Egon Erwin Kisch
Kriminalistisches Reisebuch
Egon Erwin Kisch

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Österreichische Polizei in Serbien (1917)

Der nachstehende Bericht über den ersten Versuch einer Polizeiausstellung konnte nur infolge einiger Wendungen, die hier nicht einfach weggelassen, sondern in Klammern gesetzt werden, die Kriegszensur passieren.

 

Im Serbischen Pavillon der Wiener Kriegsausstellung stellt die k. u. k. Militärpolizei Belgrad ihr Licht nicht unter den Scheffel, sondern aus. Das war noch nicht da, selbst in Wien nicht, wo die Polizei (eine Zeitlang) nur arbeitet(e), um von sich reden zu machen, um gute Presse zu haben, und nicht begriff, daß die beste Polizei die ist, von der man am wenigsten spricht; wehe der Stadt oder dem Lande, deren Polizei nach täglicher Kritik giert, schlimm stünde es (hätte sie sonst nichts aufzuweisen) mit der k. u. k. Militärpolizei Belgrad, die ihre Rezensionsexemplare vor der Drucklegung, das heißt schon vor dem Friedensschluß, in den Erscheinungsort der hauptstädtischen Tageszeitungen schickt. Ein Kriminalmuseum als öffentlich zu erklären ist – auch wenn die Verbrechermethoden, wie hier die serbischen, keinen modernen Anschauungsunterricht geben – etwas Zweischneidiges: Der Besucher, der nicht gewillt ist, seine Sympathien der Polizei abzuliefern, wird sie ihren Gegnern widmen. Und mancher sieht manches, was an den Wänden und in den Vitrinen nicht zur Schau steht, und diese fehlenden Objekte ziehen seine ganze Aufmerksamkeit an sich.

Das Besondere an der österreichisch-ungarischen Militärpolizei Belgrad ist, daß sie keineswegs anhand klinischen Verbrechermaterials allmächtig geworden ist, daß ihre Entwicklung und Vervollkommnung nicht mit der Entwicklung und Vervollkommnung ihrer Klientel gleichen Schritt halten durfte, daß ihr der wichtigste Behelf aller Polizeien, das »polizeibekannte Individuum«, fehlte und daß sie ihre Arbeit ohne erbeingesessene Spitzel leisten mußte oder wenigstens nicht wußte, welcher Grad von Vertrauenswürdigkeit dem erbeingesessenen Spitzel beizumessen sei.

Plakate kündigen den Einzug wandernder Unternehmungen an. Wir sehen diese Anschläge in einem gebundenen Buche vereinigt – so groß gedruckte Bücher gibt es nicht viele; es sind dreisprachige Kundmachungen, sie fordern zu Ruhe und Ordnung auf und drohen den Tod an, sie verbieten das Waffentragen und drohen den Tod an, sie warnen vor politischer Betätigung und drohen den Tod an, sie raten von Vorschubleistung bei der Flucht von Kriegsgefangenen ab und drohen den Tod an. Nach und nach werden die Plakate ruhiger, ihre Natur wird administrativ, und zu den Bemerkungen über Nichtbefolgung läutet nicht mehr die Armesünderglocke; das allfällige Memento mori versteckt sich in den beiden verschmolzenen Fragezeichen des Paragraphen soundsoviel.

Bereits vor Ankunft der k. u. k. Polizeiverwaltung Belgrad war ein ständiges Unternehmen der gleichen Branche in der Stadt etabliert, seine Firmentafel ist zu sehen: »Kraljska srbska glavna Policija«, und von seinem Fundus instructus ist vieles übernommen worden, denn die Falschmünzerwerkzeuge sind auf Prägung von Silberdinaren eingestellt und durchaus nicht auf das heute in Umlauf befindliche Geld – österreichisch-ungarische Papierkronen.

Der politische Hauptzweck jeder Polizei braucht auf der Kriegsausstellung nicht verschleiert zu werden, und der Laie darf sehen, was als Hochverrat gilt. Vor allem sind natürlich die Begriffe »Großserbische Propaganda« und »Vorbereitung zu Insurrektionen in Österreich-Ungarn« identifiziert und der nationalistische Verband »Narodna odbrana« als der Arrangeur von Thronfolger-Attentat und Weltkrieg. Damit ist freilich auch die Mitwirkung des serbischen Generalstabs inkludiert, denn in dessen Druckerei wurde ein Teil des Agitationsmaterials lithographiert. Die Sammelbüchse aus dem Vereinslokal der »Narodna odbrana« in der Resavskagasse ist ausgestellt, (–) als Corpus delicti, und ein Exemplar der in Syrmien verbreiteten Trinkfläschchen, der sogenannten »Cutoras«, mit großserbischer Aufschrift. Auf der Herme des Kronprinzen Alexander, die aus der Freimaurerloge »Probratrim« hierhergebracht wurde, steht seine Devise: »Wer leben will, soll sterben, wer sterben will, soll leben.«

