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Geschichte eines ehrlichen Jungen.

Erstes Kapitel.

Der ehrliche Junge führt den geneigten Leser in sein elterliches Haus ein.

Die Stadt Bonn am schönen Rheinstrom ist meine Vaterstadt. Darin hatten meine Eltern ein eigenes Haus, das in der Wenzelgasse lag, und betrieben ein Tapeziergeschäft. Mein Vater starb früh und ließ die Sorge für meine Erziehung der Mutter, die eine sehr kluge Frau war. Sie wußte so zu sagen Alles. Was jeder Mann in der Stadt für eine »geborene« zur Frau hatte, mit wem er verschwägert war, wieviel Hypothek auf seinem Haus stand und was in seiner geheimsten Kammer vorging, das konnte sie einem auf den Fingern abzählen. Darum ward sie auch von allen Nachbarsweibern hoch in Ehren gehalten, und sie brachten ihr Neuigkeiten wie die Bienen ihrer Königin den Honig zuführen.

In seiner letzten Krankheit sagte der Vater zu ihr: »Angenieschen, (Agneschen) ich möchte gerne daß mein Jung' etwas mehr würde, als ich. Er ist doch so ein Dökterchen. Sollen wir ihn nicht auf geistlich studiren lassen?« Die Mutter besann sich einen Augenblick, und erwiederte dann: »Mein Joseph soll mir nicht in das Convikt zu den Bauern-Drikessen. Drickes, abgeleitet von Henricus, ein Spitzname für Bauernbursche. Er kann Tapezierer werden, wie sein Vater und Großvater waren, und muß sorgen daß ich Enkelchen bekomme; das wird mir auf meine alten Tage mehr Spaß machen, als wenn er alle Sonntage in der Männerbrüderkirch' eine Predigt hält.«

Wie immer, geschah auch diesmal der Wille meiner Mutter, und im Grunde war es mir sehr lieb, denn ich liebte von Kind auf das Tapetengeschäft wie der Fisch das Wasser. Den ganzen Tag hätte ich mich am Anschau'n der schönen bunten Muster ergötzen können, die wir in unserm Laden hatten. Da waren Vögel und Blumen so natürlich gemalt, daß man meinte im botanischen Garten zu stehen; ja eigentlich waren sie noch schöner wie in der Natur, denn während dort Blumen und Vögel wild durcheinander wachsen und fliegen, ohne Ordnung und Symmetrie, waren sie auf unsern Tapeten auf's zierlichste und regelmäßigste geordnet, so daß immer nach Verfolg auf den nämlichen gekrümmten Zweig ein Vogel zu sitzen kam. Ganz zum Erstaunen schön aber waren die Rosetten und vergoldeten Trauben die an die Vorhänge kamen. Wenn ich die ansah so pries ich mich glücklich, weil mir ein Beruf beschieden, in dem ich mich immer mit so prächtigen Dingen abgeben durfte, und bemitleidete den Metzger und Kerzenfabrikanten gegenüber, die stets im Fett zu kneten verurtheilt waren.

Wir hatten einen Verwandten auf dem Lande, der Pfarrer war. Dieser kam sobald er den Tod meines Vaters und dessen letzten vereitelten Wunsch erfahren hatte eiligst nach Bonn, in der Absicht meine Mutter auf andere Gedanken zu bringen. Sie empfing ihn sehr freundlich und sagte: »Es ist mir ein sonderbares Vergnügen Sie bei mir zu sehen.« Der Pfarrer antwortete eben so höflich und fragte, wie sie sich denn in der Wittwenschaft befinde. »Meinen Verlust habe ich Gott aufgeopfert,« sagte sie, »mein Pankratius ist nun ein schöner Engel im Himmel. Sonst bin ich auch ziemlich gesund wie Sie sehen, nur habe ich noch die Leidenschaft am Bein.«

Nachdem der Pfarrer nun seinerseits alle freudigen und leidvollen Zustände berichtet hatte, lenkte er das Gespräch auf mich, und brachte unter vielen Gründen für den geistlichen Stand auch den vor, daß derselbe jetzt so besonders die Achtung der Welt besitze. »Sie sollten sehen, Frau Base« schloß er, »wie tief die Bauern den Hut abziehen, wenn ich mit meinem Brevier in der Hand durch die Flur spazieren gehe, und mich so recht grade und ernst halte.«

»Das ist alles gut und schön, Herr Vetter,« erwiederte meine Mutter, »aber mit der Achtung der Welt ist es eine kuriose Sache. Daraus mache ich mir jetzt nicht mehr so viel, wie in meinen jüngern Jahren. Da drüben der Metzger sagte neulich: »Vor der und der Familie habe ich keine Achtung; die nehmen nur über den andern Tag ein Pfündchen Rindfleisch.« Gestern standen ein paar vornehme Damen in meinem Laden, und sahen einer Equipage nach, die vorbeifuhr. »Wer mag das sein?« fragte die Eine. »Schwerlich was Rechtes« sagte die Andere, denn sieh' nur die schlechten Pferde. Die Wirthe achten den am höchsten, wer bei ihnen am meisten Geld verzehrt; die Schneider den, der die modischsten Kleider trägt. Da nun die Welt großentheils aus Metzgern, Wirthen, Schneidern und vornehmen Leuten besteht, so kann mir ihre Achtung gestohlen werden meinethalb.«

Der Vetter Pastor sagte lächelnd: »Sie sind eine wahre Philosophin!« das schmeichelte meiner Mutter, und sie erlaubte gerne daß er mich zum Vergnügen auf ein Paar Wochen mit in sein Dorf nehme. Dabei gedachte er im Stillen auf mich zu wirken, und mir die Annehmlichkeiten des geistlichen Standes im günstigsten Licht zu zeigen. Die Mutter aber, die meine Tapetenschwärmerei kannte, ließ mich ungewarnt ziehen, und beantwortete des Pfarrers Abschiedsgruß; »ich wünsche Ihnen wohl zu leben,« mit dem verbindlichen Nachruf: »Ich wünsche Ihnen auch das Gegentheil!«


Zweites Kapitel.

Wie der ehrliche Junge im Dorfe seines geistlichen Herrn Vetters einen Religionskrieg anstiftet.

Beim Vetter Pastor gefiel es mir sehr gut; besonders in seinem Garten. Da waren alle erdenklichen Obstsorten und nebenbei viele Bienenkörbe voller Honig. Die Köchin briet und backte von früh bis spät für die zahlreichen Confratres, die von nah und fern einsprachen um den neuen Wein zu probiren. Auch in der Kirche war es nett und prächtig, und ich sah Bilder und Figuren wie ich auf keiner Tapete etwas gleiches entdeckt hatte. Das schönste war eine heilige Portiunkula von Wachs mit Wangen wie Milch und Blut. Sie sowohl als die andern Heiligen strotzten von Flittergold und Blumenkronen. Nur in der Mitte der Kirche stand ein hölzernes Heiligenbild, das nur das bönnische Wort: »freeßlich« würdig bezeichnen kann. Ich sah es zuerst im Halbdunkeln, als ich den Küsterjungen begleitete um ihm beim Läuten der Abendglocke zu helfen. Fast wäre ich schreiend wieder aus der Kirche gelaufen, so stierte mich das Bildniß an. Ehemals mußte das Gesicht einen weißen Anstrich gehabt haben, aber von den inbrünstigen Küssen der andächtigen Bauerweiber war an vielen Stellen die Farbe weg, und das fahle bräunliche Holz schaute zwischen den weißen Flecken hervor. Ringsum war das Bild mit schmutzigen Wämschen, Nachtmützchen und Kinderstrümpfchen behangen, auch an andern Kleidungsstücken fehlte es nicht. Der Küsterjunge erklärte mir: daß dieß ein wunderthätiges Bild sei, und daß Jeder von seiner Krankheit Linderung spüre, der das gehörige Kleidungsstück daran hänge. Wer einen schlimmen Arm habe, müsse sein Wamms, wer am Kopfe leide, seine Mütze hieherbringen und so weiter.

Zu Hause fragte ich meinen Vetter Pastor, ob dem also sei. »Mein lieber Junge,« sagte er, »dieß ist ein Aberglaube der dummen Bauern, den kein vernünftiger aufgeklärter Mann zu theilen braucht. Das Bild ist auch mir zuwider, obschon ich alle Achtung vor der unbekannten Heiligen habe, die es vorstellt. Gerne möchte ich es anders wohin postiren, da ich nicht wage es den Bauern wegzunehmen, denn es verschimpfirt mir die ganze schöne Kirche.«

Mir gefiel diese Heuchelei des Herrn Vetters gar nicht, und ich sagte ihm aufrichtig meine Gedanken darüber; ja ich brachte ihn wirklich dahin, daß er mir versprach am andern Tage das wunderthätige Bild in seine Predigt mit einzuflechten. Dieß that er, aber so verblümt, daß die Bauern nicht verstanden was er wollte, und unter sich sagten: »So schön und gelehrt wie heute, hat der Herr Pastor noch nie gepredigt.« Der Küster erzählte ihm das wieder, und im Bewußtsein so großen Beifalls wuchs ihm dermaßen der Muth, daß er noch am selben Tage das Bild in eine dunkle Ecke der Sakristei transportiren ließ.

Sobald die Dislokation der wunderthätigen Heiligen ruchbar geworden, rotteten sich Männer und Weiber zusammen, und schalten weidlich auf den Pastor. Die Aeltesten der Gemeine gingen zu ihm, um die Sache in der Güte abzuthun. Nachdem der Pastor im Vertrauen auf ihren Menschenverstand, aber mit möglichster Schonung seine Gründe vorgebracht hatte, kehrten sie zu ihren Weibern mit der Nachricht heim: »Der Pastor sei ein Protestant geworden.«

Die Männer wollten wegen dieser Angelegenheit eine Deputation an den Erzbischof schicken, doch die Weiber machten kürzern Prozeß. Am nächsten Sonntag während der Predigt, in welcher der Pastor das Thema variirte: »Du sollst dir kein geschnitztes Bild machen« sprangen etwa zehn der handfestesten Weiber auf, stürmten die Sakristei, und brachten im Triumph das schaurige Bild hervor, das sie mitten in der Kirche auf seinen alten Platz stellten, wo es nach wie vor mit Mützen und Wämschen behangen prangte.

Der Pastor ließ es geschehen, hatte aber von Stund' an seine Autorität verloren. Ich reiste wieder nach Haus, und vervollkommnete mich im Tapezieren.

* * *

Drittes Kapitel.

Der ehrliche Junge wird Mitglied eines Gesangvereins, und hat bei dieser Gelegenheit manch anständiges Vergnügen.

Unter vielen Gesangvereinen die in meiner Vaterstadt bestanden, war auch einer von dem wenig gesprochen wurde, wo man aber von allen den meisten Spaß hatte. Der Dirigent desselben war der Offermann einer Pfarrkirche, und da derselbe von Vätern und Müttern als ein so zu sagen geistlicher Schutz angesehen wurde, so konnten sich brave Bürgersöhne und Töchter ganz schicklich ohne weitere Aufsicht zu Gesangübungen bei demselben versammeln. Wir hatten Alle in der Stadtschule die Noten gelernt, hatten auch meist ein gutes musikalisches Gehör, und schlug der Offermann nur immer den Takt, so fingen wir richtig zusammen an und hörten zusammen auf.

Bei meinem Eintritt in den Verein war es Winter. Man ging Sonntag Abends nach der Vesper durch dickes Schneegestöber über ein Höfchen, tappte durch das Pastoratspförtchen einige steinerne Stufen hinab bis in den Kreuzgang, an dessen Ende sich ein gewölbtes von vielen Wachsstümpfchen matterleuchtetes Lokal befand, das man dem Offermann zu benutzen erlaubte. Die letzten Ueberbleibsel der Altarkerzen wurden dort aufgebraucht, und Niemand hielt das für Sünde, da wir ja die geistlichen Lieder bei ihrem Schein einstudirten, die wir an hohen Kirchenfesten vortrugen.

Beim Nachhausegehen warfen wir einander mit Schneeklötzen, schlugen die Bahn Eisgleiten und fingen Mäuschen. An fremden Klingeln ziehen und fortlaufen. Als es aber Frühling wurde, da machten wir uns viel andere Freude, wogegen jene noch gar nichts war. Wir wanderten in's Freie und hielten mit den Vögelchen im Walde Gesangübungen um die Wette. Da lernten wir statt der Complet' die Volkslieder von Silcher, die so rührende schöne Worte hatten, daß einem darüber die Thränen in die Augen kamen. Wir suchten Maiblumen und Erdbeeren und brachten sie den Mädchen; dann spielten wir auch Nachlaufen und Blindekuh. Essen und Trinken gaben uns die Alten vollauf und genug mit auf den Weg, und waren wir nur um halb acht wieder zu Hause, so war alles gut. Wurde es aber einmal später, so gab es an jeder Hausthür einen Zank mit der harrenden Mutter. Kein Mädchen hatte den Muth allein herein zu gehen, und da man nun in Masse einander von einem Hause zum andern begleitete, um einstimmig die Schuld auf die weggefahrene Brücke zu schieben, so kam man nur um so später in's letzte Haus, wo sich denn meist ein ganz unbeschreibliches Donnerwetter entlud. Der oder die Aermste, der solchergestalt am Sonntag Abend der Pelz gewaschen worden, ging dann zwar noch den folgenden Montag mit verweinten Augen umher; aber vom Dienstag an freute man sich schon wieder auf den Sonntag, und arbeitete auf's fleißigste die Woche hindurch um die Alten zu versöhnen.

Im hohen Sommer gingen wir einmal alle zusammen auf die andre Rheinseite. Im dichten gelben Korn stand es voller blauen und rothen Blumen. Die Mädchen machten sich Kränze davon, und wanden sie durch die Haarflechten. Wir kamen durch manchen Weinberg, durch Büsche und Dörfer und stiegen endlich den Berg hinan, auf dem das vielgerühmte Foveaux-Häuschen steht. Da setzten sie sich alle auf die steinernen Bänke, stellten Sauerwasser mit Wein und Zucker auf den Tisch, und strichen die Butter auf die Milchstüttchen.

