Eduard von Keyserling
Schwüle Tage
Eduard von Keyserling

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»Ja, es ist alles hier so unverständlich. Ellita ist böse und traurig. Und ich weiß nicht... Vielleicht kannst du etwas lustig sein. Nimm dich recht zusammen.« Damit lief sie wieder die Allee hinab. Die Füße in den gelben Stiefelchen spritzten den Kies um sich, sorglos wie Kinderfüße. Die blaue Schärpe flatterte im Winde. Den Nachmittag über mußten wir mit den Marsowschen Tennis spielen. Angenehm wurde es erst, als die Sonne unterging. Ich spazierte mit den Mädchen langsam an den Blumenbeeten entlang und machte sie lachen. Am Gartenrande blieben wir stehn und sahen über die Felder hin. Rotes Gold zitterte in der Luft. Der Duft von reifem Korn, blühendem Klee wehte herüber. Die blauen Augen der Mädchen wurden im roten Lichte veilchenfarben. Die Marsowschen Mädchen ließen in tiefen Atemzügen ihre hohen Busen auf- und abwogen und sagten: »Nein – sieh doch!« Ihre Mieder krachten ordentlich, denn sie trugen noch hohe, altmodische Mieder. Gerda lächelte die Ferne an. Ich wollte etwas Hübsches sagen, aber wo nimmt man das gleich her! Durch die Kornfelder kamen Ellita und mein Vater gegangen. Ellita ohne Hut unter ihrem gelben Sonnenschirm. Mein Vater sprang über einen Graben wie ein Knabe. Ellita beschäftigte sich mit der Landwirtschaft und hatte meinem Vater wohl die Felder gezeigt.

Beim Mittagessen trank ich etwas mehr von dem schweren Rheinwein als sonst. Das Blut klopfte mir angenehm in den Schläfen, als ich später draußen auf der Veranda saß. Die Nacht war sternhell. Alle Augenblicke lief eine Sternschnuppe über den Himmel und spann einen goldenen Faden hinter sich her. Fledermäuse, tintenschwarz in der Dämmerung, flatterten über unseren Köpfen. Aus der Ferne kamen weiche, schwingende Töne. Die Mädchen saßen vor mir in einer Reihe und hielten die Arme um die Taillen geschlungen, helle Gestalten in all dem Dunkel. Schön, schön! Ich hatte das Gefühl, Emmy Marsow sei in mich verliebt, und Gerda – Gerda auch; alle. Warum bestand nicht die Einrichtung, daß man in solchen Sommernächten die Mädchen in die Arme nehmen durfte und küssen.

Ellita kam aus dem Hause. Sie blieb einen Augenblick stehen, aufrecht und weiß. »Bill«, sagte sie dann: »Komm mit mir ein wenig in den Garten hinunter, es ist so schön.«

»Gut!« erwiderte ich ein wenig verdrossen. Sie legte ihren Arm um meine Schultern und faßte meinen Rockaufschlag, was mich daran erinnerte, wie klein ich für meine achtzehn Jahre war. So gingen wir zwischen den Lilienbeeten den Weg hinunter. Ellitas Arm lag schwer auf meiner Schulter. Ich glaubte zu spüren, wie das Blut sich in ihm regte. Lieber wäre ich eigentlich auf der Veranda geblieben. Ellita war nie recht gemütlich. Jetzt aber begann ich langsam die Hand, die meinen Rockaufschlag hielt, zu küssen. Ellita sprach schnell, ein wenig atemlos von gleichgültigen Dingen: »Gut, daß du diesen Sommer bei uns bist. Auch für Gerda. Sie ist so einsam. Wir reiten zusammen aus, nicht? Denk dir, den Talboth darf ich nicht mehr reiten, er ist so unsicher geworden.«

Über dem Gerstenfelde auf dem Hügel stieg eine rote Mondhälfte auf, es war, als schwimme sie auf dem feinen, schwarzen Granen: »das ist schön,« meinte Ellita: »Machst du noch Gedichte? Ach ja, das mußt du.« Während sie zum Monde hinüberschaute, blickte ich in ihr Gesicht. Es mußte sehr bleich sein, denn die Augen erschienen ganz schwarz und glitzerten in dem spärlichen Lichte.

Schritte hörte ich hinter uns. Ellitas Arm auf meiner Schulter zitterte ein wenig. Der Duft einer Zigarre wehte herüber, dann hörte ich meinen Vater sagen: »Ah, ihr laßt euch vom Monde eine Vorstellung geben.«

»Ja, er ist so rot«, erwiderte Ellita ohne sich umzuschauen.