Von Major Voja Tankosić, der beschuldigt wurde, den Sarajevoer Attentätern Prinzip und Gabrilović das Bombenwerfen beigebracht zu haben, hängt ein Säbel da. Major Tankosić ist tot. Hätte ihn Serbien vor drei Jahren ausgeliefert, vielleicht lebte er noch und viele andere auch, und es wäre keine Kriegsausstellung in Wien, in der sein Säbel hängt, der allerdings kein (überzeugendes) Beweisstück dafür ist, daß das folgenschwerste Verbrechen aller Zeiten auf Grund seiner Instruktionen verübt worden ist.

Eine Flugschrift, von den Anhängern der Obrenović nach dem Mord an König Alexander (1903) verbreitet, liegt, auf dem Tisch. Es ist ein politisches Testament, und Fürst Alexander Karageorgiëvić, der die Palastrevolution gegen den regierenden Fürsten Michael Obrenović und dessen Ermordung im Cosutujaker Wildpark angezettelt hat, soll es an seinen Sohn, den gegenwärtigen König Peter, gerichtet haben: »Viel Geld opferte ich, um mit dem Sträfling Nenadanović und mit meinem Diener die Verschwörung zu organisieren.« Und er gibt dem Sohn väterliche Ratschläge: »Mit Verschwörungen und mit Mord kann man alles erreichen.« Sein Sohn hat wirklich alles so erreicht, der Enkel des einst Ermordeten wurde ermordet, Prinz Peter wurde König von Serbien und wäre, wenn das Attentat auf den österreichischen Thronfolger und die russische Intervention zum Verfall Österreichs geführt hätten, auch Herrscher über das Großserbische Reich mit Kroatien und Slawonien geworden. Daß es anders kam und er fern von Belgrad als befreundeter Souverän in Paris leben muß, widerlegt noch lange nicht die machiavellistische Weisheit des väterlichen Testaments, mit Verschwörung und mit Mord sei alles zu erreichen.

Eine Mappe aus Holz, Leder und Kupferbeschlag, in Buchform ausgestattet, hat die Größe von anderthalb Metern im Geviert, sie enthält die Lebensgeschichte des k. u. k. Militärkommandos Belgrad und die Tätigkeitsgebiete seiner Departements: Meldewesen, Fischereiwesen, Polizeihundestation, Vorschriften für Kündigungen, Lizitationen, Handel und Gewerbe, Organisation der Feuerwehr, Abdeckerei und Redaktion des »Belgrader Tagblatt«, Maßnahmen gegen Bettelwesen, Strafvollzug und Schub, polizeiärztlichen Dienst und vor allem Sittenkontrolle – Photographien von Prostituierten, von solchen, die bodenständig sind, und solchen, die der Etappe folgen –, sicherlich fehlen die vielen, die unter der Obhut ritterlicher Beschützer sozusagen exterritorial wirken.

Und dann, merkwürdig, merkwürdig, Beweise einer Räuberromantik, die also existiert; in deutschen Landen hat es derlei im siebzehnten, achtzehnten Jahrhundert gegeben, wir wußten immer, daß es das auf dem Balkan noch heutzutage gibt, aber hier müssen wir es auch glauben. Rinaldo Rinaldinis Räuberhöhle ist photographiert, Fra Diavolos Dolche und die Pistolen von Lips Tullian drapieren die Wand, und auf plastischem Tisch, voll von Hügeln, Tälern, Terraineinschnitten, Hütten, Gärten und Wäldern, kann jedermann den Streifzug verfolgen, den Karl May mit seinen Getreuen in den Schluchten des Balkans zur Aushebung des Schut unternahm, statt des Wortes »Räuber« steht »Komitatschi« auf den Objekten, und zwar zum Zwecke der Begriffsverwirrung. Bald werden die Komitatschi, die Mitglieder des Komitees zur Landesverteidigung, als Freischärler angesehen, demnach als Patrioten, bald als Meuchelmörder, in den serbischen Armeebefehlen waren sie bezeichnet als Exekutivgewalt der Militärbehörden, als Hüter der Marschordnung, hier auf der Ausstellung präsentiert man gemeine Verbrecher mit den Namen Komitatschi. Sie haben keine Uniform, kein Abzeichen und keine einheitliche Organisation – wenigstens ist nicht einmal eine Sammelbüchse oder eine Drucksorte jenes Komitees, nach dem sie Komitas heißen, auf der Polizeiausstellung, ihr gemeinsames Merkmal scheint Hemmungslosigkeit zu sein, wilde Hingabe und eine Genügsamkeit, die ihresgleichen unter Menschen nicht hat, und eine triebhafte Ausnützung romantischer Schluchten und Höhlen. Die serbische Armee war längst nach Albanien abgedrängt, aber die k. u. k. Feldgendarmen hatten noch einen Guerillakrieg auszukämpfen. Das Kosowo polje, das Amselfeld, war die Operationsbasis der Komitatschibanden. Dieses zerklüftete Gebirgsmassiv bot ihnen Schlupfwinkel, nach denen das Landjägerkorps tagelang fahnden und sie dann wochenlang belagern mußte, bevor man der Räuber habhaft werden konnte – denn solche müssen es gewesen sein, wäre sonst ihr Tableau auf der Polizeiausstellung?

