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Ein Traum im Spessart.

Von

Gottfried Kinkel.

Das sind nun bald an die tausend Jahr, da stand das deutsche Reich gar übel. Denn der große Kaiser Karl, der mit mannlicher Hand gegen die Heiden an den Marken stand und drinnen im Lande Frieden und Ruhe schirmte, war lange schon zu seinen Vätern versammelt, und der Tod hatte ihm einen ewigen Stuhl gebaut in der Kaisergruft zu Aachen. Auch die zwölf Pair's, die einst Recht und Unschuld geschützt, hatten sich zum langen Schlaf gestreckt, ein Theil auf dem Schlachtfelde, der andere auf hohen Burgen im friedlichen Alter. Da haderten die Enkel und Enkelsöhne des gewaltigen Kaisers und zertrennten das mächtige Reich, das zwischen den vier Meeren lag. Deutschland aber stand am betrübtesten: denn seine Könige waren Kinder und wie Kinder schwach. Also brachen überall die Heiden in's Land und wütheten mit Brand und Mord. Jungfrauen und Knaben führten sie in Gefangenschaft und verkauften sie fern über's Meer; die Saaten schnitten sie ab vor der Reife, und wo eine Kirche oder ein Kloster stand, die wurden vertilgt. Nicht minder aber ras'te drinnen die Zwietracht: denn das Gesetz schaffte kein Recht mehr, darum trat die Faust in ihr Recht, und es geschah wie geschrieben steht: daß Jedermanns Hand war wider seinen Nächsten. Dazumal wurde der Fromme und Gerechte unterdrückt; wer aber stark war und des Gebotes spottete, der übermochte sie Alle.

Nun liegt inmitten Deutschlands, da wo man von Aschaffenburg hinübergeht nach Wertheim oder Würzburg, ein fürchterlicher Wald, den die alten Lieder den Spechteshart heißen. Der hat Holz aller Art. Aus den tiefen Thälern streben gewaltige Eichen zum Licht, und zwischen ihnen lacht das hellere Laub der Buchen und die weißen Stämme der Birken. Oben aber auf den Gipfeln hat sich die Tochter der Luft, die liebe Buhle des Windes, die Tanne, ihre Wohnung in tiefgeklüftetem Gestein gegründet, oder dichter Föhrenwald deckt sich, wie eine Haube von dunkelgrünem Sammt, auf die kahle rothe Felsenscheitel. Wer da hindurchwandert am hellen Sommermittag, wenn der Wald still wird und Mittagschlaf hält, der empfindet auch jetzt noch das leise Rauschen des Geistes der Natur durch's dürre und durch's grüne Laub, und fühlt sich mit seligem Schauer einer fremden und doch wunderguten Macht hingegeben, die ihm den irren Geist mit Ruhe und die lebensmüde Seele mit Frieden erfüllt, und seinen kranken Leib erfrischt mit ewig jugendlichem Duft aus Wald und Moos und Quell, bis sie ihn endlich geheilt von allen Wunden wieder hinaus entläßt in das arbeitsam dahinrollende Leben in Dorf und Stadt, auf Markt und Acker. Und doch ist jetzt der Wald gelichtet und ohneWildniß: einst aber war's anders, da gehörte er nur den Geistern, und kein menschlicher Fuß drang in seinen innersten Kern. Nur an den Säumen des Forstes, da, wo er in's flache Land des Mainstroms sich senkt, arbeitete ihm das Beil des einsamen Siedlers entgegen, oder ein Klausner baute im Bachthale seine Hütte, oder emsige Klostermönche gewannen der übermächtigen Natur mit rastloser Mühe den Boden ab, auf welchem hinfort die Aussaat des Geistes beginnen sollte.

* * *

Damals stand, wo der Wald von Esselbach aus sich in einem engen Bachthal zum Main hinabzieht und auf Kreuzwertheim niederschaut, eine starke Ritterburg, einst ein Schirm der Gegend, wenn etwa Normannen von Mainz und Frankfurt aus in ihren flachen Böten den Fluß hinauffuhren und nach dem Gut der Klöster trachteten, oft auch ein gastliches Haus für den einsamen Wanderer auf der stillen Straße am Fluß hin, jetzt aber, in der argen Zeit der wilden Gährung, ein Raubschloß und eine Zwingburg für alles Land rings umher. Von Anfang wohnte dort ein wackerer Ritter des großen Karl, der ihn als Pfleger und Grafen der Landschaft dorthin gesetzt und ihm selber die starke Burg gebaut hatte. Er und seine Söhne regierten meisterlich, und das Land blühete im Schatten des gesegneten Stammes. Wie aber die Kaiserkrone ihre Macht verlor, da sammelte ein Knecht des Schlosses aus dem ganzen Lande einen Schwarm von Bösewichtern, Räubern und Mördern, erhub sich in Fehde wider den letzten Grafen und drang durch Verrath in tiefer Nacht in's Schloß ein. Ohne Panzer stürzte der greise Mann dem Schwarme entgegen: da traf der Morgenstern des Verräthers sein Haupt, und er fiel als getreuer Ritter im Kampfe wider Frevel auf der Stelle, die sein Kaiser ihm anvertraut. Nun brach fürchterliches Getümmel im Schlosse hervor, die Dienstmannen des erschlagenen Grafen fochten bis auf den letzten vom mittlern Thurm, aber die Mörder legten Feuer an die Pforten, und die Tapfern starben im Dampfe. Robert aber, der sündige Führer der Räuber, suchte überall nach den beiden Kindern des Grafen, um sie zu tödten und später Rache zu entfliehen; doch sie waren im Brand und Getöse entkommen, Niemand wußte wohin. Da schlug er sich im Taumel des Sieges die Sorgen aus der Seele, und saß hinfort als Raubritter auf der hohen Burg, von wo er mit Falkenaugen auf das Schiff des Kaufmanns im Strome und auf den Wanderer am Strande hinabsah und mit Falkenschnelle auf die Unglücklichen niederstürzte. Das Land wurde bald öde, die Bauern zogen sich von ihren alten Hufen Landes zurück, der Fremde mied die gefahrvolle Straße: aber weit ringsum zogen die beutelustigen Schaaren, und selbst Würzburg und Aschaffenburg zitterten hinter ihren starken Thoren.

* * *

In jener schrecklichen Nacht erstiegen zwei Männer eilfertig die sanften Abhänge des Spechtwaldes, die hinter der Burg aufstiegen. Es war der Burgkaplan und ein alter Diener des Grafen. Jener hatte die Heiligthümer sammt dem Kelch, dieser die Grafenkrone und das Schwert des Ahnherrn gerettet. Der Diener trug einen kleinen Knaben auf dem Arm, einen andern größern führte der Kaplan an der Hand. Sie sahen den Brand des Thurmes unter sich, nach welchem das jüngste Kind seine Aermchen lautlachend ausstreckte, sie hörten das Todesächzen der erstickenden Getreuen und dann das wilde Jauchzen der schwelgenden Sieger. Oben am Walde aber hielten sie still und boten sich die Hand und sahen sich beim Sternenlicht ernst in's Auge. Dann reichte der Diener das kleine Brüderchen dem ältern Knaben herunter; das schlug die Arme um den Nacken des Bruders und küßte ihn auf den Mund. In zehn Jahren! sagte der Diener; Dominus tecum! erwiederte der Geistliche. Damit schieden sie; der Diener ging vorwärts in den Wald, wo man jetzt nach Würzburg wandert; der Kaplan wandte sich links, wo ein leisegetretener Pfad in der Richtung von Aschaffenburg fortlief.

Konrad, so hieß der ältere Sohn des Grafen, erwachte am folgenden Morgen in einem engen, grünen Thal, eine Hängebirke neigte ihre Zweige über ihn hinab, ein Reh stand neugierig auf ihn gebeugt und sah ihn mit den treuen, braunen Augen an; als er sich regte, setzte es mit kurzen Sprüngen über den Bach, der unten durch niedres Erlengehölz floß. Reife Beeren in Masse wuchsen rings an den Abhängen, wo die Sonne ihre mächtigen Strahlen auf baumlose Felsen senkrecht hinabschoß. Konrad staunte über die ihm noch unbekannte Einsamkeit; bald aber trat der Kaplan zu ihm, der bereits die Stelle zu einer Hütte ausgesucht hatte, da wo der Wald in's Wiesenthal hinabglitt und gegen die Mittagsonne Schatten bot. Viele Tage arbeiteten sie daran, gefallene oder durch Windbruch geknickte Stämme von den Nachbarhöhen herbeizutragen und mittelst einer Streitaxt zuzuhauen, welche der Geistliche auf den Fall eines Angriffs durch Menschen oder wilde Thiere mitgebracht hatte. Denn zu jener Zeit, wo Jedermann das Schwert führte zu Schutz oder Trutz, waren auch die Priester wohlgeübte kriegerische Leute, und lebte gar mancher Bischof, der unter dem violblauen Mantel den Panzer trug, und erst den Feind erlegte, bevor er seine Beicht hörte und ihm die Wegzehrung spendete. Also war auch dieser Burgkaplan vor Zeiten ein starker Dienstmann des alten Grafen gewesen, und verstand alle Reiterkünste und Waffenwerk gar trefflich. Nun aber wuchs ihm da mitten im tiefen Wald die alte Kraft jugendlich wieder auf, und er zimmerte mit Hülfe des Knaben ein stattliches Haus von rohen Stämmen, zog auch einen Zaun von Planken um das ganze Wiesenthal, damit das Wild nicht ihre künftigen Werke zerstören möchte. Darauf befahl er dem Knaben die Hütte und zog hinunter zum Ufer des Flusses; dort holte er Grabscheit und allerlei Gewaffen, Samen zu Korn und guten Kräutern, auch etliche Bücher: damit kehrte er durchs Bachthal zu seinem Schützling zurück.

* * *

Also lebten da die Beiden viele Jahre lang, und die Tage rauschten ihnen rasch vorüber. Der Alte lehrte den Jungen Jagd und Fischerei, doch jagten sie nur auf wilde Thiere, auf Bär und Wolf, die das milde, liebe Reh ängsten und des Menschen stille Wohnung und friedliches Leben gefährden. Speise gab ihnen reichlich das Korn, das ihrer Hände Arbeit gewann, Labsal der Bach und die Beere des Waldes. Aber im Winter lasen sie in alten Schriften von heiligen Männern und Frauen, doch nicht minder von Ritterthum und Minne, denn der Greis erzog den Jüngling zum Rächer, nicht zum lammfrommen Mönche. Nun las der Knabe viel von Frauen und Frauenschöne, und wußte doch nicht, was ein Weib sey. Denn die Erinnerungen seiner Kindheit waren von der Flammennacht seiner Flucht hinweggebrannt, und in die Waldgründe kam kein fremder Mann, viel minder ein Weib. Da faßte ihn ein heißes Gelüsten, das zu schauen, was Lieder und Sagen als das Allervollkommenste und Schönste priesen, und aus diesem Sehnen quoll ihm die Lust des eignen Liedes. An einem kühlen Abend war's, als der Bach im Schweigen des Sonnenuntergangs lauter hinabrauschte in die bunte Welt draußen über dem Gebirg, und der Jüngling sich mit der fliehenden Welle gezogen fühlte in den rothen Abendschein, der mächtig über dem Walde hinaufflutete – da auf einmal sprang aus seiner Brust, er wußte nicht wie, das allererste Lied, Wort und Sangesweise zugleich. Denn im Rauschen des Bachs vernahm er abwechselnde Töne, die sang er nach in Höhe und Tiefe; auch schlugen zwei Nachtigallen mit gleich endendem Wechselschlag, das gab ihm den Reim; dicht bei ihm aber pochte der Specht auf einem harten Stamme seine gleichen Schläge, darnach maß er den Wechsel von Hebung und Senkung: das Alles klang aus ihm hervor wie ein längst Fertiges und er sang in den Widerhall hinein das Lied:

Welle darfst du nimmer weilen,
Nie zu mir in Liebe glühn?
Sprich, was zwingt dich, fortzueilen
Aus des Waldes trautem Grün?
Laß in Liebe ungemessen
An die heiße Brust dich pressen!
Faß' ich dich, laß' ich dich nimmer von hier –
Wehe, du fliehst und ich lodre nach dir!

Hindin, braune, holde, schlanke,
Lockt dich so die Waldesnacht?
Warum meidest du die Schranke,
Drin mein lieber Garten lacht?
Laß mit holdem Wort dir schmeicheln.
Laß dich kosen, laß dich streicheln!
Wehe, du fliehst in geflügelter Zier,
Ach und du lässest mich Einsamen hier!

