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Fünftes Kapitel.

Reise nach Havanna. – Veränderung des Reiseplans durch eine falsche Zeitungsnachricht über Baudin's Expedition. – Carthagena. – Fahrt auf dem Magdalenenstrome. – Beschwerlicher Weg nach Quito. – Die tropische Natur. – Chimborazo. – Amazonenstrom. – Humboldtsströmung (peruanische Küstenströmung). – Mexiko. – Rückkehr nach Europa.


Man hatte in Angostura beschlossen, sich nach Cumana oder Neu-Barcelona zurück zu begeben und von einem dieser Hafenplätze aus zur See nach der Insel Cuba und von da nach Mexiko zu fahren, um ein Jahr lang der naturwissenschaftlichen Durchforschung Neu-Spaniens zu widmen. Darauf gedachte man die noch wenig bekannten philippinischen Inseln zu besuchen und alsdann über Bassora und Aleppo die Rückkehr nach Europa anzutreten. – Die Reisenden hatten zunächst einen beschwerlichen Weg, um von Angostura aus durch die Steppen nach der nördlichen Küste zu gelangen und ihre botanischen und zoologischen Sammlungen, welche sie bei sich führten, hielten sie so auf, daß sie, weil sie sich nicht von ihren Schätzen zu trennen wagten, dreizehn Tage zum Einpacken, und nach endlichem Aufbruche noch eine ziemliche Zeit gebrauchten, um durch die Karaiben (welche sie zu Cari, einer Mission in der Ebene, trafen und die besonders Humboldt's Interesse erregten) nach Neu-Barcelona zu kommen, das sie am 23. Juli glücklich, wenn auch durch die Sandwinde in jenen Steppen erschöpft, erreichten. Sie logirten bei demselben freundlichen Manne, der sie vor sieben Monaten, als sie zuerst nach Barcelona gekommen waren, gastfrei ausgenommen hatte, und wo jetzt ein typhöses Fieber, abermals wie in Angostura, bei Humboldt einzutreten drohte, während Bonpland hier in den vier Wochen, die Humboldt kränkelte, wieder zu voller Kraft und Thätigkeit genas.

Es war nun ihre erste Sorge, die eingesammelten Naturschätze nach Europa zu spediren, um dann erleichtert ihre Reise zu neuer Ausbeute antreten zu können. Ein junger Missionär, der schon bei erster Bekanntschaft vor sieben Monaten den Unternehmungen Humboldts eine lebhafte Theilnahme gezeigt hatte, erbot sich, die Reisenden nach Cuba zu begleiten und sich mit ihren reichen Sammlungen, nebst einem, ihm anvertrauten Knaben, den er zur Erziehung nach Spanien bringen sollte, einzuschiffen.

Humboldt nahm das freundliche Anerbieten an, da er seine Sammlungen und einen Theil seiner Manuskripte nicht sicherer in die Heimat schaffen zu können glaubte, – aber wie schmerzlich mußte er betroffen sein, als er in späteren Jahren, bei seiner eigenen Ankunft in Europa erfuhr, daß sowol diese Sendung seiner Sammlungen, als auch der junge Missionär nebst dem Knaben spurlos in den Wellen untergegangen seien!

Vergebens erwartete Humboldt ein Packetboot, von denen, welche von Corunna nach Havanna und Mexiko zu fahren pflegten; man befürchtete, weil seit drei Monaten kein Packetboot eingetroffen war, daß englische Kreuzer sie weggenommen haben könnten, und es wünschte Humboldt nebst seinen Begleitern so schnell als möglich Cumana zu erreichen. Man fuhr auf einem offenen, mit Cacao Befrachteten Schiffe, welches dem Schleichhandel mit Trinidad diente und weßhalb der Besitzer glaubte, die Engländer nicht fürchten zu brauchen, ab. Bald aber wurde das Schiff von einem aus Halifax kommenden Kaper aufgebracht, Humboldt mußte mit seinen Gefährten an Bord desselben und, während er noch im Interesse des Cacaofahrers unterhandelte, kam eine englische Kriegsschaluppe heran und befreite das Boot. Der Kapitän der Kriegsschaluppe nahm Humboldt freundlich auf, und dieser fühlte sich angenehm erregt, als er nach langem Aufenthalte unter den Wilden wieder gebildete Europäer um sich sehen und mit ihnen reden konnte. – Auch in Cumana wurden Humboldt und Bonpland von ihren Freunden um so herzlicher begrüßt, als sich hier das Gerücht verbreitet hatte, daß die kühnen Reisenden vor mehreren Monaten auf dem Orinoco ihren Tod gefunden hätten. – Indessen hielt doch die strenge, englische Blokade Humboldt und seine Reisegesellschaft drittehalb Monate lang in Cumana zurück, während dem er sich mit Pflanzenforschung, astronomischen und meteorologischen Untersuchungen, so wie mit geologischer Prüfung der Halbinsel Araya beschäftigte. – Endlich am 16. November 1800 fuhr er von Cumana nach Neu-Barcelona ab, um von dort aus mit einem amerikanischen Schiffe weiter zu segeln, und nicht ohne Rührung – so sagt er selbst – »sah er zum letzten Male die Gipfel der an den Ufern des Manzanares sich erhebenden Cocospalmen von der Mondscheibe beleuchtet.«

Das Schiff lichtete am 24. November die Anker und brachte Humboldt und seinen Begleiter, trotz der späten Jahreszeit, glücklich am 19. December nach Havanna. Eine 25tägige, unruhige Seefahrt wußte Humboldt durch Beobachtungen des Meeres und Himmels zu verkürzen. Die Sammlungen waren nach Europa spedirt, ohne daß Humboldt und Bonpland ahnten, daß sie einen Theil davon niemals wiedersehen würden. Der Aufenthalt dauerte in Cuba mehre Monate, während welcher sich Humboldt namentlich mit Größe, Boden, Klima, Kultur und Bevölkerung dieser »Königin der Antillen« – so wie mit dem Zustande der Sklaven in historischer und sittlicher Hinsicht und mit der Kenntniß des Ackerbaues vielseitig beschäftigte.

