Egon Erwin Kisch
Kriminalistisches Reisebuch
Egon Erwin Kisch

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Der Einbruch in die Amsterdamer Diamantenbörse

I. Die Tresore waren gut gesichert

Ich schlage Ihnen also einen Einbruch in die Safekammer der Amsterdamer Diamantenbörse vor und glaube auch, daß er lukrativ sein wird. Aber niedrig sind die Kosten nicht, das sage ich Ihnen gleich, Herr Generaldirektor, und die Sache ist auch schwer zu machen, das sage ich dir gleich, Charlie!

Der Raum ist durch ein Stahlgitter abgetrennt. Na, das ließe sich erledigen. Rings um die Kammer verläuft ein schmaler Gang. Tag und Nacht elektrisch beleuchtet, schräge Spiegel in jeder Ecke, in denen man dich sieht, hättest du dich hinten verborgen. Ein Wächter beobachtet. Gewiß, der könnte leicht beseitigt werden. Aber, Charlie, wenn du Wächter und Gittertüre absolviert hast, was tust du dann? Du stehst wie der Ochs vor der neuen Türe, die siebentausend Kilo wiegt. Zwei solcher Panzertüren sind da, auf Kugellagern beweglich. Die Schlüssel wären schließlich auch zu beschaffen: vorheriger Überfall auf den Kassendirektor. (Ein schmächtiger Herr.) Aber die Schlüssel helfen ja auch nichts, Teufel, Teufel, die Tür kann nur von drei Personen gleichzeitig geöffnet werden, die die Ziffernkombination kennen! Kopf hoch, Charlie – wozu haben wir die schöne Filmdiva, wenn sie nicht imstande wäre, dem Börsenpräsidenten, dem Pfennigmeister und dem schmächtigen Kassendirektor – ach so, der wird ja durch Überfall erledigt –, also zwei Personen innerhalb eines Aktes das Geheimnis der Ziffernkombination zu entlocken? Geht in Ordnung, sie bringt euch die Chiffren, dir, Charlie, und dem Intriganten Bill, der ein Auge auf die Filmdiva geworfen hat, eifersüchtig auf dich ist und dich anzeigen wird – wetten, Charlie?

 

II. David, ein junger Brillantenschleifer, liebte die Diva . . .

Aber das gehört nicht hierher, das gehört in den fünften Akt, vorläufig sind wir erst im ersten. Ihr habt David aufgesucht, der war vor vielen Jahren, als Junge in New York, im Vorspiel noch, beschuldigt worden, einen Ring gestohlen zu haben, um ihn der (zukünftigen) Filmdiva zu schenken, er flüchtete nach Europa, wurde Diamantenarbeiter und dann Besitzer einer kleinen Schleiferei in Amsterdam, ein ehrlicher Mensch; er lehnt es ab, euch als seine amerikanischen Geschäftsfreunde auf der »Beurs voor den Diamanthandel« einzuführen, trotzdem Bill droht, Davids Vergangenheit zu verraten. Erst als die Diva ihn bittet – Vision: seine Kindheit, Titel: »David liebt sie noch immer . . .« –, leistet er in der Loge des diensthabenden Beamten für euch Bürgschaft . . .

 

III. Und so führt er Charlie und Bill als Börsengäste ein . . .

Du und Bill, ihr habt also die Gastkarte, ihr seid im Saale, der eigentlich kein Saal ist, sondern beinahe schon ein Filmatelier, Herr Generaldirektor, denn fünfzehn riesenhafte Fenster sind statt der Wände da, auf daß der Käufer bei untrügerischem Tageslicht erkenne, ob keines der winzigen Steinchen pikiert ist mit einem Punkt, ob sie keep sind oder bläulichweiß oder schön silberweiß, ob sie modern geschliffen sind, als Brillanten in Form zweier Pyramiden mit gemeinsamer Basis und sechsundfünfzig Schleifflächen oder als Rosen in Form einer abgeplatteten Pyramide.