Keine Wellen, keine Hinden
Gleichen doch dem holden Bild,
Das ich nie vermocht zu finden,
Doch im Herzen steht es mild.
Oft wohl mein' ich, aus den weiten
Wäldern müßt' es grüßend schreiten –
Selige Schönheit, enthülle dich mir!
Weh, du zerrinnst und ich lodre nach dir!

Es rauschte hinter Konrad; der Kaplan stand da und schaute mit leuchtendem Auge seinen Schüler an. Ich habe Dich gehört, sprach er, Du bist ein Sänger geworden, und weißt es selber nicht. In deutscher Zunge kannte noch Niemand die Kunst des weltlichen Liedes, welche Dir Gott in Deinen Mund gelegt hat. Du bist reif, ich halte Dich nicht länger. Morgen soll das Werk Deines Lebens beginnen, morgen dieß Sehnen den Weg finden, der es zum Ziele bringt. Folge mir in die Hütte, in der Du zum letzten Male ruhen wirst.

Der Jüngling schauderte; das Thal war seine Welt, die Hütte sein Königreich; er faßte es nicht, daß es draußen noch ein Leben gebe und ein andres Wirken und Schaffen. Aber um Mitternacht, bei trüber Lampe, hatte der Alte die Geister der Ahnen schon aufgeweckt, die in der Brust des Rittersohnes begraben lagen: Rache an dem Mörder seines Vaters, Kampf um Recht und Ehre, holder Gruß der Frauen spiegelten sich mit irdischem Edelsteinglanz im Krystall seiner himmlischreinen Seele. Er wußte, was ihm auferlegt war; er wollte den Bruder und bei ihm Schwert und Krone suchen, dann den Feind angreifen, und zu dem Kaplan zurückkehrend die Heiligthümer in ihr Tabernakel heimführen. Mehr wußte er nicht; er ahnete nicht Gefahr, denn er kannte sie kaum – so Weniges war genug ihn zum Mann zu machen.

* * *

Es war Morgen. Der Kapellan führte Konrad tief in den Wald auf einen Fleck, wo der Wintersturm eine Lichtung gebrochen hatte. Weit, wohl eine Tagereise entfernt sah ein Berghaupt über die Baumtrümmer herein; das wies der Alte seinem Schüler. Drei Tannen stehen droben, so sprach er: kommst Du näher, so wirst Du sie erkennen. Dorthin geht dein Pfad. Oben stürzt ein Bach aus dem Gestein, nach Mittag, abwärts; dem folge unablässig, bis er in Felsen verschwindet; dann wirst du den Bruder finden. Weinend entließ er den Geliebten, aber Konrads Augen glänzten vor Freude, nach Abenteuern ausschauend, glühend in Thatenlust. Er ging in die Waldesnacht hinein; im Thal braute noch der Nebel, aber die Berghäupter glommen im Morgenroth, und hinter ihnen that sich blau und glänzend wie eine wunderbare Zukunft das Thor des Aethers auf. Mit der Streitaxt hieb er sich Bahn, die junge Eiche borst vor seinem Fußtritt, das Wild aber spielte ruhig fort auf den Weideplätzen. Er rastete unter Brombeersträuchern, Kühlung, Ruhe und Speise zugleich genießend; der Bach gab ihm die schäumende Milch seiner donnernden Fälle. Wohl hätte ein andres Herz gebangt in der schauerlichen Einsamkeit, aber Konrad ging sorglos seinen Weg und grüßte Blumen und Thiere an denen er vorbeikam. Als der Mond aufging, sah er die drei Tannen auf dem Berge, mit sinkender Kraft strebte er hinauf und ruhete da zu Nacht; ihn wiegte auf weichem Moose der aus den Thälern dumpfrauschende Wald in festen Schlaf. Doch ließ die Thatkraft ihn nicht gar lange feiern; als die Sonne kam, hatte er schon die Quelle des Baches gefunden, und stieg auf dessen abgewaschenen Felsquadern hinab, immer der Sonne entgegen, die nach dem Mittag hin ihren Lauf hub. Aber der Weg wurde beschwerlicher. Oft brauste neben ihm die hüpfende Flut, oft auch bot nur das Bette des Gießbachs ihm den Weg durch enges Felsengeklüft; er lief mit der Welle um die Wette, aber sie kannte ihren alten Weg besser und ließ ihn spottend zurück. Mattigkeit faßte ihn, oft und öfter mußte er rasten; und so heiß die Sehnsucht nach den neuen Menschen ihn vorwärts trieb, es wurde wiederum Nacht, ehe er das tiefste Thal erreichte. Da trat ein mächtiger Fels ihm entgegen, vor dem der Bach in einen tiefen klaren See sich zusammendämmte; aber unter dem Spiegel des See's gohr es donnertönig, Schaum quoll empor, und Konrad sah, daß durch einen dunkeln Riß in grauser Tiefe der Bach sich fortwühlte. Das also war der Ort; hier ging der Bach in Felsen verloren, hier mußte der Bruder weilen. Der Mond kam – ach, er beschien nur Bäume und Felsblöcke. Nirgends eine Spur der tilgenden Menschenhand; in unberührter Jungfräulichkeit, streng und herbe schaute die Waldlandschaft den Sehnenden an. Ein mächtiger Schmerz zerwühlte seine Brust; es war die erste Täuschung, die erste Ahnung eines unermeßlichen Verlustes, die dieß junge Leben durchschnitt. Er drückte die heiße Stirn an den Fels, und zog sie zurück, als er die feuchte Steinkälte empfand; er preßte sich mit dem pochenden Herzen an einen Baum, und mußte ihn fahren lassen, denn ein abgebrochener Zweig drückte sich rauh und schmerzend wider seine Brust. Der Fels aber zeigte ihm im scharfen Nordlicht sein Riesenhaupt wie die Züge eines verzerrten hohnlachenden Angesichts.

Da fiel ihm ein, daß besser, als er, der Bach den Weg wisse, der aus dem Gebirg zu Menschen führe. Denn er gedachte, wie auch der alte Kapellan immer dem Bache, der sein Thal durchfloß, gefolgt sey und ihm dann von der großen Stadt erzählt habe mit den vielen Menschen und Häusern und Kirchen darin, und von dem Flusse, der den Bach dort unten aufnehme. Ach der Arme, er wußte nicht, daß noch viele Tage lang der Bach zu fließen hatte, ehe er den Rand des unermeßlichen Waldes erreichte; sein Sinnen ging dahin, den Bach hinter dem Felsen wiederzufinden. Das Gestein war unersteiglich; schon auf den ersten Stufen glitt ihm der Fuß aus. Also wollte er den Felsen umgehen und wandte sich ins tiefere Thal durch eine weite Kluft hinab. Nicht weit kam er, da hörte er schon zur Seite abwärts lautes Rauschen, und sah tief unter sich eine uralte Eiche ihre saftigen Wipfel hoch über das niedere Holz ins Mondlicht strecken. Der gewaltige Wuchs des Baumes, wie er noch keinen gesehen, bekundete die Nähe des Wassers; dorthin stürzte der ersehnte Bach aus dem verschlossenen Felsen hinab.

Hochwald nahm den Jüngling auf, unter den mächtigen Bäumen kam kein junges Reisholz fort. Also ging er mit unbehindertem Schritte voran, und begann sein Lied zu singen:

Oft wohl mein' ich, aus den weiten
Wäldern müßt' es grüßend schreiten –
Selige Schönheit, enthülle dich mir!

Da faßte es ihn mit einem wunderbaren Schauder, als würde Alles Wahrheit, was er oft überschwänglich sich geträumt. Aus den Bäumen schimmerte ihm ein Wasserspiegel entgegen, der ungeheure unten geborstene Eichbaum nahm ihn in seinen Schatten, er trat auf einen weiten grünen Rasenfleck. Aber vor ihm, wo der Bach in schäumendem Sturz sich brach, stand grell vom Mondlicht beleuchtet im Fall der Tropfen eine Gestalt. Sein Blut starrte, sein Herzschlag stockte, er meinte zu sterben, aber sein Geist jubelte durch alle seine Schrecken hindurch – es war, was er ersehnte, es war ein Weib. Ihr nasses Haar lag um die regungslose marmorweiße Gestalt, es war ihre einzige Hülle, ihre herzverzehrenden Augen ruheten wandellos auf dem Jüngling. Der Staubbach übergoß den wundervollen Leib mit einzelnen Tropfen und schlang um das Haupt als Diadem einen Mondregenbogen; um den schönen Fuß schmiegte sich die langsam verrinnende Welle. Kein Schimmer der Röthe durchflutete das zauberhafte Bild, als der Jüngling vortrat und nun selbst sichtbar im Scheine des Mondes dastand; nur ein Lächeln schwebte zwischen den braunen Schlangen des prächtigen Haares über das weiße Gesicht.

Kaum fand der Jüngling seine Sprache; er rief mit zitterndem Tone: Wer bist Du?

Das Weib erbebte und neigte sich, also daß ihr Haar die ganze Gestalt verbarg. Wer hat Dein Auge geöffnet, Sterblicher, daß Du mich zu schauen vermagst? Geh Deinen Pfad ungefragt, und laß mich meinen Brüdern Mond und Bach; es thut Dir und Deiner Sippe nicht gut uns zu schauen.

Du stößest mich von Dir, rief Konrad mit bitterm Schmerz. Du redest menschlich, und bist doch so kalt wie Wasser und Fels! Ich habe eine Frage an Dich, doch sage mir zuvor wer Du bist, denn Du lebst und ich lebe auch, wir zwei allein im tiefsten Forst, in grauser Nacht.

Thor! rief sie stolz, weil keiner von Adams Blut Dir hier begegnet, wähnst Du allein zu sein? Lebt nicht dieser Bach und umspinnt er nicht mit süßer Lust meine Schönheit? Lebt nicht der Baum, den Deine Axt frevelnd fällt? Schau jene Eiche, sie lebt wie Du, denn ich bin ihr lebendiges Herz.

Und wie nenn' ich Dich?

Meinen Namen weiß, der mich schuf. Ihr Menschen nennt uns, wie wir es euch offenbaren, darum wechselt unser Name mit den Zungen der Völker. Eiche bin ich jetzt genannt; einst war ich im Süden, und ein großer König hat mit Egeria selig geschwärmt.

Also bist Du frei vom Tode?

Ewig wie Du, aber unwandelbar. Doch kenne ich Todesweh. Wenn eure rohe Hand meinen Baum mordet, und seine saftige Krone zum Fall sich neigt, dann verdorrt mit ihm auch mein Herz, und ich schlafe unter Schmerzen ein. Doch o Lust, wenn dann ein junger Frühling meine Brust mit mildem Hauche küßt und das Eis des Herzens löst, wenn ich dann in einem neuen kraftvoll emporstrebenden Baume wieder auferstehe, und tausend Lebensjahre uns auf's Neue sich ausdehnen!

Und was wird Dein Ende sein?

Leben im Born des Lebens, aus dem ich hervorgesprungen bin.

So kennst Du den Einen, Ewigen, und nennst ihn auch Deinen Gott?

Vor Zeiten hieß ich selber eine Göttin, und Roms Jungfrauen brachten mir Trankopfer, denn ich hatte ihrem Könige Weisheit und Gesetz gelehrt. Sie ahnten was wahr ist: ich bin ein Hauch aus Ihm, ein Laut im Donnerchor des Wortes, das er sprach: Es werde! Er liebt uns wie euch, er sendet seinen Thau und seinen Sturmwind, uns zu erquicken, und naht er im Gewitter, so rauschen wir ihm jauchzend entgegen aus allen Zweigen.

Aber weißt Du auch von des Himmels Seligkeit?

Schwacher Thor, rief sie, der mehr Seligkeit braucht als er schon hat! Ich bin selig von Anbeginn. Aber wie möchtest Du das fassen? O wenn im Lenz alle Knospen springen und die leise Blüthe sich erschließt, wenn dann in die wollustzitternden Kelche der Duft des Nachbarbaums schwelgend eindringt und der lange Sommer eine einzige Brautnacht wird, wenn ich drinnen im Marke die Flammenlust jeder einzelnen Blüthe mitempfinde und rastlos aus dem Felsenschooße die feuchte Lebenskraft sauge und in die Wipfel hinauftreibe mit wilder Leidenschaft, wenn dann im Mutterschooß jeglicher Blüthe die Frucht reift und die Eichel sich dem Taglicht entgegenrundet, wenn der ganze Baum bebt in tausendfacher Mutterwonne – armer Sterblicher, geh' und freie Dein Weib zum kurzen Genuß, aber rede nicht von Seligkeit zur Jungfrau des Baumes!