Das Flettekovens Nieschen Nieschen (Agnes). hatte seinen blauen Kornblumenkranz noch nicht fertig. Es setzte sich auf einen Stein, und machte entfernt von den Uebrigen die Flechten los, um sie mit den Blumen zu verschlingen und so diese besser zu befestigen. Es waren Gewitterwolken am Himmel, und die Gegend sah rings etwas trüb aus. Da kam ein einzelner Sonnenstrahl und beleuchtete plötzlich die Stelle wo das liebe Mädchen saß, grad als wollte er sagen: »Joseph, sieh Dir Die einmal genauer an.«

In einem weißen Kleid saß das rothwangige, blonde Nieschen, so nett und knapp angezogen, als ob es aus einem Schächtelchen käme. Die andern Jungen haben wohl oft gesagt: das Nieschen wäre zu dick; aber mir gefällt das, wenn die Mädchen etwas um und an haben. Als es mich kommen sah, fing es an zu lachen und steckte sich schnell die Haare wieder auf. Ich lachte auch, und das war dem Nieschen gepfiffen, denn es kann sich überhaupt nicht gut ernst halten. Der Offermann ärgerte sich oft, wenn wir eine Todtenmesse oder die sieben Worte von Haydn einstudirten, daß das Nieschen immer voll Lachen steckte. Doch warum sollte es betrübt sein, da es so jung und stark ist, und keinen Verdruß in der Welt gehabt hat?

»Fräulein Flettekoven!« sagt' ich, »Sie sehen heute mit Ihren langen Haaren so schön aus wie die Kevelaer Muttergottes, die in der Prozession getragen wird. Ich wollte nur, daß ich auch zur Männerbruderschaft gehörte, damit ich dürfte tragen helfen.«

Nieschen lachte und meinte, das würde mir sauer werden etwa 125 Pfund auf den Schultern zu tragen.

»Wahrhaftig ich trüge Sie von hier bis auf das Rathhaus!« sagte ich. »Ja wenn ihrer fünf Ihnen hülfen,« setzte das Nieschen hinzu.

»Nein, liebes Nieschen,« fiel ich ein, »am liebsten allein; und wenn wir auf dem Rathhaus ankämen, brauchte mir nur der Herr Bürgermeister Windeck zu helfen« – –

Das Nieschen wurde noch einmal so roth und sagte: »Sei'n Sie doch still, Sie werden noch machen daß die Andern alles hören was wir sprechen.«

»Das ist mir all das nämliche,« sagte ich, »wenn ich nur weiß ob du mich recht verstanden hast, mein Herzens-Nieschen!«

»Nun, dann müßte man auch arg dumm seyn, wenn man das nicht verstünde!« erwiederte lachend das Nieschen.

»Nun dann,« fuhr ich fort, »so wollen wir eine feste Bekanntschaft anfangen. Ist es dir recht? sag' lieb' Nieschen!«

Mein Mädchen schämte sich ein bischen, lachte wieder, bedachte sich dann noch einen Augenblick und schlug endlich derb in meine dargebotene Hand, indem sie sagte: »Es ist mir recht daß du mein Junge bist.«

* * *

Viertes Kapitel.

Was man unter einer »festen Bekanntschaft« versteht.

Ich war nun, wie man am Rhein zu sagen pflegt: dem Nieschen sein Junge, durfte sie bei Spaziergängen am Arm führen, und des Abends nach gethaner Arbeit bei ihr an der Hausthüre stehen. Wenn es die Alten nicht sahen, so gaben wir uns auch manchen herzlichen Kuß, und alle Tage sprachen wir davon, daß wenn ich einmal so weit wäre mit meinem Geschäft, wir uns heirathen wollten. Das lag aber noch weit ab, denn meine Mutter wollte durchaus, daß ich vorher reisen und die Welt sehen müßte; bis dato war ich aber noch nicht bis Köln gekommen.

So lange der Sommer dauerte hatten wir viel Freude von unsrer festen Bekanntschaft; als aber die kalten Novembertage herankamen, da gab es tausend Verdrießlichkeiten mit dem alten Flettekoven. Dieser wollte durchaus nicht leiden, daß des Abends nach sieben Uhr das Nieschen im Dunkeln mit mir hinter der Hausthüre plauderte, und herein in die warme Stube zu kommen wollte er mir auch nicht erlauben. Im Grunde hätte ich selber da drinnen nur das halbe Pläsir gehabt, weil ich mit dem Nieschen kein vertrauliches Wort hätte reden können. Der alte Flettekoven, der ein ächtes bönnisches Männchen war, sprach am liebsten selber von den Stadtneuigkeiten, und es verdroß ihn, wenn das Nieschen andere Dinge im Kopf hatte, und ihm zerstreut mit halber Aufmerksamkeit zuhörte. Was ein solches »Männchen« für eine Persönlichkeit ist, das weiß hier Jedermann; da ich mir aber schmeichle, daß auch noch andere Leute meine lustige Geschichte lesen werden, so will ich für diese im folgenden Kapitel genau expliciren, was sich alles zum Habitus eines »Männchens« gehört.

Ich kehre zu meinem Nieschen zurück, das dießmal nicht lachte, sondern ernstlich verstimmt wie eine Violine die man durch den Regen getragen, auf der nassen Thürschwelle mit triefenden Haaren stand. Der Alte hatte zufällig hinter ihr abgeschlossen, als sie bis an die Ecke geschlüpft war, um zu sehen ob ich noch nicht käme. Nun überlegten wir, ob wir uns nicht listig beide hereinschleichen könnten, ohne daß er es merkte, um so der drohenden Strafpredigt zu entgehen. Es gelang, da ihm der Zugwind seinen Wachsstock ausblies, während ich mich hinter dem Nieschen geduckt hielt, und mich drinnen rasch in einen dunkeln Winkel zwängte. Ehe er sich umgesehen hatte pfuschte ich mich die Treppe herauf, wohin Nieschen mir nach einer Viertelstunde folgte. Nun setzten wir uns auf die oberste Speichertreppe zusammen, und paßten wohl auf wenn der Alte rief. Da Nieschen stets im Augenblicke bei der Hand war, so schöpfte er gar keinen Verdacht, und las ruhig die kölnische Zeitung.

Was wir unterdessen zusammen plauderten, das könnte ich auf Hochdeutsch gar nicht sagen, denn da käme es lange nicht so herzlich heraus. Wir diskutirten wie uns der Schnabel gewachsen war, ohngefähr in dem nämlichen Ton, wie wir noch heute, Jahr und Tag nach unserer Hochzeit, mit einander an Sonn- und Feiertagen karessiren, wenn wir nichts damit versäumen.

Ich. Och Niesche, wat setze mer hee ahdig on genöchelich op der Trapp, als wenn et e sammede Kanepee wör'. Komm, dann maachen ich Dir en Lehn'; tückel Dich me'm Köppche widder mich.

Ich. Ach, Agneschen, wie sitzen wir hier so artig und genüglich auf der Treppe, als wenn es ein sammtnes Kanapee wäre. Komm, so mache ich Dir eine Lehne; ducke Dein Köpfchen an mich.

Sie. Du gode Jong'! wat häß Du doch e dröckelich Gemööth!

Ich. Do soll der Kuckuck net good senn, wennner esu e leev, manx, muggelich Schmüggelche für e Schätzche hät.

Sie. Och Juseb, dat eß Dir jo net Eens.

Ich. Dat soll mir net Eens senn? Du kleene Spezbov, dat weeß Du wahl, dat Du et ahdigste Mädche op der Steenestroß beß. Gemmer en Bützche.

Sie. Jöses, eckersch höösch, dat dä Vatter et net hüürr.

Ich. Ach wat, an esu em papiere Bützche han ich nur de halv Freud. Dat eß mir net hezzelich genog. Op e Neu's!

Sie. No dat wor ever hezzelich!

Ich. Op e Neu’s, op e Neu’s! Du kanns 'er noch en ahdiger, – Och Niesche, leev hezze Niesche! Et wird mir op emol ganz bedröv öm et Hezz eröm! Sie. Du guter Junge! Welch ein herzliches Gemüth hast Du!
Ich. Da soll der Kuckuck nicht gut sein, wenn man so ein liebes, sanftes (nicht übersetzbar) Schätzchen hat.
Sie. Ach Joseph, das ist Dir ja nicht Ernst.
Ich. Das soll mir nicht Ernst sein? Du kleiner Spitzbub, das weißt Du wohl, daß Du das artigste Mädchen auf der Sternenstraße bist. Gib mir ein Küßchen.
Sie. Herr Jesus! Nur leise, damit der Vater es nicht hört.
Ich. Ach was, an solch einem papierenen Küßchen hab' ich nur die halbe Freude. Das ist mir nicht herzlich genug. Aufs Neue!
Sie. Nun dies war aber herzlich.
Ich. Auf's Neue! Auf's Neue! Du kannst ihrer noch ein Artigeres. – Ach Agnes, liebe Herzens-Agnes! Es wird mir auf einmal ganz betrübt um's Herz.

Sie. Wat eß Dir dann, mi leev Hezzeküülsche?

Ich. Wenn ich esu denke, dat ich no den Ovend alt widder dorch dä Rähn heem moß, on morgen alt widder, on esu dä ganze Winter dorch alle Ovends, dann weeß ich net, wie ich de Zick eröm brenge sall, bes mer ons krigge.

Sie. Och jo! mer soll welle, dat et baal en End nöhm.

Ich. Ich mööt wahl die Wanderschaff an dä Nagel hange; äver mi Motter säht: Hee kräg si Levve keener en staats Kondschaff, dä net op Reis' gewees wör.

Sie. Da gink ich eckersch bes no Kölle.

Ich. Dat baht nix. Mer moß no Parihs oder no Berlin; sönns donn se, als ob mer ene Endenicher Buurejong wör. Sie. Was ist Dir denn, mein lieb Herzblättchen?
Ich. Wenn ich dran denke, daß ich nun den Abend schon wieder durch den Regen heim muß, und morgen abermals, und so den ganzen Winter hindurch jeden Abend, dann weiß ich nicht, wie ich die Zeit herumbringen soll, bis wir uns haben.
Sie. Ach ja! Man möchte wünschen, daß es bald ein Ende nehme.
Ich. Ich möchte wohl die Wanderschaft an den Nagel hängen; aber meine Mutter sagt: hier bekäme sein Lebtag Keiner einen vornehmen Kunden, der nicht auf Reisen gewesen wäre.
Sie. Dann ging ich nur bis nach Köln.
Ich. Das hilft nichts. Man muß nach Paris oder nach Berlin; sonst thun sie, als ob man ein Endenicher Bauernjunge wäre.

Sie. Wenn ich mer dat denke, dat mer sich em Winter hee op der Trapp de Bützger stelle moß wie de Mösche dä Hafer, on dat Du em Sommer futgehs, wammer alle Dags de schönste Gelegenheet hät, da mööt ich esu kriische!

Ich. Och kriisch eckersch net, Du Engelsche, Du leev Hezzendihrche, söns – – Sie. Wenn ich mir das denke, daß man sich im Winter hier auf der Treppe die Küßchen stehlen muß, wie die Spatzen den Hafer, und daß Du im Sommer fortgehst, wenn man alle Tage die schönste Gelegenheit hat, so möcht' ich wirklich weinen.
Ich. Ach weine mir nicht, Du Engelchen, Du liebes Herzchen, sonst – –

Hier wurde die Liebesscene einigermaßen unsanft unterbrochen, da der alte Flettekoven die Sache gewittert hatte, und auf Filzpantoffeln leise heraufgeschlichen kam. Was er dazu gesagt, soll am Ende des nächsten Kapitels treulich berichtet werden, wenn wir uns von unserm Schrecken erst genugsam erholt haben werden.

* * *

Fünftes Kapitel.

Von den Männchen und wie man Verliebte mit kaltem Wasser begießt.

In meiner Heimath existirt eine Sorte von Spießbürgern, deren eigentliches Muster der alte Flettekoven war, und die man im Gegensatz zu den »Bönn'schen Jungen« die »Bönn'schen Männchen« nennt. Diese sind aber nicht zu verwechseln mit der Kaste der »Baumschulen-Männchen«, welche seit Jahren täglich Mittags um halb zwei in die Baumschule wandern, um daselbst Kaffee zu trinken, und zu hecheln. Um diese Zeit vermeidet jeder gute Christ die Kastanienallee, um nicht diesen männlichen Kaffeeschwestern in die scharfen Zungen zu gerathen.

Die ächten »Männchen« sind viel harmloserer Art. Meistens sind es »Rentenirer« oder vermögende ehemalige Geschäftsleute, die sich in Ruhestand versetzt haben. An Plätzen, wo etwas gebaut wird, sieht man sie gewöhnlich gruppenweise zusammenstehen; auch bei der Landbrücke halten sie sich gerne auf, wenn ein Dampfschiff ankömmt. Einige gehen nie ohne Regenschirm, andern folgt ein Mops nach. Die Meisten tragen einen dicken gelbbraun polirten Stock mit silbernem Knopf in der Hand. Das Normal-Männchen erscheint in einem königsblauen sehr sauber gebürsteten Rock mit blinkenden Metallknöpfen. Im Winter ist es von einem Schanzeläufer umhüllt, den vier kurze Krägelchen zieren. Die Kopfbedeckung ist entweder ein altmodischer runder Hut, oder eine Schirmkappe.

