Egon Erwin Kisch
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Egon Erwin Kisch

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Bei den Diamantenschleifern von Antwerpen und Amsterdam

Kaufen Sie das nicht, Mijnheer Booleman, kaufen Sie das ja nicht, was Ihnen der Makler vorlegt! Sind das Kristalle? Glänzt das wie Diamanten?

»Rohdiamanten glänzen niemals sehr.«

Mijnheer Booleman, Mijnheer Booleman, es ist nicht alles Diamant, was nicht glänzt!

»Sicherlich, aber es ist auch nicht alles kein Diamant, was nicht glänzt.«

Mijnheer Booleman, haben Sie noch nie gehört, daß man Außenseitern der Branche, um sie zu blamieren, kleine Stückchen Kandiszucker als Diamanten in Kommission gibt? Man will Sie foppen, Mijnheer, das ist Kandiszucker.

»Glauben Sie? Und wie raffiniert die Verpackung gewählt ist, nicht wahr? Weißer Kandiszucker nimmt sich in gelbem Faltpapier, gelblicher Kandiszucker in weißem Faltpapier besser aus. Wollen wir mal die Stücke auf den Tisch schütten.«

Nun, was habe ich gesagt, Mijnheer Booleman. Jetzt sieht ein Blinder, daß es Kandiszucker ist . . . Nanu? Wozu legen Sie das Zeug auf die Waage? Wozu füllen Sie einen Scheck aus? Sie geben dem Herrn zweihundert Pfund? Ja, wenn Sie ihm zweihundert Pfund geben, glaube ich, daß es echte Diamanten sind. Aber sagen Sie, woran erkennen Sie das?

»Der Herr bezieht die Steine vom Londoner Rough-Diamond-Syndicate, und das Diamond-Syndicate liefert keine falschen Diamanten.«

Und wenn jemand dem Diamond-Syndicate falsche Steine angehängt hat?

»Wissen Sie, was das Diamond-Syndicate ist? Das sind die Nachfolger von Barnato Bros., und die verstehen ihr Geschäft noch besser als die Barnatos selbst.«

Das Geschäft der Brüder Barnato war es ursprünglich nicht, Rohdiamanten aus Transvaal nach Antwerpen und Amsterdam zu liefern. Von Haus aus waren die Brüder Barnato humoristische Parterre-Akrobaten. Als solche gastierten sie Anfang der siebziger Jahre in der Johannesburger Gegend und kauften von einem betrunkenen Digger eine Handvoll roher Diamanten.

Besorgt – hat man uns nicht angeschmiert? – segelten sie englandwärts und musterten in ihrer Kabine oft die matten Splitterchen. Wenn wir sie nicht verkaufen können, beschlossen sie, nähen wir sie auf den Kragen unserer Kostüme, wo sie funkeln und uns gleichzeitig an unsere Dummheit gemahnen werden.

Nun, sie konnten sie verkaufen, und der Erlös war so, daß Harry Barnato vor Freude einen Handstand machte, welches der letzte Handstand seines an Handständen überreichen Berufes war. Sein Bruder Barney, der Obermann, schlug vor Freude einen Salto mortale, welcher aber nicht der letzte, sondern nur der vorletzte Salto mortale seines Lebens sein sollte.

Die Brothers warfen sich mit beiden Händen auf rohe Diamanten, ohne Angst, daß sie ihnen am Halse bleiben könnten. Wie einst mit Schwergewichten, hantierten sie jetzt mit Karaten, dem geheimnisvollen Gewicht, das einerseits gleich zwei Zehntel Gramm ist und andererseits gleich zehn Pfund sein kann, zehn Pfund Sterling nämlich. Im alten Byzanz wurden Edelsteine mit den Kernen von Johannisbrot (keration) gewogen, und davon stammt das Wort Karat, was die Brüder Barnato sicherlich auch dann nicht wußten, nachdem sie ihr humoristisches Artistentum über ihrer seriösen Tätigkeit als Monopolkapitalisten vergessen hatten.

Lord Cecil Rhodes und Mijnheer de Beers waren ihre Mitherrscher auf dem Diamantenmarkt, kein Nigger und kein Digger fand im Blauen Grund von Kimberley, in den Minen von Bultfontain, Dutoitspan, Wesselton oder Jagersfontain einen Diamanten, an dem diese vier Männer nicht bald ihren Schnitt gemacht hätten. Und Barney Barnato war es, der autoritär das kostbarste Material der Erde den Diamantenhändlern zumaß. Jeder Diamantenhändler schaute neidvoll zu ihm auf und hätte auf die Frage, mit wem auf der Welt er am liebsten tauschen möchte, ohne Bedenken geantwortet: mit Barney Barnato.