Und wie sie so sprach, da wuchs ihre Gestalt wieder hoch empor, und der Mond fiel heller auf Stirn und Busen. Der Jüngling schwindelte in Grausen und Lust, doch wuchs ihm der Muth in der Nähe der Gewaltigen. Er fühlte, daß auch in ihm eine Lebensflamme glühte, würdig ein Geisterleben als gleichgeboren zu umspielen. Ein wildes Sehnen zog ihn zu dem schönen Weibe: herrlicher als alle seine Träume stand eine lebendig gewordene Wahrheit vor ihm, er ahnte, daß unter allen Weltgestalten, die wie Schattenbilder in seiner jungen Seele schlummerten, keine diesem Bilde gleichzukommen vermöge. Alles was er von Minne gelesen, Schmerz und Jubel, Tod und Leben, Heldenmuth und Verzweiflung, tobte in ihm, ein entsetzliches Hoffen bäumte sich in seiner Seele empor. Er trat nah zu der Elfin und sprach: Kannst Du lieben?

Da zitterte sie zusammen und flüsterte: Ich habe es gekonnt. Weißt Du von dem Manne, der zweimal gelebt hat, von dem schönen Jüngling aus Athen? Seine Rosse zerrissen ihn, ich fing seine todstöhnenden Odemzüge auf und hauchte sie ihm küssend wieder ein im Haine Aricia's; er lebte auf, und meine kalten Arme rötheten sich von der Glut seiner Leidenschaft. Dann fand mich Numa in kühler Grotte; ein Wassersturz ergoß sich vor dem Eingang, und durch ihn schimmerte mit gebrochenen spiegelnden Lichtern der Tag. Weisheit suchend war er in die Wildniß gegangen, und er fand Weisheit, indem er sich zum Gott umschuf an meiner Brust. Aber auch Hippolytus starb und Numa – nur wir sind ewig. Ich beschloß, einsam zu bleiben, und wuchs in diesem Walde neu auf, wohin kein lockendes Menschenantlitz dringt.

So hat das Schicksal Deinen Entschluß bezwungen, rief der Jüngling wildbegeistert. Ich bin da, ich lebe, und mein Herz schlägt stark, wie das Herz Derer, die Du vor mir geliebt. Sei mein!

Niemals, sagte sie trübe. Wer uns angehört, der ist in seiner Welt nicht mehr heimisch. Du würdest nicht froh mehr werden draußen unter den Menschen. Wir, die Kinder der Natur, sind ohne Lüge wie ohne Gram, euch geziemt halbes, gedämpftes Licht und die Wehmuth, die zwischen Lust und Schmerz schwankt. Nur wen die Welt grausam betrog, der kann bei uns heimisch werden; wer draußen nichts mehr besitzt, kein Herz, kein Haus, kein geliebtes Grab mehr, den nimmt die Natur an ihr Herz, den läßt sie aber auch nie wieder fort aus ihrer Stille. Du hast ein ander Ziel, Du ringst noch nach That und Abenteuer – gehe hin zu Deinen Brüdern!

Er antwortete: Ich habe sie gesucht und nicht gefunden. Hast Du nie Menschen in diesem Forste gesehen?

Ja, einen Greis und einen Knaben. Sie wohnten dort im Thal unter dem schwebenden Felsen. Nun aber sah ich sie lang nicht mehr. Die Bäume sagen, der Knabe sei fortgezogen in's offne Land hinein.

Und wo find' ich ihn?

Frage die Geister, die seinen wandernden Fuß belauscht haben. In der kommenden Nacht, wenn der Mond voll wird, treffen sich die Kinder des Waldes auf der Elfenwiese. Dein Auge ist geöffnet, dein Herz muthig: Du magst uns dort fragen.

Wie find' ich den Ort?

Am Kreuz des Todten gehet der Weg, es steht am Bache, dort zieht er rechts durch den Wald nach dem steinernen Mönch, seine Hand weiset Dich zur spinnenden Jungfrau. Wo sie sitzt, da ist die Elfenwiese. Aber eile, denn für einen Sterblichen ist der Pfad weit und wird Deine Kraft lähmen.

Werd' ich auch Dich wiedersehen?

Eiche fehlt nie am Throne der Königin. Aber sprich, ob Du schon gefeit bist? Wo nicht, wehe Dir, wenn Du unter die Geister trittst. Sinnverwirrend blicken aus dunkeln Locken die Tannenjungfrauen Dich an, und wer die Nymphen der Quellen schaut, erblindet. Nur der Sänger mag es ungefährdet, doch nicht ohne die Weihe.

Ich bin Sänger, sprach der Jüngling, aber von welcher Weihe sprichst Du?

Tritt zu mir und schaue mir scharf in's Auge,

Ihm war, wie dem Wanderer, der plötzlich auf einen Felsengipfel vorschreitend, tief im Waldgrunde einen lichtblauen See erblickt, wie sie wohl in ausgebrannten Feuerschlünden sich finden. Da schwindelt ihn; die Tiefe lockt ihn mächtig, als wäre sie ein neuer, schönerer Himmel, er möchte hinabstürzen in den unermeßlichen Abgrund und drunten ein neues Leben suchen. Also auch Konrad, als er in ihr Auge sah: seine Sinne lösten sich, es war ihm, als würden die Bande seines Denkens gesprengt und eine selige träumerische Verwirrung begänne in seinem Haupte. Da warf die Elfin den Lockenschleier zurück, ihr Busen preßte sich an ihn, sie umfaßte seinen Hals mit den blendenden Armen. Er fühlte den wunderbaren Leib, dessen Formen sich ihm weich anschmiegten, er empfand einen Flammenkuß auf seinen Lippen, sein Auge verschwamm und schloß sich im Rausche niegeahnter Seligkeit – da rann es ihm aus den Armen wie ein Nebelbild, er vermochte die sich Loswindende nicht zu halten, er blickte auf: ein weißer Lichtstrahl schwebte im dunkeln Schatten des Eichbaums und umblitzte den düstern Schlund seines Risses. Die Elfin war verschwunden; der tief im Westen niederschwebende Mond umzog sich mit blutiger Röthe, am Nordhimmel zuckte ein Wetterleuchten. Konrad sank auf den Rasen, seine Gedanken verdämmerten in Wonne und in Schmerz t aber keine Angst war mehr in ihm vor den Schauern der Nacht und dem Halbdunkel des Geisterreiches, in welchem er ja nun heimisch war.

* * *

Wie lange er so gelegen, wußte er nicht. Er vernahm leise, girrende Töne im Walde, es waren die Morgenlaute der Vögel, welche noch halb im Traum ihre Weisen einübten. Mit lautem Rauschen weckten die Bäume einander, um nicht den ersten Sonnengruß zu versäumen. Das Wild sprang über den grünen Wiesenplatz, um am Sturzbache seinen Durst zu löschen, die Rehkälbchen tranken gierig, denn sie hielten den weißen Schaum für Milch. Die Sonne kam: in sieben Farben glühete der Bogen des Wassersturzes, der im Mondlicht als bleicher Kranz Eiche's Haupt umzogen hatte. Die Gegend war so wohlbekannt und doch wieder so ganz verändert, daß Konrad nur mit Mühe seine Erinnerungen ordnen konnte: fast brannte die helle Morgensonne sie aus seiner Seele weg. Nur die drei Worte standen noch lebhaft vor ihm, an denen er den Weg finden sollte: das Kreuz des Todten, der steinerne Mönch, die spinnende Jungfrau. Er raffte sich auf, dem Bache nachzugehn. Bald sah er einen überhangenden Felsen, vor ihm eine Waldlichtung und einen Plankenzaun, ähnlich wie sein eigener früherer Wohnsitz gewesen war. Hier also hatte der Bruder gewohnt. Nun aber war das Gehege öd' und wüst, durch eine vermorschte Planke gingen die Edelhirsche aus und ein, und weideten die grünen Kornhalme ab. In der Felshöhle lag mancherlei Geräth, mit Kohle waren fromme Lieder und kecke Reitersprüche an die Wand angeschrieben. Konrad stellte sich vor, wie schmerzlich sein Schicksal sei, das ihn so nah am Ziele vom Gefährten seines Racheamtes schied, aber er vermochte dennoch keinen Schmerz zu empfinden. Er dachte daran, wie sein Bruder ihn vielleicht suche in weiter Welt oder gar im öden Forst, aber es that ihm nicht leid um ihn. So heiß er gestern nach ihm sich gesehnt, so todt war heute diese Empfindung. Auch die Welt lockte ihn nicht mehr, er war wie abgestorben gegen alle Gefühle und Ahnungen von Glück und Ruhm, die gestern in ihm gestrudelt. Nur dem Walde und dessen Geistergewalten fühlte er sich hingegeben und verfehmt. Mit seiner eignen Kälte grollend, verließ er den Ort und trat seine Wanderung dem Bach entlang an.

Das Kreuz des Todten schimmerte ihm entgegen, er las die uralte Schrift: sie besagte, daß lange vor Kaiser Karl Heiden hier einen Mönch ermordet und ein späterer Einsiedler dem Glaubensbruder dies Zeichen gesetzt hatte. Der Jüngling jauchzte bei dieser schauerlichen Erinnerung, denn sie sagte ihm, daß er auf rechtem Wege sey. Vom Kreuze zog sich ein Felsgrund, auf dem kein Grün Wurzel fassen konnte, rechts am Berge aufwärts, dem folgte er. Da schwebte hoch über ihm eine fürchterliche Steinmasse, braun von Moos und Wetterschlag, die Sonne lag mit vollem Glanze darauf, und ihre scharfen Schatten malten menschliche Züge auf das rauhe Gebild. Es war der steinerne Mönch. Seine Augen starrten in die Ferne; ein Mooskranz umzog, einer Tonsur gleich, seine Scheitel; oben unter dem Blocke, der das Haupt bildete, hatte sich eine Eiche zwischen Nacken und Rumpf eingewurzelt; sie war verdorrt, und ihre fünf Aeste ragten als knöcherne Fingerspitzen des Riesenarmes in die öde Felsgegend hinaus. Sie wiesen Konrad die Richtung: es ging steil bergabwärts von dem kahlen Felsenhaupte hinunter in lachende Thäler. Auf einmal sah er rings um sich Kreise niedergetretenen Grases, die sich alle nach Einer Richtung hin verschlangen und zierliche Windungen um die Bäume machten: daran erkannte er, daß er in's Gebiet der Elfen und auf ihren Tanzplatz eingetreten sey. Da rastete er nach langem Marsch unter Buchen und Strauchbeeren; noch war es lange bis zum Aufgang des Mondes, auf ferner Höhe strahlte der steinerne Mönch noch im schaurigen Purpurglanz, von der Abendsonne umflutet. Dunkler und saftiger war hier im tiefen Thal das Grün der Bäume, mächtiger dufteten die Waldblumen, tief im Busch lockte eine Nachtigall. Er raffte sich von Neuem auf, noch wenige Schritte durch den Wald und er sah im Dämmer des abendlichen Thalgrundes die spinnende Jungfrau vor sich. Er wollte sie anreden: da erst sah er, daß es eine Täuschung war. Keine lebendige begrüßte ihn: eine Tanne war es nur, die der Sturm so seltsam geknickt, daß sie ein lebendes Bild schien. Auf dem Stumpfe saß mit lodernden Augen eine entsetzliche Wildkatze, von den Elfen hierhergebannt, um den Platz bei Tageshelle zu hüten. Das Thier sträubte seinen gelben Bart dem Jüngling entgegen und blies ihn an; er trat zurück, weil er sich scheute, das den Geistern geweihete Thier auf der heiligen Stelle zu beschädigen.