Vor den Photographien des Komitatschinestes im Ripanjer Tunnel soll man Respekt für die Ausfindung und Aushebung bekommen, aber man bekommt (auch) Respekt vor den Männern, die sich dort verschanzten. Zwei Meter breit, fünf Meter lang und drei Meter hoch war die Lisavicaer Höhle, Waffen waren darin, Munition für jahrelange Kämpfe, Proviant und eine Bibliothek, eine gute Bibliothek mit serbischen und französischen Büchern und Goethes »Faust« in deutscher Sprache. – Ein Feldzug nach allen Regeln der Strategie war es, den die k. k. Streifkorpsabteilung 13/II gegen Mojmir-Kristian an der montenegrinischen Grenze zu führen hatte, wir haben das Panorama dieser beispiellosen Razzia an einem Terrainmodell vor uns, und die k. k. Straifuni erhielten ihre Weisungen und nachher ihre Orden, aber die Widerständler hatten keine Verbindung mit dem Armeekorps Serbiens, ihnen winkten keine Orden und Avancements, und doch kämpften sie.

Historische Waffen dominieren auf der ganzen Kriegsausstellung, barocke und goldene, skulptierte und gegossene, kein Zeughaus jedoch und keine fürstliche Rüstkammer hatte so zweckhaft ursprüngliches Material herzuleihen wie das, das die Seitenwände des serbischen Pavillons tapeziert, Räuberwaffen, schießende Stöcke, verkürzte Mausergewehre, kaschierte Stutzen, adaptierte Karabiner, selbstfabrizierte Flinten, unförmige Riesenrevolver, altertümliche Pistolen mit Perlmuttereinlage und mit Patronen voll gehacktem Blei. Auf weißen Kartonblättchen ist aufgeschrieben, wem diese Dinge gehörten, dem Raubmörder Ljuba Fedorović oder dem Häuptling der Komitas Duschan Milosavljević aus Groschnica. Oder dem Radovan Perović aus Sabojnica, welcher der Schrecken des Slepaker Bezirks gewesen, erst Dezember 1916, nach mehr als einem Jahr der Okkupation, konnte man sich seiner bemächtigen, Groschnicaer Feldgendarmerie umzingelte sein Haus, noch gab sich Perović nicht gefangen, er feuerte aus seinem Mannlicher gegen die Belagerer so lange, bis er selbst durchlöchert war.

Man schaut auf die Waffen, die echt sind, und auf die Modelle des Terrains, die wirklich wirken. Die Waffen sind auf der Ausstellung, und die Schluchten sind ausgeräuchert, und es leben darin keine Räuber und keine Komitatschi mehr. Aber was lebt denn noch auf diesem Gebiet? Ist doch auch das unromantische und ehrliche Element verwüstet und verschreckt und vertrieben. Die von der Polizei geschaffene Ruhe und Ordnung ist keine Ruhe und Ordnung, die man wünschen kann, und so leicht für eine Polizeiausstellung gute Kritiken zu haben sind, so starken Zulauf ihr der Sensationshunger verschafft, man sollte dennoch keine Polizeiausstellung veranstalten, weil unter den Massen der Besucher auch nachdenkliche sein könnten, denen einfällt, daß (selbst) die (beste) Polizei nichts als die Symptome ausrottet und daß ihre Erfolge teuer bezahlt sind.

 


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