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Lebenslauf eines Johannisfünkchens.

Von

Johanna Kinkel.

Als ich zum erstenmal meine Augen dem Licht öffnete, fand ich mich auf der Spitze eines Grashalms hin und her schaukelnd, an dem ich hinaufgestrebt war, ohne zu wissen warum. Unter mir dicht am Boden sah ich die Trümmer meines Ei-Gefängnisses und über mir flatterte eine Geißblattranke, auf die ich kletterte als sie zufällig meinen Grashalm berührte. Gleich darauf hob ein vorbeistreifender Windhauch diese Ranke so hoch empor, daß ich über das Gesträuch hinweg den Himmel und die rothe Abendsonne sehen konnte. Aber von diesem plötzlichen Anblick ward ich so geblendet, daß ich niedertaumelte und in den Kelch einer dunkeln Rose fiel, zwischen deren weichen Blättchen ich mich zitternd in eine Ecke schmiegte und mich ganz still verhielt.

Nach einigen Minuten kamen ein paar glänzend grüne Rosenkäferchen, hoben an einer Seite das purpurne Blättchen auf, hinter dem ich ruhte, und bedeuteten mich: ich solle mich sogleich aus ihrem Zelt fortmachen. Ich hatte mich unterdeß von meiner Ohnmacht erholt und verwunderte mich über die Keckheit der beiden grünen Stutzer; ja, ich hatte nicht übel Lust, sie aus der Rose hinauszuwerfen; aber der Eine rief ein dickes Marienkäferchen zu Hülfe, als er meine grimmige Miene bemerkte.

Das Marienkäferchen kam gravitätisch in seinem steifen rothen Mantel mit schwarzen Pünktchen herbeigeschritten, und that mir zu wissen daß es durch vertagtes Recht im Besitz dieser Rose sei, die außer ihm und seiner Familie nur von den kleinen grünen Käferchen bewohnt werde, und daß sie ein Schutz- und Trutzbündniß errichtet gegen jede andere Art von Insekten, die sich bei ihnen niederzulassen gedächten.

Von der Uebermacht vertrieben schlich ich hinaus, und kletterte langsam den Stiel hinunter, um zu dem Grasplatz zurückzugelangen. Ich setzte voraus daß er Gemeingut für alle kleinen Geschöpfe sey, die Lust hätten sich darin umher zu tummeln. Mein Weg über den Stiel führte mich leider nicht so friedlich dem Ziel entgegen als ich erwartet hatte. Er war von einem niederträchtigen blaßgrünen Gesindel bevölkert, welches oft in so dichten Massen meinen Weg versperrte, daß mir nichts übrig blieb als ihm über die Köpfe zu spazieren. Dieß weichliche und verletzbare Geschlecht ward über den leisesten Tritt meiner zarten Füßchen höchlichst indignirt, man schrie Zeter über den schonungslosen Wildfang und machte vergebliche Versuche mich abzuschütteln. Endlich jammerte mich dieser graugrünen Brei-Nation. Ich maß mit den Augen daß meine Heimath, das Grasplätzchen, nahe sei. Ein kühner Sprung, und ich gelangte – welch Entsetzen – in das Gewebe einer kolossalen Kreuzspinne.

Obgleich ich am äußersten Rande zappelte, so merkte mich dennoch das Ungeheuer auf der Stelle, welches inmitten des fadengewirkten Sterns in stolzer Ruhe das an der Sonne geröstete Rumpfstück einer Schmeißfliege zum Abendbrod verzehrte. Es that einen Schuß vorwärts auf mich zu, hielt dann plötzlich einen Moment inne, und starrte mich mit durchbohrenden Augen an. Trotz meiner Todesangst bemerkte ich doch genau den äußerlichen Habitus meiner Feindin. Sie war dickbäuchig und breitschultrig, aber um den Gürtel sehr enge eingeschnürt. Ihr gelbes braungestreiftes Kleid hatte etwas unheimlich Gleißendes, obschon sie auf dem Rücken ein großes schwarzes Kreuz heuchlerisch zur Schau trug. Ihre langen Arme und Beine waren rauh behaart und mit spitzen Krallen versehn. »Jetzt bist, du verloren!« dachte ich, als sie sich zum Sprunge rüstete, und fühlte Todesschauer bis in's Innerste. Da flog eine Hummel des Weges und im trotzigen Muth mit dem Kopf grad in das Spinngewebe hinein, das sie mit einem Stoß zu durchreißen wähnte. Nun wuchs auch mir der Muth. Ich jauchzte der mächtigen Hummel Beifall zu, die sich tapfer bemühte das Netz zu zerstören. Ich glaubte sie thue das alles um meinetwillen, denn sie brummte immerzu von Gesetzen, die man zertrümmern müsse, um dem Volk da im Grase mehr Freiheit zu schaffen. Aber die absolutistische Spinne verstand nichts davon. Sie war von der größten Art, und durfte sich kühn mit der Demagogin Hummel in den Kampf wagen. Die beiden balgten sich so lange herum, bis ein Flügel der noch etwas jungen und unerfahrenen Hummel sich in dem Netz verwickelt hatte. Meine Hoffnung auf Befreiung schwand mehr und mehr, denn die Kämpfenden näherten sich mir, der ich fest von dem Gewebe umschnürt war, und ich sah dem Augenblick entgegen, wo ich zwischen der Spinne und der Hummel erdrückt werden würde. In ihrer Noth fing die Hummel an laut zu brummen. Das hörte ein kleiner Bauerbursche, blieb lauschend stehen und haschte dann eilig die Hummel, um ihr den Honig zu stehlen. Die Spinne wollte entfliehen, ward aber von ihm zertreten, und die Hummel rettete ihr Leben durch einen raschen Stich in den Finger ihres eigennützigen Befreiers, worauf er sie schreiend entschlüpfen ließ.