Nun zog die Nacht herauf und mit ihr der Mond. Die Stunde erfüllte sich, welche Eiche ihm angesagt hatte. Alle Zeichen waren eingetroffen, er hatte an ihnen die Bestätigung, daß kein Traum ihn geäfft. Die Schatten wurden dunkler, schärfer, das Mondlicht silberner, kein Vogel schlug mehr. Aber fern aus dem Wald klangen Glöckchen her, die eine lustige Tanzweise anschlugen. Bei diesem Tone sprang die Wildkatz vom Stamme herunter und lief in den Wald, denn sie wußte, daß ihr Amt nun vollendet sei. Das fröhlichste Schauspiel bot sich dem Jüngling dar. Der ganze Wald funkelte von kleinen Lichtern, die durchs Moos gehüpft kamen. Die kleinen Mooselfen waren die ersten auf dem Platze, weil sie den großen Waldgeistern das Haus in Ordnung halten und zierlich aufputzen. Spinnweb war ihr Kleid, das hatten sie mit Blumensäften bunt gefärbt; die Weibchen trugen Königskerzen, deren gelbe Blumen ihre Lichtspiegel waren, in die Blüthenstengel hatten sie Leuchtkäferchen festgeknebelt, die mit unwilligem Freiheitszorn doppelt hell leuchteten; die kleinen Männer aber hatten Wachskerzen gemacht aus Wachshöschen, die sie nach tapferm Kampfe den Bienen von den Beinen abgezogen, oder auch düstre Pechfackeln von dem Harz, das sie aus Ameisenhaufen zu mausen pflegen. Das funkelte nun wunderprächtig, blau die Johannisfünkchen, weiß die Wachsflammen, und das Harz glutroth. Damit tanzten sie nach ihren Glöcklein durcheinander, daß sich rothe und blaue Kränze verschlangen und weiße Sterne dazwischen aufblitzten und schlängelnd sich wieder auflösten, oder Kornblumen künstlich sich bildeten und weiße Rosen oder rothe Mohnkelche dazwischen gaukelten. Mit diesem bunten ewig wechselnden Farbentanz bedeckte sich wohl die Hälfte des offnen Wiesenplatzes. Denn dieser kleinen Elfen sind gar viele, und warum? Sie haben so manche Geschäfte, daß man's kaum glaubt. Wenn eine Blume zu schwach ist ihre Knospe zu sprengen, da kommen sie mit den kleinen Fingerchen und helfen ihr. Wenn ein Räupchen in den Bach fällt, Gott was gibt das für Arbeit! Dann rudern sie auf Aestchen hin und stoßen es mit Binsenhaken an's Ufer. Wenn ein Käfer auf dem Rücken liegt und nicht mehr auf kann, da hebeln und rücken sie nach Leibeskräften, hernach hängen sie sich auch wohl zu zweien, dreien an so einen recht dicken Schröter, und er muß sie brummend hoch in die Luft mitschleppen. Aber so lustig ist die Arbeit nicht immer. Da steckt vielleicht ein Keimchen unterm Moos, das nicht aufkommt, weil es keine Sonne hat. Ach da müssen sie oft zu Dutzenden Tage lang auf einem Strauch sitzen und die Blätter zurückgebogen halten, daß der Sonnenstrahl durch kann. Freilich zu diesem anstrengenden und mühsamen Dienst werden nur die verbraucht, welche sich ein Vergehen haben zu Schulden kommen lassen, als zum Beispiel wenn einer bei einem Rettungsaufruf zu spät kommt, oder im Gasthof zur Rose eingekehrt ist und sich im süßen Dufte so stark berauscht hat, daß die andern kommen müssen, ihn herauszuschütteln und zu Hause ordentlich ins Moosbettchen legen. Das sind aber nur die außerordentlichen Geschäfte; ihre tägliche Arbeit ist, daß sie das Wasser des Regens und Thaues in alle die kleinen Blumen- und Mooskelche tragen, die unten am Boden stehen; da bleibt denn das Wasser länger stehen und duftet kühl hinauf. Ohne dieß könnten ja all' die schönen Eichen und Buchen nicht wachsen und müßten in der Sommerhitze verdorren. Deßhalb werden sie auch, so klein sie sind, von dem großen Baumeister sehr geehrt und haben überall den Vortritt, und weil sie doch am Tage so fleißig sind, kann man ihnen wohl das Tanzen des Nachts vergönnen, denn wir Menschen wollen auch einmal im Jahr Kirmeß haben und Sonntag Abend unsern Hopser tanzen, und sind doch lange nicht so fleißig wie sie. Nur die Tannenjungfrauen und Fichtenmädchen machen sich wenig aus dem kleinen Gesindel, denn sie brauchen das Wasser nicht so nöthig und sind zu ernst und düster, um an den Spielen der Zwerglein Gefallen zu haben. Auch streuen sie ihre Nadeln unter sich und legen also den Elfchen Fußangeln; darum wirst du selten im Tannenwald blühendes Moos und feuchten Grund und grünes Laubwerk am Boden finden.

Wie nun diese Elfen allmiteinander auf den grünen Platz gekommen waren, da bildeten sie zwei große gebogene Reihen, welche wie ein Regenbogen vielfarbig im Grase schimmerten. Und durch die Reihen zogen die Schaaren der größern und mächtigern Geister herein. Die Bachkönige rauschten im silberweißen Gewand daher, eine blitzende Krone von Kieseln ums Haupt; hinter ihnen die schwarzen, rothen und braunen Felsriesen mit steinernen Hämmern; damit schlagen sie die Felsen aus einander, daß ihre Geliebten, die Baumjungfrauen, ihre Wurzeln in die Spalten treiben können. Nun aber kam das Allerschönste. Die Baumweibchen schritten herbei. Zuerst hellblond mit schlankem Wuchs und weißem Silbergewand die Birkenelfinnen, holdseligen aufblühenden Kindern gleich; neben ihnen noch viel schlanker die Pappeln, welche ihr Plaudern und Flüstern auch jetzt im feierlichen Aufzuge nicht lassen konnten. Dann kam die Königin des Forstes, die Rieseneiche, die Bewohnerin eines Baumes, den nie ein Menschenauge geschaut hatte; denn er stand mitten im Walde auf unzugänglichem, von Bachgeistern streng bewachten Felsen. Neben ihr sah Konrad das geliebte Bild wandeln, das ihn gestern an den schwellenden Busen gedrückt. Auch heute wallte das braune Haar bis zum Knie nieder, aber es war in schmucke Zöpfe geflochten; ein dunkelgrünes Kleid umrauschte die Glieder, welche ihm gestern die Wonne eines kurzen Augenblicks geschenkt hatten. Konrad merkte wohl, daß sie eine der adlichsten Frauen unter Allen war, denn die Andern neigten sich scheu vor ihr, und als die Königin sich inmitten des Platzes auf den Thron setzte, den vorher das Waldungethüm bewacht hatte, da trat Eiche ihr zunächst. Aber noch war der Schwarm nicht zu Ende. Die Tannenjungfrauen und Fichtenmädchen erschienen; ihr Anblick war grausig und doch zauberschön. Im schwarzen Gewand zogen Jene, leicht in Biegung und zierlich, schlank und gelenk; ihre Augen loderten von wilder klagender Glut, das schwarze Haar glänzte wie Metall im Mondlicht. Aber im rothen Brustpanzer hüpften die Fichtenmädchen daher, Fackeln vom Harz ihrer Bäume in der Hand, welche ihr Antlitz mit loderndem Roth übergossen, das Haar dunkel, doch von lichtem Purpurschein durchblitzt. Vor ihnen schauderte der Jüngling im tiefsten Innern zusammen; wenn sie lachten, blitzten Flämmchen aus ihren Augen; wenn sie sich berührten, so loderten ihre Nadelkronen, und aus allen ihren Spitzen glommen Funken hervor. Diese können auch niemals einen Menschen lieben; er würde, von dem ersten Kusse versengt, in ihren Armen verstöhnen. Man sagt aber, daß sie gern unter den Bergriesen sich die Geliebten wählen und so wild ihre Wurzeln in deren Brust schlagen, daß selbst diese Starken in ihren Fugen sich lösen und zusammenbrechen. Zuletzt von Allen kamen aber als Hausmütterchen gar nett und zierlich angethan die Linden hergetrippelt; die hatten weite helle Kleidchen an und thaten ganz vertraulich. Eine aber nickte gar dem Jüngling einen freundlichen Gruß im Vorüberziehen zu; denn das sind sehr leutselige Bäume und wohnen gern, wo Menschen und zahme Bienen sind, am liebsten auf Marktplätzen und an Dorfbrunnen. Da geben sie den Liebenden einen dunkeln heimlichen Platz zu Nacht, der Schultheiß ruft da des Morgens die Bauern und der Hirt das Vieh zusammen, auch ruhen in dem Schatten die Schnitter gerne zu Mittag. Das lieben die guten Linden, denen es da besser zu Muthe ist als im wüsten kalten Forst; aber die Schwestern, welche die andern stolzern Bäume bewohnen, spotten sie oft dafür aus.

Wie nun Alles sich um den Thron der Königin gestellt hatte, da rauschte aus der Waldnacht ein Schwarm Nachtigallen herbei, die setzten sich auf einen Baum, wo man sie nicht sah. Hoch aus der Luft kam eine ganze Wolke von Maikäfern, die brummten einen tiefen Baß, als wenn sie verdrießlich wären, daß die Geister sie zu ihrem Dienste zwängen mitten in der Nacht, wo Menschen und Maikäfer am liebsten schlafen. Im nassen Moose hörte man Unken und Glockenfröschchen ihre Stimmen einüben. Die Elfchen aber schlugen auf ihre Glöcklein; das klang in den Maikäferbaß und die klagenden Alto's der Nachtigallen wie ein heller lustiger Bubendiskant. Alles war in Stimmung; da trat ein großer Specht mit ehrsamen Schritten hervor und stellte sich vor einen glatten Eichenblock, der da lag. Zuerst hub er den Schweif auf und machte eine zierliche Reverenz vor der Königin; dann schaute er sehr stolz und herrisch zum Orchester hinauf, rechts und links, erhub seinen Kopf, nickte dreimal, und schlug zum viertenmal kräftig mit dem Schnabel auf den Klotz, also daß man wohl sah, er müsse ein ausgelernter Kapellmeister seyn, weil er so viel Spektakel und Wesens beim Dirigiren machte. Da ging alsbald die Musik los, daß Konrads Herz jubelte; denn wir Menschen hören immer nur, wie die Thiere solch Konzert einstudiren, jeder für sich, die Nachtigallen ihre Soli, die Maikäfer ihre Chorstimmen, aber so recht zusammen vernehmen es nur die Geister, und zu Zeiten die Sänger unter den Menschen, welche gefeit sind wie Konrad; und die können's denn den Waldsängern auch nachthun. Da nun die Geister das vernahmen, traten sie an den Tanz; die Felsriesen schwangen sich mit den Tannenjungfern, die Bachkönige mit den Eichenmädchen und Pappeldirnen. Leise ging anfangs der Tanz, aber der Specht schlug stärker und schleuniger, die Nachtigallen nahmen ihre blitzenden Gänge hinauf und sprangen dann in ihre tiefsten Brusttöne hinunter, die Gewänder der Mädchen rauschten, lockender läuteten die Elfenglocken, und durch alles lichte Tönen und Klingen wogten tiefe markverzehrende Laute ungewiß und bebend aus der Höhe, die der Nachthauch auf scharfgezackten Felsen orgelte. Konrad schwindelte, ihm war, als klinge drinnen seine ganze Seele in zitternder Wollust mit und müsse zerspringen. Da trat mitten aus dem wogenden Reigen ein Lindenmütterchen auf ihn zu, dasselbe, das ihn vorher so freundlich gegrüßt hatte, und streichelte ihm Haar und Kinn. Schau, mein Sohn Konrad, sprach sie, was Du hübsch geworden bist! Hab' Dich wohl gekannt als Wickelkind, bin ja die Linde im Schloßhof Deiner Väter, hast oft unter mir gespielt, gelt, und mich lieb gehabt; bist ja ein Sonntagskind und fühlst, wo Geister sind. Hab' Dich aber auch lieb, mein Goldjunge, bin oft Nachts aus meiner Rinde geschlüpft und habe den süßen Duft aus meinen Blüten über die Wiege gesandt, davon bist Du auch so gesund und hold und hast Wangen wie Milch und Blut. Und wart nur, die alte Linda vergißt ihre Schützlinge nicht, wart nur, wart nur. Ehe aber der erstaunte Jüngling antworten konnte, trippelte sie schon wieder fort, und er sah sie in freundlichem Geplauder mit der Königin reden, die in ernster Pracht auf dem Throne saß und auf das Getümmel schaute; auch Eiche stand bei ihr und tanzte nicht. Das Antlitz der Königin ward dunkel wie Nacht, ihre Augen flammten auf Konrad hinüber; sie gab dem Specht einen Wink. Der schlug leiser auf seinen Block; im Girren erstarb Klage und Jauchzen der Nachtigallen; die Käfer flogen einer nach dem andern davon, so daß der Chor immer schwächer wurde; ein Glockenfrosch ließ die Tanzweise in eine langathmige Fermate auslaufen. Die Geister traten an ihren Platz zurück, die Königin winkte Konrad vorzutreten und sprach:

Ihr Getreuen, unsre liebe Vasallin Linda hat uns unerhörten Frevel aufgedeckt, der im Bereich unsrer Herrschaft geschehen ist und täglich geschieht. Dieses Jünglings Schloß hat ein Räuber in seiner Faust: das Schloß steht in unserm Bann. Wir weichen dem Geiste des gerechten Mannes, der in Weisheit die Welt beherrscht; aber wenn der Frevler in unsre Grenzen eindringt –

Wild brausten die verworrenen Stimmen der Waldgeister hervor; wie ferner zürnender Donner scholl ihr unwilliges Murren.

Ihr kennt das Gesetz, fuhr die Königin fort. Wo die Schuld wohnt, da üben die Geister der Natur das Zerstörungsrecht, das uralte, heilige, und auf den Trümmern des Hauses, in dem der Fluch gewohnt, webt der Wald seinen sühnenden, blutbedeckenden Teppich. Jüngling, Du wirst die Rache schauen am Mörder Deines Vaters!

