' ich mich, daß ich nicht also gethan. Mein Stolz verschloß mir die Lippen, und hättest du mich mit glühenden Zangen foltern lassen, kein Laut wäre über meine Lippen gekommen!«

Leise, mit der zärtlichen Sorge eines Liebenden trat er zu der Gattin, und sein finsterer Blick ward sanfter und milder. »Armes Weib!« sprach er. »Du wärest eines bessern Looses werth! Dank dem Himmel, daß du meine Schmach nicht sehen mußtest!« Er beugte sich über sie und küßte sie. Sie schlug die Augen auf und schaute den Gatten groß an. »Wie ist mir doch?« sprach sie sich besinnend. »Hab' ich denn nur so furchtbar geträumt? Es war, als ob –«

»Du hast geträumt, Liesbeth!« beruhigte der Gatte. »Denke nicht daran.«

»Nein, nein, es war kein Traum!« rief sie. »Hier stand der Graf – man hat dich geschlagen?!«

»Wie viel Schläge des Schicksals haben wir nicht schon erduldet!« antwortete er dumpf. »Von heut an denke ich nur noch an Eins: an die Rache!«

»Was versprachst du mir?« sagte Liesbeth vorwurfsvoll.

»Der Graf zerriß mein Versprechen!« entgegnete er. »Ich war ein Thor, da ich von Ruhe und Frieden träumte. Wie kann das Glück in die Hütte des Armen einkehren?«

»Es kann's, es kann's gewiß!« erwiederte Liesbeth warm. »O es muß süß sein, mit einander Noth und Mangel liebend zu ertragen, wenn nur im Herzen die Zufriedenheit wohnt! Ich will zur Gottesmutter beten, bei Tag und bei der Nacht, daß sie alle Schuld von dir nehme und dir den Frieden wieder schenke. Schütte dein Herz aus vor dem hochwürdigen Pater Thomas; er wird dich deiner Sünden ledig sprechen!«

»Ich habe keine Sünde zu beichten!« sprach der Bauer finster. »Vermag er es aber, den Durst meiner Rache zu stillen, so soll er mir willkommen sein; vermag er's nicht, so bedarf ich keines Pfaffen.«

»O Gott, sei dem Frevler barmherzig!« betete Liesbeth und umfing ihre Kinder, die eben unbefangen in die Hütte traten, mit mütterlicher Zärtlichkeit. An den Herzen dieser Schuldlosen pflegte sie den Gram ihrer Seele auszuweinen. Die Kinder waren überrascht, und Heinz sah den Vater fragend an; dieser aber stand schweigend in sich gekehrt, und der Groll brütete in seinem Herzen.


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