Alle Fäden des Spinngewebes flatterten zerrissen im Winde, und ich sank in's Gras, pochenden Herzens, aber unsäglich froh und zufrieden. Aller Haß gegen kleine unschädliche Geschöpfe war in meinem Busen getilgt, seit ich die Spinne geschaut hatte und aus ihren Krallen errettet worden war.

Nachdem ich einige Nahrung zu mir genommen, schaute ich mich nach Gesellschaft um, und machte Bekanntschaft mit einer Ameisenfamilie, die dicht neben dem Grase ein Häuflein Sand bewohnte. Eine Zeitlang verkehrten wir ziemlich gemüthlich mit einander, um so mehr, da ich immer nachgab, wenn die Ameisen Recht haben wollten. Die Familien-Mutter imponirte mir besonders in ihrer grenzenlosen Geschäftigkeit. Nur war es mir unangenehm, daß sie auch mich aus meiner Ruhe treiben wollte, da ich doch eigentlich mehr Neigung hatte, still und träumerisch im Grase zu weilen und zu dem Abendstern hinaufzuschauen. Die Ameisen faßten bald eine gewisse Mißachtung gegen meine Person, welche sich zum brennendsten Haß ausbildete, als sich bei einbrechender Nacht zu meinem eignen Staunen und zu ihrem Entsetzen kund that, daß ich die Eigenschaft des Leuchtens besitze. Jetzt hatte ich keine ruhige Minute mehr, denn wohin ich mich auch zurückzog, sie hatten mich flugs hinter dem Grase ausgespürt, und verfolgten mich theils mit witzlosen Spottreden, theils mit langweiligen Rathschlägen in Betreff meiner Lebensweise, welche Weisungen vielleicht für A-meisen und B-meisen recht passend seyn mochten, nur für kein Johannisfünkchen. Vor Ungeduld schüttelte ich mich wie verzweifelt, und bemerkte plötzlich, daß sich ein Paar Flügel entfalteten. Nun schwamm ich in Entzücken. Mit einem raschen Entschluß hob ich mich in die Lüfte, sog den Duft der Rosen vorüberstreifend ein, und blickte wonneberauscht zu den Sternen, selbst ein schwebender beseelter Stern.

Einen Theil der Nacht durchschwelgte ich selig im Bewußtsein meines eignen Glanzes; dann aber folgte eine sehnsüchtige Beklommenheit, welche am stärksten meinen Busen bedrängte, wenn ich lange unter einem Rosenstrauch umhergeschwärmt hatte. Der zauberische Duft, dieß wundersüße harmonische Gesumme der vielen kleinen Käferchen, welche den purpurnen Palast bewohnten, berauschten mich mit Lust und Wehmuth im seltsamen Gemisch. Ich erschien mir so einsam inmitten all dieses Jubels, und da ich die andern Insekten stets dann in der behaglichsten Stimmung fand, wenn sie sich vertraulich mit ihres Gleichen der höchsten Güter des Lebens freuten, als da sind: der Schein der Himmelslichter, ein Tröpfchen Thau, ein Tulpenzeltchen und dergleichen, so beschloß ich ebenfalls, einen Freund oder eine Lebensgefährtin zu suchen. Zuerst wandte ich mich an eine Cikade, aber die machte mich fast taub mit ihrer ewigen monotonen Geschwätzigkeit, so daß ich mich zu dem schweigsamern braunen Graskäferchen hingezogen fühlte. Diesem grauste jedoch vor meinem Glanze, und es floh mich schnöde. Dafür umgaukelte mich die Mücke um so eifriger, ohne daß ich entschieden Freude oder Verdruß über ihre Gunst oder Ungunst empfunden hätte. Alle diese grauen Gestalten blieben mir innerlich gleichgültig, und ich begann zu glauben, ich sei ein unglücklicher Geist, aus einer höhern Sphäre in diesen Erdengarten verschlagen, und werde nimmer meines Gleichen finden.

