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Aus dem Tagebuch eines Componisten.

Skizze von

Johanna Kinkel.

Als ich in H. den Contrapunkt studirte, hatte ich mir eine recht ruhige Wohnung nahe beim Konservatorium ausgesucht und mich vorher wohl erkundigt ob nirgendwo im Umkreis der Nachbarschaft musizirt würde. Alles fand sich nach Wunsch; die Hausleute waren völlig unmusikalisch, und die Räume über mir wurden von einer bejahrten Wittwe bewohnt, die nur in Filzpantoffeln durch die Stube ging.

Den ersten Monat hindurch war ich mit dem Studium der Intervallen- und Akkordenlehre beschäftigt. Ich ent- und bezifferte Bässe, hatte also vollauf am Schreibtisch zuthun, und spielte seltner als sonst. Die Wittwe im obern Stockwerk war entzückt über die stille Hausgenossenschaft und lobte mich als das Ideal eines Miethers beim Wirth. Gegen den April hin, als die Fenster nach dem sonnigen Garten zu geöffnet wurden, entdeckte ich in einem ziemlich entfernten Hintergebäude, das von einer andern Straße her an mein Gärtchen stieß, einen neu eingezogenen Violinspieler, der allerlei Capriolen auf seinem Instrument machte. Es drangen bei verschlossenen Fenstern zwar nur selten die höchsten Töne zu mir herüber, dennoch waren auch diese meinem sehr empfindlichen Gehör schon lästig. Ich kann mich ohnehin beim Anhören einer schlecht gespielten Violine nie der Einbildung erwehren, als klage aus ihren Tönen der Geist derjenigen Katze, welche ihre Gedärme zur Verfertigung der e-Saite hergeben mußte, um den Menschen durch ihren Opfertod ein Vergnügen zu machen.

Ich überlegte daß, wenn ich mir auch die Unbequemlichkeit auferlegen wollte, den Sommer das Fenster nach dem Garten hin stets geschlossen zu erhalten, doch schwerlich mein Vis-à-vis das nämliche streng beobachten werde. Es galt also, wer von uns beiden den Andern todt musizire. Hier war ich offenbar im Vortheil: ich ließ meinen Flügel dicht an's Fenster rücken, und sobald der Violinist nur den Bogen ansetzte, öffnete ich den obern Deckel, hob die Dämpfung auf, und spielte mit der äußersten Kraft aus einer andern Tonart. Durch diese volle Harmonie konnte er mit seiner Einzelmelodie nicht hindurch, so sehr er sich bestrebte mich wieder zu ärgern.

Er schrieb mir endlich einen höflichen Brief, und trug mir an: ob wir nicht Cartel schließen und wechselseitig eine Zeit festsetzen sollten, wo keiner den andern in seinen Kunstübungen stören dürfe. Ich sah, daß ich mit einem verständigen Manne zu thun hatte, ging also zu ihm hinüber, und setzte ihm auseinander: daß eine noch so entfernte Musik mich bei meinen Studien, wenn ich noch nicht vorhandene Töne denkend erfinden müsse, bei weitem mehr störe als während des Spielens, wo ich ihr mit wirklichen Tönen begegnen könne. Ich schilderte ihm meine Qual: wie ich oft zehnmal die Feder angesetzt hatte, und wie mir, wenn ich mich nach der vorigen Störung kaum wieder gesammelt hatte, jedesmal sein Violinbogen gleich der Parzenscheere meinen Gedanken durchschnitt.

Der Violinist begriff daß zwei Musiker, wofern sie nicht miteinander das selbe Stück spielen, in Einem Bereich eine Unmöglichkeit sind, und da er nur auf Monate gemiethet hatte, so zog er mir zum Gefallen in ein anderes Quartier.

Leider hatte unterdessen mein unaufhörliches, wahrhaft fanatisches Clavierspielen, mit dem ich den Krieg gegen den Violinisten geführt hatte, der guten Wittwe über mir so sehr ihr nervöses Kopfleiden gesteigert, daß auch sie meinen Hausleuten die Wohnung gekündigt hatte, und nach Ablauf des Quartals die Zimmer leer ließ. Verschiedne Leute welche dieß Quartier in Augenschein nahmen, während ich zufällig jedesmal unten stark spielte, erklärten dem Wirth: daß es ihnen zwar sehr gefiele, aber daß sie nicht gerne mit einem Musiker zusammen wohnten; wenn man auch die Musik liebe, so sei es doch langweilig den ganzen Tag Etüden zu hören, denn es werde einem dadurch zuletzt alle Musik verleidet.

Endlich kam ein junger Lieutenant; dieser fand die Stuben ganz magnifique, die Aussicht superbe und das Dienstmädchen charmant. Er maß die eine Wand ab, um zu prüfen, ob er wohl seinen Flügel daran stellen könne. Die Vermietherin war ehrlich genug ihn zu fragen, ob es ihn denn nicht genire, daß unter seinem Zimmer schon Clavier gespielt werde: man höre es fast eben so gut durch den Plafond als wenn man in derselben Stube wäre. Der Lieutenant erwiederte lachend: das thäte ihm gar nichts, im Gegentheil, solche tolle Musik durcheinander werde ihm und seinen Kameraden unendlichen Spaß machen.