Eben im Begriffe, nach Vera-Cruz abzugehen, um den erwähnten riesenhaften Reiseplan über Mexiko, Acapulco, die Philippinen und von da über Bombay, Bassora, Aleppo und Konstantinopel in die Heimat zu vollenden, ersah Humboldt aus Zeitungsnachrichten, daß Kapitän Baudin, – derselbe, dem Humboldt kurz vor seiner Einschiffung zu Corunna schriftlich versprochen hatte, jedenfalls, möchte er auch sein, wo es der Zufall wolle, zu ihm zu stoßen, wenn er erführe, daß die damals verzögerte Expedition zur Ausführung kommen sollte – wirklich von Frankreich nach Buenos-Ayres abgesegelt sei, das Kap Horn umschiffen und dann längst der Küsten von Peru und Chili hinsegeln würde. Da Humboldt seine dem Kapitän gegebene Zusage des Zusammentreffens in der neuen Welt auch vorher dem Museum zu Paris erklärt hatte, so trat das Verlangen bei ihm ein, den Kapitän aufzusuchen, zumal er sich weit umfangreichere und bedeutendere Resultate seiner Reise versprach, wenn er seine Forschungen gemeinschaftlich mit den französischen Gelehrten, von denen er wußte, daß sie Baudin begleiten würden, fortsetzen könnte. Obgleich mehre einsichtsvolle Personen auf Cuba diesem neuen Reiseplane Humboldt's verschiedene Zweifel entgegen setzten und namentlich auf die Ungewißheit und Täuschung solcher Zeitungsnachrichten hinwiesen, so hatten doch alle diese Vorstellungen keinen Einfluß auf Humboldt, der, einmal von dem Gedanken seines Versprechens durchdrungen und von der Begeisterung getragen, jene seit fünfzig Jahren jedem Fremden unzugänglich gebliebenen großen und an Naturmerkwürdigkeiten reichen, spanischen Besitzungen bereisen zu können, seinem Vorsatze treu blieb. Hatte er doch von Anfang an den Hauptzweck seiner Weltreise darin gesucht, die wichtigsten, bisher vernachlässigten Beobachtungen über die Erde und ihre Natur zu vervollständigen und eine wirklich wissenschaftliche Physik unseres Weltkörpers zu vermitteln.

In diesem ächten Forscherdrange miethete er auf der Rhede von Batabano eine Goelette, auf welcher er, mit günstigem Winde, nach Porto Cabello oder Carthagena zu fahren gedachte. Am 6. März 1801 segelte er zu diesem Zwecke mit Bonpland nach Batabano, kam am 8. März in jenem damals noch schlechten sumpfigen Dorfe an, und indem er von hier ab südlich an der Insel Cuba dahin steuerte, erforschte er zugleich mehre Punkte der Küste und der nahen Inseln und bestimmte astronomisch deren geographische Lage. Er hatte gerechnet, daß diese Meerfahrt nur etwa vierzehn Tage währen könne, sie dauerte aber beinahe vier Wochen, indem widrige Winde aufhielten und sogar des Sturmes wegen das Schiff, zu weit westlich getrieben, am Rio Sinu, also am Continent Südamerikas, landen mußte. Hier hatte bisher noch kein Botaniker die Pflanzenwelt untersucht, und Humboldt fand mit Bonpland eine erwünschte Arbeit bis zum 27. März, wo das Schiff weiter fuhr. In Columbien wollte aber der Schiffsführer, des unwirthlichen Landes wegen, nicht landen, so sehr es Humboldt und Bonpland auch wünschten. Beide überzeugten sich auch schon beim ersten Ausfluge, den sie in einem Kahne machten, um beim Mondschein zu botanisiren, von der wirklichen Begründung jener Befürchtungen; sie wären beinahe in den Hinterhalt nackter, mit Ketten belasteter und bewaffneter, wahrscheinlich aus dem Gefängniß entsprungener Verbrecher gefallen, wenn sie sich nicht schnell zurückgezogen hätten.

Der andere Morgen führte Humboldt in den Hafen von Carthagena, wo er während sechs Tage astronomische Ortsbestimmungen vornahm und die Volkssitte des Osterfestes beobachtete, welches mit wunderlichen Aufzügen begleitet war. Zugleich erhielt Humboldt's Reiseplan schon hier den ersten hindernden Stoß, denn zu seinem größten Leidwesen erfuhr er, daß die Jahreszeit bereits viel zu weit vorgerückt sei, um jetzt noch eine Fahrt auf der Südsee von Panama bis Guayaquil zu unternehmen, und er mußte deßhalb auf seinen Wunsch, den Isthmus von Panama zu durchforschen, verzichten.

In der Nähe von Carthagena liegt ein Indianerdorf Turbaco, dessen Pflanzenreiche Waldumgebungen, namentlich die mitten in Palmwäldern liegenden, merkwürdigen Schlamm- oder Luftvulkane, Vulcanitos genannt, nunmehr Humboldt's Aufmerksamkeit fesselten. Diese Vulcanitos bestehen aus 15-20 kleinen, abgestumpften Kegeln, in der Höhe von 19-25 Fuß, die sich auf einem etwa 1000 Quadratfuß großen freien Platze im Walde befinden. Sie haben eine mit Wasser gefüllte Oeffnung und stoßen unter lautem Getöse Luftblasen aus. Eine noch unbekannte Pflanzenwelt, eröffnete sich gleichfalls vor-ihm und Bonpland, der sich überhaupt mit der Botanik vorzugsweise zu beschäftigen pflegte.

Die wegen vorgerückter Jahreszeit verzögerte große Seereise suchte Humboldt nunmehr auf andere Art zu ersetzen, und die reichen Erinnerungen, welche er auf dem Stromgebiete des Orinoco gesammelt hatte, ermunterten ihn, eine gleiche Fahrt auf dem unweit Carthagena sich in mehren Armen in das Meer ergießenden Magdalenenstrome zu unternehmen, ein Wasser, das sich durch anmuthige und majestätische Thäler Neu-Granada's bewegt. Man nahm einen Kahn, fuhr stromaufwärts in das Land hinein bis zum Orte Honda, und während Bonpland die üppige Pflanzenwelt der Ufer untersuchte, zeichnete Humboldt eine Karte des Flußgebietes, freilich unter großem Ungemach und mancher Plage von Insekten, Klima und gefährlichen Oertlichkeiten. In Honda stiegen sie an das Land, um auf Mauleseln – fast dem einzigen Reisemittel zum Weiterkommen auf südamerikanischem Festlande – die Hauptstadt Santa Fe de Bogota zu erreichen; 35 Tage waren sie in den Thälern und auf dem Strome bisher unterwegs gewesen und in Bogota blieben sie bis zum September, indem sie sich mit geographischen und botanischen Untersuchungen vielfach beschäftigten und die großartigen Naturgebilde der Felsen und Wasserfälle von Tequendama, die Bergwerke und malerischen Wirkungen früherer Erdbeben bewunderten und studirten. Auf gefährlichem Wege über den unbequemen, Paß der Anden von Quindiu, dessen höchster Punkt der Straße 11,500 englische Fuß über dem Meere liegt, begaben sie sich nach Popayan, indem sie im Regen und auf erweichtem Boden baarfuß und gänzlich durchnäßt, unter freiem Himmel übernachtend und am Morgen ermattet nach dem Caucathale zogen, die mit Schnee bedeckten Vulkane Purace und Sotara besuchten, durch Pasto, eine am Fuße eines brennenden Vulkans gelegene Stadt, kamen, den Aequator überschritten und endlich nach viermonatlicher Reise am 6. Januar 1802 nach Quito gelangten.