In solchen Gedanken war ich bis an die Taxuswand gelangt, welche den Raum, in dem ich weilte, von einem freien Platze schied, als ich hinter derselben ein bläuliches Funkeln wahrnahm, meinem eigenen Lichte ähnlich. Mit aller Kraft drängte ich mich zwischen der dichten Scheidewand hindurch, und befand mich in der Gesellschaft von acht Johannisfünkchen, die munter zechend um einen Maiblumenkelch voll Thau saßen, in welchen sie einige grüne Spitzchen Waldmeister gestreut hatten. Sie empfingen mich wie einen Bruder, der aus weiter Ferne heimkehrt, boten mir von ihrem Maitrank an, und belehrten mich über meine Existenz, über die Welt und die Stellung des Johanniswürmchens als solchem zu dieser im Allgemeinen und Besondern. Auch andere astronomische und naturwissenschaftliche Fragen lösten sie mir bereitwillig, wodurch ich in den Stand gesetzt worden, diese meine Geschichte so gründlich und lehrreich mitzutheilen.

Auf die Frage: woher sie selbst zu dieser Kenntniß gekommen, erhielt ich zur Antwort, daß sich seit einiger Zeit ein Maikäfer bei ihnen aufhalte, der in seiner Jugend von einem Tertianer aufgefangen worden. Dieser habe ihn mit in's Gymnasium genommen, woselbst er mehrere Fächer mit Nutzen vortragen hörte. Darauf habe er sich mit Verlust eines Beins und einer Flügeldecke vom Faden losgerissen, und da er sich geschämt, in diesem Zustande zu den Seinigen zurückzukehren, so lebe er in tiefer Abgeschiedenheit bei ihnen als Lehrmeister.

Noch ehe ich die Bekanntschaft dieses trefflichen Käfers machen konnte, stürmte ein neues Ereigniß auf mich ein. Ein Jüngling und ein Mädchen kamen den Fußpfad hergegangen, neben dem wir unser Banket hielten. Sobald der Jüngling uns bemerkte, stürzte er rasch auf die Kniee, und las uns ziemlich ungeschickt auf, wobei nur zwei meiner neuen Freunde entschlüpften. Wir wurden in des Mädchens Locken gesteckt, und warfen unsern Schein auf ihre weiße Stirn. Darüber gerieth unser Ruhestörer in ein hohes Entzücken, und küßte das Mädchen so ungestüm, daß drei von uns herabfielen und von einem Blumenkelch aufgefangen wurden, der an des Mädchens Gürtel steckte.

»O wie schön wird die Blume von den hellen Fünkchen durchleuchtet!« rief das Mädchen; »komm, mein Liebster, wir wollen eine Lilie holen, und sie ganz voll solcher Leuchtwürmchen füllen.« Der Jüngling erwiederte: »Warte Liebchen, ich will im Grase suchen, ob ich nicht ein Weibchen finde; die geben viel hellern Glanz.«

Er ging und stöberte unter den Halmen umher; die Jungfrau aber pflückte eine schneeweiße Lilie, nahm mich aus den Locken und setzte mich hinein. In den schneeweißen glatten Blättern, die nun mein Haus waren, strahlte mein Wandeln wunderbar wieder. Ich ahnte, hier müßte mir ein unermeßliches Glück begegnen. Der süße Duft der Lilie berauschte so hold, doch bald ward er mir zu mächtig. Ich sank in tiefe Betäubung, und hörte nur noch wie das Mädchen sagte: »Das Johannisfünkchen hat seinen Glanz verloren.«

Als ich wiedererwachte, lag ich auf dem Rasen, der von frischem kühlem Nachtthau getränkt war. Das Mädchen schüttelte über mir die Lilie, und rief: »Nein, der Duft ist zu stark, die armen Thierchen sterben davon.« Neben mir fiel das Weibchen, das der Jüngling geholt hatte, nieder, und leuchtete nur noch matt bläulich. Mich durchschauerte Angst und Entzücken. Sie war da, endlich gefunden, die Mitleuchtende, und sollte vor meinen Augen sterben! Ich tauchte meine Flügel in Thau, und benetzte damit mein Liebwürmchen, flatterte immer rund umher, daß all' die Grashälmchen frische Luft fächelten, bis es endlich wieder lebendig wurde und mich liebhielt. Da merkte ich, daß sein helles Licht nicht bloß wie Feuer schimmert, sondern auch warme Glut gibt, und ließ Käfer und Cikaden, Thau und Maiblumen um mein flammendes Liebchen.

Wir zogen uns aus der Nähe des gefährlichen Fußpfads zurück, und bauten uns ein Zeltchen von Apfelblüten im tiefsten Grunde eines Vergißmeinnichtstrauchs, dicht am Rande eines Bachs. Dort blieben wir versteckt bis nach Mitternacht, wo alles stiller und stiller um uns ward. Nur im Weidengebüsch gegenüber sang eine Nachtigall langhallende, süßbebende Töne. Der Nachtwind brachte den Hauch der fernen Rebenblüte und mischte ihn mit Rosen- und Lindendüften. Gegen Morgen kam der Mond und spiegelte sich im Bach. Da wagten wir uns wieder hervor und schwärmten in ungetrübter Jugendseligkeit noch einmal von Busch zu Busch, von allen Düften und allen monddurchleuchteten Thauperlen kostend.

Jetzt weht hinter den fernen Bergen der rothe Morgenschein herauf, der den Tag verkündet, an dem wir sterben müssen. Wir scheiden fröhlich von dannen, denn in Einer Nacht haben wir die Fülle eines ganzen Lebens durchgenossen.

* * *


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