Nach dem 12. Juni 1897 allerdings . . . An diesem Tage sprang Barney Barnato bei Madeira vom Bord eines Schiffes, und das war sein letzter Salto mortale, zu deutsch Todessprung. Seine Leiche wurde nie gefunden, Barnato Bros. sind jetzt eine anonyme Gesellschaft, das Diamond-Syndicate, das Kandiszucker verschickt und für ihn Diamantenpreise erzielt.

 

Der Diamant hat in Oktaederform zu kristallisieren, aber er schert sich den Teufel darum. Warte, mein Bürschchen, wir werden dir das schon beibringen, und wenn du noch so starrköpfig (10. Härtegrad) bist! Wir packen dich in weißes und gelbes Faltpapier und schicken dich nach Amsterdam oder nach Antwerpen, dort wirst du deine Un-Scheinbarkeit bald los sein. Nachher kann dich kein Esel mehr für Kandiszucker halten, du wirst sogar dem bewundernd-mißtrauischen Blick der Damen standhalten können, wenn du, ein vollendetes Produkt von Mineralogie und Industrie, auf dem Busen der Rivalin prangst als Orden für geleistete Liebesdienste oder als Preis für die Verzeihung des Fehltrittes, den der Ehegatte beging. (»Pietra della riconciliazione«, Stein der Versöhnung, so nannten dich die Dichter der Renaissance.)

Für diese wichtigen Funktionen muß deine Oberfläche geschliffen werden, jedes Quadratmillimeterchen deiner Oberfläche zu je einem Spiegel. Wer aber kann dir zuleibe, du hartnäckigster aller Naturburschen? Zuleibe kann dir nur deinesgleichen.

Deinesgleichen ist der proletarische Diamant, wenngleich er nicht als deinesgleichen anerkannt wird. Er ist so stark, so hart, so spezifisch gewichtig wie der Diamant der herrschenden Klasse, aber dunkel und ungeschlacht blendet er nicht und eignet sich keineswegs zum Ornament für lebendige Frauenbüsten. Deshalb steht er nicht hoch im Preis, der brasilianische Carbon oder der südafrikanische Boort, und muß schwer arbeiten: nach Öl bohren, harte Stahlsorten für Motoren schleifen, Metalldrähte verdünnen, Glas schneiden, Kupfer gravieren und Marmor zersägen. Vor allem aber dient er dazu, den Glanz seiner heller dreinschauenden Brüder noch zu erhöhen.

Mit einem solchen billigen Industriediamanten wird der rohe Luxusdiamant zum Zwecke der Spaltung gekerbt, der Industriediamant muß unausgesetzt rotieren, der Luxusdiamant preßt sich gegen ihn, um ein handelsrechter Brillant zu werden, in welchem jeder auffallende Lichtstrahl das auffallen läßt, was aufzufallen bestimmt ist.

Auch der kleinste Diamant, mag er nur ein Sechzigstel Karat wiegen, wird in die Form zweier Kegel mit gemeinsamer Basis gesägt, von denen der obere zu einem Kegelstumpf abgeplattet wird, der untere ein Kegel bleibt und als solcher einen Scheitelpunkt, die »Colette«, hat.

Sollte ein Punktualist mit einer ins Auge geklemmten Lupe beweisen wollen, daß diese Spitze in mathematischem Sinn keine Spitze, sondern eine, wenngleich nur winzige Fläche, und infolgedessen auch dieser Kegel kein Kegel, sondern ein Kegelstumpf sei – so lassen wir uns auf solche Spitzfindigkeiten nicht ein. Gewiß, selbst die Bezeichnungen »Kegel« und »Kegelstumpf«, deren wir uns bedienten, sind theoretisch anfechtbar: die Basis der beiden Hälften ist kein Kreis, sie ist ein Vieleck, und demnach wären die Ausdrücke »Pyramide« und »Pyramidenstumpf« prägnanter. Aber wer die dialektische Entwicklung aus Gegensätzen versteht, wird uns wegen dieser Ungenauigkeit nicht schelten. Je mehr Ecken eine regelmäßige Fläche hat, desto weniger eckig und desto runder ist sie, und ein kubikmillimetergroßes Körperchen, von dessen Basis zweiunddreißig Kanten zum Scheitelpunkt laufen, verdient sicherlich eher den Titel eines Kegels als den einer Pyramide, der an die einem Brillanten in nichts ähnlichen Pyramiden von Cheops erinnert. Genug davon!