Konrad neigte sich tief. Ihr Mächtigen, sprach er, verkündet mir noch Eines. Wo ist mein Bruder?

Er ging unter meinen Rippen durch nach Osten, antwortete ein Felsenriese.

Ich sah ihn über die Wiese gehen, weit von hier, am Waldsaum, flüsterte eine Pappel.

Das weiß ich am besten, sagte Linda: er kam Abends als Bettler gekleidet in Roberts Schloß und weinte auf meinen Wurzeln. Mit Hunden ward er von seinem väterlichen Erbe gehetzt. Er ging knirschend in's Land, hinauf am Mainstrom.

Ich weiß auch wohin, sagte eine Birke aus dem fernen ebnen Lande. Unter mir ruhete er und rief mit Thränen: Ich will zum Herzog Konrad im Frankenlande, daß er mir Recht schaffe.

Wohlan, rief die Königin, so ist nicht Zeit zu verlieren, damit kein Sterblicher der Rache der Geister zuvorkomme.

Wann tanzen wir in Wolken und sausen im Sturmwind? fragte eine Stimme.

Morgen, wenn der Mond erlischt, gab die Königin zur Antwort. Jüngling, laß alsdann dein Auge wacker sein. Linda, sei Mutter über ihn.

Da faßte die Linde den Jüngling freundlich in ihren Arm und rauschte mit ihrem Gewand ihm sanften Schlummer zu. Seine Kraft sank zusammen: vergebens spornte er sein Auge so lang als möglich, um Eiche nicht aus den Blicken zu verlieren, zu mächtig war der Wille des Geistes, in dessen Arm er ruhte. Vor seiner Seele verschwammen die bunten Bilder der Nacht; er hörte fern und ferner die Elfenglocken verklingen, das Morgenrauschen ging sonnenverkündend durch den Wald. Noch einmal zwang er seine Wimpern: der Platz war leer, die Wildkatze schlich wieder auf ihren Wachtposten, er selbst fühlte sich in die Luft gehoben und vom Zugwinde kühl umspielt; der Schlaf fiel bleiern auf seine Sinne.

* * *

Wohl ist es selig im Arm der Geister zu rasten! Wir ahnen's oft, wenn wir zu Mittag in Feld oder Forst unter einem kühlen Baume ruhen, und das wache Leben mit seinem arbeitenden Gebrause vor dem geschlossenen Auge verdämmert, drinnen aber die Zauberwelt des Traumes sich erschließt! Die Geister der Fluren und Bäume umgaukeln uns dann, und malen sich in blassen Bildern des Traumes in unsrer Seele. Wenn wir erwachen, haben wir ihrer vergessen; doch in ahnender Erinnerung lächelt noch das innerste Gemüth, und wir gehen neugestärkt dem thauigen Abend entgegen. So fühlte sich der Jüngling, als er in der folgenden Mitternacht die Augen aufschlug: in dem langen Schlafe waren die Mühen der vorigen Wandertage so ganz hinweggebannt worden, daß es ihm schwer wurde, sich auf's Vergangene zu besinnen. Er fand sich auf einem Abhang, von wo ein weiter Blick in's ebne, baumlose Land sich aufthat: unten wand sich ein glänzender Strom, es war der Main. Zu seinen Füßen lag auf sanftem Abhang die Burg, ihre festen, zinnengekrönten Thürme standen dunkel gegen den mondhellen Nachthimmel, auf dem höchsten schimmerte wie ein rother Stern die Laterne des Thürmers. Wie ein Blitz durchfuhr den Jüngling die Erinnerung: er stand an derselben Stelle, von wo er vor zehn Jahren den Brand seines Erbes geschaut hatte. In lautes Weinen ergoß sich sein Gefühl; mit den Thränen quoll ihm jeder Groll fort, er hätte die Stätte segnen mögen, welche doch das Blut seines Vaters getrunken hatte. Ach er empfand es, daß dieß Schloß und das schöne Thal drunten nicht mehr seine Heimath sey, seit der Wald sein Herz gefangen hielt und Eiche's Zauberkuß ihn gefangen hatte. Er hätte gewünscht, daß die Mondnacht friedlich fortdämmern möge über Burg und Land und Allen, die darin schliefen; alle Rachegedanken waren in ihm erloschen. Aber die Geister sind nicht so wankelmüthig wie die Sterblichen.

Vom Walde her, der über ihm in schwarzem Schatten dalag, kam ein Rauschen wie ein leiser Windstoß; es umpfiff die Zinnen der Burg, und tief unten plätscherte der Strom lauter unter seinem Stoß. Wie Nachtvögel flogen schwarze Wolken auf und deckten, erst für Augenblicke, dann nicht mehr weichend, die Mondscheibe: nur ein unheimliches, schwefliches Leuchten, das in ihnen zuckte, ließ manchmal die Landschaft in grellem Licht erscheinen und nur hoffnungsloser in Finsterniß versinken. Lauter, wilder wurde Sturm und Waldesrauschen; die Geister naheten. Ueber Konrads Haupt schwebte eine düstre Tannenjungfrau mit leuchtender Harzfackel dahin, neben ihr Eiche. Furchtbar sah die Geliebte aus. Ihr Antlitz glomm von dem Scheine der rothen Fackelglut, ihr Auge war groß und streng vorwärts gerichtet, die vollen Lippen zusammengepreßt, in ihrem wellenschlagenden Haare spielte der Sturmwind. Das weite Gewand umflog sie, von seinem Zuge wurde der Jüngling fast niedergeworfen. Das grause Paar kreiste über der Burg, die Tannenjungfrau schleuderte ihre Fackel auf das Holzdach des obersten Thurmes. Ihnen nach schwebten die Schwestern, Harzblöcke fielen auf die Fackel nieder, Eiche fächelte den Brand in sausendem Fluge. Die Geister verschwebten in dem dunkeln, blutigen Feuerqualm, der wirbelnd in die Höhe schlug. In der Burg regt' es sich, das Horn des Thürmers klang, verworrener Weheruf tönte herauf; aber der Sturm kam immer tobender vom Walde herab und verschlang höhnend die schwache Menschenstimme in sein entsetzliches Lied. Ein Jauchzen scholl im tiefen Forst— dann ein Krach, als börste die Erde – und abermals Jauchzen. Bebend blickte Konrad empor. Im Schein der Flamme sah er ein lachend verzerrtes Riesenhaupt und zwei eherne Arme auf dem höchsten Gipfel: es war der Berggeist, der einen ungeheuern Felsblock aus der Brust der Erde gerissen hatte. Leicht wie einen Ball warf er ihn die Höhe herab, von Zacken zu Zacken hüpfte zerstörungslustig die gewaltige Masse und sprang vom letzten Felshaupte in weitem Schwung gegen den brennenden Thurm herab. Vor dem Wurf des Geistes brach das feste Werk des sterblichen Armes donnernd zusammen; der Block hüpfte fort und schlug platschend in den Strom, der Thurm aber brach über den weiten Burghof nieder und goß sein Flammenmeer über die tieferen Gebäude aus. Durch das Prasseln der Flamme scholl Wehegeheul – es verhallte in Todesröcheln. Nur Ein Mann lebte noch; er riß die Pforte des Zwingers auf und klomm mit dem Sturme kämpfend den Pfad zum Berge empor, wo Konrad stand. Da trat Eiche neben den Jüngling. Dein Werk beginnt, sprach sie, dieser Mann ist Robert. Und bei dem Worte kochte es auf in Konrads Brust; Robert war ihm schon nahe und suchte den Schutz des Waldes gegen den Wind, der ihn ins Thal hinabzuschleudern drohte. Donnernd rief er in die Nacht hinein: Wer widersteht dem Element? Gebt mir einen Mann von Fleisch und Blut! Da sprang Konrad vor, die Streitaxt in der Hand. Du hast Deinen Wunsch, rief er, zieh Dein Schwert, ich bin der Sohn Deines gemordeten Herrn. Da jauchzte der wilde Räuber auf und sprang wider den Jüngling. Dem aber quoll das Blut lustig in den Adern, da er nun zum erstenmal einem Feinde gegen über stand. Durch die Nacht zischten die Hiebe; aber der stärkere Mann war in seinen Sinnen verstört, der Unbewaffnete wich ihm aus und traf ihn mit der Streitaxt auf's Haupt: er taumelte zurück und rollte den Abhang hinab. Die Burg lag in Trümmern, nur die äußere Ringmauer stand noch und ein Rest des Thurmes. Da schrie es laut aus den Lüften: Hülfe, Rettung! Unsere Schwester Linda leidet Noth vom Feuer, zu Hülfe, Bach und Wind! Fern im Gebirg dröhnte es abermals; der kleine Bach, der friedlich zu Konrads Füßen floß, wurde größer und schäumte wild in seinem Gleise herunter. Bald folgten haushohe Wogen, alle Bachgeister des Waldes schüttelten von ihren Flügeln Wasser in ihn herab. Plötzlich erschien ein neues Wunder. Auf einem Wogenroß, roth und wild, seine Mähnen gekräuselter Schaum, ritt der König des Bachs vorbei, vor ihm her Stein und Felsgeröll, sein Bart wallte in die Flut hinein, eine entwurzelte Tanne hielt er als Lanze eingelegt und spornte das Roß gerade gegen das obere Thor des Zwingers. Vom ungeheuern Stoß brach das Thor und ein Theil der Mauer, triumphirend hielt der König seinen Einzug. Eine Dampfwolke erhub sich im Kampfe von Glut und Flut, die Wellen schoben die zischenden Balken, die rauchenden Mauerstücke zum Abhang und stürzten mit ihnen siegesfroh zum Main hinunter. Der Sturm ließ nach, vom Osten begegnet' ihm ein himmelentfaltender scharfer Hauch, der Mond that seinen Wolkenschleier ab, gegen Morgen dämmerte es. Die Geister waren verschwunden; auf der Stelle, wo das Schloß gestanden, ragte nur noch die Linde zum Lichte empor, und kühlte sich mit leisem Rauschen von den Gefahren und dem Qualme der Nacht: der Bachkönig hatte nur sie in seinem grimmigen Angriff verschont. Zum Jüngling aber, wie er so schmerzlich träumend über das Vatererbe hinsah, das nicht mehr war, trat Eiche; sie umfaßte ihn und sprach: Sieh mich noch einmal an, wie ich Dich ansehe, damit ich sagen kann: so sah er aus. Das wache Leben ruft Dich. Gehe dort hinab, da liegt Frankenland; Dein Bruder wird Dir begegnen. Du wirst mich vergessen, denn nun sehen wir uns nie wieder. Sie küßte ihn auf den Mund, und er stand verlassen und einsam auf dem Felsgipfel, vom Morgenroth umflossen.

* * *

Hörnerklang und Harnischgerassel, Rossestrab und gebietender Ruf der Führer bei den Fähnlein! Das stille Mainthal belebte sich, und als der Morgen die Decke der Nacht emporhub, da schimmerte über dem Strome der reisige Zug. Auf dem Berge, wo jetzt das Schloß von Wertheim steht, flatterte ein goldner Aar über einem bunten Zelt, und an dem Zelt zog eine blanke Heerschaar von Fußknechten den Bergpfad herunter, anzuschauen wie ein gewaltiger Schuppendrache, der durch eine Felsschlucht sich hinabwindet. Ihm begegnet durch's Thal der Tauber, die allda mit wildem Rauschen in den Mainstrom hineinstürzt, der Schwarm der Reiter, und wie beide Züge unten im Grunde zusammengekommen waren, da lüfteten sie ihre Helme und schlugen Zelte auf und machten allwärts ihre Feuer an; die Rosse aber gingen weiden in dem Gras und Schilf, das dort am Ufer wuchs. Ich sage dir, hätte dich der Traum einmal aus unsrer friedlichen Zeit hinausgehoben in jene Tage und oben auf den Felsen gestellt, und du hättest all die alterthümliche Waffenpracht gesehen und die starken Rosse und die herrlichen Männer, du hättest gestaunt, wie Konrad staunte, und jeden neuen Gepanzerten mit Jubelruf gegrüßt. Ja, da lag sie nun vor ihm, die ersehnte, die reiche, farbige Welt, dicht unter ihm das lustige Treiben, von dem er nur durch den Strom geschieden wurde, weit dahinter aber ein nebelndes, sonnenbeleuchtetes Land, einsame Kirchlein auf ragenden Höhen, in allen Thälern aber Mühlen und Dörfer: das weite blühende Gefild, das man Frankenland heißt, geglättet und geschmückt durch die arbeitsame Menschenhand, nicht einfärbig und düster, wie der Spessart, der ernste Hüter seiner Jugend. Es war Alles, Alles, wie der Kaplan es ihm erzählt hatte, wie er selbst aus seinen Kindestagen sich der Gegend erinnerte – ach, und doch wieder Alles so ganz anders, als er's in seiner Seele trug! Doch bald war sein Staunen gebrochen durch ein tiefes, sehnsüchtiges Schmachten in seinem Innersten: es waren ja Menschen, seine Brüder, die er dort unten sah. Wären sie nicht gekommen grade an jenem Morgen, wer weiß, ob er nicht in seinen Wald zurückgegangen wäre zu Eiche oder zu seiner Siedelei: nun aber zog eine freudige Angst seinen Fuß von der öden Höhe in's Thal hinab. Drunten traf er mehrere Knappen: die waren auf einem hohlen Baumstamm über den Fluß gerudert, um für ihre Wachtfeuer ein Paar Balken zu holen, die noch von dem zerstörten Schlosse da herumlagen. Er redete sie an – sie lachten, denn er sprach zu ihnen so wunderlich und hochtönend, wie er es in den alten Geschichten bei seinem Kaplan gefunden hatte, und dabei wählte er so seltsame Dinge zusammen von dem zerstörten Schloß und von den Waldfrauen und von Frau Linda insbesondere, die allein noch übrig geblieben sei, daß sie meinten, er sei wahnwitzig. Aber weil er ihnen verständlich machte, daß er mit hinüber wolle und die Menschen besehen, setzten sie ihn vorn auf ihren Baumstamm und ruderten gar bald über den Strom zurück.