 

IV. Und im Saale herrschte lebhaftes Treiben . . .

Ihr seht den Maklern zu, die auf und ab gehen oder an den Zeitungstischen Briefe schreiben oder sich aus der Loge des Sekretärs ihre Post holen, ihr werdet angesprochen und kommt in Unterhaltung, und vorausgesetzt, daß Herr Generaldirektor will, wird euch ein frühzeitig ergrauter, scheuer Mann mit rotgeränderten, tränenden Augen gezeigt, der unansehnlich durch den Saal schleicht und dessen Name vor fünfundvierzig Jahren der meistgenannte in Europa war, Moritz Scharf, der falsche Kronzeuge im Prozeß von Tisza-Eszlar, an dem sich Semaels Sendung vollstreckte – das interessiert sicher in Amerika, Herr Generaldirektor? (Der Alte fährt jedes Jahr nach Ungarn auf das Grab seiner Eltern, die er in den Tod getrieben, das läßt sich aber in unserem Film schwerlich verwerten.) Ja, also Charlie und Bill beobachten die Kommissionäre und die Makler, in deren Portefeuilles die Umschläge angeordnet sind wie das Besteck eines Arztes, ihr beobachtet, wie sie, an den Tischen beim Fenster sitzend, dem Käufer die Ware einzeln reichen, rohe Diamanten und Bort, den Diamantenabfall, den man zum Schleifen braucht, gespaltene und vielleicht auch geschnittene Steine.

 

V. Und plötzlich funkelte Bills Auge . . .

Plötzlich funkelt Bills Auge, Großaufnahme, statt der Pupillen ein sechsundfünfzigfach geschliffener Riesendiamant! Bills Blick ruft deinen Blick in die Ecke des Saals, dort verkauft ein eleganter Herr einem würdigen Mijnheer die Edelsteine, die ihr sucht: die Brillanten der Habsburger mit dem Florentiner.

Der würdige Mijnheer wiegt verzückt den Kopf, legt den Schatz in seine Enveloppe, faltet sie sechsfach, klebt zu, schreibt seinen Namen auf den Verschluß und gibt den Umschlag dem Verkäufer zurück, dem eleganten Herrn, der nun rasch im Börsengewühl verschwindet – er eilt in die Telefonzelle, seinen Patron zu fragen, ob er zum angebotenen Preis abgeben darf. Da er wieder in den Saal kommt, empfängt ihn der würdige Mijnheer ungeduldig mit der Frage, Titel: »Heb ik Masl en Broche?« (Die Formel, die, vom Verkäufer ausgesprochen, den Handel perfekt macht.) Der elegante Herr bleibt einen Augenblick ruhig, weidet sich an Mijnheers Aufregung und überreicht ihm dann – Titel: »Ihr habt Masl en Broche« – das Cachet. An der Karatwaage schreibt der würdige Mijnheer den Wechsel aus und geht zu den Panzertresoren hinab. Ihr beobachtet ihn von außen: Er legt den Schatz ins Safe Nr. 211, eines der größten der vierzehnhundert Fächer, in denen das unermeßliche Diamantkapital verwahrt ist und auf dreieinhalb Millionen Pfund Sterling versichert. Die vier Buchstaben, auf die er das Schloß stellt, da er es absperrt, sind unsichtbar.

 

VI. Und als der Börsensaal sich geleert hatte . . .

Abgelaufen ist die Börsenzeit, der Saal leert sich, im Vorraum wird die neue Nummer des »Diamantblad« gekauft, das die Berichte der südafrikanischen Diamantfelder enthält und den vom Londoner Rohsyndikat festgesetzten Preis von Bort, bei Abnahme von je fünftausend Karat. Ihr versteckt euch hinter dem Pult des Optikerladens, wo Lupen, Karatwaagen, Gewichte, Gummiringe für die Portefeuilles und Pinzetten feilgeboten werden, dort wartet ihr. Aus ihren hundertzwanzig Büros fahren die Diamantaire im Paternosteraufzug herab, auch die Beamten der Inkassobank verlassen das Haus, und endlich verschließen die drei Schlüsselbewahrer den Raum, der Safedirektor, der schmächtige, verabschiedet sich – er muß noch den Lift abstellen. In diesem Augenblick stürzt Bill sich auf ihn, und ihr stoßt den Körper – geknebelt oder getötet, wie du willst, Charlie – in ein Abteil des Aufzuges, der weiterrollt . . .