Die Lebensart des »Männchens« ist sehr regelmäßig. Es frühstückt des Morgens mit gehöriger Langsamkeit; seine Lektüre ist das Bonner Wochenblatt. Männchen von höherer Bildung lesen auch die kölnische Zeitung. Bis zehn Uhr werden die Geschäfte besorgt, welche in meteorologischen Beobachtungen und im Durchsehen des Rentenbuchs bestehen. »Nach der Arbeit ist gut ruhen,« sagt das Männchen um zehn Uhr Morgens; es legt die Zipfelmütze ab und die oben beschriebene Toilette an; dann geht es an's Eschenbäumchen, und bleibt bei allen Bauten ein bischen stehen, wo es mit seinen Collegen zusammentrifft. Nach Tische macht es ein Schläfchen, tritt dann die nämliche Wanderung nochmals an, welche dasmal aber in der Neugasse bei Nettekoven oder auf dem Markt beim Breuer im Zehrgarten zuletzt ausmündet. Liberale Männchen trinken zuweilen Morgens an den genannten Orten ein Spezial; konservative thun das nicht, kehren Abends um sieben nach Hause, wo sie alsbald Salat essen, und um halb neun zu Bette gehen. Der Wahlspruch dieser letztern ist: » Ich esse gut, und trinke gut; dahingegen muß ich auch meine gehörige Nachtruhe haben

Zu diesen gehörte der alte Flettekoven. An dem unvergeßlichen Abend auf der Speichertreppe stand er plötzlich mit einem Blendlaternchen vor uns, das er verschlossen gehalten hatte, bis er oben war. In dem sogenannten Bonner Hochdeutsch, das die Männchen wegen seiner besondern Würde und Feierlichkeit des Klanges reden, und das sich eben so wesentlich von dem Gelehrtendeutsch als vom rheinischen Plattdeutsch unterscheidet, hub er also an:

»Habbe mer üch emal entelich aufgehobe, Ihr zwei Nixnütz! Schämp Ihr üch dann nich? Hab Ihr dann gar kei Ihrgefühl mehr im Leiv? Wenn das Dein Mutter wüß', sie däht sich ja im Grav erumdrehe! Das war ein' ehrbare Frau! Von der hab' ich kei Bützche bekomme, bis mer von der Koppelation no Haus kame. Aber das Nieß, das setz sich mit 'em Hansibbeles auf die Trappfe, un karessirt. Das kömmp dervon, wenn kein' Frau im Haus ist. Ich hätt' am End nöthig noch emal ze heirathe, daß du verlieb' Stück en Aufsich kriegs!« »Haben wir Euch endlich einmal erwischt, Ihr beiden Nichtsnutzigen! Schämt Ihr Euch denn nicht? Habt Ihr denn gar kein Ehrgefühl mehr im Leib? Wenn das Deine Mutter wüßte, sie drehte sich ja im Grab um! Das war eine ehrbare Frau! Von der hab' ich kein Küßchen bekommen, bis wir von der Copulation nach Hause kamen. Aber die Agnes, die setzt sich mit einem Hansnarren auf die Treppe und liebelt. Das kömmt davon, wenn keine Frau im Hause ist. Ich hätte am Ende nöthig noch einmal zu heirathen, damit Du verliebtes Geschöpf eine Aufsicht erhieltest!«

So ging es noch lange fort. Das Nieschen hielt sein Schürzchen vor's Gesicht, und ich schämte mich auch so gut ich konnte. Das Ende vom Lied war, daß mir das Haus so lange verboten wurde, bis ich mein eignes Geschäft etablirt hätte.

Ich ging bitterlich betrübt nach Hause, und erklärte meiner Mutter am andern Morgen, daß ich sogleich einpacken und fortgehen wolle. Dießmal waren alle Vorstellungen umsonst; ich wollte den Frühling nicht abwarten, denn ich hatte nicht Rast noch Ruhe mehr am Orte, und wurde erst wieder lustig, als ich auf dem Schiffe stand. Die Trennung war ja das beste Mittel, uns zusammen zu führen. Ich nahm mir vor, in einem Monat so viel zu lernen, wie ein Andrer in einem Jahr, und gab auf Alles Acht, damit ich meinem Nieschen recht viel zu erzählen wüßte und meinen Kundschaften zeigen könnte, daß ich ein gereister Mann wäre.

* * *

Sechstes Kapitel.

Ein kölnischer Carneval.

Mit traurigem Gemüth war ich nach Köln gekommen, aber bald fühlte ich meine alte Fröhlichkeit wiederkehren, da mein neuer Meister mich zur Arbeit mit auf den Gürzenich nahm, der eben für den nahen Carneval neu dekorirt werden sollte. Den lieben bunten Narrenfarben widersteht kein rheinländisches Herz; ja man behauptet sogar: wenn einem ächten Kölner die Frau gestorben sei, so fließe die erste Thräne zwar ihrem Verlust, die zweite aber sicherlich dem Umstand, daß das Dekorum ihm verbiete, sich im Trauerjahr zu maskiren.

Am Fastnachtsonntag fragte mich der Nachbarssohn Neres: »Wat määß Du Dich hück, Juseb?« Reinerns: »Was machst Du Dich heut, Joseph? (Wie verkleidest Du Dich?)« worauf ich erwiederte: »Ich mööt mich jet rähch Schöön's maache: esu ene Ritter met' em Helm met Feddere, oder ene Törk met' er wiiße Botz an, on' em rude Kamesol.« »Ich möchte mich etwas recht Schönes machen: etwa einen Ritter mit einem befiederten Helm, oder einen Türken mit einer weißen Hose und einem rothen Kamisol.«

Neres lachte mich aus und sagte: »Beß doch kee Döppe! Ene staatze Fastelovendsgeck hät si Lebdag kee Pläsir. Süch wie die vürnehm' Hähren et maache; die maache sich ä Verke, dat welle mer och donn!« »Sei doch kein Dummkopf! Eine geputzte Maskerade hat ihr Lebtag kein Vergnügen. Sieh wie die vornehmen Herren es machen; die verkleiden sich als Ferkel, das wollen wir auch thun.«

Ich erkundigte mich näher nach dem Costüm eines » Verkens,« und erhielt die ausführliche Beschreibung dieser in Köln allbeliebten Charaktermaske. Man kauft sich in einem Spezereiladen eine Menge von den alten Matten, womit die Kaffeeballen auf dem Transport umwickelt sind. Diese werden zu einem Mantel an einander geheftet, der aber vor allem eine lange Schleppe haben muß. Dazu gehört nun eine schlechte Pappmaske mit ellenlanger Nase und eine grauwollene gestrickte Zipfelmütze. Um Fastnacht ist einer langjährigen Erfahrung zufolge in dem ohnehin kothigen Köln immer Regen- oder Thauwetter. Da wandelt nun das Verken mit dem Mantel aus Kaffeematten höchst gravitätisch einher und nimmt unter der langen Schleppe Massen von Unrath mit, der sich an dem rauhen Stoff ansetzt. Nun besteht der Hauptwitz darin, daß man sich die Eckhäuser merkt, welche zwei Eingänge zu einem prächtigen Laden haben. Daselbst geht das Verken zur ersten Thür herein, und zur andern hinaus, eine Spur von allen Ingredienzen hinterlassend, die sich unter der Mantelschleppe gesammelt haben. Findet es aber eine Zimmerthür offen, so tritt es auch da schweigend ein, und umwandelt langsam und ehrbar den runden Tisch, unbekümmert um die Schimpfworte der Mägde, welche es mit Besen zerprügeln kommen. Oft thut sich eine Prozession von einem Dutzend solcher Verken zusammen. Diese sind schon schwerer abzuhalten, obgleich die Kölner ein paar Jahre nach der Erfindung dieser sinnreichen Maske ziemlich gewitzigt wurden. Sehen die Ladenmädchen von weitem einen Mattenmantel, so schreien sie schon: »Do küt e Verke, do küt e Verke!« Da kömmt ein Ferkel! und suchen die Thüren zu verrammeln.

Neres, der gern für einen vornehmen Herrn angesehen werden mochte, wählte den Mattenmantel. Ich konnte mich aber nicht dazu entschließen. Ich dachte mir: »was würde das Nieschen denken, wenn es dir so begegnete!« und verkleidete mich lieber als einen schönen Ritter.

Auf dem Heumarkt ging es lustig zu; ein Bierbrauer hatte auf seinem Speicher ein paar Glocken angebracht, und bezahlte einige Gassenbuben dafür, daß sie den ganzen lieben Tag darauf beiern mußten. Das stimmte alle Herzen zur Lustigkeit, so weit man den Kirmesschall hörte.

Der große Maskenzug am Montag war unbeschreiblich bunt und prächtig. Die Hauptfigur war die Prinzessin Venetia, welche dem Kölner Hanswurst ihren Besuch abstattete. Ein kleiner, schlanker Judensohn mit feinen weiblichen Zügen spielte diese Rolle zum Entzücken seiner Familie, die ihren ganzen Diamantenschmuck zusammengesteuert hatte, um die Venetia würdig zu repräsentiren.

Die Prinzessin benahm sich mit einer Huld und Herablassung, die wahrhaft täuschend war. Sie ließ sich auf dem Neumarkt die schönsten Damen Kölns vorstellen, die ohne Arg auf die Ceremonie eingingen, und von der fremden Fürstin, ehe sie sich's versahen, mit einem gnädigen Kuß beehrt wurden. Auch ihr Bräutigam, der Hanswurst, theilte nach allen Fenstern hin seine Kußhändchen aus, und rastete nur von seiner Beweglichkeit, um Champagner zu trinken.

Die Gesandten aller Nationen, von den Chinesen bis zu den Menschenfressern, füllten unzählige Wagen. Eben so wenig fehlte es an allen erdenklichen ernsten und komischen Charaktermasken. Die Mühle, worin die alten Weiber wieder jung gemahlen werden, wiederholte dieß Wunder auf jeder Straße. Vor den Häusern junger Eheleute hielt der Kunibertspütz still, und artige Wickelkinder wurden heraufgewunden. Kamen Zwillings-Hanswürstchen hervor, so gab es einen allgemeinen Jubel. Weniger erbaulich für die Häuser, wo still gehalten wurde, war der Wagen mit der Gereons-Kiste, wohinein, der Sage nach, die alten Jungfern gesteckt werden. Allerlei schnöde Gesichter mit Hauben guckten aus dem ein wenig gelüfteten Deckel hervor, und winkten grinsend, wenn sie an einem Fenster Commilitonen sahen.

Damals war die Eisenbahn noch ein neues Zeitungswunder, und wenig ehrsame Kölner glaubten fester daran, als an die zu errichtende regelmäßige Luftschifffahrt. Neben einem Dampfschifflein wurde auch ein Dampfwagen als Karrikatur des menschlichen Erfindungsgeistes durch die Straßen gezogen. Im Wagen saßen nun die in Ruhestand versetzten Pferde als Passagiere. Wer kann alle die Narren im Gedächtniß behalten, die da ihr Wesen trieben! Von all dem vielen Gelb und Grün und Roth und Blau flimmerte es Einem vor den Augen.

Zum Essen nahm ich mir wenig Zeit in diesen Tagen. Den letzten Brocken hinabgeschluckt, eilte ich an die Vierwinden: da war der Spektakel am ärgsten. Gott weiß, wie viel Malter Erbsen hier verbraucht werden, da man aus allen Fenstern damit bombardirt. Jeder, der dort stehen bleibt, sorgt für einen guten Erbsenvorrath in der Tasche; mancher läßt deren sogar ein Fäßchen voll neben sich aufstellen. Es versteht sich, daß die Leute am ärgsten beworfen werden, die zur Zeit, wo Alles närrisch ist, am steifsten ihre Würde zu behaupten suchen.

Am ersten Fastnachttage kamen ein paar solcher Pedanten an den Vierwinden vorbei. Der eine war ein Major in Gala-Uniform und der andere ein hoher Civilbeamter mit zwei Orden. »Mein Bester,« sagte der mit dem Orden, »sollen wir nicht lieber einen andern Weg nehmen, als den durch das Volk, welches einigermaßen betrunken zu sein scheint?«

»Mein Liebster,« erwiederte der Major, »schreiten Sie nur kühn den geraden Weg; ich bin ja dabei.«

Dieses Hagelwetter von Erbsen, das die beiden auf den Pelz bekamen, hatte seines Gleichen noch nicht erlebt. Bleich und mit verbissenem Ingrimm schritten die unglücklichen Opfer des karnevalistischen Muthwillens hindurch, und gelobten, diesem Unfug, der ihnen als ein crimen laesae majestatis erschien, energisch sein Ziel zu setzen.

Schon am nämlichen Abend erschien das Verbot von Seiten der Commandantur, daß an den folgenden Tagen Niemand mehr an den Vierwinden stehen dürfe. Polizisten in Masse wurden an den Ecken aufgestellt, um diesem Verbot den gehörigen Nachdruck zu geben. Diese armen Werkzeuge der Rache hatten einen höchst unbequemen Stand, da der Erbsenregen aus den Fenstern gar kein Ende nahm, und ihre Nasen die Zielscheiben für alle Stockwerke abgaben. Desto bequemer machte sich's das Publikum. Stühle und Bänke wurden aus den benachbarten Häusern requirirt, und somit umging man aufs schönste das Verbot: daß Niemand dort stehen dürfe.

Nach einigen Stunden erschienen Gensd'armen mit einem genauer stylisirten Befehl, des Inhalts: daß sich Niemand an den Vierwinden aufhalten dürfe, weil dadurch die Passage gehemmt würde.

Nun vereinbarten sich die Erbsenwerfer zu einem steten Hin- und Hertrippeln; dann entfernte sich eine Partie bis in die nächste Gasse und kam der andern entgegen, die das nämliche Manöver unternahm. Dieses Foppen der Polizei fand so viel Beifall, daß Alles, was Beine hatte, sich am Dienstage an die Vierwinden begab. Bei so unermeßlichem Gedränge fielen natürlich alle Maßregeln platt auf den Bauch, und die Polizei ärgerte sich, daß sie schwarz wurde.

* * *

Siebentes Kapitel.

Wie wir den Carneval während der Fastenzeit gar nicht aus den Gliedern bekommen konnten.