Als mir diese Aeußerung hinterbracht wurde, sank mir das Herz, denn gegen so unempfindliche Ohren waren meine Waffen stumpf. Doch was sollte ich machen? Einen Wohnungswechsel ließen meine Finanzen nicht zu, da ich für die ganze Zeit meines Aufenthaltes voraus gemiethet hatte, und in jedem neuen Quartier konnte mir ja ein ähnliches Mißgeschick begegnen. Auch standen mir die Mittel Spontini's nicht zu Gebot, der bekanntlich seinen Hausgenossinnen eine freie Loge im Theater unter der Bedingung verschaffte, daß sie nie Clavier spielen durften wenn er zu Hause war.

Zuerst versuchte ich's mit der Geduld. Ich strebte mich zur allervollkommensten Abstraktion des Geistes zu zwingen. Ich wollte nichts hören als meine innere Tonwelt und überredete meine Sinne: das Clavierspiel des Lieutenants sei ein bloßes Geräusch und habe nichts mit Musik zu schaffen. Dieser Erziehungsversuch meiner selbst mißlang nicht allein trotz meinem besten Willen, sondern die Nervenanstrengung zerstörte fast meinen Organismus.

Ich sann mir nun einen zweckmäßigern Stundenplan aus. Früh Morgens wenn der Lieutenant in den Federn seine Heldenthaten von der gestrigen Theevisite ausschlief, bestrebte ich mich meine schriftlichen Generalbaß-Aufgaben abzuthun. Leider gelang es mir nie damit fertig zu werden, ehe der Lieutenant auf war, und: »vor Romeo's Rächerarme« oder: »Erzittre Byzanz!« anstimmte. Alle freie Zeit brachte er am Clavier zu, und damals noch hatte ein Lieutenant unendlich viel Mußestunden – das weiß Gott! Er spielte stundenlang Galoppaden, Polka's und dergleichen, alles mit aufgehobnem Pedal, chromatische Tonleitern im Baß nicht ausgenommen, horribile dictu!

Ich beschloß den Kampf auf Leben und Tod!

Sobald er nur auf's Clavier tippte, saß auch ich an dem meinigen, und da dieß einen zwiefach stärkern Ton hatte als sein's, so konnte ich ihn immerhin sehr ennuyiren. Ich griff mit beiden Händen vielstimmige Akkorde und tremulirte dazu im tiefsten Baß. Dagegen konnte er sich nur mit verdoppeltem Draufschlagen helfen, und zweimal wöchentlich mußte der Stimmer bei ihm neue Saiten aufziehen. Dennoch litt ich mehr als Er. Ich konnte ihn nur mit einer Musik übertäuben, die der seinen ähnlich war, und eine solche anzuhören war mir just die ärgste Marter. In meinen bescheidnen Lieblingsstücken: den Liedern ohne Worte, den Fugen und Sonaten herrschte das Pianissimo zu sehr vor um durch seine Polka's zu dringen.

Soviel Fußbreit hatte ich aber doch nach einigen Wochen erobert, daß meinem musikalischen Widersacher selber diese aus d-dur und cis-dur gemischten Harmonien nicht mehr recht behaglich waren. Das Dienstmädchen erzählte mir: der Herr Lieutenant habe sie gefragt, ob mich denn sein Spielen über meinem Kopfe gar nicht störe? – Ich antwortete mit affektirter Gleichgültigkeit: »So lange ich auf meinem eignen Instrument spiele, kann ich von seinem schwachen Clavierchen gar nichts wahrnehmen.«

Mittlerweile hatte ich den doppelten Contrapunkt in der Dezima-Quinta absolvirt, und ich sollte nun fugirte Sätze erfinden. Jede ruhige Minute suchte ich dafür zu benützen, aber saß ich auch in der besten Stimmung an der Arbeit, und ich hörte den Lieutenant sporenklirrend die Treppe heraufstürmen, oder nur über meinem Kopfe den Stuhl rücken, so überfiel es mich wie ein Fieber: »O weh, jetzt wird er spielen!« und ehe er nur angefangen hatte, war ich arbeitsunfähig. Ich war einmal zornig gereizt, und wenn ich vielleicht eine Drehorgel auf der Straße überhört hätte, so brachte das Clavier des Lieutenants mich außer mir. Hatte ich gar nicht schreiben wollen, las ich nur die Zeitung, so kochte es dennoch in mir und ich war keines Gedankens mehr Meister. Ich haßte ihn endlich als meinen bittersten Feind und als den Zerstörer meiner ganzen Existenz.