Hier erholte sich Humboldt von den Gefahren und Beschwerlichkeiten seiner Reise bald in dem im hohen Grade angenehmen und gleichmäßigen Klima dieser Gegend, und seinen beinahe neunmonatlichen Aufenthalt hieselbst benutzte er zu geologischen und botanischen Forschungen, während sein Sinn für Naturschönheit und lebende Landschaftsgemälde reichlich durch die entzückende Lage des Ortes, Angesichts langer Reihen von riesigen Schneegebirgen, genährt und erfreut wurde. Hier befand er sich im Mittelpunkte einer tropischen Natur, deren zauberhaftes Gemälde er uns selbst mit lebendigen Farben entwirft. Skizzen, im Angesichte der Naturscenen gemalt, können allein dazu leiten, den Charakter ferner Weltgegenden auch denen anschaulich zu machen, welche das Landschaftsbild mittelst der Phantasie vollenden müssen.

»In den am Aequator nahen Gebirgsgegenden, so sagt Humboldt selbst, hat die Manchfaltigkeit der Natureindrücke im engsten Raume ihre größte Höhe erreicht. – In der tiefgefurchten Andenkette von Neu-Granada und Quito ist es dem Menschen vergönnt, alle Gestalten der Pflanzen und alle Gestirne des Himmels gleichzeitig zu schauen. Ein Blick umfaßt Heliconien, hochgefiederte Palmen, Bambusen – und über diesen Formen der Tropenwelt: Eichenwälder, Mispel-Arten und Doldengewächse, wie in unserer deutschen Heimat. Ein Blick umfaßt das südliche Kreuz, die Magellanischen Wolken (jene mattschimmernden Nebelflecke des Südhimmels) und die leitenden Sterne des Bären, die um den Nordpol kreisen. – Dort öffnen der Erde Schooß und beide Hemisphären des Himmels den ganzen Reichthum ihrer Erscheinungen und verschiedenartigen Gebilde; dort sind die Klimate, wie die durch sie bestimmten Pflanzenzonen, schichtweise über einander gelagert; dort sind die Gesetze der Wärme dem aufmerksamen Beobachter verständlich, mit ewigen Zügen in die Felsenwände der Andenkette, am Abhange des Gebirges eingegraben. – Was in dem Gefühle umrißlos und duftig, wie Bergluft verschmilzt, kann von der, dem ursächlichen Zusammenhänge der Erscheinungen nachgrübelnden Vernunft nur in einzelne Elemente zerlegt, als Ausdruck eines individuellen Naturcharakters, begriffen werden. Sind die tropischen Länder eindrucksreicher für das Gemüth durch Fülle und Ueppigkeit der Natur, so sind sie zugleich auch vorzugsweise dazu geeignet, durch ihre einförmige Regelmäßigkeit in den meteorologischen Prozessen des Luftkreises, so wie durch scharfe Scheidung der Gestalten bei senkrechter Erhebung des Bodens, dem Geiste die gesetzmäßige Ordnung der Himmelsräume – wie abgespiegelt im Erdleben – zu zeigen.

In den heißen Ebenen, die sich wenig über die Meeresfläche der Südsee erheben, herrscht die Fülle der Pisanggewächse, der Cycadeen und Palmen; – ihr folgen, von hohen Thalwänden beschattet, baumartige Farrenkräuter und, in üppiger Naturkraft, von kühlem Wolkennebel unaufhörlich getränkt und erfrischt, die Cinchonen, welche die lange verkannte, wohlthätige Fieberrinde liefern. – Wo der hohe Baumwuchs aufhört, blühen gesellig an einander gedrängt, Azalien, Thibaudien und myrtenblättrige Andromeden. Einen purpurrothen Gürtel bildet die Alpenrose der Cordilleren, die harzreiche Befaria. Dann verschwinden allmählich in der stürmischen Region die höheren Gesträuche und großblütigen Kräuter; Rispen tragende Monocotyledonen (Pflanzen mit nur einem Keimblatte und gestreift-rippigen Blättern) bedecken einförmig den Boden, eine unabsehbare Grasflur, gelbleuchtend in der Ferne. – Hier werden einsam das Kameelschaaf und die von den Europäern eingeführten Rinder. Wo die nackten Felsklippen trachytartigen Gesteins sich aus der Rasenerde emporheben, da entwickeln sich, bei mangelnder Dammerde, nur noch Pflanzen niederer Organisation; die Schaar der Flechten, welche der dünne kohlenstoffarme Luftkreis dürftig ernährt, Parmelien, Lecideen (Scheibenflechten) und der vielfarbige Keimstaub der Leprarien (Felsen-Algen). – Inseln frisch gefallenen Schnees verhüllen hier die letzten Regungen des Pflanzenlebens, bis, scharf begrenzt, die Zone des ewigen Eises beginnt. – Durch die weißen, wahrscheinlich hohlen, glockenförmigen Gipfel streben, doch meist vergebens, die unterirdischen Mächte auszubrechen. Wo es ihnen gelungen ist, durch runde, kesselförmige Feuerschlünde oder langgedehnte Spalten mit dem Luftkreis in bleibenden Verkehr zu treten, da stoßen sie fast nie Laven, aber Kohlensäure, Schwefeldünste und heiße Wasserdämpfe aus.« –

Und wie Humboldt die Eindrücke einer solchen Natur empfing, das spricht er noch nach Jahren in den Worten aus:

»… Darf ich mich der eigenen Erinnerung großer Naturscenen überlassen, so gedenke ich des Oceans, wenn in der Milde tropischer Nächte das Himmelsgewölbe sein planetarisches nicht funkelndes Sternenlicht über die sanftwogende Wellenfläche ergießt – oder der Waldthäler der Cordilleren, wo mit kräftigem Triebe hohe Palmenstämme das düstere Laubdach durchbrechen und als Säulengänge hervorragen – ein Wald über dem Walde – oder des Piks von Teneriffa, wenn horizontale Wolkenschichten den Aschenkegel von der untern Erdfläche trennen und plötzlich durch eine Oeffnung, die der aufsteigende Luftstrom bildet, der Blick von dem Rande des Kraters sich auf die weinbekränzten Hügel von Orotava und die Hesperidengärten der Küste hinabsenkt. – In diesen Scenen ist es mehr das stille, schaffende Leben der Natur, ihr ruhiges Treiben und Wirken, es ist der individuelle Charakter der Landschaft, ein Zusammenfließen der Umrisse von Wolken, Meer und Küsten im Morgendufte, der Inseln – es ist die Schönheit der Pflanzenformen und ihrer Gruppirung. Denn das Ungemessene, ja selbst das Schreckliche in der Natur, Alles, was unsere Fassungskraft übersteigt, wird in einer romantischen Gegend zur Quelle des Genusses. Die Phantasie übt dann das freie Spiel ihrer Schöpfungen an Dem, was von den Sinnen nicht vollständig erreicht werden kann; ihr Wirken nimmt eine andere Richtung bei jedem Wechsel in der Gemüthsstimmung des Beobachters. Getäuscht glauben wir von der Außenwelt zu empfangen, was wir selbst in diese gelegt haben …«

Die Witterungszustände jener Gegend gaben Humboldt auch Gelegenheit, uns das Bild der tropischen Regen- und Gewitterzeit zu schildern. In der That muß der Eindruck eines solchen auf einen in diese Gegend kommenden Europäer imposant und überraschend sein, zumal die Erscheinungen in der Atmosphäre dabei nicht, wie bei uns, den Anschein des Zufalls haben, sondern immer mit einer auffallenden Gleichförmigkeit auf einander folgen. – Die Reinheit der Atmosphäre von December bis Februar ist unvergleichlich; der Himmel erscheint beständig wolkenlos und wenn einmal eine Wolke sich bildet, so ist dieselbe für die Bewohner ein Aufmerksamkeit erregendes Ereigniß. Der östliche und ostnordöstliche Seewind (die Brise) bläst heftig, und die Dünste können durch Abkühlung nicht sichtbar werden, weil die durch jene Winde herbeigeführte Luft eine stets gleiche Temperatur hat, welche keine Verdichtung des Wasserdunstes zuläßt. Gegen Ende Februar aber, oder zu Anfang des März färbt sich das Himmelsblau dunkler, der Hygrometer (Instrument zum Bestimmen des Feuchtigkeitszustandes der Luft) deutet allmählich auf Zunahme des Wasserdunstes, die Sterne sind bisweilen von einer leichten Nebelhülle verdeckt, ihr Licht ist nicht mehr ruhig, man sieht sie oft am Horizonte und bis zu 20 Grade am Himmel hinauf, funkeln. Die Brise weht um diese Zeit minder heftig, weniger regelmäßig und wird oft durch Windstille unterbrochen. In Süd-Südost sammeln sich Wolken, sie erscheinen wie ferne Berge mit sehr unbestimmten Umrissen; man sieht zuweilen, wie sich dieselben vom Horizonte losmachen und das Himmelsgewölbe mit einer Schnelligkeit durchlaufen, die der Schwäche des in den unteren Luftschichten herrschenden Windes keineswegs entspricht. Zu Ende des März wird die südliche Gegend der Atmosphäre durch kleine elektrische Explosionen erleuchtet; man glaubt phosphorscheinende, auf eine einzige Dunstgruppe beschränkte Funken zu sehen. Von da an treten nun von Zeit zu Zeit mehrere Stunden anhaltende Süd-Westwinde ein und dieses ist das sicherste Zeichen vom Anrücken der Regenzeit, die am Orinoco erst Ende April beginnt.

Nunmehr fängt der Himmel an bedeckt zu werden; die Azurbläue verschwindet und eine gleichförmige, graue Färbung ersetzt dieselbe. Gleichzeitig nimmt die Wärme der Luft mehr und mehr zu, bald haben sich die Wolken in dichten Dunst ausgebreitet, der das ganze Himmelsgewölbe bedeckt. Die Brüllaffen fangen an, ihr klagendes Geschrei schon lange vor Tagesanbruch hören zu lassen und die Elektricität der Atmosphäre steigt. (Während sie auf dem Voltaischen Elektricitätsmesser in der trocknen Zeit von December bis März fast beständig den Tag über nur 1,7-2 Linien betrug, wechselt sie von jetzt an von 0 bis zu 3-4 Linien.)

Die Regenzeit ist zugleich die der Gewitter; das Aufsteigen eines Gewitters erfolgt regelmäßig zwei Stunden nach Mittag (nach dem Durchgange der Sonne durch den Meridian, die gedachte Linie von Nord nach Süd, die senkrecht über unserm Haupte liegt), also nur kurze Zeit nach dem Momente, wo die Tageshitze unter dem Tropenhimmel ihre größte Höhe erreicht. Höchst selten läßt sich im Binnenlande der Donner in der Nacht oder am Morgen hören; Nachtgewitter sind nur gewissen Flußländern, die ein besonderes Klima haben, eigen.

Nicht ohne Mühe und mehre vergebliche Versuche bestieg Humboldt den Krater des Vulkans Pichincha, wo er Versuche über die elektrischen, magnetischen und wässrigen Eigenschaften der Luft, so wie mehrfache Höhenmessungen anstellte und überhaupt die Kette der Andengebirge so gründlich in geognostischer Hinsicht studirte, daß diese seine Arbeiten die wesentlichsten Materialien zur Begründung und weiteren Anregung der neueren Geognosie wurden. – Er wanderte nach den majestätischen Schneekuppen des Cotopaxi und des Antisana und bestieg mit Bonpland und einem für die Wissenschaft glühenden Jünglinge, Montufor, Don Carlos Montufor wurde 1811 ein Opfer politischer Parteikämpfe. der ihn auf dieser Reise begleitete, den Tunguragua und am 23. Juni 1802 den Chimborazo, wo er eine Höhe von 3036 Toisen erklomm, eine Höhe die bis dahin vor Humboldt noch kein Mensch auf Erden erreicht hatte. Die Natur scheint überhaupt den sterblichen Menschen nur ungern in ihre geheimnißvollen Höhen und Tiefen eindringen zu lassen, denn in der Höhe droht sie ihm mit den tödtenden Folgen einer zu dünnen, athmungsunfähigen Luft, in der Tiefe aber mit der Erstickung durch entzündbare Gase.