Am Aschermittwoch sah es recht trübselig aus. Statt der lustigen Leute mit Schellenkappen begegneten Einem Schwärme von Bauern, die sich in den Kirchen das Aschenkreuzchen geholt hatten. Mir und meinen Kameraden war es so kurios zu Muth, als wenn unsichtbare Hände uns zwickten und bei den Haaren zupften. »Kann man heute denn gar nichts Verkehrtes anfangen?« fragte man sich unter einander: »mit der Arbeit will es ja ohnehin nicht rutschen!« Einstweilen nahmen wir die Kappen, und gingen hinaus. Wir kamen an die Vierwinden. Da waren alle Fenster geschlossen; die Leute gingen ihren Geschäften nach, und die einzige Spur des gestrigen Tumultes waren die Hunderttausende dickgequollner Erbsen, die alle Gossen und Pfühle anfüllten. Einige alte Bettelweiber mausten die bestaussehenden heraus, und indem sie sie in irdene Scherben legten, brummten sie über die Verschwendung der Reichen, und berechneten wie viel Suppen da unter die Füße getreten würden. Ich wurde blutroth bei diesem Anblick, und mein Gewissen trieb mich schnell von dieser Stätte hinweg, aber der gefühllosere Neres hielt mich fest und sagte: »Hee mooß on mooß hück noch e Spektakel angestivelt werde, on wann et me'm Düvel zogohn sollt!« »Hier muß durchaus heute noch ein Spektakel angestiftet werden, und wenn es mit dem Teufel zugehen sollte!«

Nun verabredeten wir den Plan leise mit einander, gingen dann nach den vier sich kreuzenden Gassen, und kehrten nach einer Weile zu den Vierwinden zurück, als wenn wir nichts von einander wüßten und uns zufällig begegneten. Alle blieben wir plötzlich stehen, sahen mit bestürzter Miene zu einem und demselben Dach eines vierstöckigen Hauses empor, gaben Zeichen großen Erstaunens, indem wir hinaufdeuteten und uns ängstlich einige Worte ins Ohr flüsterten. Viele Leute blieben stehen und fragten: »Was ist da? Was gibt's?« »Stille,« sagten wir, »warten Sie einen Augenblick, sogleich wird es sich entdecken ob wir recht gesehen haben.«

Alles blieb voll gespannter Erwartung stehen. Die neu hinzugekommenen Personen fragten jene, die hinter uns die Passage versperrten. Von allen Seiten schallte es jetzt: »Was'ß hee ze donn? Eß jet ze sinn?« »Was ist hier zu thun? Ist etwas zu sehen?« Die Antwort lautete: »Waat eckersch jet; do die Lück bliven all stohn on kicken erob!« »Wartet nur ein bischen. Dort die Leute, bleiben alle stehen und gucken herauf!«

Als sich Volks genug gesammelt hatte, und die Hochstraße bis zum vierten Haus gestaut war, bahnten wir uns einen Ausweg durch das Gedränge, und sahen mit großer Befriedigung wie sich zu allen Thüren und Fenstern vorwitzige Köpfe herausstreckten, und durch Fragen den Tumult vermehren halfen. Ganz wie gerufen kam nun die Polizei auch noch herbei, und im Wahn, daß der Lärmen eine Fortsetzung des gestrigen Erbsenskandals sey, begann sie die Leute mit brutalen Scheltworten hinwegzutreiben. Waren nun die Sergeanten gestern mit trockenen Erbsen bombardirt worden, so lernten sie heute die Annehmlichkeiten der nassen kennen. Als wir nach einer Stunde wieder des Weges kamen, war der Tumult noch in vollem Gange, und nahm erst ein Ende als es ganz dunkel geworden war.

Am heiligen Josephstage, der in die Mitte der Fasten fiel, ließen es sich die Kölner nicht nehmen, eine große Harmoniemusik im Marienbildchen zu Deutz zu veranstalten. Es war Sonntag, und da es mein Namenstag war, so vertraute mir mein Meister als ein besonderes Zeichen seiner Gunst einen Hausschlüssel an, welches keine Kleinigkeit war. Ich blieb mit meinen Kameraden ziemlich lange drüben in Deutz und wir rekapitulirten nochmals alle tollen Streiche vom ganzen Winter. Als wir gegen 11 Uhr über die stehende Brücke heimzogen, war die Reihe der Gasthöfe noch hell erleuchtet, und spiegelte sich im Rhein. Auch der Lampenschein von der Brücke ward auf den Wellen hin und her geschaukelt. Es war eine so schöne stille Nacht wie ich lange keine gesehen. Der Mond und ein paar helle Sternchen standen am Himmel und schimmerten mit bläulichem Licht über den vielen rothen Lampen. Grade so lieblich stand in meinem innersten Herzen der Gedanke an mein fernes Liebchen hoch über all der tollen Tageslust. Vom andern Ufer rollte ein Wagen dumpf über die Brücke, und der Postillon blies ins Horn. Da konnte ich gar nicht mehr begreifen, wie ich es so lange hier ausgehalten hatte ohne mein liebes Mädchen, und ich zürnte über mich selber, daß ich die Zeit so lustig und wild zugebracht.

Meine Kameraden merkten aber nichts von meiner Schwermuth, nichts vom Mondenschein und vom Posthorn. Sie überlegten nur, ob man keinen Unfug mehr anstellen könne. Das Mäuschenfangen auf dem Nachhauseweg verstand sich zwar von selber, aber Neres meinte: man müsse dem heiligen Joseph zu Ehren doch eigentlich etwas Apartes anstiften. Endlich fiel ihm eine Dummheit ein, die denn auch sofort in Ausführung gebracht wurde.

Wir zogen vor das Haus des Regierungsraths, der damals mit dem Major an den Vierwinden das Erbsenbombardement bestehen mußte. Um keinen Verdacht zu erregen schellte Neres zuerst ganz bescheiden. Keine Regung im Hause. Neres schellte lauter, und sofort immer etwas lauter, bis endlich Thüren im Innern knarrten, und nach der Magd gerufen wurde. Dieses Subjekt hatte endlich eine Lampe angezündet, und kam mit einem verschlafenen Eulengesicht, halb und halb angekleidet, um uns aufzumachen. Neres fragte nach dem Herrn Regierungsrath, und versicherte: er habe demselben etwas sehr wichtiges zu entdecken. Die Magd wollte ihn aber nicht eher rufen, bis wir gesagt hätten was wir wollten und wer wir wären. Wir hörten ihn übrigens die Treppe herabschleichen, um nötigenfalls der Magd zu Hülfe zu kommen. Neres machte ein sehr ehrbares Gesicht und trug der Magd auf, sogleich dem Herrn Regierungsrath zu sagen: er könne nun ruhig zu Bette gehen, denn wir wären nur gekommen, um ihn zu benachrichtigen, daß das Concert im Marienbildchen schon beendet sey. Hiermit rissen wir eilends aus, ohne das Fluchen des Regierungsraths auf der Treppe deutlich zu verstehen. Die Magd aber war ganz verdutzt und rieb sich die schlaftrunkenen Augen.

Der Neres kam nach einigen Tagen zu mir, und sagte: »Gank met, mer han widder ene Preuß' ze uhtze!« »Geh' mit, wir haben wieder einen Preußen zum Besten zu halten.« Diese Einladung ließ ich mir nicht zweimal sagen, zog meinen Sonntagsrock an, und begab mich zu meinem Kameraden. Nun muß ich aber vorher meinen Lesern auseinandersetzen, daß seit Menschengedenken zwischen Kölnern und Preußen ein gespanntes Verhältniß besteht, welches ein langjähriges gemischtes Zusammenleben nie hat ausgleichen können. Wenn einer sein Dienstjahr hält, so sagt man nicht: »er mußte Soldat werden,« sondern der allgemeine Sprachgebrauch heißt: »Hä mooht Preuß' werde!« »Er mußte Preuße werden.« Damit ist wohl am deutlichsten ausgedrückt, daß ein Kölner einen Preußen für eine fremdartige Menschenraçe ansieht.

Der Preuße von dem hier die Rede war, befand sich auf der Durchreise, und wollte Kölns Merkwürdigkeiten in Augenschein nehmen. Neres hatte ihn Morgens im Bierhause getroffen, und hatte sich darüber geärgert, daß der Preuß' gesagt hatte: »Köln sey gegen Berlin man bloß ein Landstädtchen.« – Nun ward beschlossen ihm einen Begriff von der weitläufigen Ausdehnung der Stadt Köln beizubringen. Wir führten ihn im Zickzack durch allerlei Umwege in die fernsten unbekanntesten Gäßchen, so daß er hundmüde ward ohne zu merken wie er drei Stunden lang immer im Kreis gelaufen war. Er beklagte sich dabei sehr über das schlechte Pflaster und die schmutzigen Straßen und ward erst wieder guter Laune, als wir im Hirzenkümpchen Halt machten, und uns bei einer Flasche Braunenberger von unsern Strapazen erholten.

Auf dem Rückweg besuchten wir noch einige merkwürdige Kirchen und Kapellchen, wo Neres dem Preußen allerlei Legenden aufband, die daselbst geschehen sein sollten. Ein paarmal war ich im Begriff ihm ins Wort zu fallen und seine handgreiflichsten Lügen zu widerlegen; aber Neres trat mir auf den Fuß, und brachte so spaßiges Zeug vor, daß ich mich schämte ihm seine Freude zu verderben.

In Sankt Gertrudis steht auf einem Seitenaltar das aus Holz geschnitzte Bild dieser Heiligen, und trägt eine goldne Maus in der Hand. Darüber verwunderte sich der Preuß' und fragte was das bedeute. »Sehen Sie,« explicirte der Neres, »da war einmal ein schlimmes Mäusejahr, so daß kein Bauer ein Körnchen Frucht auf dem Felde behielt. Nun ist, wie bekannt die heilige Gertrudis die Patronin der Mäuse. Das heißt, man ruft sie gegen die Mäuse an. Wenn die Feldmäuse zu sehr überhand nehmen, so wallfahrten die Bauern hieher, und jeder trägt eine Maus in der Hand, die er auf seinem eignen Feld gefangen hat. Aber damals, in dem Mäusejahr, von dem wir jetzt reden, da wollte auch das nicht helfen. Da kam endlich ein Landpastor auf den Gedanken, und rieth den Landleuten, sie möchten eine Maus von geschlagenem Gold opfern, dann würden die andern Mäuse sich wohl verlaufen, wenn sie die goldne in der Hand der Patronin sähen. Und richtig, wie er gesagt hatte, so kam es. Seit dem Tage wo die goldne Maus geopfert wurde, liefen alle Mäuse aus der ganzen Rheinprovinz weg.«

Hier schlug der Preuß' vor Verwunderung die Hände über dem Kopf zusammen, und sagte: »Ist es möglich daß in unserem Jahrhundert noch ein solcher Unsinn besteht! Es ist gottvoll zu glauben, daß eine goldne Maus die Feldmäuse vertreibe! Hahaha! Man hat mir zwar immer gesagt, daß das Volk hier am Rhein noch sehr hinter uns zurück sei, aber diesen Grad von Dummheit hätte ich ihm doch nicht zugetraut!«

»Ach Herr« erwiederte Neres, »Sie können doch wohl hören, daß das ein Fispelchen ist. Im Ernst glauben wir so was eigentlich nicht. Denn sehen Sie, wenn wir glaubten, daß das etwas hülfe, so hätten wir ja längst einen goldnen Preuß' in der Kirche aufgehangen.«

Hier brannte ich durch, und ließ den Neres allein Wegweiser bis nach Hause sein, denn meine Mutter hatte mich immer gewarnt: man könne nicht vorsichtig genug sein, und müsse sich nie um Politik bekümmern wenn einem sein Brod lieb sei.

* * *

Achtes Kapitel.

Eine unruhige Nacht.

Daheim fand ich einen Brief von meiner Mutter, worin sie mir meldete, daß der alte Flettekoven gestorben und dem Nieschen ein Vormund gesetzt sei. Der letztere habe für gut befunden das Flettekovens Häuschen sammt Theke, Laden und Allem zu vermiethen, und habe dem Nieschen gerathen, sobald es großjährig sei einen Verkauf zu halten, da sich für ein einzelnes Mädchen dieß Geschäft nicht schicke. Jetzt sei Nieschen in den Rheingau gereist, wo sie noch Familie habe, die sie bis dahin bei sich behalten wolle. Mir rieth die Mutter, falls es mir ernst mit meinem Handwerk sei, nach Brüssel zu gehen, wo man noch etwas mehr als in Köln vom Tapezieren verstünde.

Was sollte ich besseres thun, als die Welt anschaun. Zum Heirathen war es noch nicht Zeit, und bis Nieschen großjährig wurde, konnte man viel Scheererei mit dem Vormund haben. Ich überlegte nicht lange hin und her, sondern trabte bald mit allem was nöthig, mit Geld, Paß und Empfehlungsbrief versehen über die belgische Grenze.

Vor mir herging eines Tages ein anderer Fußwandrer, den ich weder für einen Belgier noch Franzosen halten konnte. Eher schien er mir ein Mittelding vom deutschen Studiosus und Landpastor zu sein. Er trug einen schwarzen Sämmtling, dessen gelbe große Metallknöpfe über dem stark vorstehenden Bäuchlein fest schlossen. Ein Tuch gegen Zahnweh war über die Ohren gezogen, und darauf ein runder Filzhut gedrückt. Als ich rasch an ihm vorüber ging um ihm ins Gesicht zu sehen, gewahrte ich eine sehr vollmondliche Physiognomie, welcher eine lange kurfürstliche Nase und die Normalunterlippe des österreichischen Kaiserhauses einen unläugbar klerikalischen Anstrich verliehen.

» Parli vous francé?« sagte er zu mir.

» Voui, Mousjeu, un peu!« erwiederte ich.

Nun fragte er mich etwas, wovon ich nichts verstand, und da ich mit den Schultern zuckte, so murmelte er ein ehrliches deutsches Donnerwetter in den Bart. Da erkannte ich, daß es ein Landsmann war, und gab mich ihm ebenfalls freudig als einen solchen zu erkennen. Er machte eine Vakanzreise, und wir beschlossen die Nacht in derselben Herberge zu übernachten. Mein neuer Gefährte nannte sich Bünsterbauch, war, wie ich, Neffe eines Landpastors, hatte Theologie studiren sollen, aber war eben im Begriff umzusatteln, da er zu einer weltlichen Fakultät mehr Lust verspürte. Es verdroß ihn sichtbarlich, daß ich ihn für einen geistlichen Herrn gehalten hatte, denn er meinte sich alle klerikalischen Manieren abgewöhnt zu haben; auch berief er sich auf seine ausgesucht burschikose Tracht. Ich versicherte ihn, daß durch den Sämmtling, den Ranzen und Wanderstab, durch den frisch angelegten Schnurrbart sogar, kurz durch alles was er sage und thue, stets der Pastor hindurchscheine. Er kratzte sich hinter den Ohren und sagte: »Wenn Sie nur wüßten was ich nicht alles schon gethan, um den Theologen aus den Knochen zu kriegen, wie ich auf alle Manieren der flottesten Bursche geachtet, um mir sie anzueignen, aber alles vergebens! Jetzt gehe ich expreß drum außer Landes, um etwas französische Manieren zu bekommen. Geben Sie Acht, wenn ich wiederkehre, merkts mir keiner mehr an!«

Am Abend schritten eine große Menge rüstiger Burschen und Mädchen an uns vorüber, welche alle den Bünsterbauch ehrerbietig grüßten. Wir erfuhren, daß just an dem Orte wo wir unser Nachtlager halten wollten, Kirmes sei. Schon auf eine starke Viertelstunde Entfernung hörten wir die dumpfen Töne einer dicken Trommel, der sich wie wir näher kamen die Töne der Trompeten und anderer gellenden Instrumente zugesellten.