 

VII. Und am selben Abend . . .

Inzwischen hat die Filmdiva dem Präsidenten und dem Kassier das Geheimnis entlockt und die Schlüssel geraubt, sie klettert von der Straße aus in den Saal, was leicht ist, da er sich im Hochparterre befindet – wie meinen Sie, Herr Generaldirektor, mindestens ins zwölfte Stockwerk muß sie emporgezogen werden? – nein, das geht nicht, das Haus hat bloß vier Stockwerke, und wir wollen ja dem Publikum kein X für ein U vormachen, wir wollen doch demonstrieren, wie sich ein Einbruch in die Amsterdamer Diamantenbörse bewerkstelligen ließe, und das Börsenpalais auf dem Weesper Plein muß als Naturaufnahme gezeigt werden.

Bill, Charlie und die Diva gehen jetzt in den Kellerraum hinab – während der Paternoster mit dem Körper des Safedirektors unaufhaltsam weiterrollt –, sie überwältigen den Wächter, der hinter dem Eisengitter vor der Tresortüre sitzt, Revolver, Hände hoch – bitte, Herr Generaldirektor, Sie wollen keine Verbrechen, der Einbruch in die Diamantenbörse soll ein vornehmer Spielfilm sein und der Wächter ein Komplize?

 

VIII. Und der Wächter war Piet vom Gespenstersteg, der berüchtigte Einbrecher . . .

Einverstanden, der Wächter ist also ein Einbrecher und mit von der Partie, er war es auch, der die Ziffernkombination des überwältigten Safedirektors längst ausgekundschaftet hat, er stammt aus der Altstadt, die ist, besonders am Spooksteg, der Geisterbrücke, das pittoreskeste Verbrecherviertel des Erdballs, ich wollte das eigentlich erst im fünften Akt . . . nein, nein, Herr Generaldirektor, keinesfalls darf dieses Quartier im Atelier aufgebaut werden, diese Wirklichkeit läßt sich nicht übertreffen – gewiß, Ihre Bauten in allen Ehren, aber gerade wegen dieses Spelunkenviertels habe ich ja Amsterdam gewählt und nicht Antwerpen. Warum Antwerpen sonst besser ist? Na, dort sind zwar nicht so unvergleichlich schöne Steine, weil die Amsterdamer Industrie besser ist, der Umsatz von Antwerpen ist jedoch größer, die Löhne der Schleifer brauchen ja nur in belgischen Franken gezahlt zu werden und nicht in teuren holländischen Gulden . . .

 

IX. Happy-End

»Was«, schreit der Generaldirektor, »das sagen Sie mir erst jetzt? Das Wichtigste! Selbstverständlich dreh ich den Film in Antwerpen, wo ich die Spesen in Franken bezahlen kann! Ich brauche Ihr Manuskript nicht, Herr Kisch, ich mache mir den Film allein. Was? Ihre Idee? Auf Sie haben wir gewartet mit Ihrer Idee!! Wenn die Idee nicht in der Luft läge, würde man doch nicht solche Sicherungen in den Safes treffen. Übrigens haben Sie uns einen Film ›Der Einbruch in die Amsterdamer Diamantenbörse‹ vorgeschlagen, und den machen wir nicht. Ich lehne hiermit dankend ab. Wir machen einen Film ›Der Einbruch in die Antwerpener Diamantenbörse‹. Kommen Sie, Herr Charlie!«

 


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