Die Bedeutung dieser Bergbesteigung fordert uns auf, die kühnen Wanderer auf ihrem Wege specieller zu verfolgen, und wenn auch am 16. December 1833 der französische Naturforscher Boussingault (der Einzige, welcher seitdem diesen Berg wieder bestieg) ebenfalls nicht an den Gipfel, aber doch 400 Fuß höher als Humboldt und Bonpland gelangte, so waren die Letzteren doch die ersten Menschen, die jene Höhe der Erde (3036 Toisen, 1 T. = 6 Fuß) erreichten.

Der Reiz, den damals für den höchsten Berg der Erde gehaltenen Chimborazo zu besteigen, war zu mächtig, um sich durch Gefahren und Warnungen abstumpfen zu lassen. Es waren bereits zwei fruchtlose Versuche gemacht worden, bis an den Krater des Vulkans Pichincha zu gelangen, bis es endlich gelang, zwei Male in dieser Höhe Beobachtungen und Experimente anzustellen. Ein früher hier gewesener Reisender hatte den Krater als abgekühlt und mit Schnee gefüllt bezeichnet, Humboldt aber fand denselben entzündet und auf einen vulkanischen Ausbruch vorbereitet. Als Humboldt diese Nachricht später bei seiner Rückkehr nach Quito brachte, das nur 4-5000 Toisen von diesem Krater entfernt liegt, erregte sie allgemeine Niedergeschlagenheit in der Stadt, da man zu der Furcht Grund hatte, daß ein nahe bevorstehender Ausbruch des Pichincha den Einwohnern von Quito eine unberechenbare Gefahr herbeiführen könne.

Dieser Besuch des Vulkans wäre übrigens für Humboldt beinahe von lebensgefährlichen Folgen gewesen; – gleich beim ersten Erreichen der Höhe ging er auf dem Schnee fort, um über eine tiefe Kluft zu gelangen, ahnte aber nicht, daß die Brücke über diese Untiefe aus nichts anderem, als einer höchst zerbrechlichen Lage gefrorenen Schnees bestand. Augenblicklich bei den ersten Tritten sank er unter und würde in der Tiefe verloren gewesen sein, wenn nicht schnelle Hülfe und ein glücklicher Zufall ihn gerettet hätten.

Höher noch als der Pichincha liegt in den Cordilleren der hohen Anden ein anderer Krater, Cotopaxi genannt, der Humboldt um so mehr interessirte, da derselbe der höchste der in neueren Zeiten thätigen Vulkane der Erde ist. Er ist 17,892 Fuß (2952 Toisen) hoch – also, wenn man auf den Pik von Teneriffa noch den Brenner in Tirol setzen könnte, dann würden beide erst die absolute Höhe des Cotopaxi erreichen. – Die ganze Umgegend von Quito fürchtet ihn als einen gefährlichen Feind, da alle seine Ausbrüche jedesmal mit bedeutenden Verheerungen verbunden gewesen sind. So loderten z. B. im Jahre 1738 seine aufsteigenden Flammen bis auf 2,772 Fuß Umkreis über den Rand seines Kraters hervor; so konnte man im Jahre 1740 sein Brüllen in einer Entfernung von 200 Meilen zu Honda am Magdalenenstrome hören; so warf er im Jahre 1768 so viel Asche aus, daß die Luft verfinstert wurde und in den Städten Hambato und Tacunga bis Nachmittags 3 Uhr die Nachtfinsterniß fortdauerte, und die Einwohner mit Laternen auf der Straße gehen mußten; so erschreckte er im Jahre 1803, also nachdem Humboldt oben gewesen war, die Bewohner der Gegend dadurch, daß plötzlich sein Schnee völlig schmolz und auf eine furchtbare Gluth seines Kraters deutete.

Um diesen drohenden Vulkankegel zu erreichen, mußte Humboldt seinen Weg südöstlich von der Stadt Quito mitten in die Anden nehmen. Es war ein Weg von zwölf Meilen. – Die Gestalt des Berges stellte sich imposant, kolossal und in seiner Kegelform sehr regelmäßig dar. Sein mit blendendem Schneemantel bedeckter Kegel strahlte bei Sonnenuntergang in zauberisch schöner Beleuchtung, zumal keine Unebenheit des Bodens, keine Felsenspitze oder Steinmasse diese weiße Schneeumhüllung unterbricht. Nur oben am äußersten Kraterrande bemerkte Humboldt von unten her einzelne, dunkelfarbige Stücke, die, wie bei dem Pik von Teneriffa, einer Mauer oder Brustwehr ähnlich sahen.

Den mühsamsten Weg der Besteigung fand Humboldt in der Umgebung des Berges, die aus vielen Schluchten und Klüften besteht, welche bis zu der Grenze, wo der Schnee beginnt, hinaufreichen. Dieser Schneemantel beginnt schon in einer Höhe von 14,760 Fuß und ist bis zur Spitze 3,198 Fuß breit. – Es war Humboldt unmöglich, bis an den Rand des Kraters zu gelangen. – Auf der südwestlichen Seite desselben aber wird die Regelmäßigkeit der Kegelform durch eine halb im Schnee begrabene Felsenmasse unterbrochen, welche die Eingeborenen den »Kopf der Inca« nennen. – Er soll in uralten Zeiten der eigentliche Gipfel des Cotopaxi gewesen, aber bei dessen erstem Ausbruche gesprengt und hinabgeworfen worden sein.

Humboldt ging nun, da er hier nicht weiter gelangen konnte, auf den Vulkan des Antisano, um von hier ab die möglichste Höhe des äußersten Chimborazo-Gipfels zu erreichen. – Schon hatte er mit seinen Begleitern eine Höhe erklommen, bis zu welcher bis dahin kein Mensch vor ihm gelangt war; als er endlich am 23. Juni 1802 auf dem Chimborazo angekommen und selbst im Stande gewesen war, die Instrumente so hoch mit hinaufzuschaffen, da befand er sich 18,216 Fuß über dem Meeresspiegel und empfand die Folgen einer schon sehr verdünnten Luft. Das Thermometer blieb unbeweglich stehen. Es zeigte eine Kälte von 1 ???6/10 Grad des hunderttheiligen Thermometers. Der bedeutenden Luftverdünnung wegen wurde ihnen aber auch das Athmen im höchsten Grade schwer, und da der menschliche Körper zu seiner Blutcirculation eines äußeren Luftdruckes bedarf, der allen Geweben, so auch den feinsten Blutadern, einen gewissen Grad von Dichtigkeit erhalten muß, so empfanden die kühnen Reisenden auch bald die Wirkung dieses Mangels, denn das Blut quoll ihnen aus den Augen, den Lippen und dem Zahnfleische hervor.