So sehr wir sonst eine lustige Kirmes als ein angenehmes Reiseabenteuer begrüßt hätten, so waren wir doch beide dießmal so müde vom zwölfstündigen Marsch, daß uns nur die Sorge beschäftigte, ob unser Nachtquartier wohl recht weit von dem Hause entfernt sei, wo die dicke Trommel geschlagen wurde. Mein Gefährte Bünsterbauch fürchtete nebenbei, er werde im Trubel einer Kirmes schwerlich die gehörige Pflege für seine wunden Füße finden, deren er in der That sehr bedürftig schien. Welcher Schrecken aber bemächtigte sich unsrer, als wir hörten daß nur dies einzige Wirthshaus im Dorfe sei, und ein Fremdenbette nur im Tanzsaale selber stehe.

Wir traten ein. Die tanzende Gesellschaft war schon versammelt. Wie sollte man dort sich ausziehn und vor all den hübschen Bäuerinnen zu Bette gehen? Der Wirth versicherte, daß das ganz anständig geschehen könne, da das Bett Vorhänge habe; dem Herrn Pastor wolle er aber seinen eignen Alkoven einräumen, der durch eine spanische Wand von dem Saal getrennt sei. Wir sträubten uns und wollten lieber auf einer Bank warten; aber sämmtliche Bänke waren von zechenden Bauern besetzt, und der Tanz sollte mindestens bis des andern Morgens sechs Uhr währen. Weiter konnten wir nicht; kein Fuhrwerk ließ sich auftreiben; die Nacht war angebrochen – wir mußten uns fügen.

Der Studiosus Bünsterbauch schritt mit großer Würde hinter die spanische Wand, und obschon die Tänzer ein wenig kicherten, so kam ihm doch sein ehrbares Aussehen wohl zu statten. Niemand wagte ihn geflissentlich zu molestiren. Ich aber schlich mit gesenktem Blick wie ein Hühnerdieb hinter dem Wirth her, der mir das Fremdenbett mit seinen Gardinen aus roth und weiß karrirtem Matrazenzeug anwies. Mit Stiefeln und Allem kroch ich hinein, um jedem Blick verborgen meine Hüllen abzustreifen. Als ich eben die Decke über die Ohren zog, fing die dicke Trommel dicht neben mir wieder an zu rumoren, und das dauerte mit kurzen Pausen so fort die ganze Nacht.

In jenen Pausen aber gab es Störungen anderer Art, indem die muthwilligen Belgierinnen eine nach der andern an die Ritzen meines Vorhanges kamen, und ihn leise ein wenig öffneten um ihren Vorwitz zu büßen. Dann sah ich sie grimmig an, und sie sprangen mit einem Schrei und hellem Gelächter zurück.

Gegen Morgen ward es gefährlich. Es entspann sich ein Streit. Die betrunkenen Männer gingen mit Messern aufeinander los, der Wirth holte die Polizei und die Weiber krähten. Ich richtete mich schwerfällig auf, denn meine Glieder waren wie zerschlagen, und bereitete mich zur Flucht. Da sah ich über der spanischen Wand den Kopf des Bünsterbauch sich erheben, der sich auf einen Thurm von Kissen gestellt hatte, um aus sicherm Hinterhalt den Kampfplatz zu überschauen. Ob er sich nun zu stark angelehnt, oder ob die spanische Wand auf zu schwachen Füßen gestanden, genug: im Moment wo die Polizei hereinkam stürzte die Wand zwischen die nach allen Seiten zerstiebenden Mädchengruppen in den Saal hinab, der Bünsterbauch in leichtester Toilette darüber, und blieb so platt liegen.

Ich dachte, er sei todtgeblieben, konnte mich also auch nicht mehr halten, und indem ich in der Eile die Bettdecke wie einen Mantel um mich schlug, stürzte ich schreiend hervor. Mein Landsmann kniff mich aber in's Bein, und flüsterte mir leise zu: er sei ganz unbeschädigt, wolle absichtlich nur so thun als habe er den Hals gebrochen, damit er an der Verlegenheit des Aufstehens vorbei komme. Der Wirth und ich faßten ihn nun an, wälzten ihn auf's Bette, die Polizei arretirte die Betrunkenen, und die Uebrigen verliefen sich nach und nach.

* * *

Neuntes Kapitel.

Die Spitzbuben in Brüssel.

Zwar hatte ich mir vorgenommen alles Besondere das mir auf meiner Reise begegnen würde, getreulich für das Nieschen aufzuschreiben. Doch that ich dieß nur am Anfang meiner Wanderschaft, wo noch Alles mir höchst merkwürdig schien. Seit ich aber die schöne und prächtige Stadt Brüssel gesehen, da begriff ich wohl daß ich nichts mehr thun könne als schreiben, wenn ich Alles aufzeichnen wollte was mir in die Augen stach. Was für Häuser und Paläste waren das, welche Draperien und Tapeten darin, und wie geputzt waren die Leute, die am gemeinen Werkeltag über die Straße gingen! Man hätte glauben können im Himmel zu sein, wenn es nicht so viel Spitzbuben gegeben hätte.

Bald nach meiner Ankunft wurde mir mein Sonntagsrock gestohlen, den ich einen Augenblick im Vorhaus meines neuen Meisters über das Treppengeländer gelegt hatte. Den Rock hatte ich mir nach der neuesten Mode machen lassen, weil ich sah daß der Meister auch so einen trug wenn er in gräfliche Häuser ging, und weil ich überhaupt keiner von denen bin, die sich lumpen lassen. Meinen Rock, oder doch einen Zwillingsbruder desselben, sah ich schon am nächsten Sonntage in der Kirche wieder: ein sehr fromm aussehender Mensch mit gescheiteltem langen Haar, der mit einer Quisel aus Einem Gebetbuche betete, hatte ihn an. Ich folgte den Beiden auf dem Fuße, als sie aus der Kirche gingen, und horchte genau auf ihre Reden um mich zu überzeugen, ob der Fromme wohl der Spitzbube selber sein könne, oder ob er meinen Rock nur gekauft habe. Die Quisel und ihr Begleiter schlugen die abgelegensten Straßen ein, bis sie endlich auf einem stillen klösterlichen Plätzchen in ein Haus traten. Unterwegs hatte ich sie nur über Gott und Heilige, von den Anfechtungen des Teufels und der Eitelkeit dieser Welt reden hören. Als sie hinter der braunen aus Eichenholz geschnitzten Thür verschwunden waren, sah ich mich um und erkannte daß ich an dem Ort schon einmal gewesen war. In der nächsten Straße wohnte ein kleiner Spezereihändler, der eine Deutsche zur Frau hatte, an die ich von meiner Kölner Meisterin einen Gruß bekommen. – Da sie mich bei meinem ersten Besuche freundlich gebeten hatte, einmal an einem Sonntag Mittag da einzusprechen, so benützte ich den Zufall der mich heute in ihre Nachbarschaft geführt. Aus dem Gewühl der innern Stadt entkommen, meinte man hier auf dem Lande zu sein. Es waren meist alte hohe Häuser mit vergitterten Fenstern in diesem Revier, wo nur hier und da ein Gewerbe getrieben wurde. Klöster und Gärten nahmen den Raum bis zur nahen Stadtmauer ein. Besonders viele Quiseln hatten sich hieher zurückgezogen, und glaubten sicherer allen weltlichen Versuchungen zu entgehen, wenn sie kein Wagengerassel und keine Militärmusik mehr hörten.

Ich beschrieb meiner Wirthin das Haus, wo ich meinen gestohlnen Rock gesehn zu haben vermeinte. Sie erzählte mir daß dort ein paar ganz alte fromme Jüngferchen wohnten, die trotz ihres großen Reichthums schon in früher Jugend der Welt entsagt, und mit einer eben so alten und frommen Magd ein ganz stilles und gottseliges Leben führten. Ihr einziger Gang sei in die Kirche und wieder nach Hause, daher sie auch nur aus dem Katechismus ihre Weltkenntniß geschöpft hätten.

Recht wie der Wolf aus der Fabel trat in diesem Augenblick die alte Magd der Quiseln in den Laden, um etwas zu kaufen. Mechanisch griff schon der Spezereihändler nach dem gewohnten Löthchen Kaffee; aber wie erstaunte er als die Jungfer Marguerite nach Datteln, Feigen und orientalischen Gewürzen fragte. Das war seit dreißig Jahren nicht vorgekommen.

»Ei, ei,« sagte der Mann: »will denn eure Herrschaft Hochzeit halten?«

»Nein,« antwortete Marguerite indignirt, »von so weltlichen Gedanken ist meine Herschaft weit entfernt.«

»Dann bekommt Ihr wohl vornehmen Besuch?« – »Gewiß der König selbst!« fügte die Hausfrau scherzend hinzu.

Marguerite ward hierdurch keineswegs gedemüthigt, sondern sprach mit mysteriös gedämpfter Stimme: »Eine noch viel höhere Ehre ist uns zugedacht.«

Der Spezereihändler und seine Frau, welche beide unbändig neugierig waren, drangen in die alte Marguerite ihnen das Räthsel zu lösen. Nach einigem Sträuben siegte bei dieser die Eitelkeit, und sie berichtete wie folgt:

»Schon seit 14 Tagen hat neben meiner ältesten Dame, Cécile, in der Kirche stets ein junger Mann Platz genommen, der sich bestrebte mit in ihr Gebetbuch einzusehen. Er nahm mit ihr zugleich das Weihwasser, und verneigte und bekreuzte sich dreimal wie sie es that. Heute als es regnete, bot er ihr an den Regenschirm zu tragen. Dadurch bekam meine Dame Cécile Gelegenheit den frommen jungen Mann einmal zu betrachten. Da fand sie, daß sie diese Art von Gesicht gewiß schon hundertmal gesehn: im Traum, in der Kirche, auf frommen Bildern, nur nie im Getümmel der Welt. Wer meint Ihr, daß es war?«

»Wie können wir das errathen?« sagte der Spezereihändler.

»So hört denn,« flüsterte Marguerite, »es ist kein Zweifel, da er es selbst der Dame Cécile gesagt hat: es ist Niemand geringeres als unser Herr Jesus Christus selbst!«

Hier brachen wir alle unwillkürlich in's Lachen aus, und reizten dadurch die alte Marguerite zu immer eifrigern Worten der Bekräftigung.

»»Glaubt es, oder glaubt es nicht!«« rief sie ärgerlich. »»Ich habe ihn gesehen, und er gleicht präcis seinem Porträt das die Dame Cécile stets im Gebetbuch trägt. Er hat erzählt, wie er sie und ihre Schwester Louise lange beobachtete, und wie er auf Erden in unserer verderbten Zeit keine solche Frömmigkeit mehr gefunden. Dafür will er sie vor allen Weltkindern mit Ehren krönen in ihrer stillen Zurückgezogenheit. Heute Abend will er mit allen zwölf Aposteln wieder kommen und das Osterlamm bei uns speisen. Wir haben in der Eile alle Gebetbücher durchgeblättert, um die Gerichte ausfindig zu machen, die unser Herr Jesus Christus gerne speist; aber außer Datteln und Feigen fanden wir nichts erwähnt. – Doch gebt mir jetzt schnell was ich brauche, denn indeß wir hier plaudern, sollte ich eigentlich das Silberzeug putzen und den Tisch zurecht machen.««

Als die Jungfer Marguerite fort war, verwunderten wir uns noch lange über ihren festen Glauben. Endlich ging dem Spezereihändler ein Licht auf, als ich nochmals die Notiz von meinem gestohlnen Sonntagsrock vorbrachte, und er ging eiligst auf das Polizeibüreau, um die Sache anzugeben. Dem Herrn Chef der Polizei kam der gescheitelte Herr Jesus ebenfalls sehr verdächtig vor, und er ließ das Haus in der Dämmerung umstellen.

Gegen acht Uhr kamen drei Wagen angefahren, und dreizehn handfeste Kerle stiegen heraus, die sich in lange Talare gesteckt hatten und große Bärte trugen. Die Polizei wartete eine Weile, bis sie sich in dem Hause der Quiseln behaglich niedergelassen hatten. Dann arretirte eine Abtheilung von Häschern die Kutscher, und die andre drang in's Speisezimmer der beiden Quiseln, welche eben auf den Knieen lagen und den vermeintlichen Aposteln die Füße wuschen.

Es war eine sehr raffinirte Bande, die bei dieser Gelegenheit endlich erwischt wurde, nachdem ihr die Polizei seit lange vergebens nachgespürt hatte. Ich bekam auch meinen Sonntagsrock wieder, an dem weiter nichts verdorben war, als daß er drei gelbe Wachstropfen bekommen hatte.

* * *

Zehntes Kapitel.

Der ehrliche Junge bereichert in Paris seine Erfahrungen und die Kenntniß weiblicher Herzen.

In Brüssel war ich gar nicht aus dem Erstaunen herausgekommen; in Paris war ich aber kaum vierzehn Tage, als ich mich schon über Nichts mehr verwunderte. Meine Hauptarbeit hatte ich im Hotel des türkischen Gesandten, woselbst ich viel Neues lernte, denn die Polster liefen rund an den Wänden vorbei, und die Thüren wurden mit schweren Teppichen verhangen. Als Alles fertig war, und des Abends die bunten Lampen angesteckt wurden, sah es wirklich sehr schön aus, und ich meinte ein Mährchen zu erleben, wie ich deren einmal ein paar gelesen hatte, worin Feeen und Nixen vorkamen.

Für mein Leben gern hätte ich auch einen Blick in den Harem geworfen, und ich fragte den Dragoman des Gesandten, ob dort nichts zu tapezieren sei. Der versicherte aber, daß der Pascha gar keinen Harem mit sich führe, weil das in einem christlichen Lande Anstoß gäbe, daß es ihnen aber in Paris an Damenbesuch nie gefehlt habe.