Achtundfünfzigmal läßt sich der Diamant abflachen, bevor er ein Brillant wird, dem oberen Kegelstumpf (für Gründliche: Pyramidenstumpf) sind dreiunddreißig Facetten zugedacht, auf die untere Hälfte bekommt er fünfundzwanzig aufgezählt. Neigungen der Kanten zueinander sind auf ein hundertstel Grad berechnet, so daß jeder Lichtstrahl sechs- bis achtmal zurückgeworfen werden kann.

 

Diese waag-, lot- und winkelrechte Verbesserung der natürlichen Kristallisation wird in den Diamantenschleifereien von Amsterdam und Antwerpen besorgt und in den Heimwerkstätten Ostflanderns um Antwerpen herum. Auch in den Tagen der Geschäftsblüte erhielten die belgischen Diamantenschleifer ihren Lohn weder in englischen Pfunden, mit denen man die Rohware kauft, noch in holländischen Gulden, für die man die Fertigware verkauft, sondern in belgischen Francs.

Zur Zeit (1934) gehen neun belgische Francs auf eine deutsche Mark, aber zur Zeit bekommen zwei Drittel der Diamantenarbeiter ihren Lohn nicht einmal in belgischer Währung, denn sie sind arbeitslos. 12 375 Mitglieder zählt ihre Gewerkschaft, der »Algemeene Diamantbewerkersbond van Belgie«, und nur 4415 haben Arbeit. Jenseits der Grenze, in Amsterdam, ist es noch schlimmer, dort sind in den letzten Jahren sechstausend Arbeiter aus der Diamantenindustrie abgewandert, und von den übriggebliebenen viertausend steht kaum ein Viertel in Lohn und Brot.

In Groß-Antwerpen sind nahezu achttausend Diamantenarbeiter erwerbslos, viertausend beziehen eine Tagesunterstützung von 13,50 Francs und je Kind 3 Francs; fast viertausend sind gänzlich ausgesteuert. Die Arbeitslosenunterstützung ist also für alle gleich niedrig, so hoch auch die Lohnunterschiede früher gewesen sein mochten.

Die Diamantbewerkers sind in sechs Kategorien gespalten, zersägt, zerrieben, verstellt oder geschliffen (je nachdem). Am besten bezahlt ist (oder war) der Kliever, er, der den ersten Arbeitsgang ausführt. An einem plumpen Stückchen Stein erkennt er, wie es wuchs, und unter seinem diagnostischen Blick stellt sich heraus, daß dieses Mineral aus zwei oder drei kristallförmigen Kristallen besteht. Er spaltet, indem er in der Richtung der Faser einen sicheren Hieb führt.

Was der Diamant an Abweichungen aufweist, alles, was den Thesen der Kristallographie zuwiderläuft, erbarmungslos wird es abgesägt. Die unerwünschten Auswüchse werden mit Tusche bezeichnet, und der Versteller mauert den Stein dergestalt in eine Kapsel ein, daß die angestrichene unbotmäßige Fläche freiliegt.

Nun tritt die Säge in Aktion, eine sich senkrecht drehende, haarscharfe Scheibe aus höchst poröser Phosphorbronze, die Unmengen von Diamantstaub aufsaugt, bis sie sozusagen zu einer diamantenen Scheibe wird. Mit viertausendfünfhundert Umdrehungen pro Minute bemüht sich die Säge, in den Diamanten einzudringen. Ist eine seiner zukünftigen Grundflächen glatt geworden, löst ihn der Versteller aus dem Zement und legt die nächste Seite für die Säge frei. Das Kristallchen wehrt sich mit jungfräulicher Keuschheit gegen seine Vergewaltigung, es verbirgt schamhaft seinen natürlichen Wuchs, auf den gerade es dem Säger ankommt, er wirbt und wetzt oft tagelang.

Man kann es ihm nicht übelnehmen, wenn er von der Arbeit des Kollegen, des Reibers, dem er den Stein weitergibt, mit Neid oder Geringschätzung sagt: »Wenn man reibt, geht es immer.« In der Tat, der Reiber (Débrutisseur) kümmert sich nicht um die Maserung des Steins, er stemmt den werdenden Brillanten gegen den maschinell kreisenden Industriediamanten.