Im Anblicke des vor ihm liegenden, noch 224 Toisen Höhe betragenden äußersten Gipfel des Chimborazo ließ sich aber Humboldt nicht durch Athemnoth und Blutung zurückschrecken, den Weg hinauf fortsetzen zu wollen. – Hier aber zog die Natur selbst eine Grenze in den Weg des muthigen Mannes. Eine breite unüberschreitbare Kluft gähnte ihm entgegen und schied ihn physisch vom Ziele des über ihm stolz sich emporhebenden Chimborazo-Gipfels.

Noch in weiter Entfernung schickte ihm aber der Cotopaxi einen donnernden Abschiedsgruß zu. – Wie schon erwähnt wurde, hatte Humboldt diesen Krater, der seit 1768 ganz todt gewesen war, nicht einmal Rauch oder auch nur einen sichtbaren Dunst ausgestoßen hatte, entzündet gefunden und durch diese Nachricht in der Stadt Quito große Niedergeschlagenheit und Besorgniß hervorgerufen. – Humboldt war längst abgereist und befand sich bereits im Hafen von Guayaquil, in einer graden Linie von 52 Meilen vom Berge selbst entfernt, als er das Gebrüll des Cotopaxi wie einen Tag und Nacht fortdauernden Kanonendonner vernahm und selbst noch auf der Südsee, südwestlich von der Insel de la Puna, von diesem furchtbaren Getöse des Kraters, dem er so nahe gewesen war, verfolgt wurde. – Es war, wie er erfuhr – das unterirdische Feuer dieses Berges in einer einzigen Nacht so heftig entwickelt worden, daß der ganze dicke Schneemantel von 3,000 Fuß Breite plötzlich verschwunden war und schon beim Aufgange der Sonne die Schneeregion des gewaltigen Kegels, von verglasten Schlacken überzogen, schwarz und drohend über die geängstigte Bevölkerung der Umgegend emporragte.

In Quito angelangt, empfing Humboldt einen Brief, der ihm mittheilte, daß Kapitän Baudin nach Neu-Holland abgesegelt sei und ostwärts um das Kap der guten Hoffnung sich gewandt habe. Die seit dreizehn Monaten in Humboldt's Seele genährten Hoffnungen auf eine Vereinigung mit Baudin und die dadurch möglich werdende Reise von Mexiko nach den Philippinen sah er nun plötzlich vereitelt. Er war aber schon von früher her mit ähnlichen Enttäuschungen lang gehegter Reisepläne vertraut und verlor den Muth nicht, nunmehr auf die eigenen Hülfsquellen sich verlassend, sein Ziel wo möglich nicht aus den Augen zu verlieren. Er beschloß, von Quito ab nach dem Amazonenstrome zu fahren und in Lima noch rechtzeitig einzutreffen, um den Vorübergang des Planeten Merkur vor der Sonnenscheibe beobachten zu können.

Unter unsäglichen Mühseligkeiten erreichte Humboldt mit seinem treuen Begleiter Bonpland, auf einem durch die Schneegefilde von Assuay und Cuenca führenden Wege, Loxa. Der Transport der physikalischen Instrumente und der bedeutenden Sammlungen machte die Reise noch beschwerlicher, da der Engpaß im Parama de Assuay bei Cadlud fast die Gipfelhöhe des Montblanc erreicht. – Man untersuchte hier in den Wäldern die verschiedenen Arten des Chinabaumes, wanderte dann ostwärts über die Gebirgskette der Anden, betrachtete die prächtigen Ueberreste der alten peruanischen Kunststraße der Inca's, die von Cuzco nach Assuay führt, und gelangte dann in das Thal an den Amazonenfluß. Hier, in der Provinz Jaen de Bracamores verbesserte und berichtigte Humboldt die Karte des französischen Astronomen Condamine vom Amazonenflusse, indem er theils nach eigenen Anschauungen auf einer Wasserfahrt bis zu den Katarakten von Retama, theils nach sorgfältigen Erkundigungen, die ausführlichste Karte von diesem unbekannten Theile des gewaltigen Stromes skizzirte, während Bonpland unterdessen seine botanischen Untersuchungen fortsetzte.

Zum fünften Male die hohe Andengebirgskette übersteigend, kehrte Humboldt jetzt nach Peru zurück, bestimmte hier die Lage des magnetischen Aequators, besuchte die reichhaltigen, hochgelegenen Silberbergwerke zu Hualguayok, wo das Silber 2000 Fuß über der Höhe des Meeres liegt, so wie die heißen Quellen in der fruchtbaren Hochebene von Caxamarca und die Ruinen der antiken Stadt Mansiche, mit ihren alten Pyramiden, in deren einer man schon im 18. Jahrhundert zufällig über vier Millionen franz. Livres an gediegenem Golde gefunden hatte. – Ueber die westlichen Cordilleren der Andenkette nach Truxillo zurückgehend, genoß Humboldt im Niedersteigen zum ersten Male den Anblick des stillen Meeres und sein Auge schauete zugleich in das lange, enge Thal nieder, das dadurch berühmt ist, daß es dort niemals regnet und donnert. – Nunmehr von Truxillo aus, die dürren Küstengegenden des stillen Oceans gegen Süden hinabziehend, erreichte Humboldt die mit Gärten umgebene Stadt Lima, die Hauptstadt von Peru, wo er sich mehrere Monate lang aufhielt und sowol hier, wie im nahen Küstenfort Callao wichtige klimatische und astronomische Untersuchungen anstellte, auch noch früh genug eintraf, um hier die letzten Zeitmomente des Merkur-Uebergangs vor der Sonnenscheibe zu beobachten, wozu ihm selbst der Himmel günstig war, da man zu Lima, der dichten Nebel wegen, oft in drei Wochen keine Sonne zu sehen bekommt. Namentlich hervorgehoben müssen noch die Forschungen Humboldt's werden, welche er über den auffallend kalten peruanischen Küstenstrom anstellte; denn in späteren Jahren hat die Wissenschaft diesem Wasser, in Anerkennung der Verdienste des großen Naturforschers, den Namen: »Humboldtsströmung« beigelegt.