Dieser Dragoman war ein ganz kordialer Mensch, und gar nicht so absonderlich, wie ich mir einen Türken vorgestellt hatte. Seit meiner Kindheit hatte ich in der Wenzelgasse im Laden eines Uhrmachers einen porzelanenen Türken, im grünen goldverbrämten Kaftan hochbeturbant, mit melancholischer Geberde auf einer Pendule sitzen sehen, der jeden Vorübergehenden um Erlösung anzuflehen schien. Diese Uhr fand keinen Käufer, und so hatte sich mir, da ich bis zu meinen Jünglingsjahren täglich wenigstens zwanzigmal dort vorüberging, dies Bild eines Türken fest eingeprägt. Der Dragoman aber sowohl als der Pascha gingen im einfachen blautuchenen Ueberrock und trugen den unscheinbaren rothen Feß, welches meiner Phantasie einen argen Stoß gab.

Der Dragoman begleitete mich einmal in Person in das Haus unsres Tapeten- und Teppichlieferanten Lolin, um die schönsten Muster auszusuchen. Die vier Töchter Lolin's erschienen selbst im Laden und erregten sehr die Aufmerksamkeit des Türken. Mir wären diese Mädchen nicht aufgefallen, denn sie waren hellblond, rothwangig und ziemlich korpulent: drei Eigenschaften, die übrigens in Paris rar sind. Der Türke fand nun alle Tage einen Vorwand, dies Haus zu besuchen, und sagte zu mir: er könne seinen Blick nicht an diesen ächten Houris des Paradieses ersättigen. Auf allen Sklavenmärkten des Orients habe er vergeblich nach einem Weibe von dieser Statur und Farbe geforscht, die seit seinen Jünglingsjahren seine leidenschaftlichste Sehnsucht ausmache, und nun müsse er vier auf einmal entdecken. Er sei aber auch fest entschlossen, sie alle vier zu besitzen.

Mein ehrbares deutsches Herz zitterte bis auf den Grund, als ich die Gefahr überschaute, in der sich die vier Blondinen befanden, und ich beschloß sie zu warnen. Es ward mir nicht schwer, ihre vertrautere Bekanntschaft zu machen, da mein Meister einer ihrer besten Kunden war. Auch plauderte der alte Lolin gerne mit mir von Deutschland, wo er in den Kriegszeiten lange gestanden hatte. Schon nach wenigen Gesprächen mit den Demoiselles Lolin merkte ich, daß meine Warnung ganz überflüssig sei, denn wenn sie schon im Aeußern das Widerspiel der Pariserinnen waren, so galt das noch viel mehr von ihrem Betragen. Ihre Mutter war eine etwas pietistische Engländerin von der strengsten Prüderie, und ganz in diesem Sinne hatte sie auch die Töchter erzogen. Es war ihr nicht allein gelungen, dieselben bis zum 28sten, 27sten, 26sten und 25sten Jahre als vier unbescholtene Jungfrauen zu erhalten, sondern sie waren auch so unbarmherzige Sittenrichterinnen, als wenn sie aus einer kleinen Stadt herstammten. Die Nachbarinnen, Verwandten und Freundinnen fürchteten sehr die Zungen der Madame Kitty Lolin und ihrer Descendenz. Die Männer haßten sie sogar, und ließen sie das nicht selten fühlen, obgleich sonst einem Franzosen nichts ferner liegt, als Unhöflichkeit gegen das schöne Geschlecht. Daher drehten sich seit fünf Jahren die Unterhaltungen der Demoiselles Lisette, Babette, Trinette und Jeanette Lolin außer der Medisance nur um die Blindheit der Männer.

Lisette. Was machst Du für ein Gesicht, Babette! ist Dir nicht wohl?

Babette. Ach, denke Dir, unsre Cousine Josephine ist Braut.

Trinette. Wie? Diese Coquette? Dieß leichtsinnige Geschöpf? Der arme Mann der sie nimmt!

Jeanette. Er nimmt sie wohl nur wegen ihres Geldes.

Lisette. Ei freilich! Denn wahre Achtung kann kein Mann vor einem solchen Mädchen haben.

Babette. Dafür wird's ihm auch schön ergehen nach der Hochzeit, denn Josephine hat keine Grundsätze und keine Religion.

Trinette. Es geschieht ihm Recht. Warum laufen die Männer den hübschen Figürchen und dem Gelde nach?

Jeanette. Warum bleiben alle vorzüglichen Mädchen sitzen?

Lisette. Hinterher gehen zwar allen Männern die Augen auf, wenn sie daheim eine Coquette haben, und den Fleiß und die stille Tugend Andrer einmal beobachten.

Babette. Aber damit hat die Coquette den Mann und unser eins nur die stille Tugend!

»Seid zufrieden, meine Töchter!« sprach dann Madame Lolin; »Euer Lohn ist jenseits bereitet.«

Herr und Madame Lolin waren im Grunde mit dem ehelosen Stande ihrer Töchter zufrieden, denn sie liebten das Geld und sparten gern die Aussteuer, wie auch das Honorar der Ladengehülfinnen. Die Mädchen schienen auch damit einverstanden; doch sagte mein Meister, der sich rühmte, ein Kenner menschlicher Gefühle und Verhältnisse zu sein, daß er während seines langjährigen Umgangs mit Lolin's die entgegengesetzte Ueberzeugung gewonnen hätte. »Siehe, Joseph,« sagte er zu mir, »diese vier Mädchen sind ihrer Sprödigkeit so müde, wie man im Sommer des Sauerkrauts ist. Wäre jede von ihnen allein im Hause, sie hätte längst andere Saiten aufgezogen. Aber leider hat jede drei Hüterinnen in den Schwestern, und die Furcht vor dem Spott der drei andern läßt im Herzen der vierten keine menschliche Regung aufkommen.«

Herzlich wünschte ich den vier Mädchen brave Männer, aber wegen des Türken hatte ich keine weitere Sorge, da ich mich oft genug von der Strenge überzeugt hatte, mit der sie jedes Liebesbündniß bis in die Hölle hinab verurtheilten, das nicht auf die Basis reinster bürgerlicher Tugend gebaut war.

Eine neue Wendung der orientalischen Frage stellte die baldige Abreise des türkischen Gesandten in Aussicht. Der Dragoman hatte also keine Zeit zu verlieren. Er begab sich in das Haus des Teppichhändlers, wo er offen mit seinem Antrag hervorrückte. Der Vater lächelte über die Naivetät des Türken, und setzte ihm auseinander, daß man in civilisirten Ländern einen großen Unterschied zwischen Ehe und Conkubinat mache. Diesen Einwurf schlug der Türke sogleich nieder, indem er beim Propheten schwur, er wolle die Damen alle vier als seine rechtmäßigen Frauen heirathen, welches die mahomedanische Sitte ihm ja gestatte. Er verpflichtete sich ferner, nie weder ein Harem anzulegen, noch sich an einer Sklavin zu vergreifen. Der Teppichhändler blieb unbeweglich, und erst nachdem der Dragoman zornig weggegangen war, erzählte er dessen Antrag als einen launigen Spaß seiner Frau und den Töchtern.

Die Mädchen wurden sehr nachdenklich, und als sie unter sich waren, besprachen sie, welch ein gutes Werk es sein würde, wenn man den Türken bewegen könnte zur katholischen Kirche überzutreten und nur Eine Frau zu nehmen. Also sprach zuerst:

Lisette. Der Geist meiner heiligen Schutzpatronin kommt über mich. Ich will den Dragoman sprechen und will ihn zu bekehren suchen mit den feurigen Waffen meines unerschütterlichen Glaubens.

Babette. Jedenfalls will ich dabei zugegen sein; denn es wäre Sünde, wollte ich in einer so gefährlichen Situation meine Schwester allein lassen.

Trinette. Bedenket, daß die Eltern euch eher vermissen als mich, da ich mich am wenigsten im Laden aufzuhalten pflege. Ich will es wagen und dem Türken ein Rendezvous geben, so erspare ich euch die Verlegenheit.

Jeanette. Keineswegs! Dich kennt der Türke ja kaum. Mich hat er am häufigsten im Laden gesprochen, und so darf ich mir wohl den stärksten Einfluß zutrauen. Ich will mich also aufopfern.

Der Edelmuthsstreit der vier Schwestern dauerte bis spät Abends, und löste sich endlich in ziemlich bittere Spöttereien auf, indem eine der andern vorwarf, sie sey nur deßhalb so besorgt für den Ruf der Schwestern, weil ihr der eigene nicht allzutheuer. Hierauf schwuren sie Alle zornig einander zu, den Türken ruhig in die ewige Verdammniß reisen zu lassen, ohne daß es Einer von ihnen einfallen sollte, deßhalb einen Schritt zu thun. In der folgenden Nacht, die vier mitleidigen Jungfern eine schlaflose war, beschloß indeß Jede bei sich ein Besseres, und führte es im Stillen aus, ohne den Andern ein Sterbenswörtchen zu sagen.

Der Dragoman stand am Tage der Abreise in seinem Kabinet, und sah zu, wie die Kisten vernagelt wurden. Da meldete der Diener eine verschleierte Dame, die ihn allein zu sprechen wünsche. Wie freudig erstaunt war der Muselmann, als die vollen rothen Wangen der blonden Lisette aus der zurückgeschlagenen Umhüllung ihn anleuchteten. Sie stellte ihm nach einigen Vorreden den Antrag, mit ihm die Flucht zu ergreifen, falls er den christlichen Glauben annehmen und sie allein ehelichen wolle. Von dem erstern wollte er nichts wissen; das zweite wäre er beinahe eingegangen, da er keine Hoffnung hatte, alle vier Exemplare seines Ideals im Triumph nach Constantinopel zu führen. Da meldete der Diener eine zweite Dame. Erschrocken verbarg sich Lisette hinter einem Vorhang, und hatte das Vergnügen, ihre Schwester Babette eintreten zu sehen, welche dem Türken ungefähr den nämlichen Vorschlag machte. Bei einer abermaligen Störung flüchtete diese in den Alkoven, und in gleicher Weise folgten Trinette und Jeanette einander nach kurzen Pausen.

Als der Türke nun alle vier Vögel beisammen hatte, so holte er sie, die in die Erde sinken wollten, hervor, und redete sie folgendermaßen in corpore an: »Schönste Rosen aus Mahomets Paradiese, deren Locken dem holden Mondeslichte gleichen, deren weiche Formen höher schwellen, als die Wogen des Bosporus! Hört mich an! Das Bild jeder Einzelnen von euch würde mich mit Verzweiflung erfüllen, weil es mir den Verlust der drei Entfernten mit um so tieferem Stachel in's Herz grübe. Entweder, entschließt euch, mir alle vier zu folgen, oder ich entsage euch Allen. Zwei Stunden habt Ihr Bedenkzeit, während derselben bleibt Ihr hier in meinem Kabinet eingeschlossen. Ich entferne mich, um nach Ablauf derselben Eure Entscheidung zu holen.«

Der Türke mußte seiner Sache sehr gewiß sein, denn sonst hätte er sich eher mit Einer begnügt, als ein so gefährliches Ultimatum zu stellen, das ihm alle vier rauben konnte. Gerade die Kürze der Zeit brachte den Entschluß der Schwestern zur Reife, wie er vorausgesehen. Es sprach:

Lisette. Unser guter Name ist hin, so oder so.

Babette. Besser, daß wir in der Türkei sind, wenn das Gerede in der Nachbarschaft losbricht, als hier mitten drin.

Trinette. Eigentlich ist es noch eine größere Enthaltsamkeit für fromme Christinnen wie wir, nur einen Viertel-Mann als einen ganzen zu Heirathen.

Jeannette. Und wir theilen ja als liebende Schwestern!

Genug. Nach Ablauf der Bedenkzeit stiegen die vier keuschen Schwestern verkleidet in einen Reisewagen, und sollen jetzt in Constantinopel sehr behaglich das Hauswesen des Dragoman gemeinschaftlich versehen.

* * *

Eilftes Kapitel.

Heimreise und Versuchung des ehrlichen Jungen im Postwagen.

Die Flucht der gestrengen Demoiselles Lolin regte in mir viele ernsthaften und sorglichen Gedanken an. Wenn die vielgerügte weibliche Schwachheit, der Unbestand guter Vorsätze auch das Erbtheil so sittenrichterlicher Damen war, die sich obendrein in solch solidem Alter befanden, welche Garantie blieb mir alsdann für die Treue meines Nieschens, das immer lachte und das Herz auf der Zunge hatte, wie man zu sagen pflegt. Mit Schrecken erinnerte ich mich an eine Aeußerung meines Mädchens, welche etwas laue Grundsätze verrieth. Ein Nachbarsmädchen hatte ein Kind bekommen, und Nieschen sagte nichts, als: »Och dat ärm Dier! dat deht mer äver leed!« Ach, das arme Geschöpf! Die jammert mich wirklich! indeß die andern Mädchen wochenlang von nichts redeten, als von der Schlechtigkeit jenes Mädchens. Konnte man sich bei so notorischem Leichtsinn, auf hundert Stunden Entfernung auf Nieschens Treue verlassen?

Es ließ und ließ mir keine Ruhe, und endlich lief mir die Geduld über. Ich packte ein, nahm Abschied von meinem Meister, und bestellte einen Platz auf der Diligence. Ich nahm dießmal zur Veränderung die Route über Straßburg, und beschloß in Frankfurt anzurufen, was mir meine Mutter, die dort in der Jugend Ladenmädchen gewesen war, besonders empfohlen hatte. Für sie stand Frankfurt in vorderster Reihe neben Paris und London, und sie hätte meine Bildung ohne diesen Schlußstein für unvollendet gehalten. Hatte ich darüber gleich andere Gedanken bekommen, so that ich ihr doch um so lieber in diesem Punkt den Willen, als ich im Stillen bedachte, wie nahe ich dort dem Rheingau sei, und wie leicht ich einen Abstecher zu meinem Schätzchen machen könnte.

In der Diligence bekam ich glücklicherweise Nr. 1, und konnte mich also zum Schlafen recht bequem anlehnen. Meine Reisegesellschaft bestand aus einem Herrn und vier Damen, zwei alte und zwei junge. Ich erfuhr daß sie in Straßburg ein großes Modemagazin hielten, und jährlich die Fahrt nach Paris machten, um daselbst die neuesten Moden zu studiren und Einkäufe zu machen. Sie waren über die Maßen gesprächig, und unerschöpflich in Anekdoten und Erzählungen von Reiseabenteuern.