Teurer Staub saust beim Sägen und beim Rohschliff durch die Luft, er geht nicht verloren und auch sein Kurswert nicht. In der Inflation, als Devisen und Effekten zergingen, erhob sich aus dem Staub der Diamanten die größte Diamantenschleiferei von Antwerpen – die Gewerkschaft, der nach alter Tradition viele Beiträge in Boortstaub gezahlt werden, wurde die Eigentümerin dieser Schleiferei »De Daad« und betrieb sie als Kooperative. Heute sind die sechshundert Werkbänke der Gewerkschaftsschleiferei an Unternehmer vermietet, und von der Miete und dem Diamantenstaub wird der »Zonnestraal« erhalten, der Fonds für die durch Diamantenstaub lungenkrank gewordenen Gewerkschaftsmitglieder.

Jedoch wir haben den Diamanten verlassen, bevor er geschliffen ist. Kehren wir zu ihm zurück. Der Schleifersaal scheint ein Durchgangskorridor zu sein, keinen Menschen und kein Werkzeug bemerken wir, nur Motore rattern, und längs der vielen hohen Fenster verläuft eine Art spanischer Wand. Offen und verlassen steht in der leeren Halle ein kleiner Holzkasten auf Rädern, man sieht ihm nicht an, daß er bald mit noblen Passagieren von dannen fahren wird: Nach Feierabend deponiert jeder Schleifer ein versiegeltes Säckchen mit seinem Arbeitsprodukt im Karren, und dieser rollt dann ins unterirdische Panzergewölbe.

Dort, unmittelbar neben dem Safe, glüht der Aschenofen. Mit dem tagsüber in den Werkstätten zusammengefegten Mist wird er geheizt, bei 1200 Grad verbrennt alles, mit Ausnahme von Diamanten (die würden erst bei 1800 Grad verkohlen). Versprengte Splitter bleiben auf dem asbestenen Rost des Ofens und blinzeln.

Wo aber sind die Schleifer? In jenem vermeintlichen Durchgangskorridor hinter der vermeintlichen spanischen Wand sitzen sie in langer Reihe, die spanische Wand ist die Rückseite der Schleifmühlen, das Tageslicht fällt durch die hohen Fenster geradewegs auf das Werkzeug. Die rohen Diamanten, die gezählt und gewogen jedem Schleifer zugewiesen sind und nach vollendeter Arbeit bald in seidengefüttertem Samtetui ruhen werden, liegen jetzt in einer schäbigen Zigarettenschachtel, und der eben im Schliff begriffene, im »Dopf« eingekittete Diamant wird von einer Zange an die Drehscheibe gehalten, deren Postament aus Spielkarten besteht. Durch Wegnehmen oder Einschieben eines Kartenblattes erzielt der Antwerpener Schleifer von altersher die genaue Horizontale.

Horizontal lagert der Stein auf der horizontalen Scheibe. Sie sieht unbewegt aus. Und sie bewegt sich doch, der Schleifer beweist es uns, indem er Wasser auf sie spritzt, die Tropfen haben keine Gelegenheit, sich festzusetzen, so schnell saust der Boden unter ihnen davon, sie springen umher, wie Barfüßler auf glühenden Rosten, und retten sich schließlich auf die Werkbank.

Zweitausendzweihundert Umdrehungen macht die Scheibe minütlich, Diamantenpulver, mit Öl vermengt, ist über sie geschmiert, und so vermag sie, obgleich nur aus Stahl, das Mineral des zehnten Härtegrades zu beeinflussen. Sie tut es mit der Ausdauer des Märchenvogels, der an einem Diamantberg so lange seinen Schnabel wetzt, bis der ganze Berg verschwunden und eine Sekunde der Ewigkeit vorbei ist.

»La taille« heißt der Schliff auf französisch, aber wer dementsprechend den Schleifer als »Tailleur« ansprechen würde, handelte falsch. Der Schleifer ist kein Herrenschneider, sondern ein »Polisseur«. Er läßt die Scheibe sausen, er drückt den Stein gegen sie, der Puder fällt, ein Quadrat entsteht und rings um das Quadrat vier Quadrate, sie bilden ein Kreuz, die beiden Pyramiden des Steins sind achteckig geworden.