Im Januar 1803 ging Humboldt mit Bonpland auf einer königlichen Korvette unter Segel nach Guayaquil. Hier erfüllte am 6. Januar ein Brausen und Getöse die Luft, und sie erfuhren, daß es das Brüllen des Vulkans Cotopaxi sei, der jetzt erglühe und den Humboldt im Sommer vorigen Jahres bestiegen hatte. Der Wunsch, die vulkanischen Ausbrüche dieses Berges und seine Verheerungen in möglichster Nähe zu beobachten, machte Humboldt schnell reisefertig, um nochmals diesen Vulkan zu besuchen. Bereits auf dem Wege dahin mußte er aber mit Bonpland eiligst wieder umkehren, da die Nachricht sie unterwegs erreichte, daß die Fregatte Atlante, auf welcher sie weiter segeln wollten, abfahren müsse.

Man traf am 23. März 1803, nach einer Fahrt von dreißig Tagen, in Acapulco ein, einem westlichen Hafen Neu-Spaniens, dessen Felsenwand ebenso malerisch, wie sein Klima brennend und ungesund ist. Humboldt hatte anfangs, bei nothgedrungener Veränderung seines Reiseplans, die Absicht, sich nur einige Monate in Mexiko aufzuhalten und dann, da seine Instrumente gelitten zu haben schienen und er sich vergebliche Mühe gab, die eingetretenen Fehler zu verbessern, nach Europa zurückzukehren. Natur und Bewohner Mexiko's fesselten ihn aber so sehr, daß er so schnell, wie er anfangs beabsichtigt hatte, seine Reise nicht vollenden mochte. Die wissenschaftlichen und gemüthlichen Reize einer in ihren Landschaften so reichen und abwechselnden Gegend waren zu mächtig, um ihnen widerstehen zu können. Aber diese Reise erforderte zugleich die größte Vorsicht, denn das gelbe Fieber, welches dort heimisch ist und erfahrungsmäßig alle Diejenigen ergreift und wegrafft, welche in der Zeit von Juli bis Oktober vom Hochlande her in Mexiko niedersteigen, bewog Humboldt, einstweilen bis zum Ende des Winters in Acapulco zu bleiben und dann erst seine Reise in das Innere des Landes anzutreten. Während dieser Zeit war er sehr thätig mit Experimenten und Beobachtungen über die Erscheinungen in der Atmosphäre, so wie mit Ordnen der gesammelten wissenschaftlichen Erfahrungen und Naturprodukte.

In der Mitte des Winters brach aber Humboldt mit seinem Begleiter Bonpland auf und stieg zunächst in die glühend heißen Thäler von Paragayo hinab, wo selbst im Schatten die Luft 32 Grade Reaumur hatte. Ein milderes und frischeres Klima fand er auf den etwa 3600 bis 4200 Fuß über dem Meere liegenden Hochebenen von Chilpantzingo und Tasco, dessen reiche Silberbergwerke er untersuchte; – dann ging die Reise über die Cuernavaca und durch die Nebeldünste von Guchilaque nach der schönen Stadt Mexiko.

Da die geographische Längenbestimmung dieses Ortes bis dahin auf den bisherigen Landcharten noch fehlerhaft war, so verbesserte Humboldt diese Fehler durch genaue astronomische Prüfungen; dann waren es namentlich die Alterthümer, welche ihn fesselten, gleich wie die statistischen Zustände der Bevölkerung. – Nachdem er sich aus der vorzüglichen Sammlung der Bergschule zu Mexiko, deren Direktor ebenfalls ein Schüler Werner's in Freiberg war, physikalische Instrumente zum Zwecke der astronomischen Ortsbestimmung geliehen hatte, dehnte er seine Forschungen auch auf die berühmten Bergwerke von Moran und Real del Monte, wie deren Umgebungen aus, von denen er im Juli 1803 wieder nach Mexiko zurückkehrte, um nun den nördlichen Theil des Landes kennen zu lernen. Er besichtigte den künstlichen, 6 Millionen Piaster kostenden Durchbruch des Berges Sinoq bei Desague de Huehuctoca, der die Gewässer von dem Thale Mexiko's abzuleiten bestimmt war, – begab sich dann über Salamanca nach der berühmten Bergwerkstadt Guanaxuato, wo er zwei Monate lang sich den geognostischen Forschungen, namentlich über das Vorkommen der Erze, hingab und dann durch das Thal von San Jago südwärts nach Valladolid, der Hauptstadt des alten Königreichs Mechoacan, reiste. Das Regenwetter hielt den kühnen und im Wissenseifer unermüdlichen Mann nicht zurück, mit seinem Freunde an die Küsten des stillen Oceans, in die Ebenen des Jorullo, hinabzusteigen, wo in der Ebene Malpais plötzlich im Jahre 1759, während einer Nacht ein bedeutender Vulkan entstanden war, dessen 2000 Oeffnungen noch rauchten und den Humboldt nicht ohne Gefahr näher untersuchte, indem er mit Bonpland 250 Fuß tief in den entzündeten Krater des centralen Vulkankegels auf leicht zerbrechlichen Lavastücken hinabstieg. Diesen Beobachtungen verdankt die Wissenschaft eine neue, wichtige Erweiterung ihrer Erkenntnisse und Aufschlüsse über die Geschichte der Erdbildung im Allgemeinen und dieser merkwürdigen Naturerscheinung insbesondere.

Ueber Toluca's Hochebene kehrte Humboldt mit seinem Begleiter abermals nach Mexiko zurück, um die botanischen und geologischen-Sammlungen in Ordnung zu bringen, die barometrischen und trigonometrischen Messungen zu reguliren und zu berechnen und die Skizzen zu einem geognostischen Atlas zu entwerfen.

Im Januar 1804 trat Humboldt eine neue größere Excursion an, um die Ostseite der Cordilleren von Mexiko zu untersuchen; die Vulkane Popocatepetl und Iztaccihuatl wurden trigonometrisch in ihrer Höhe gemessen, gleichwie auch die Pyramide von Cholula, die vor Alters durch die Tulteken aus gebrannten Ziegelsteinen erbaut worden war. Humboldt bestieg dieselbe der schönen Aussicht wegen, welche sie auf die beschneieten Gipfel der Berge und die freundlichen Thäler von Tlascala darbietet. Nach diesen Untersuchungen nahm Humboldt seinen Weg über Perote nach Xalapa, wo er durch fast undurchdringliche Eichen- und Tannenwälder wandern mußte, die bereits in einer Höhe von 2800 Fuß über dem Meeresspiegel beginnen, und seine dreimaligen Barometermessungen dieser Gegend gaben die Veranlassung, daß nach seinen Angaben später eine neue Kunststraße hier angelegt wurde. Humboldt lieferte durch diese Messungen (Nivellements) die ersten senkrechten Ansichtszeichnungen (Projectionen und Profile), durch welche man vergleichend, von Meer zu Meer, den westlichen Abfall des Hochlandes von Mexiko (7000-7200 Fuß) gegen Vera-Cruz hin, mit dem schon früher gemessenen Abfall nach Acapulco an der Südsee bestimmen konnte.