Eine der jungen Damen hatte ein schwarzes Lockenköpfchen und funkelnde Augen. Sie gefiel mir so gut, daß ich hundertmal bei mir dachte: »Du möchtest nicht wünschen, daß dem Nieschen ein anderer Junge so in die Augen stäche, wie dir die schelmische Französin.« Nun, ein Schelm war sie gewiß, denn sie fing allerlei Spässe mit mir an. Einmal trampelte sie ein paar Stunden lang mit ihren Füßchen auf meinem Stiefel herum. Ich hielt es geduldig aus, und sagte nichts, denn ich mochte nicht gerne für ein Kräutchen Rührmichnichtan oder für so Einen gelten, den die Fliegen an der Wand hindern. Endlich aber gerieth sie mir mit dem Absatz auf ein Hühnerauge, da schnitt ich ein Gesicht, ächzte einmal, und zog den Fuß weg. Sie sagte ganz gleichmüthig: » Pardon, Monsieur, je vous croyais un morceau de bois!« Ein andresmal betrachtete sie mich lange unverwandt, und sagte mir ungenirt ins Gesicht: » Savez vous? Vous avez de beaux yeux! de ces yeux bleux d'Allemand, que j'aime beaucoup!« Ich wurde so roth wie ein Krebs, und schämte mich, daß ich von dem Augenblick an nicht mehr wußte wo ich mit den Augen hinsehen sollte.

Als die Weibsleute meine Verlegenheit merkten, so neckten sie mich alle zusammen von früh bis spät, und ich war wie verrathen und verkauft, da ich nicht so viel Französisch wußte, um ihnen zu pariren. Den Eckplatz, um den ich mich vorher so sehr bemüht hatte, behielt ich auch nicht lange zur Benützung, denn Demoiselle Léocadie, so hieß das Lockenköpfchen, belobte und beneidete mir ihn so sehr, daß ich nicht anders konnte als ihr denselben anbieten. Ich blieb an ihrer Seite die folgende Nacht, und hielt mich mit Anstrengung wach, indem ich den Kopf immer steif in die Höhe richtete, aus lauter Sorge meinen Nachbarinnen beschwerlich zu fallen. Was hatte ich aber davon, daß ich der Demoiselle Léocadie den Eckplatz abgetreten, da sie sich schon nach einer halben Stunde auf die Seite kehrte, und zu ihrer Bequemlichkeit den Kopf auf meine Schulter fallen ließ. Ich wußte vor Langeweile nicht was ich anders anfangen sollte, als auf ihre tiefen Athemzüge und auf das Streifen ihrer Locken an meine Wange Acht zu geben, denn es war stichendunkel. Endlich fuhren wir durch ein Dorf, und es fiel wieder hie und da ein Lichtschein in den Wagen; da guckte ich sie einmal von der Seite an, und meinte wahrhaftig zu bemerken, daß sie mit den Augen blinzle.

Der Wagen hielt still, es wurden Pferde gewechselt, Alles wurde wach, nur Léocadie blieb ohne Lebenszeichen in ihrer Stellung. Es war wieder ganz dunkel im Grund des Wagens wo wir beide saßen. Der Teufel plagte mich so sehr mit der Langeweile, daß ich ihr eben zum Zeitvertreib einen Kuß geben wollte, da ihre Lippen ja ohne mein Zuthun den meinen so nahe gekommen waren. Da schickte mein Schutzengel zur rechten Zeit den Condukteur mit einer Blendlaterne an den Wagen, der uns lachend zurief: wir sollten doch einmal horchen. Da hörten wir in dem obern Stockwerk eines Bauernhauses eine ganze Familie schnarchen, und das klang so überaus lächerlich in allen Oktaven, daß selbst Léocadie aus der Rolle fiel, und laut auflachte. Da merkte ich, daß sie sich verstellt hatte, und betete ein Vaterunser gegen die Versuchung. Fortan blieb ich tugendhaft, und als sie wieder versuchte die Schlaftrunkene zu spielen, schob ich ihren Kopf ganz energisch in die Wagenecke zurück, worauf sie wie im Traume » bête« murmelte.

Des andern Morgens kam mir ein Gedanke, den mir gewiß der heilige Aloysius eingegeben hatte, zu dem ich mich in meinem Gebete brünstig hinwendete. Ich bot einer alten Bäuerin, die in's Cabriolet steigen wollte und den Husten hatte, meinen Platz im Wagen an, und setzte mich an ihrer Statt der kühlen Morgenluft aus.

* * *

Zwölftes Kapitel.

Des ehrlichen Jungen erste Bekanntschaft mit dem Communismus.

Außer mir saß im Cabriolet des Postwagens noch ein Schweizer, den ich, weil er einen etwas abgeschabten Rock trug, für einen Handwerker, also für meines Gleichen hielt. Es war mir lieb Kameradschaft zu finden, und ich redete ihn mit der üblichen Frage an: »Auf was Metier reisen denn Sie?« – Er betrachtete mich mit einer zugleich stolzen und pfiffigen Miene und sagte dann: »Ich bin von Profession ein Communist.«

Ich. Dieß Gewerbe kenn' ich noch nicht. Sind Sie vielleicht Einer der die Communalsteuern einzutreiben hat?

Er. Sie sind wohl Einer, der ißt, trinkt, schläft und arbeitet, ohne sich um die großen Zeitideen zu kümmern. Ich habe wohlgethan, daß ich die Arbeit an den Nagel hängte, um bloß mit dem Kopf und der Rede für unsern Verein zu wirken, denn gedankenlose Hände gibt es überall noch. Ich bin der Dampf der die eisernen Räder treibt; die Masse ist nur Maschine.

Ich dachte einen Augenblick, der Mensch sei nicht recht gescheidt, doch als er fortfuhr, mir sein Leben und seine Plane zu schildern, da merkte ich, daß er nur im Gleichniß gesprochen habe, und daß er keineswegs mit der fixen Idee behaftet war, er sei von Dampf und wir andere von Eisen. Von seinen wirklichen Ideen begriff ich nur so viel, daß sie darauf hinausgingen: künftig solle ein Mensch so viel Geld haben wie der andere. Das kam mir ganz vernünftig vor, denn oft hatte ich die Ungleichheit des Reichthums für eine verkehrte Einrichtung der Natur gehalten.

Eben fuhr ein englischer Reisewagen an uns vorbei; ein gähnendes Ehepaar saß darinnen und auf erhöhten Sitzen räkelten sich goldbordirte Kammerdiener. »Sehen Sie nur dieß verfluchte Volk an,« sagte der Communist, »so gut wie die da auf den Sammetpolstern sich dehnen, und im Hotel den besten Burgunder saufen, so gut können wir es ja künftig auch, wenn erst unsere Sache gesiegt hat!«

Hier begegneten wir einer armen zerlumpten Bauernfamilie, die sehr hungrig aussah. Eine Frau kam bettelnd an den Wagen und trug zwei Kinder in einem Korbe auf dem Rücken. Ich suchte schnell etwas Almosen für sie, und sagte zu dem Communisten: »Mag der liebe Gott Euch segnen, wenn Ihr Eure Ideen zum Sieg bringt, denn dann fahren die armen Leute künftig wie wir im Postwagen und bekommen in der Herberge ihre Suppe, Gemüse und Fleisch und ein gutes Glas Bier dazu.«

Da der Communist hörte, daß ich auf seine Sache einging, so schlug er mir vor, mich anwerben zu lassen, und die Statuten seines Vereins zu unterschreiben. Ich sagte, das solle mir schon recht sein, nur müsse ich ihn erst länger kennen, denn alle Leute, die es gut mit mir gemeint, hätten mich immer vor leichtsinniger Namensunterschrift gewarnt.

In Frankfurt hatte ich noch für ein paar Wochen Geschäfte. Ein reiches Haus hatte bei meinem Meister in Paris eine neue Einrichtung bestellt, und dieser benutzte meine Reise, um mich jener Familie als einen geschickten Gesellen zu empfehlen, der ihnen die Zimmer ganz auf Pariser Art zu dekoriren verstände. Der Communist hatte einen Plan auf die Frankfurter Handwerksburschen, und brachte mich dahin, mit ihm in derselben Herberge Quartier zu nehmen. Trotz aller Charakterverschiedenheit vertrugen wir uns ganz leidlich, denn wer ein gutes Gemüth hat, kann ja gar nicht mit einem Menschen unter Einem Dach leben, ohne ihn lieb zu gewinnen. Darum sollte man sich wohl vorsehen, mit was für Leuten man sich so nahe einläßt, ehe einem das Herz festgewachsen ist.

Eines Tages komme ich in einen Laden, um mir eine neue Cravatte zu kaufen. Hinter der Theke standen zwei Ladenjungfern, die vollauf zu thun hatten, um allen Käufern fortzuhelfen. Eine dritte Ladenjungfer hatte mir den Rücken zugewendet; sie stand hoch auf einer Leiter und suchte im obersten Gefach des Waarenlagers nach einem Paquet. Als ich das schöne Haar und die runde Gestalt sah, dachte ich bei mir: die gleicht doch von hinten dem Nieschen wie ein Ei dem andern. Damit klettert sie herunter, dreht sich um, und – daß ich nicht laut aufschrie und ihr um den Hals fiel, war Alles – es war das Nieschen selber.

»Was wär' Ihnen denn gefällig?« fragte sie, und kannte mich nicht sogleich, denn ich hatte mir unterdeß einen Bart wachsen lassen, und trug mich auch etwas fremder als sonst. Aber wie ich nur: »Nieschen« sagte, da gingen ihr die Augen und das Herz auf, und sie wäre fast über die Thek' zu mir gesprungen. In Gegenwart so vieler Leute konnten wir uns nur wenige Worte sagen, doch verabredeten wir, wo wir uns nach sieben Uhr treffen wollten. Das Nieschen zerschnitt an dem Abend noch manche Elle Zeug, und ich rannte drei Leute um, die mir vor sieben begegneten.

Endlich schlug die ersehnte Feierstunde. Vor dem Bockenheimer Thor trafen wir uns wieder, gingen eiligst in die Anlagen, wo die dichtesten Sträucher standen, und küßten uns, bis wir keinen Athem mehr hatten. Nun ging es an ein Erzählen und am Ende wußten wir doch Alles nur halb, weil es neun Uhr war, ehe wir uns umgesehen hatten. So viel hatte ich zur Erklärung von Nieschens Aufenthalt in Frankfurt erfahren, daß ihr Vormund Bankrott gemacht hatte und sie dabei um das Ihrige gekommen war. Ihre Verwandten aus dem Rheingau hatten ihr darauf ihre jetzige Stelle verschafft, wo sie sehr viel Arbeit hatte und sehr wenig Lohn bekam. Trotzdem war sie immer vergnügten Sinnes geblieben, und hatte nie daran gezweifelt, daß ich sie wieder nach Bonn holen würde, wenn ich erst als selbstständiger Mann dort auftreten könne. Die andern Mädchen hatten ihr zwar oft bange gemacht, wenn sie erzählte, daß ihr Schatz in die weite Welt gegangen sei. Sie hatte aber immer geantwortet: »Hä kütt widder, hä eß ene ihreliche Jong!« »Er kömmt wieder, er ist ein ehrlicher Junge!«

Daheim in der Herberge wußte ich mich vor Freuden gar nicht zu lassen; ich sang, tanzte, fiel meinem Stubenkameraden, dem Communisten um den Hals, und trieb so viel Unsinn, daß er in mich drang, ihm doch zu erzählen, ob ich das große Loos gewonnen hätte, oder was mir sonst für ein Glück begegnet sei. Da ich es ohnehin nicht mehr in mich verschließen konnte, so sagte ich ihm Alles, und da lachte er mich aus und meinte, das sei auch der Mühe werth, sich um ein Mädchen so anzustellen.

Ich. Wenn Du das Nieschen sähst, so solltest Du das schon begreifen. Solcher Mädchen gibt es nicht überall.

Er. Ich habe die Gunst der Pariserinnen erfahren; auf mich macht so leicht kein Mädchen Eindruck. Auch kenne ich die Schweizerinnen und Holländerinnen, ein ganz anderes Genre, aber nicht zu verachten.

Mich piquirte es, daß er die Bonner Mädchen unter das alt' Eisen rechnen wollte, und nahm mir vor, ihm mein Nieschen in seinem vollen Glanz zu zeigen. Ich wußte, in welche Kirche es am folgenden Sonntag gehen würde, und dahin nahm ich den Communisten mit, aber ich wollt', ich hätt' es nicht gethan. Er war sogleich Stern und Blitz verliebt in das Nieschen und kundschaftete eifrig aus, wenn wir zusammen spazieren gingen. Da wären wir nun lieber allein gewesen, aber er gesellte sich immer zu uns, und war mir recht wie eine Brille auf der Nase. Alles half nichts, obschon ich ihm einigemal mit dem Scheunenthor winkte. Er zog das Nieschen in's Gespräch und sagte ihr die schmeichelhaftesten Sachen, so erzraffinirt, wie mir nie etwas einfiel. Ja er küßte ihr beim Abschied die Hand, wie die Lieutenants den Obristenfrauen thun, und das Nieschen verneigte sich und sah ernsthaft aus, was mich sehr ängstete.

Als wir wieder in der Herberge waren, machte ich unter vier Augen dem Communisten bittre Vorwürfe darüber, daß er mir den Nachmittag verdarb. Da schalt er mich einen Egoisten, der für die letzten Consequenzen des Communismus noch lange nicht reif sei. Ich sagte: Ei was, gecke Tön', ich habe bisher Essen und Trinken, Geld und Gut oft genug mit Dir getheilt, aber seinen Schatz will doch jeder für sich allein haben.«

Er antwortete: »So lange die geisttödtende Langweiligkeit der Ehe noch nicht zu den überwundenen Standpunkten gehört, so lange kann kein genialer Fortschritt möglich werden. Nur die Selbstsucht kann das philisterhafte Vorurtheil krampfhaft festhalten, das Weib zu einem Privateigenthum zu stempeln. Emancipation der Frauen zuerst, und dann Gemeinschaft –«

Hier konnte ich mich vor Zorn nicht mehr halten, denn wenn ich mir dachte, daß der Kommunist Absichten auf mein Nieschen haben könnte, so hätte ich ihm wohl den Hirnschädel kaput schlagen mögen. Wir stritten uns heftig, doch wie gewöhnlich zog ich den Kürzern, obschon ich sicherlich Recht hatte. Der Communist, der mich mit Gründen todt disputirte, gegen die ich nicht ankommen konnte, triumphirte lachend über meine Einfalt.