Nach der Achtkantarbeit hat der Stein endlich seine Ähnlichkeit mit einem Stück Kandiszucker verloren, wenn er auch noch nicht wie ein Diamant aussieht, höchstens wie ein gläserner Stein auf dem Ring aus Talmi-Gold. Man muß von dem teuersten Material der Erde noch etwas wegnehmen, oft achtundvierzig Prozent, Kunst heißt weglassen. Jede Ecke der Quadrate wird zu einem winzigen Dreieck abgeflacht, und die Mühle, das versteht sich, dreht sich, dreht sich, dreht sich, dreht sich so lange, bis man dem Stein eine neue Panzerung gibt, aus der ein anderes Achtel hervorlugt, aufnahmebereit für Sternchen und Hälbchen.

So. Jetzt hat er den letzten Schliff, jetzt ist er so eckig, daß er beinahe rund ist. Nur gereinigt muß er noch werden. In einem gläsernen Schrank wird er kochender Schwefelsäure und Salpetersäure ausgesetzt und ihren giftigen, aber säubernden Dämpfen. Abgespült gleicht er keineswegs mehr einem Stück Kandiszucker und erst recht nicht mehr dem Glasstein auf dem Talmiring, er ist ein Brillant, blitzend, farbensprühend und teuer, teuer.

Diese Bearbeitungsmethoden soll ein Mann namens Lodewijk van Bercken vor fünfhundert Jahren in Brügge erfunden und die ersten Brillanten im heutigen Schliff auf den Markt gebracht haben. Überlebensgroß und aus Bronze sitzt Lodewijk van Bercken in Antwerpen auf der Place de Meir und zierlich auf marmornem Postament im Direktionssaal des Diamantklubs, er ist im Gewand des Rattenfängers von Hameln dargestellt, als wunderschöner Jüngling, wie überall die Helden, die historisch nicht beglaubigt sind und bei denen sich die Maler und Bildhauer also nicht nach authentischen Porträts richten müssen.

Von den Händlern in der Antwerpener Pelikanstraat ist gewiß keiner ein Nachkomme des Lodewijk van Bercken. Sie sind nicht so bildschön wie er, sie sprechen rumänisch, deutsch, ungarisch, polnisch und vor allem jiddisch und fuchteln mit ihren Partien von Diamanten herum, daß man sich wundert, wieso das Straßenpflaster nicht edelsteinbesät daliegt.

In Amsterdam besteht auch die Arbeiterschaft der Diamantenschleifereien zum größten Teil aus Juden, die Schleifereien halten sonnabends Sabbatruhe. Den Juwelenhandel haben die von der Pyrenäenhalbinsel vertriebenen Juden nach den Vereinigten Niederlanden mitgebracht; dank ihrer Sprachkenntnis und ihren Beziehungen zum Orient sicherten sie sich vom König von Portugal das Monopol auf die in Brasilien gefundenen Edelsteine und verkauften die geschliffenen Steine an die Sultane und Scheichs und Maharadschas. Auf die Manipulation des Steins stürzten sich die ärmeren jüdischen Emigranten, weil ihnen der Eintritt in die anderen Handwerke durch strenge Zunftgesetze verschlossen war.

War Konjunktur, brachten die Diamanten Riesengewinne, an denen freilich die Nigger und Digger, die in der Tropenglut kilometerweit nach einem Steinchen fahndeten, nicht teilhatten. Die Arbeiter an den Schleifmühlen von Amsterdam und Antwerpen verdienten, wenn die Kunden drängten, weit besser, aber kaum war das Gros der Aufträge ausgeführt, wurden die Belegschaften rücksichtslos ausgesperrt oder auf Hungerlohn gesetzt. Ja, die Antwerpener Händler richteten, um die gewerkschaftlichen Tarife nicht bewilligen zu müssen, in ostflandrischen Bauernhäusern das Schleifen als Heimindustrie ein, wodurch der Qualität und dem Ruf der Antwerpener Juwelenindustrie auf Jahre hinaus Abbruch geschah.

Reich wurden die Händler von der Tulpstraat in Amsterdam, der Pelikanstraat in Antwerpen, der Rue Lafayette in Paris und von Hatton Garden in London, sehr reich wurden die Juweliere der Fürstenhöfe und der Großstädte. So dauerhafte Millionenvermögen wie die Machthaber des Londoner Syndicates vermochten sie sich allerdings nicht zu schaffen, das Syndicate hat auch in der Krisenzeit seine Monopolstellung nicht eingebüßt und steckt nach wie vor fette Dividenden ein.

Denn noch trägt eine Welt die Bodenschätze als wertbeständige Valuta protzig an den Fingern und gibt sich nicht dem Gedanken hin, daß es dort, wo es blitzt, auch einmal einschlagen muß.

 


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