* * *

Hatte aber Konrad sich gewundert über den Heereszug da mitten im friedlichen Thal, so war unter den Kriegern des Verwunderns noch viel mehr, zumal dort oben im Zelt, wo der Feldherr mit seinen Gewaltigen saß und kopfschüttelnd auf den Felsen am andern Stromufer hinüberschaute. Dieser Feldherr war ein hoher, stolzer Held mit düstern Falten auf der Stirn, und sein goldner Helmbusch funkelte prächtig in der rothen Morgensonne. Vor ihm aber neigten sich auch all' die mächtigen Gestalten, die ihn umgaben, und schwiegen bescheidentlich, wenn er seinen Mund zum Reden aufthat. Und daß ich's euch sage: der hohe Herr war Konrad, nach Gottes Rathschluß und der Fürsten Wahl König aller Deutschen. Denn als das Geschlecht des großen Karl zart und schwächlich geworden war, da mochten die trotzigen Fürsten in den deutschen Herzogthümern ihm nicht mehr dienstbar sein, und begannen jeder für sich zu stehen und den König zu verrathen. Darüber kam aber große Gefahr für das Reich und für den Glauben. Denn einer der Könige, um sich Rache an einem abtrünnigen Markgrafen zu schaffen, rief die wilden Heiden, die man Hunnen oder Ungarn heißt, in's Land und that ihnen die Pforten im hohen Gebirg auf, die sie vorher nie erstürmen konnten. Da stürzten die entsetzlichen Räuber auf blitzgeschwinden Rossen alljährlich über das arme Land her, und ehe noch ein Herzog seine Macht gesammelt hatte, waren sie lange wieder mit der Beute in ihre Diebshöhlen zurückgekehrt. Das Volk aber half sich nicht selber wider sie, denn ihre Rache war gräßlich, und ihre Weiber schnitten den eignen Kindern, wenn die noch an der Brust lagen, tiefe Wunden in's Angesicht, damit sie sich frühe an Schmerz und Blut gewöhnen sollten. Da sahen am Ende die Herzöge ein, was sie mit ihrer Trennung vom Reiche ausgerichtet hatten; und darum kamen sie eines Tages alle zusammen und setzten sich vor, einen neuen König zu wählen und ihm unwandelbar treu zu seyn, mehr denn vorher. Aber Keinen vom Hause Karls, so sprachen sie alle einmüthig, sondern aus uns selber den stärksten und tüchtigsten Mann. Also wählten sie den Herzog Konrad von Franken, und hatten wohl gewählt. Denn Konrad schaffte alsbald Ordnung im Reich und that Raub und Fehden ab, die vorher alle Einigkeit gestört hatten. Die Räuberburgen brach er, und dabei mußten ihm alle Fürsten helfen. So waren auch jetzt die Fürsten um ihn versammelt, und droben vor dem Zelte standen die stolzen Helden bei ihm. Nur Einer fehlte, das war der starke Heinrich, Herzog in Sachsen und Thüringen. Der hatte sich Konrad noch nicht unterworfen; hernach aber, da Konrad gestorben war, hat er das Reich gewonnen und ist derselbige Heinrich, welcher all' die Städte in den Marken bis an die Oder gebaut und zuerst mit seinem eisernen Arme am Flusse Unstrut die wilden Ungarn in Staub gelegt hat. Konrad hatte aber damals den Zug angefangen, um Roberts Burg zu brechen, die unter allen Raubschlössern am ganzen Mainstrom die stärkste und für Kaufleute die gefährlichste war. Nun hatte er noch am Tage zuvor Nachricht von einem Raube bekommen, den Robert bei Würzburg verübt: heute aber, als der Tag heraufstieg, sah sein Auge keinen Stein des Schlosses mehr auf dem andern stehen, und Niemand wußte zu sagen, wie solches Wunder sich ereignet habe. Indem nun die Fürsten mit einander darüber stritten, und der Eine Das sagte, der Andere Jenes, Keiner aber das Rechte, da scholl von unten aus dem Lager ein lautes Lachen herauf. Das rohe Kriegsvolk hatte sich um den jungen Konrad gesammelt, und wie sie seine wunderlichen Reden hörten, dazu auch sein Kleid ansahen, das von dem vielen Wandern im Waldgestrüpp ganz zerrissen war, so trieben sie Spott und Possen mit ihm. Im Anfang lachte er dazu, bald aber zupfte ihm Einer einen Lappen vom Gewand weg, dann kam der Zweite und der Dritte, und Jeder zerfetzte ihn stärker als der Vorige. Zuletzt kam gar ein Hauptmann und riß ihn an den Haaren. Da mit einemmale wurde der Jüngling zornig und drohte mit seiner Streitaxt dem Hauptmann. Wie das die wilden Gesellen sahen, zogen sie alsbald ihre Schwerter und wollten aus dem Spasse blutigen Ernst machen. Aber Konrad schwang seine Axt in furchtbaren Kreisen um's Haupt und zog sich von der Masse gedrängt, Schritt vor Schritt den Hügel hinauf, auf dem die Fürsten Rath hielten. Die sahen mit Staunen, wie Einer sich den ganzen Schwarm vom Leibe hielt, und einer der Herzoge ging eilends hin, trieb mit scheltenden Worten die Krieger auseinander und führte dem Könige den Jüngling zu. Der sah gar herrlich aus. Vor Zorn und Kraftanstrengung war ihm all' sein Blut in die Wangen geschossen, seine Brust schwoll von starken Odemzügen, wild funkelte sein Auge, und das prächtige blonde Haar umringte wie ein kriegerischer Helmbusch das stolz in den Nacken geworfene Haupt. Wie er aber dem König Konrad in das ruhige, klare, braune Männerantlitz sah, da wurde er alsbald stille und sagte zu dem Herzoge freundlich: Ich danke Dir, Bruder Mensch, daß Du die andern Brüder fortgejagt hast; Du hättest es aber nicht nöthig gehabt, ich wäre doch mit ihnen fertig geworden, denn in voriger Nacht hab' ich auch Einen erlegt, der drüben aus dem Schlosse herkam und meinen Vater erschlagen hatte. Da lachten sie Alle über seinen kecken Muth, der König aber wurde aufmerksam, und fragte ihn nach dem Schlosse und nach dem Mörder seines Vaters. Konrad erzählte in seiner Sprache Alles, wie er's wußte, nur von Eiche schwieg er stille. Die Fürsten konnten zwar Das nicht begreifen, was er von den Geistern sagte, denn sie waren ja nicht, wie er, gefeite Sänger; aber soviel brachten sie doch heraus, daß ihr Rachewerk unnöthig sei, weil ein Windbruch und Wassersturz die Räuberburg vernichtet habe. Plötzlich sprang aus dem Geleite des Königs ein junger Ritter hervor, der umfaßte Konrad mit heißer Liebe, zog sein Schwert, gab es ihm in die Hand und sprach: Das Schwert ist Dein, denn Du bist der Erstgeborne unsres Vaters, ich bin Dein Bruder Adelhart und wollte, nachdem ich Rache geübt, Dich suchen gehen im ganzen Spessart, und wenn ich Dich da nicht träfe, in der weiten weiten Welt. Und hast mich so bange nach Dir forschen lassen! sagte Konrad. Ja, antwortete Adelhart, vor sechs Wochen starb der alte Burgvogt, der mich aufgezogen hatte; da konnte ich's bei den wilden Thieren nicht mehr aushalten und ging auf gut Glück in den Wald hinein. Also kam ich am Ende in's Frankenland hinab, und bin nun ein freier und fröhlicher Rittersmann in meines Königs Dienst. Jetzt aber, Herr König, gestattet mir und meinem Bruder in mein Gezelt hinabzugehn, da hab' ich die alte Grafenkrone wohl verwahrt für ihn; die soll er tragen und ich will ihm zeigen, wie man die Waffen führt. Das gewährte der König Konrad gerne, aber der ältere Bruder sagte: Mit Nichten, erst muß ich doch sehen, ob der Hauptmann, der mich am Haar gezaust hat, wirklich so stark ist, daß er sich das hat unterstehen dürfen. Du bist gerade so groß wie ich, Adelhart, gib mir einmal Deinen Panzer; ich habe die Waffen wohl gelernt, Schwert und Lanze, bei meinem alten Kapellan. Da habt ihr auch große Thiere, auf die ihr euch setzt; gebt mir so eins, und der Hauptmann soll auch auf einem sitzen, daß die Hiebe frisch von oben herunter fallen, und dann wollen wir's einmal versuchen mit einander; laßt ihn doch kommen. Nun meinten die Fürsten zuerst, Konrad könne unmöglich reiten, da er noch nie ein Roß beschritten; wie aber alle nicht dran wollten, da stand zuletzt Arnulf von Baiern, den man den bösen Herzog nannte, auf, um ihm eine tüchtige Lehre zu geben, und brachte ihm sein eignes wildes Roß. Ehe aber Adelhart ihn warnen konnte, saß er schon oben; der Hengst bäumte, aber Konrad preßte ihm die Weichen zusammen, daß er stöhnte, und schlug ihm mit der Faust auf's Kreuz, daß er im rasenden Galopp den Berg hinabsetzte und erst am Ufer des Flusses schnaubend stille stand. Da riß er ihn an den Haupthaaren herum, ritt lächelnd den Berg wieder hinauf und gab das schaumbedeckte Thier seinem Herrn zurück. Nun faßte Adelhart guten Muth und waffnete seinen Bruder mit eigner Hand, lehrte ihn auch Zügel und Sporn gebrauchen und gab ihm sein zu allem Ritterspiel wohlgeübtes Roß. Derweil hatten sie auch dem Hauptmann die Ausforderung gebracht, und er kam wohlgerüstet heran. Dreimal rannten sie wider einander, beim dritten Stoß warf ihn der Jüngling in den Sand, sprang alsbald ab und zog das Schwert. Aber der König gebot sie zu trennen, da der Sieg in Ehren entschieden war. Da war Konrad zufrieden und sprach: Mein Waffenmeister hat mir geboten, daß man dem König gehorchen soll; hub also den Hauptmann auf und sagte zu ihm: Lieber Bruder Mensch, merke Dir's, man soll Keinen am Haar ziehen; denn er könnte dabei leicht böse werden. Darauf verneigte er sich vor den Fürsten und ging mit Adelhart in dessen Gezelt. Der König aber sprach zu den Fürsten: Wir müssen hierher ins Mainthal einen starken Pfleger des Rechtes setzen, damit nicht Räuberei sich erneuere; was dünkt Euch? ich will auf dem Hügel wo wir stehen eine starke Burg bauen, und weil dieser Jüngling hier seine werthe Heimath wiedergefunden hat, soll sie Werthheim heißen auf alle Zeiten. Ihm will ich sie geben, denn er dünkt mich mannlich und hochgemuth; dazu ist er ein mächtiger Graf und das Land von Rechtes wegen sein altes Erbtheil. Drüben aber, wo die Räuberburg war, soll eine Kapelle stehen zum Trost der Schiffer auf dem Flusse und zu Ehren des heiligen Kreuzes, drum will ich den Ort fortan Kreuzwerthheim heißen. Das Alles lobten die Fürsten; der König aber gedachte noch ein Mehreres zu thun, davon er jetzt noch stille schwieg.