* * *

Dreizehntes Kapitel.

Wie der ehrliche Junge vor der Frankfurter Polizei steht.

Zu meinem ungeheuersten Aerger erfuhr ich nach einigen Tagen, daß mein Stubenkamerad schon zweimal in aller Frühe beim Nieschen im Laden gewesen war, und daß das arme ungelehrte Mädchen ihn gar nicht fortzuschaffen wußte. Entweder er fragte nach allerlei Sachen, die man in diesem Hause gar nicht verkaufte, oder er nahm eine Kleinigkeit, und plauderte eine halbe Stunde. Nun hatte ich gar keine Ruhe mehr bei meiner Arbeit, da ich doch bisher redlich bis zur Dämmerung meinen Geschäften, und dann erst dem Nieschen nachgegangen war.

Einmal trieb mich die Angst, mein Mittagessen im Stich zu lassen und dem Communisten nachzuspüren, den ich in die Straße hatte schleichen sehen, wo das Nieschen wohnte. Der Laden stand leer von Käufern, und die Rouleaux waren gegen die Sonne herabgelassen. Ich lauschte an der Thür, und hörte die Stimme meiner Liebsten, die um diese Zeit, wo die andern Mädchen zu Mittag aßen, den Laden in Ordnung brachte. Der Communist war richtig wieder da, und es freute mich nur, daß sie ihm recht grobe Antworten gab und ihm drohte, sie wolle mir Alles wieder sagen. Ich schlich näher und sah just, wie der Bösewicht meinem Mädchen einen Kuß auf den Hals drückte, indem sie sich zurückwandte und rechtschaffen um sich schlug. Da sprang ich auf ihn los, kriegte ihn beim Halse, prügelte ihn ordentlich durch und warf ihn vor die Thüre. Es entstand augenblicklich ein Volkszusammenlauf, die Polizei kam aus der nächsten Gasse und nahm mich und den Communisten ohne weitere Umstände mit auf die Wache. Das Nieschen schämte sich sehr, und weinte so laut, daß ich es noch an der Ecke hören konnte und es mir wahrhaft ins Herz schnitt.

Vor der Polizei war der Communist sehr bange und kleinlaut. Das wunderte mich, da ich doch eigentlich als derjenige, der geprügelt hatte, der Strenge des Gesetzes anheim fiel. Er, der Geprügelte, hatte nichts gethan, als einem Ladenmädchen einen Kuß geraubt, und da unsere Polizei weder einem Kuß in Ehren noch einem in Unehren wehrhaft entgegentritt, so begriff ich nicht, was meinen Mitgefangenen so sehr graviren könne. Anstatt mir Vorwürfe zu machen, suchte er mich zu versöhnen und bat mich, Alles für Spaß auszugeben, damit wir rasch fortkämen. Mich rührte es, daß er gar nicht auf meine Bestrafung drang, und eben wollte ich die ganze Schuld der Prügelei auf mich nehmen, als ein Rathsherr oder sonst ein Polizist kam, der einen Steckbrief ablas, und abwechselnd mich und den Communisten scharf ansah.

Bald darauf wurden wir unter Eskorte in einen Saal gebracht, der mir sehr schauerlich aussah. Er war lang und schmal wie ein riesiger Todtensarg, hatte nur am obern Ende zwei vergitterte Fenster, aber, was mich am meisten grauste, das waren zwölf schwarze Tintenfässer, die in Einer Reihe auf dem langen Tisch standen.

Nach und nach sammelten sich die Schreiber; jeder setzte sich lautlos vor eines der Dintenfässer und begann zu schreiben. Das Kritzeln der vielen Federn auf dem Papier machte mir eine Gänsehaut über den ganzen Leib, und ich lehnte mich an einen berauchten ledernen Sessel, der neben dem Kamin stand. Jetzt ward ich in ein Seitenkabinet geholt, wo mehrere Gerichtspersonen versammelt saßen. Von der Schlägerei machten sie gar kein Aufhebens, sondern alle Fragen drehten sich darum, daß ich den Durchgeprügelten einen verfluchten Communisten gescholten hätte. Ich mußte Namen und Wohnung angeben, und darauf schickte die wohllöbliche Polizei sogleich ein paar ihrer Helfershelfer in unser Logis, welche gleich Maulwürfen unsre Kommoden und Schränke durchwühlten, und in jede Ecke ihre Nasen steckten. Da sie meine Wäsche alle schön sauber gefalten in der Schublade liegen sahen, auch mein Wanderbuch in bester Ordnung dabei fanden, so merkten sie, daß ich ein unverdächtiger Mensch sei und ließen mich laufen. Aber aus der Kommode des Communisten nahmen sie alle Handschriften und Bücher mit, die sie vorfanden, und behielten ihn selber dazu unter Schloß und Riegel.

Später sah ich ihn nur noch einmal wieder, als ich aufgefordert wurde, Zeugniß vor Gericht gegen ihn abzulegen. Obgleich er mich durch den Kuß, den er dem Nieschen raubte, schwer geärgert hatte, so dauerte er mich doch so sehr, daß ich beschloß, alles Ueble, das ich von ihm wußte, zu verschweigen, und seine bessern Eigenschaften ins hellste Licht zu stellen, damit er recht bald aus seinem Kerker erlöst würde. Ich sagte also den Richtern kein Sterbenswörtchen von jenem Kuß, sondern strich nur die edlen Zwecke des Communisten heraus, der eine Ausgleichung aller Lebensgüter zu Gunsten der Armuth durchzuführen sich vorgesetzt hatte, und mit dem größten Eifer Mitglieder für seinen Verein anzuwerben trachtete.

Zu meinem großen Erstaunen hörte ich später, daß dieses mein Lob und meine Anerkennung seiner eifrigen Thätigkeit das meiste zum Verderben meines armen Stubenkameraden beigetragen hatte. Was mich aber noch mehr wunderte, war der Umstand, daß ein vorgefundener Brief, den der Communist an einen Freund geschrieben, mir bei der Polizei von großem Nutzen gewesen war und damals meine rasche Freilassung bewirkt hatte. In diesem Brief hatte unter anderem gestanden: ich sei ein einfältiger Bursche ohne alle Tendenz

Diese Geschichte verursachte mir viele kuriose Gedanken über die Polizei, und was für Leute wohl bei ihr am besten angeschrieben sein möchten. Je mehr ich über den Vorfall nachdachte, je dümmer wurde ich, und zur rechten Zeit fiel mir das Wort meines alten Freundes, des Landpastors, ein: daß es nicht gut sei, über Dinge zu grübeln, die der menschlichen Vernunft zu hoch lägen. Ich trachtete also ferner nicht mehr danach, die Weisheit und Gerechtigkeit der Polizei begreifen zu wollen, sondern kehrte zum blinden Glauben an dieselbe zurück, ging ihr aber künftig so weit wie möglich aus dem Wege.

An jenem Tage wo ich nach kurzem Arrest wieder entlassen worden war, eilte ich vor allem nach Nieschens Laden. Sie begegnete mir auf der Schwelle mit rothgeweinten Augen, denn der Handelsherr hatte sie als die Veranlassung des Skandals derb gescholten, und drohte sie zu entlassen, wenn sie sich ferner noch mit mir abgäbe. Da war mein Entschluß fertig. Ich schrieb an meine Mutter, daß ich nicht ohne das Nieschen nach Bonn kommen wolle. Entweder sie müsse mir gestatten meine junge Frau mit ins Haus zu bringen, oder ich bliebe in Frankfurt, wo ich genug verdienen könne um zu heirathen.

Meiner Mutter, welche gerne allein im Hause und in der Küche kommandirte, war eine Schwiegertochter ein saurer Apfel. Mir aber war's ein süßer Apfel, das sah die Mutter wohl ein; darum antwortete sie: »Ehe ihr Geschäft zu Grunde gehen sollte, möchte ich nur mit dem Nieschen kommen. Es sei zwar etwas früh zum Heirathen; doch bei ihrer Erfahrenheit im Hauswesen würden wir Kinder nicht zu Grunde gehn, wenn wir ihr nur hübsch das Regiment ließen.«

Ich war im Himmel. Das Nieschen gelobte der Schwiegermutter alles an den Augen abzusehen, was sie nur wünschen möchte. Wir gingen in Mainz auf das Dampfschiff, und unterwegs machte ich meinem Mädchen viel Freude mit Traktiren und Artigkeit.

* * *

Vierzehntes Kapitel.

Schluß der Geschichte – doch nur für einstweilen, denn der ehrliche Junge ist noch am Leben.

Wir feierten eine Hochzeit, so lustig wie nicht leicht eine gehalten wird. In der Baumschule hatten wir uns ein Essen bestellt, und im großen Saal ließen wir uns zum Tanz aufspielen. Während die Brautführer mit den Brautjungfern walzten, machte ich mit meiner jungen Frau noch einen Gang durch die dunkeln Laubgänge. Da duftete der Jasmin, die Vögelchen zwitscherten halb im Traum, und die Johannisfünkchen schwärmten durch das hohe Gras. So lustig auch die Tanzmusik aus den hellen Fenstern zu uns herüber in den dunkeln Garten klang, wir hatten dennoch weder Spaß an der Quadrille noch am Walzer, ja es war uns einen Augenblick ganz wehmüthig und schwer um's Herz.

Es mag es nur jeder Mensch überdenken wie ihm zu Muth war als ihm einst der höchste Wunsch in Erfüllung ging: ob ihm nicht da der Athem stockte, grade als sei ein schweres Unglück im Anzuge.

»Weißt du was, Nieschen,« so sagte ich, »wir wollen die da drinnen tanzen lassen, und still nach Hause gehen, denn wenn wir jetzt wieder in den Saal treten, und haben die Thränen in den Augen, so meinen die Andern gar: es sei uns leid geworden.« Dem Nieschen war das recht, denn es wollte gerne das grüne Zimmerchen sehen, das ich ihm selbst zu tapezieren versprochen hatte. So neugierig es war, vor diesem Abend durfte es nicht hinein, weil ich es damit überraschen wollte. Ich hatte mir aber auch die größte Mühe daran gegeben, und es wäre für eine Prinzessin nicht zu schlecht gewesen. Vor dem Fenster waren Weinranken heraufgezogen, und dazwischen blühendes Geisblatt. Da die Tapete ebenfalls hellgrün und mit einer dunklern Guirlande durchzogen war, so meinte man in einer wirklichen Sommerlaube zu wohnen. Die Mutter hatte ihrer jungen Schwiegertochter zum Geschenk einen dunkelbraunen gebohnten Eichenschrank hineingestellt, ein hundertjähriges Familienstück, mit schöner selbstgesponnener Leinwand darin. Dies Geschenk machte meinem Nieschen so viel Freude, daß sie sich entzückt ans Zählen der Tischtücher und Servietten machte. Sie hätte sich die halbe Nacht damit amüsirt, wenn ich dessen nicht endlich müde geworden wäre.

Nun sind schon ein paar Jährchen herum, und wir vertragen uns immer gleich gut. Wir haben einen kleinen Unrast im Hause, der eben laufen kann; und zu Weihnachten haben wir ihm ein Schwesterchen bestellt. Das Nieschen verwöhnt den kleinen Jungen ein bischen, aber dafür ist ihm die Großmutter desto strenger. Unser Hausfrieden ist musterhaft, und wenn wir auch hier und da verschiedener Meinung sind, so machen wir das stets im Spaß ab, ehe es zum Streit kommen kann.

Daß wir nicht auf allen Punkten Eines Sinnes sind, muß ich sogar für ein Glück ansehen, wenn ich unsere Nachbarschaft betrachte. Zum Exempel, rechts von uns wohnen ein paar Leute, die alles draufmachen, weil sie beide gleich erpicht auf das schluchige Essen und Weintrinken sind, indeß unsre Nachbarn zur Linken vor lauter Sparsamkeit Einer dem andern zeitlebens die kümmerlichsten Gesichter machen. Von einer solchen Harmonie kömmt oft der ärgste Verdruß ins Haus, und der Offermann der uns singen lehrte, sagte nicht mit Unrecht: »Nichts thut dem Herzen so wohl, als eine Dissonnanz, die sich schön auflöst.«

So ist es in unserm Ehestand beschaffen: Das Nieschen ist mehr auf das Plaisir und ich mehr auf die Arbeit versessen. Des Nachmittags macht die Frau gern ein Läufchen durch die Stadt, und darum weiß sie Abends allerlei zu erzählen. Hätte sie sich eben so sehr bei der Arbeit geplagt wie ich, dann säßen wir vielleicht müd' und maulfaul bei dem Salat, und gähnten um die Wette. Das sehe ich ein, und lasse es deßhalb geschehen, daß sie manch Stündchen mehr verplaudert als eine Bürgersfrau sollte. Aber dazu bringt sie mich nicht, wie sie gern möchte, an Werktagen dann und wann vor die Stadt zu gehen, und in der Vinea domini einzukehren, oder in Rheindorf gebackene Fische zu essen; sie bringt es auch gar nicht mehr vor, seit ich ihr einmal ernstlich meine Meinung darüber gesagt habe. Dafür habe ich nun meinen Sinn gebeugt, was die Sonn- und Feiertage angeht, so gerne ich auf diese die Geschäftscorrespondenz und das Rechnungsbuch verlegt hätte. Dem Nieschen zu lieb, heilige ich den Sonntagnachmittag durch Faullenzen, Spazierengehen und delikates Essen und Trinken, weil wir es ja gut thun können.

Unser Geschäft geht prächtig. Anfangs verlor ich manche Kundschaft, weil ich die Leute nicht belog, wie andere Tapezierer thun. Sah ich voraus, daß ich am bestimmten Tag nicht kommen konnte, so nahm ich die Arbeit lieber nicht an, als daß ich sie halb und halb versprochen hätte. Aber als die Kunden merkten, daß ich immer Wort hielt, und daß sie von den Andern doch nicht schneller geholfen bekamen, da ließen sie sich mir nicht mehr abwendig machen, so daß ich jetzt die meisten Gesellen beschäftige. Dadurch lasse ich mich aber gar nicht aus dem Häuschen bringen, sondern will ein einfacher Bürgersmann bleiben, damit wir, wenn statt des Einen dereinst zwölf Kinder um uns herum wibbeln, sie alle anständig auf erziehen können. Mein Schutzpatron, der heilige Nährvater Joseph möge uns dazu verhelfen; Amen.

* * *


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