Als wir den Weg zurückgingen, schritt mein Vater neben uns her. Ich hätte mich gern zurückgezogen, die Lebenslage verlor für mich an Reiz, allein Ellita hielt meinen Rockaufschlag fester als vorher. Ich sollte also bleiben. Mein Vater zog die Augenbrauen empor und sog schweigend an seiner Zigarre.

»Wie stark die Lilien duften«, bemerkte Ellita.

Da begann er zu sprechen. Seine Stimme hatte heute einen wunderlichen Celloklang, den ich bisher nicht bemerkt hatte, so etwas wie eine schwingende Saite. »Hm – ja. Sehr hübsch – alles sehr hübsch. Weich und süß. Nur – so süße Watte ist mir immer ein wenig verdächtig.«

»Süße Watte, wieso?« fragte Ellita gereizt.

Mein Vater lachte, nicht angenehm wie mir schien: »Hm! Sommernacht und Lilien und Einsamkeit, das ist ja schön, aber, mir, auf meinen Reisen, geht es so, wenn's ganz weich und süß um mich wird, dann denke ich an das Packen. Ich fürchte mich davor, mich zu versitzen, nicht weiter zu wollen, verstehst du? Man läßt sich gern von dem, was einen etwas glücklich macht, überrumpeln. An allem, was uns binden will, glaube ich, müssen wir ein wenig herumzerren, um zu sehen, ob wir nicht zu fest gebunden sind. Nicht?«

»Nein«, sagte Ellita hart. Ich hörte ihrer Stimme an, daß sie böse war. Warum? Gleich viel. Ich nahm jedenfalls leidenschaftlich für sie gegen meinen Vater Partei: »Nein. Ich behalte, was ich habe. Wenn es auch häßlich ist – oder meinetwegen gestohlen, wenn es mich ein bißchen glücklich macht... Ein anderes? weiß ich denn.......?« Es war, als könne sie vor Erregung nicht weiter sprechen. Sie stützte sich schwerer auf mich; ich spürte, wie dieser Mädchenkörper von einem innerlichen Schluchzen sachte geschüttelt wurde. Ich hätte mitweinen mögen. Mein Herz klopfte mir bis in die Kehle hinauf.

Mein Vater sann vor sich hin, dann sprach die wunderlich schwingende Stimme weiter: »Ich habe einen guten Freund in Konstantinopel, einen Türken. Der sagte mir, wenn er ein Pferd ganz zugeritten hat, wenn er es ganz in seiner Hand hat, dann gibt er es fort und nimmt sich ein frisches. Zugerittene Pferde, an die man sich gewöhnt hat, meint er, sind gefährlich. Man wird unaufmerksam und dann passiert ein Unglück.«

»Er ist sehr vorsichtig, dein alter Türke«, meinte Ellita.

»- Ja – hm«; mein Vater schlug einen leichtern Ton an: »er scheint dir nicht sympathisch zu sein, mein Türke? Aber richtig ist es, das im Zügel halten ist doch ein Genuß. Und das verstehen die Frauen so schön, ihr – unsere Frauen. Gut, was wild ist, läßt man eine Weile laufen und dann – ein Ruck – und es steht still und es geht wieder, wie wir wollen...«

»Wie kannst du das sagen!« Ellita schüttelte leidenschaftlich meinen Rockaufschlag. »Du glaubst, wenn du immer wieder sagst, ihr – könnt das, ihr seid solche herrliche Wesen, es ist eure Eigentümlichkeit so zu sein – dann – dann werden wir so, wie du willst, dann tun wir, was du willst. Und wenn wir dann zu gefügig werden –; was – dann? wie sagt der alte Türke –?«

»Ellita« unterbrach mein Vater sie hastig, dann lachte er gezwungen laut: »Ich denke, wir wollen uns über diese Philosophie nicht ereifern. Ich werde nicht sobald mehr deine Lilien angreifen. Übrigens ist es spät; Bill, geh und laß anspannen.«

Als ich mich von den beiden trennte, hörte ich deutlich, wie Ellita sagte: »Gert, warum quälst du mich?«

Auf dem Heimwege sprachen wir kein Wort miteinander. Die Nacht hatte ihr einsames Singen in den Feldern und an den Wassern. Das Land lag farblos im Mondlichte da. Mir war, als hätte ich etwas Schmerzliches erlebt. Zu Hause kroch ich zu Bette, sehr schnell, als wollte ich mich vor etwas flüchten. Unten im Park sang wieder die Mädchenstimme ihr Rai-rai-rah. Nebenan hörte ich das Parkett krachen. Es war mein Vater, der ruhelos durch die mondbeschienene Zimmerflucht auf und ab schritt.