* * *

Was nun ferner geschehen, davon ist wenig zu sagen. Konrad zog im Geleite seines Königs und lernte bald der Welt Brauch, obwohl derselbe ihm selten gefiel. Am wenigsten konnte er begreifen, was die Dichter und was auch sein eigner Bruder Adelhart von der Minne rühmten. Denn die weltlichen Frauen, die sie priesen, kamen ihm alle so kalt und schwach vor, wenn er an seine herrliche Waldminne gedachte. Darum redete er auch von Eiche nie zu seinem Bruder noch zu sonst Einem, denn Niemand wußte seine hohe Glut zu fassen. Oft aber saß er Nachts und blickte zum düstern Spessart hinauf, und wenn dort der Nachtwind herüberrauschte, glaubte er den Odemzug der Geliebten zu spüren; dann bot er seine heiße nackte Brust ihrem schwellenden Sturmkusse und sang seine dunkeln, räthselhaften Lieder dem Walde zu.

Adelhart aber wuchs zu einem herrlichen Ritter herauf; bei Spiel und Rennen war er allemal der Früheste und manchmal der Glücklichste; auch erzählte er dem Bruder oft von einer hohen Jungfrau, die er im Herzen trage; aber den Namen wollte er niemals sagen und meinte, sie sei zu hoch und herrlich für ihn, den armen Ritter, der als zweiter Sohn kein Grafenerbe ihr bieten könne. In allen Dingen, wo es Besitz und Ehre zu gewinnen gab, war Adelhart rascher und glücklicher als Konrad, weil ihm mehr an weltlichem Ruhm und Frauendank lag. Aber der König und alle Männer hielten Konrad höher als den Weiseren, und wenn es Großes galt, war er noch tapferer und stärker als Adelhart.

Also geschah es, daß die Kapelle und das Werthheimer Schloß nahezu vollendet waren; da zogen die beiden Brüder in den Spessart, um den alten Kapellan aufzusuchen. Mühsam zwang Konrad seinen Schritt, daß er nicht nach der Gegend ausbog, wo Eiche wohnte; aber er glaubte dem weltlichen Leben nun einmal anzugehören, und überwand sein klopfendes Herz. Sie fanden den Alten rüstig, wie Konrad ihn verlassen. Sorglich verschloß er die Thüre des Plankenzauns, um irgend einem spätern Ansiedler die Pflanzung zu erhalten, und kehrte dann mit den Brüdern zu den Menschen zurück. Die Heiligthümer nahm er mit. Ihm schenkte Konrad die Kapelle, die als ein Bild des Friedens an der Stelle alter räuberischer Unthat sich erhub, und gab ihm Acker genug dazu, um selber reichlich leben und dem Pilger oder Schiffer ein gastlich Obdach gewähren zu können. Heiter und in Gott vergnügt, wie er einst von der Welt geschieden, lebte er fortan in der Welt, und erfreute sich an dem neugrünenden Ehrenkranze des alten Grafenhauses, dem er sein Lebenlang treu gedient.

* * *

Das Schloß war vollendet; Konrad wohnte darin und wartete seines Königs, um die Belehnung für seine Erblande zu empfangen. So wenig ihm an der Welt lag, er war männlich entschlossen, mit Kraft und Treue des Landes zu pflegen, Recht und Gesetz zu schirmen. Am folgenden Tage sollte sein Lehnsherr kommen. Da stand er zu Nacht auf dem höchsten Thurm, der Schlaf mied ihn; dunkel kochte es in seinem Herzen. Was soll ich hier? so sprach er. Ein voller Mann, ein Mann für diese Welt werd' ich nie, mein Herz ist nicht bei meinem Haupte, es wohnt drüben im dichten Walde, und so lange ich den Wald anschaue, wird mir nimmer wohl. Da ist mein Bruder Adelhart, er sieht so frisch in die schöne Welt hinein, als wenn sie ihm gehörte mit all' ihrer Lust – und er hat Nichts was er sein nennt! Ständ' er, wo ich stehe – der Graf von Werthheim dürfte um die erste Jungfrau der Welt werben. Aber ich – Eiche fragt nicht nach Grafenkronen, ach und sie wird ja doch niemals mein! Wär' ich nur weit, weit fort, daß ich den Spessart nimmer rauschen hörte, so würde vielleicht mein Herz in mir stille!

Darüber war es Morgen geworden. Der König ritt in die Burg, Adelhart in seinem Gefolge, aber neben ihm Gerberga, sein wunderschönes Kind. Die Jungfrau beschaute staunend die Pracht des Schlosses; doch waren ihre Augen trübe, wie Sterne, die aus Regenwolken schauen. Da sprach der König: Du, Konrad, bist ein reicher und mächtiger Graf. Ich bin aus einem Herzog, nicht größer als Du, ein König worden; wer weiß, was Dir noch blüht. Um eine Königstochter darf kein Vasall werben, aber der König darf seine Tochter frei bieten, wem er will. Sieh da mein Kind; willst Du sie? Da bebte Konrad sein Herz in der Brust; hold und zart stand die Erdenbraut vor ihm, er fühlte, daß, wenn er je im Leben heimisch werden solle, ein solches Weib ihn an den Herd ketten müsse; er empfand es, daß dieser Augenblick ein Leben entscheide, und in ihm quoll ein seliges Hoffen, daß in Gerberga's Armen vielleicht jenes bange Schmachten nach der Ferne verschwinden möchte. Da flog von einem leichten Windstoß das Fenster des Saales auf, Konrads Haar wallte um sein Haupt, seine Stirn kühlte sich im Geisterkusse des Waldhauchs – er sah in Gerberga's Augen eine Thräne, und Adelhart war todtenbleich geworden. Erst jetzt blitzte es in ihm auf, daß die hohe Jungfrau, von welcher der geliebte Bruder ihm geredet, keine andere sei, als die Königstochter. Sein Herz wurde minder fest, und er sprach: Edler Herr, der Graf von Werthheim soll Euer Kind haben, aber der Graf bin ich nicht und will's nicht werden. Ich spür' es, mein einsam Leben in den Wäldern hat mir Kraft und Lust geraubt ein weltlich Lehen mit Verstand zu regieren. Ich lasse Land und Leute aus meiner Hand; da steht Adelhart, mein tapfrer und getreuer Bruder, dem gebt Alles! – Da fiel die schöne Gerberga zu ihres Vaters Füßen, Adelhart aber flog in die Arme seines Bruders, und der König sah, daß wider Minne keine Königsgewalt Etwas vermag; Adelhart gewann die Braut und das Lehen. Konrad aber sprach: Ich will in einem fernen Land wider die Heiden streiten, wo ich sie finde; gebt mir Urlaub, mein hoher Fürst. Darauf ritt er von Werthheim fort, vorher aber küßte er seinen Bruder und sagte zu ihm heimlich: Adelhart, nun sehen wir uns nimmer wieder; sei Du ein getreuer Graf und milder Herr, Vater eines glücklichen Geschlechts. – Und das ist auch geschehen. Denn Adelhart hat Gerbergen heimgeführt und lang in Frieden mit ihr gelebt, und auf der Burg zu Werthheim hat es nie gefehlt an lustigem Ritterspiel, Tanz und Minnesang. Auch lebt ihr Geschlecht und ist blühend geblieben bis auf diesen Tag.

* * *

Konrad aber ritt am Main hinab, denn er wollte nach dem Mittelmeer ziehen, wo dazumal die Araber die Christen hart bedrängten. Also kam er in die Stadt Mainz. Da traf er einen Juden aus dem mittäglichen Frankreich, der ihm einen gefangenen Araber zum Kauf anbot. Der Araber verstand wohl die hispanische Zunge und wußte viel zu erzählen, wie allda christliche Ritter viele heldige Thaten gegen sein Volk verübten. Da beschloß Konrad, diesen zu kaufen und brauchte ihn als Wegweiser und Dolmetsch, bis er von ihm die hispanische Sprache gelernt hatte und über das große Pyrenäengebirg gekommen war. Daselbst ließ er den Araber frei und gestattete ihm, daß er zu seinem Volk zurückkehrte. Er selbst aber ritt in die gallizischen Gebirge hinauf, wo ein Paar tapfre Grafen, abgestammt von den edeln Gothen, die vor Zeiten in dem ganzen hispanischen Lande herrschten, kleine christliche Königreiche gegründet hatten und den Heiden täglich mehr Land abgewannen. Deren Einem bot er Arm und Schwert an, und sammelte bald eine kühne Reiterschaar um sich, mit der er große Thaten vollführte. Von den Kriegen singen auch die Spanier noch viel in ihren alten Liedern; aber weil dieß Volk immer nur sich selbst achtet aus großem Stolz, so wissen sie von dem tapfern deutschen Krieger nichts mehr, der ihnen doch redlich geholfen hat. Was aber Konrad dazumal für Schlachten gewonnen und wie viele schöne alte Römerstädte er erobert hat, davon wollen wir schweigen. Denn man findet solche Dinge in den alten Ritterbüchern gar viele erzählt, und mag sich ein Jeder das selber denken. Auch manches schöne Weib hat er geschaut, denn die heiße Sonne des Landes färbt die Locken dunkler und gibt den Augen einen wildern, lockendern Glanz als unsre Frauen haben, besonders aber den Mohrinnen, die von allen Frauen der Erde die schönsten und heißesten genannt werden. Aber Konrad wurde von keinem Pfeil getroffen, den die brennenden Augen auf den starken blonden Helden schossen. Ihm war nur wohl im Schlachtgewühl, wenn das Blut des Feindes noch heißer als sein eigenes aus weiter Wunde hervorschoß, wenn klirrender Schwerterschlag, rauschende arabische Schlachtweisen den stillen Ruf seines Herzens übertönten. Wohl schauten ihn, wenn er Nachts durch die südlichen Wälder ritt, die schlanken Pinien stolz und zierlich an, wohl grüßte ihn der Oelbaum mild mit silbernem Licht, wohl angelte die Aloe mit ihren scharfen Blättern nach seinem Herzen. Auch in ihnen wohnten Geister voll Minnesehnsucht, und Konrads Herz empfand ihre Nähe und ihre leise Lockung. Aber Eiche blieb seine Minne, und vergebens suchte er im südlichen Lande auch nur nach einem nordischen Eichbaum, der ihm wenigstens die Wohnung seiner Geliebten hätte abbilden können.

* * *

Eine schwere Schlacht war geschlagen. Hoch oben auf wilder Gebirgskette, im Passe, der aus den Christenlanden ins maurische Gebiet hinüberführte, saß Konrad todtmüde vor seinem Zelte. Unter ihm lag das blutige Schlachtfeld, dahinter weit ausgebreitet das Mohrenland, zu dessen grünen Ebenen er den Christen den Zugang erstürmt hatte. Der Mond spiegelte sich im Blute der Erschlagenen, sein weißes Licht fiel auf die Leichen und ließ die Blässe des Todes noch grauenvoller aus ihrem Antlitz leuchten. Fern aus den Schluchten tönte noch der Hufschlag der fliehenden Feinde, der mörderische Schlachtjubel der verfolgenden Christen, der Todesschrei einzelner Gefallenen zu ihm herauf, während droben die Nacht schon Alles in schweigenden Frieden einhüllte. Da faßte ihn mit ungeheurer Macht der Gedanke, wie die Menschen so voll von Haß und Sturm, und wie die Natur und das Reich ihrer Geister so friedlich und selig sei. Hatte er sich schon in den Armen seines Bruders und vor dem Angesicht seines edeln Königs Konrad kalt und fremd gefühlt, wie viel weniger konnte er unter diesem mordlustigen Geschlechte des Südens heimisch sein? Sein Bart begann weiß zu werden vom Mühsal des Lebens, vom Frost des Nordens, von der Mittagsglut des Südens, obwohl sein Leib stark blieb und seine Seele ewig jung wie allezeit. Er hatte, obwohl nur mit halbem Herzen, dennoch tapfer und getreu in der Noth des Lebens gestanden; die blühende Ebene zu seinen Füßen kam ihm vor wie ein gelobtes Land, in das er wohl hinabschauen, aber nicht eintreten dürfe. Allen Glanz der südlichen Mondnacht hätte er gegen des Spessarts nebelverhangene Finsterniß gerne hingegeben. Am Abendhimmel düsterte Gewölk, noch schimmernd vom matten Widerschein der längst versunkenen Sonne; seine Sehnsucht weckte heimathliche Bilder aus den Wolken.' Ueber den hohen Sierren, deren weiße Schneekuppen zu ihm herüber glänzten, bauten sich die langgestreckten dunkelrothen Höhenzüge des Spessart auf; über ihnen schwebten kleinere Wolkenmassen hin, bald das Bild des steinernen Mönchs, bald auch die Gestalt des mächtigen Baumes heraufzaubernd, dessen Seele seine Geliebte war. Da leuchtete es mit Einem Male in seinem Innern auf, was Eiche bei der ersten Begegnung zu ihm gesprochen: Nur wer draußen Nichts mehr besitzt, kein Herz, kein Haus, kein geliebtes Grab mehr, den nimmt die Natur an ihre Brust, den läßt sie aber auch nie mehr fort aus ihrer Stille. Konrad prüfte sein Herz und sein Leben; ja, er war los, ganz los von der Welt, nach That und Abenteuer rang seine Seele nicht mehr; ohne es zu ahnen, hatte er ja schon lange die Bedingung erfüllt, Nichts mehr zu besitzen. Da sank sein Erdentraum hinter ihm in die Nacht hinab, und wie ein rosiges Morgenlicht ging ihm die Hoffnung auf, nun der Waldesbraut in die Arme sinken zu können.