Das stete vergebliche Ansetzen zum Componiren, das Unterbrochenwerden, dann wieder das Fortissimo-Tremuliren mit dem ich seine Polka's übertäubte – alles dieß spannte so übermäßig meine Nerven an, daß ich Abends, wenn mein Peiniger auch einmal zum Thee ausgebeten war, vor Kopfschmerz doch nichts thun konnte. Meist war er aber zu Hause, und dann besuchten ihn fünf oder sechs Freunde, welche zum Clavier Bellini'sche und Donizetti'sche Arien brüllten, entweder unisono, oder was noch schlimmer war: Baß und Diskant in Oktaven. Auch bereiteten sie sich zu ihrem künftigen Heldenberuf zuweilen vor, indem sie Möbel und Geschirre zerschlugen und oben zum Fenster heraus ein Feldgeschrei durch die stille Nacht erschallen ließen.

Durch diesen Chorus mit einer widersprechenden Tonart hindurchzudringen, war ein Unternehmen, an welches ich nicht gern die reine Stimmung meines vorzüglichen Instruments wagte. Ich rächte mich aber später jedesmal für einen solchen Abend, indem ich Morgens von 6 bis 7 den Kindern der Freischule geistliche Lieder zur Schulprüfung einstudirte, und damit den Lieutenant im Schlafe störte.

Er mußte es endlich merken, daß ich immer dann erst zu spielen anfing, wenn er sich unmittelbar vorher an's Clavier gesetzt hatte, und daß ich ihn absichtlich überstimmte. Nun ward er malitiös. Er bestellte sich den Regimentstrompeter und ließ sich von diesem akkompagniren. Ich dachte schon, ich sei geschlagen, und warf mich verzweifelt auf das Sofa, indem ich meine Ohren verstopfte. Aber der Kampf war nun eine Ehrensache geworden. Ich ermannte mich und ersann das letzte Mittel.

Ich kannte einen Franzosen, welcher mit Leidenschaft das Serpent blies. Von diesem Instrument sagt Hektor Berlioz in seinem Werk über die Kunst der Instrumentirung unter anderm folgendes:

»Sein wesentlich barbarischer Klang hätte weit besser für die Gebräuche des blutigen Opferdienstes der Druiden gepaßt, als für die der katholischen Religion, wo er noch immer angebracht wird. Abscheuliches Ueberbleibsel des Unverstandes und der Gefühls- wie der Geschmacksroheit, welche seit undenklicher Zeit in unsern Tempeln die Anwendung der Tonkunst zum Gottesdienste leiten! Der einzige Fall muß ausgenommen werden, wo man in den Seelenmessen den Serpent gebraucht, um den schrecklichen Choral des dies irae zu verdoppeln. Sein frostiges und abscheuliches Geheul ist da ohne Zweifel an rechter Stelle, er scheint sogar wenn er diese Worte begleitet, in welchen alles Entsetzen des Todes und der Rache des eifrigen Gottes athmet, eine Art von Trauerpoesie in sich zu schließen.«

Obenbeschriebenes Instrument schien mir ganz geeignet um mein Vorhaben auszuführen. Hinsichtlich der vorzutragenden Composition besann ich mich auf einen flandrischen Mönch, Namens Hucbaldus, der zur Zeit Heinrichs des Finklers lebte, und der in seinen Traktaten die ältesten mehrstimmigen Compositionen hinterlassen hat. Dieselben steigen in reinen Quinten und Oktaven im Motus rectus auf und ab. Zwar sagt der ehrwürdige Mann von diesen, damals noch nicht üblichen Weisen: » Videbis nasci suavem ex hac sonorum commixtione concentum!« Doch üben sie auf die Musiker des neunzehnten Jahrhunderts eine sehr entgegengesetzte Wirkung aus. Ich habe dieselben zuweilen erprobt, wenn Besucher mir zu lange blieben. Sobald ich ein sogenanntes Organum des Hucbaldus anstimmte, so liefen sie alsbald heulend zur Thür heraus.

Wenn jetzt der Lieutenant den Trompeter kommen ließ, dann stahl ich mich unbemerkt durch eine Hinterthür aus dem Hause, und wartete in einer nahen Conditorei dessen Weggehen ab. Dann kam ich ganz unbefangen nach Hause zurück, grüßte freundlich den Lieutenant, der oben im Fenster lag, und mich daheim wähnend erschreckt wahrnahm, daß er sein Trinkgeld an den Trompeter umsonst verschwendet hatte.

Aber nicht vergebens wendete ich ein reichliches Frühstück an den Serpentbläser und zwei Baß-Posaunisten vom Orchester, die ich jedesmal wenn der Lieutenant eine Nacht durchtanzt hatte, des Morgens schon um fünf Uhr zu einer Uebung abholte. Wir probirten das oben erwähnte Organum des Hucbaldus, dessen langgehaltene Noten besonders für das Serpent geschaffen schienen; aber unser Concert blieb nicht ohne auswärtige Unterstützung, denn alle Hunde und Katzen der Nachbarschaft, selbst das Federvieh und ein paar Milchesel stimmten zu diesen urweltlichen Tönen jauchzend mit ein.

Dreimal hatten wir dieses Morgenständchen dargebracht, da zog der Lieutenant aus.

* * *


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