Nach jenem mir so unverständlichen Gespräch mit Ellita war mein Vater mir zwar nicht sympathischer, aber interessanter geworden. Ich sah ihn mir den nächsten Tag besonders genau an. Es war ein wenig gelber in der Gesichtsfarbe, an den Augen zeigten sich die feinen Linien deutlicher. Sonst war er wie immer. Keine Spur von Celloklang in seiner Stimme. Beim Frühstück fragte er Konrad: »Wer singt da des Nachts unten im Garten?«

»Ach«, meinte Konrad, »das is nur die Margusch, das Hausmädchen.«

»Was hat die des Nachts zu singen?«

Konrad lächelte verachtungsvoll: »Das is so 'ne melancholische Person. Sie ging mit dem Jakob, dem Gartenjungen, nu' is der auf dem Vorwerk, hat woll 'ne andere gefunden. Nu is die Margusch toll.«

Mein Vater winkte mit der Hand ab, was so viel hieß als: »das ist ja gleichgültig.« Ich mußte darüber nachdenken. Um alle, auch um die Hausmädchen spannen sich diese sommerlich verliebten Dinge, die uns unruhig machen und des Nachts nicht schlafen lassen.

Am Nachmittage ging ich auf das Feld und legte mich auf ein Stück Wiese, das wie eine grüne Schüssel mitten in das Kornfeld eingesenkt lag. Die glatten Wände aus Halmen dufteten heiß und stark. Um mich summte, flatterte und kroch die kleine Geschäftigkeit der Kreatur. Ich schloß die Augen. Gab es denn nichts Verbotenes, das ich unternehmen konnte? Das geschähe meinem Vater schon recht, wenn ich einen ganz tollen Streich beginge. Zügeln, sagte er, das Wilde zügeln. Ich möchte wissen, was ich zügeln soll, wenn ich so abgesperrt werde? Nun kommt noch dieser Went. Die Mädchen sind immer um ihn herum, ekelhaft! Gerda machte ein besonderes Gesicht, als sie von ihm sprach. Unruhig warf ich mich auf die andere Seite. In der Nacht mußte etwas unternommen werden, wobei man aus dem Fenster steigt, Bier trinkt, zum Raunen der Sommernacht gehört.

Auf der Landstraße klapperten Pferdehufe. Ich spähte durch die Halme. Mein Vater und Ellita ritten dem Walde zu; sie im hellgrauen Reitkleide, den großen, weißen Leinwandhut auf dem Kopfe. Sitzen kann die auf dem Pferde! Stunden könnte man sie ansehn. Ich wollte, ich wäre der dumme Went. Ob das immer so mit den Weibern ist, daß, wenn wir sie ansehn, es uns die Kehle zusammenschnürt, als müßten wir weinen? Mein Vater, der wird sich nicht versetzen. Immer ein Mädchen wie Ellita zur Seite und in den Wald geritten, keine Gefahr, daß der sich langweilt. Ich wollte gleich zu Edse, dem kleinen Hilfsdiener gehn, der mußte sich für die Nacht etwas ausdenken.

Edse saß am Küchentisch, hatte Schuh und Strümpfe ausgezogen und kühlte seine Füße im Wasser.

»Du Edse, können wir heute Nacht nicht etwas tun?«

»Was denn, Grafchen?« Edse bog seinen großen, blonden Kopf auf die Seite und blinzelte mit den wasserblauen Augen.

»Irgend was. Ich steig zum Fenster hinaus. Er merkt's nicht.«

Edse dachte nach: »Wenn kein Wind is, kann man Fische stechen auf dem See.«

Das war es: »Gut, und Bier muß da sein – und – und, werden auch Mädchen da sein?«

Edse spritzte ernst mit den Füßen das Wasser um sich: »Nee –« meinte er, »beim Fischestechen sind keine Mädchen. Der Krugs-Peter und ich.«

»Gut, gut. Ich weiß« sagte ich befangen.

Es ging bereits auf Mitternacht, als ich aus meinem Fenster in das Freie hinausstieg. Der Himmel war leicht bewölkt, die Nacht sehr dunkel. Wie ein warmes, feuchtes Tuch legte die Luft sich um mich. In den Kronen der Parkbäume raschelte der niederrinnende Tau und flüsterte heimlich. Ein Igel ging auf die Mäusejagd den Wegrain entlang. Eine Kröte saß mitten auf dem Fußpfad und machte mir nicht Platz. Alles nächtliche Kameraden des Abenteurers. Vom See her leuchtete ein flackerndes Licht. Edse und Peter waren schon bei dem Boot und machten Feuer an auf dem Rost. Ich ging quer durch ein feuchtes Kleefeld, dann durch einen Sumpf, in dem jeder Schritt quatschte und schnalzte. Das war gut, das gehörte dazu.