Sein Entschluß war fest; er berief die Führer seiner Reiterschaar, dem Tapfersten überantwortete er die Fahne. Alle weinten, nur Konrad nicht, er bestieg sein Roß und ritt durch die Schlucht nach Norden hinunter und so immer fort, durch das ganze Land Burgund, bis er Abends in der Herberge auf einmal mit deutschen Worten vom Wirthe gegrüßt wurde. Der erzählte ihm, daß König Konrad schon gestorben sei, und daß ein König, den der Ritter nicht kannte, Heinrich aus sächsischem Blut, das Land in gutem Frieden regiere. Damit löste sich das letzte Band von Konrads Herzen; auch sein Vaterland konnte ihn missen. Er that sich des letzten Besitzes ab: Helm und Harnisch gab er einem muthigen jungen Bauer, der mit ihm eine Tagereise weit gewandert war; im Odenwald zäumte er sein getreues Roß ab; drückte noch einmal seine Stirn in die stolzen Mähnen, und ließ es mit sanftem Handschlag in den freien grünen Wald laufen. Er aber zog einen Pilgerrock an und wanderte durch's Thal der Tauber dem Spessart zu. Als das Flüßchen ihn an den Main geführt hatte, sah er im Sternenschein am Fuß des Schloßberges ein aufblühendes Städtchen liegen, droben auf der Burg scholl Tanzreigen und frohes Zecherlied; schweigend lag gegenüber die Kapelle, wo er Eiche zum letztenmale gesehen. Er erkannte, daß er auch hier überflüssig sey, denn daß Adelhart Land und Leute wohl regierte, sah er der Gegend an, auch sagte es ihm der alte Werthheimer Schiffer, der ihn nach dem andern Ufer hinüberfuhr. Dort erstieg Konrad den Berg und trat in das Kirchlein ein; beim Schein der ewigen Lampe kniete der eisgraue Kapellan am Hochaltar, er war über dem Beten eingeschlafen, und milder Friede lag über dem greisen Haupte. Konrad weckte ihn nicht; dem Alten hätte sein Entschluß, zum Walde heimzukehren, nur ein Räthsel oder seine Geisterminne gar ein Frevel erscheinen müssen. Leise küßte er die väterliche Hand, die seiner Jugend gepflegt, und kniete vor dem Altar neben dem Greise nieder, um zu den, großen Vater des Alls zu beten, der all' seine Kinder, Geister wie Menschen, mit gleicher Liebe umfaßt und dereinst in seinem Schooße versammelt; in ihm wußte er sich auch mit Eiche selig vereint, obwohl sie vom heiligen Wasser und vom Himmelsbrot Nichts wußte. Dann stand er auf, und an jenem Hügel, von wo er einst die Zerstörung seines väterlichen Schlosses angeschaut, hielt er seinen ersten tiefberuhigten Nachtschlummer; war er doch nun ins Reich seiner Geliebten eingetreten, wo einst ihr Gewand gerauscht und ihr Kuß ihn angeweht hatte.

Als er erwachte, lag der Nebel im Mainthal; nur die oberste Zinne der Burg und das goldne Kreuz der Kapelle schimmerten über die grauen Massen hervor. Es war das letztemal, daß er sein Erbland überschaute; ohne Gram und Thräne nahm er da oben von der Welt Abschied, von wo er einst an jenem sonnigen Morgen sie zuerst begrüßt hatte. Aber auf der ersten Tagreise fand er noch viele Menschen. Seit Frieden im Lande war, hatten sie sich aus den Thälern in den Wald hinaufgezogen und sich Hütten gebaut; die hohen Stämme waren zu Balken und Schwellen zerfällt worden, und überall, wo noch Wald stand, klang die lichtende Art. Mit Schmerz sah Konrad die geliebten Bäume fallen; bald aber verstummte jeder Menschenlaut, er kam wieder in die noch unbetretene, noch ganz jungfräuliche Wildniß. Aber statt der Menschen umbrauste ihn das Leben des Forstes, die Hirsche nickten ihm zu als einem der Ihrigen, der Specht, als er ihn sah, hämmerte noch eins so lustig auf die Stämme, die Nachtigallen sangen ihm ihre Freudenlieder entgegen, und wo ein Buchfink flog, der rief ihm mit schmetterndem Schlage zu: Liebster, willst du mit zu der Liebsten gehn? Auch die Bäume surrten mit lustigem Mädchengeflüster, als ob sie seine Ankunft weiter meldeten. Schon ragte fern der Berg, auf dem die drei Tannen standen, und wo Konrad ihn zuerst sah, da rastete er die zweite Nacht. Es war ja Alles, Alles, wie sonst, er hatte den freudigsten Muth, daß er auch Eiche finden werde wie vor Zeiten; darum gönnte er sich die Ruhe und schlief abermals so selig, wie ein Kind dem Weihnachtstraum entgegenschlummert.

* * *

Konrad stand an dem Felsen, in den der Bach sich verlor. Der Mond warf hell wie vor Jahren sein Licht auf den Hochwald zu seinen Füßen, unten grüßte ihn mit rauschendem Wipfel der Eichbaum, den die Geliebte bewohnte. Er trat auf den mondhellen Wiesenfleck – er wagte nicht nach dem Bachsturz hinzusehen, denn dieser Augenblick entschied ja, ob er das Ziel seines ganzen Lebens auf ewig verliere oder gewinne. Wie beschwörend sang er sein altes Lied, und wie er an die Worte kam:

Oft wohl mein' ich, aus den weiten
Wäldern müßt' es grüßend schreiten –
Selige Schönheit, enthülle dich mir!

da erst schaute er auf – sie war's! sie stand da im schäumigen Bade des Wassersturzes, die nackte übermenschliche Gestalt. Ihr Auge lachte ihn mit williger Gewährung an, sie duldete seinen Kuß, sie wühlte ihren Busen durch die Falten des Pilgerrockes an seine Brust heran, zitternd von Wonne und Liebesweh. Worte sprachen die Seligen nicht, die Lippen fanden eine heißere Sprache, die Geister einen mächtigern hingebendern Austausch. Wie die Blume, die den langen Sommer hindurch in schwelgender Lust die Kraft der benachbarten Blüte einzieht, so vollkommen glücklich war der Mann, denn er sog Eiche's ewigselige, von keinem Schmerz je getrübte Geisterseele im Kuß in sich herüber; aber das Weib war von wonnigem Schmerz durchbebt, weil der Geliebte seine Seele ihr einhauchte, die menschliche, von Weh und Sehnsucht zerrissene. Beide genossen, was Jedem zur Ergänzung gefehlt, sie den süßen Schmerz der Erde, er die Wonne des Geisterhimmels. Berauschend dufteten die Maienglocken, die unter ihrer Umarmung starben, der Gießbach rauschte wie Silberglöckchen in seinem Sturze, die Nachtigallen fernab im Laubwald schmetterten die schwellenden Jubeltöne erfüllter Minne. In Einen Augenblick drängten sich alle Jahre Konrads zusammen – sein Leben war erfüllt.

Aber da rauschte, krachte, donnerte es fern, fern im Walde, wie von beginnendem Orkan. Eiche schauderte in seinen Armen, sie fuhr auf und lauschte, dann sprach sie rasch und bang: Nun wirst Du sterben! Lächelnd fragte er: Doch an Deiner Brust? Ja, rief sie, an meiner Brust, von milden Armen gehalten, und ich sterbe mit Dir. Wisse: als die mordende Menschenhand immer tiefer in den heiligen Forst eindrang, da erwachte der Haß in der Geisterbrust und es ward beschlossen auf der Elfenwiese, daß Keine von uns, so lange der Spessart grünt, hinfort Einem eures Geschlechts sich in Minne ergeben, noch in ihrer Schöne sich enthüllen soll. Tod ihr und ihrem Buhlen! Das war der Spruch, Ich wußte, daß Du wiederkamst, ich hatte Deiner Treue Nichts mehr zu versagen, seitdem Du um meinetwillen die Hand des Königstöchterleins hinwegstießest. Ich bat für Dich als Einen, der nie einen Baum getödtet, weil Du unser heimlich Leben schon längst gekannt. Aber Geisterbeschluß ist unbeweglich – hörst Du, sie kommen!

Ein Felsblock schlug hart neben den Glücklichen nieder. Komm in mein Haus, sagte Eiche, in meinen geliebten Baum; er schützt Dich bis er bricht, und vor ihm sterbe auch ich nicht. Er soll all' seine tausendjährige Kraft in Dich ergießen, und in dieser Lebensfülle sollst Du sterben.

Und wo bleiben wir darnach? fragte er.

Eiche weinte. Du gehst, ich weiß nicht wohin: ich muß auf der schönen Erde bleiben, so lange sie auf ihrem Felsenkerne fest steht, und in einem neuen Baume wieder aufblühen. Aber der Tag kommt, nach welchem kein Baum mehr wachsen, kein Menschenleib mehr im Mutterschooß reifen wird; dann wird in Einen Ozean, aus dem es floß, unser Leben auch wieder ausmünden, Dein's wie meines. Darum laß Deine Seele meiner gedenken, wo sie auch verweile; ich aber gelobe Dir, daß ich keinen der Sterblichen noch Unsterblichen mehr lieben will nach Dir; diese unsre Sehnsucht nach einander wird uns wieder zusammenführen. Deinen Leib aber will ich hüten in meinem zerfallenden Schooß, darum komm in mein Haus!

Sie erhuben sich. Der Eichbaum that sich wie eine Pforte vor ihnen auf, tief in seine Wurzeln hinein klaffte ein Spalt, Brautbett und Grab zugleich, in das sie sich hineinlegten. Drinnen umgab sie feuchte schwellende Lebenswärme; in Konrads Adern drang die übergewaltige Kraft des riesigen Baumes, in niegeahntem Genusse rang er mit dem Weibe in wilder Umarmung; dann entschliefen Beide in wollustvollem Ermatten. Sie haben es nicht gehört, wie draußen entsetzliches Brausen sich erhub, wie in schrecklicher Schönheit das Geisterreich seine vertilgenden Elementarkräfte entfaltete: nur wie eine leise Wunde riß durch ihr träumendes Leben der Todesschmerz hindurch, als nun der mächtigste der Luftgeister die Krone ihres Baumes in seine Faust faßte und dreimal herumwirbelnd sie vom Stamme losbrach, als darauf der ragende Stumpf von den Felsriesen mit steinernen Keulen zerschlagen wurde, und der schwellende Bach die Trümmer in den Schatten des Hochwaldes zerstreute. In ihrem festen, knorrigen Wurzelbette hielt die gestorbene Eiche den Leichnam des geliebten Mannes umfaßt; traulich und feurig, wie die Liebenden, hatten sich Minne und Tod umarmt.

* * *

Auch ich zog durch den Spessart. Am einsamen Waldplätzchen, müde und verirrt, bin ich entschlummert unter einer Eiche, die aus dem uralten Rumpfe einer gebrochenen hervorgeschossen war. Keine Elfin hat sich mir enthüllt, denn die Geister halten ihr Wort, und auch mein Herz war an ein fernes süßes Lieb gefesselt, ehe ich den Zaubergrund des Forstes betrat. Aber in meinen Schlaf rauschte mir das Eichlaub die freudige Mähr von der Minne, die gegen des Geschickes Beschluß einen sterblichen Mann mit einem unvergänglich lebendigen Geiste gepaart und in Beiden die Schrecken des Todes überwunden hatte durch selbstvergessenen Genuß, Getreu, wie Eiche durch ihr Laubflüstern sie der Sängerbrust zugeweht, hab' ich die Mähr' des Waldes Euch wiedergebracht. Wem die Geister noch leben, der glaubt es, daß sie dem Geweiheten durch Offenbarung kund ward; wem aber nie das schauende Auge geöffnet war für eine andere als die Welt der Menschen, der mag sagen: Es war eines Dichters Traum im Spessart.

* * *


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