Der nahe bei Perote liegende Berg Cofre (noch 972 Fuß höher als der einst von Humboldt erstiegene Pik auf Teneriffa) reizte ihn zu dessen Besteigung und Höhenmessung, gleich wie der Pik von Orizava, an dem nunmehr sein Weg vorüber führte. Nach einem, an wissenschaftlichen Anregungen und Resultaten reichen Aufenthalte in diesen Gegenden, kehrten Humboldt und Bonpland nach Vera-Cruz am mexikanischen Meerbusen zurück, entgingen glücklich dem in dieser dürren und wasserarmen Ebene wüthenden gelben Fieber und schifften sich auf der spanischen Fregatte »La O« nach Havanna ein, um ihre, dort im Jahre 1800 zurückgelassenen Sammlungen wieder in Empfang zu nehmen. Hier vervollständigte Humboldt die Materialien, welche ihm zu seinem späteren Buche: Essai politique sur l'île de Cuba (Politische Abhandlung über die Insel Cuba) 1827, zwei Bände – gedient haben. – Zwei Monate lang verweilten die Reisenden daselbst und bestiegen dann ein Schiff, welches sie nach den Vereinigten Staaten Nordamerikas überführen sollte. – Nach siebentägigem heftigen Sturme im Bahama-Kanale kamen sie glücklich in 32 Tagen zu Philadelphia an, besuchten von hier aus Washington, wo sie sich der freundlichen Aufnahme von Seiten des Präsidenten Jefferson erfreuten, und am 9. Juli, nach Verlauf von etwa zwei Monaten, die sie im Bereiche der nordamerikanischen Freistaaten verweilten und wo Humboldt namentlich, im Gegensatze zu seiner bisherigen Thätigkeit, die Staatsverhältnisse und Zustände des Volkslebens studirte, kehrten sie nach dem heimatlichen Europa, von wo sie länger als fünf Jahre entfernt gewesen waren, zurück.

Am 3. August 1804 landete Humboldt mit seinem mitforschenden Freunde Bonpland im Hafen von Bordeaux.

Die hier skizzirte Reise mußte ein nicht geringes Aufsehen in Europa machen; denn nicht allein war sie die bis dahin ohne Beispiel gleicher Art ausgeführte großartigste Unternehmung eines deutschen Privatmannes, nicht allein war sie ein von allem persönlichen Eigennutze freies und nur dem Interesse der Wissenschaft dargebrachtes Opfer, nicht allein bewunderte man die muthige Entschlossenheit, die beharrliche Kraft, den Fleiß, die geistigen Fähigkeiten und das Forschungstalent in Humboldt's Person, sondern diese Reise in die Aequinoctialgegenden des neuen Continents wurde in ihren allmählich bekannt werdenden unermeßlichen Resultaten für alle Gebiete des menschlichen Wissens und Verkehres, in ihren Einflüssen auf eine neue Behandlung der Wissenschaft selbst, – ja sogar auf die politischen Verbesserungen des durchreisten Landes, – von so weltgeschichtlicher Bedeutung, daß man Humboldt als den zweiten Columbus in Europa begrüßte. – Nicht nur trat ein bisher gänzlich unbekanntes oder mißverstandenes Gebiet der Erde in neuen, überraschenden Landschaftsgemälden vor die Sinne des gebildeten Europa, nicht nur wurde demselben ein Bild der äußeren Oberfläche und deren Erscheinungen dargeboten, sondern die Wissenschaft erhielt Kunde vom inneren Baue jenes Landes, von seinem Reichthum und seinen Bedürfnissen, von den Geheimnissen seiner Höhen und Tiefen, von den Zuständen seines Natur- und Menschenlebens – und aus der Reihe der verglichenen Thatsachen entwickelte sich die Auffindung und das Verständniß großer, ewiger Welt- und Lebensgesetze der Erde und ihrer Bewohner.

Und Humboldt war das vom Geiste ausersehene, beste vermittelnde Organ dieser neuen Aufschlüsse des Wissens, denn in ihm vereinigen sich Universalität und geniale Kombinationskraft, er hat das Talent zu einer harmonischen, ruhigen und besonnenen Naturbeobachtung, er hat den glücklich ausgebildeten Sinn für Wahrheit und Schönheit der Form, in ihm sind schöpferischer und ordnender Geist, tiefes, humanes Gemüth, Verstand und Herz zur reinsten Anwendung für die Wissenschaft und das Leben gekommen, und was er erkannte, das wußte er wahrheitstreu und anmuthig wieder zu geben.

Aber er ist auch ein von der Vorsehung ausersehener Mensch; – das glückliche Schicksal legte alle Begünstigungen für das Dasein in seine Wiege nieder; nicht, wie tausend Andere – und leider die meisten großen Gelehrten, – hatte er mit Armuth und niederen Lebensgewalten zu kämpfen, er brauchte seinen aufkeimenden Geist nicht aus Noth und Verzweiflung gemeiner Lebensbeschränkung zu retten, sich nicht zu ermannen aus der Erschlaffung des sorgegequälten Körpers, er trat sogleich in die Welt als ein bevorzugter Mensch, seine Wiege stand auf der Höhe der glücklichen Gesellschaftskreise, sein jugendlicher Entwickelungsweg führte auf wohl bereitetem Wege in den Tempel der Wissenschaft.

Daß er aber, inmitten dieser äußeren Glücksverhältnisse und der frühen Unabhängigkeit im Leben, nicht den Reizen und Zerstreuungen des vornehmen Wohlstandes, nicht dem Egoismus der aristokratischen Geburt, nicht dem Stolze des Nichtsthuns verfiel, daß er vielmehr, inmitten der Lockungen einer glücklichen Stellung im Leben, dennoch dem eingeborenen Drange seines Geistes folgte, der Wissenschaft sich zum aufopfernden Diener bestimmte, daß er freiwillig und anspruchslos die vornehme Behaglichkeit eines Begünstigten von sich stieß und im Streben nach Erkenntniß und wissenschaftlicher Erweiterung des Selbst- und Weltbewußtseins, die größten Opfer des Vermögens freudig darbrachte und Gefahren wie Entbehrungen im Dienste des Geistes über sich nahm – das ist sein Verdienst – das ist sein sittlicher hoher Standpunkt als Mensch.


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