»Aha«, sagte Edse, und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen fort, die der Rauch ihm in die Augen getrieben hatte. »War woll nich leicht, wegzukommen?«

»Ja, es dauerte«, sagte ich kühl. Edsens Vertraulichkeit mißfiel mir: »Nun können wir losfahren.«

Peter stieß mit einer langen Stange das Boot lautlos über das Wasser. Edse und ich standen mit unseren Dreizacken am Bootsrande und lauerten auf die Fische. Das Feuer auf dem Rost an der Bootsspitze erfüllte die Luft mit Rauch und Harzgeruch. Lange Schwärme von Funken zogen über das schwarze Wasser, zischten und flüsterten beständig. Wir schwiegen alle drei, sehr aufmerksam in das Wasser starrend. Wunderlich war die Glaswelt unten mit den fetten Moosen, den fleischfarbenen Stengeln, dem lautlosen Abundzu langer Beine, dünner, sich schlängelnder Leiber. Zwischen den Schachtelhalmen zogen die Karauschen hin, breite, goldene Scheiben. Wo es klar und tief war, lagen die Schleie tintenschwarz im schwarzen Wasser: »Fettes Schwein«, sagte Edse, wenn er einen am Eisen hatte. Nahe dem Ufer aber, auf dem Sande, schliefen die Hechte, lange, silbergraue Lineale. Ein angenehmes Raubtiergefühl wärmte mir das Herz. Wenn wir in das Rohricht gerieten, dann rauschte es an den Flanken des Bootes als führen wir durch Seide, und hundert kleine, erregte Flügel umflatterten uns. Ein Taucher erwachte und klagte leidenschaftlich. Edse und Peter kannten das alles, sie waren Stammgäste in dieser wunderlichen Nachtwelt: »Aha, die Rohrschwalben«, sagte Edse: »Na, na, geht nur wieder schlafen, kleine Biester. Was schreit der Taucher heute so, als wenn einer ihm seine Mutter abschlachtet?« Plötzlich wurde das Wasser von unzähligen Punkten getrübt. »Es regnet«, meldete Peter. »Nicht lange«, entschied Edse. Das Boot wurde unter eine überhängende Weide gestoßen, wir legten die Eisen fort und begannen zu trinken. Selbst das Bier schmeckte nach Rauch und Harz. Edse sprach von den Fischen, blinzelte in das Feuer, und wenn er trank, wurden seine Augen klein und süß. Zuweilen horchte er in die Nacht hinaus und deutete die Geräusche: »Das is der Kauz. Jetzt bellen die Hunde am schwarzen Krug. Die fremden Arbeiter gehn jede Nacht zu den Marjellen.« Ich war ein wenig enttäuscht. Das Fische-Stechen war ja gut, aber es sollte doch noch etwas Besonderes kommen. Jetzt gähnte Peter, seinen Ho-ho-ho-Laut auf den See hinausrufend. Nein, so ging es nicht. Ich begann schnell zu trinken. Das half. Ein leichter Schwindel wiegte mich. Die Gegenstände nahmen eine wunderliche Deutlichkeit an, rückten mir näher; die schwarzen Zweige, der Frosch auf dem Blatt der Wasserrose. Dabei hatte ich das Gefühl, als säße ich hier in einer gewagten und wüsten Lebenslage. Wenn Gerda mich so sähe, ihre Augen würden ganz klar vor Verwunderung werden. Mit der mußte ich auch anders sprechen, sie war doch auch nur ein Weib: »Warum sprecht ihr nicht? Erzählt was«, befahl ich.

Edse grinste. »Ja«, begann er langsam: »morgen wird's wieder gut, das Wetter.«

»Nicht so was«, unterbrach ich ihn und spie mit einem Bogen in den See: »was anderes. Sag, was ist denn die Margusch für 'ne Person?«

»Dumm is sie«, meinte Edse.

Peter kicherte: »Da wollt' ich mal heran zu ihr...«, aber Edse unterbrach ihn: »Das wollen Herrschaften nich' hören.« Hören wollte ich es zwar, allein ich sagte nichts. Der Regen hatte aufgehört. Wir griffen zu den Eisen. Aber die Glieder waren mir schwer und die Fische wurden mir gleichgültig. Auch kroch schon eine weiße Helligkeit über das Wasser und machte es spiegeln: »Ans Ufer«, kommandierte ich.


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