Harry Graf Kessler
Notizen über Mexico
Harry Graf Kessler

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VII

Querétaro, 11. Januar 1897.

Eine stille, dunkle Bergstadt ist Querétaro. An Stelle der Blumengärten, die sonst in Mexico den Städten Buntheit und Frische verleihen, stehen auf den Plätzen Zypressen und schwarzgrüne Eiben. Der Boden soll hier nur für sie günstig sein. Nirgends sind auch die Klöster so zahlreich; viele Straßen laufen ganz zwischen ihren öden Umfassungsmauern, deren obere Kante mit Glasscherben gesäumt ist. Die Stadt ist die kahlste und blasseste in Mexico. Und in diesen Rahmen hat der Zufall die düstere Endtragödie der mexicanischen Monarchie verlegt.

Der Kerker, in dem Maximilian mit seinen Todesgenossen Mejía und Miramón die letzten Tage vor der Hinrichtung zugebracht hat, liegt im ersten Stock des früheren Kapuchinasklosters; drei hohe und mäßig geräumige Klosterzellen. Der Fußboden besteht aus roten Ziegeln; die Türen gehen auf eine schmale Veranda, die einen kleinen, gepflasterten Binnenhof überhängt. Licht empfingen die Räume durch schmale Öffnungen in mehr als Manneshöhe. Der gegenwärtige Besitzer hat in die Straßenwand Doppelfenster brechen lassen; der Blick ist öde; gerade gegenüber begrenzen den Platz die weißgekalkten Mauern eines Klosters, über die hier und dort Zypressenwipfel emporstehen, und am Ende einer Straße nach der Vorstadt, ganz in der Ferne, zieht ein kahler Bergrücken. Die Räume sind vermietet. In Maximilians Zelle schlief das Ehepaar, das hier bis jetzt wohnte. Heute gerade ziehen neue Mieter ein. Betten und Mutter-Gottes-Bilder, Plüschsofas und Nachttische, das schäbige Hausgerät der alten und der neuen Familie stehen in ihrer kleinbürgerlichen Abgeschmacktheit auf dem Flur und in den drei engen Stuben durcheinander. Ein Kanarienvogel piept in einem früher einmal vergoldeten Bauer. Der Kaiser hat die Nachricht von der Zurückweisung der Gnadenbitte der Fürstin Salm und von seiner bevorstehenden Hinrichtung mit Mejía zusammen bei Miramón empfangen, in der entfernteren Zelle, die jetzt als gute Stube dient. Das übrige Gefolge, die Flügeladjutanten und der Stab des Kaisers, waren abgesondert in anderen Teilen des Klosters interniert; diese Flügel läßt man verfallen; Schutt liegt dort in den Sälen, und auf den Treppen wächst Gras; nur die Kirche ist restauriert und jetzt der Mutter Gottes von Lourdes geweiht.

Der Platz, auf dem die Hinrichtung stattfand, liegt draußen vor der Stadt. Der Weg führt vom Kerker aus zuerst unter Eiben in eine Vorstadtstraße und dann durch tiefen Sand zur Stadt hinaus. Gleich nach den letzten Häusern sieht man rechts einen sonnengedörrten, steinigen Hügel, den ›Cerro de Las Campanas‹; an seinem Fuß hatte der Kaiser seinen Degen Escobedo, dem republikanischen Oberfeldherrn, übergeben; und dorthin ließ ihn dieser zum Tode führen. Der Feldweg geht durch Wiesen und dann über Geröll hinauf. Auf der Richtstätte stehen drei Säulen aus rotem Granit; die erste trägt die Inschrift MEJIA, die zweite MIRON, die dritte MAXIMO. Sand und Steine umgeben sie. Im Tal schlängelt sich ein von Weiden gesäumter Bach; in der Ferne liegt die Stadt, Kuppeln und Kirchtürme, zwischen denen Zypressen wie schwarze Kerzen stehen. Dahinter steigen amphitheatralisch flache Sandhügel auf. Sie waren die Tür der strategischen Falle, in die Maximilian gegangen war. Sein letzter Blick – er hatte gebeten, mit unverbundenen Augen zu sterben – muß den Hügelrücken und die Stadt mit ihren Zypressen gestreift haben.

Erschießung Kaiser Maximilians von Mexico (1867). Gemälde des französischen Malers Edouard Manet (1832–1883)

Von den drei Monarchen, die gerichtet worden sind, verdient Maximilian am meisten Interesse. Er war begabter als Ludwig XVI. und gewissenhafter als der englische Karl; seine Schönheit und seine Jugend, die Mannhaftigkeit seines Ausharrens trotz Wortbruchs und Verrats, die Würde und die Anmut seiner letzten Stunden geben seiner Gestalt einen eigentümlichen, ritterlichen und menschlichen Zauber; und auch politisch zum Wohle Mexicos hat sich sein Schicksal nicht gerechtfertigt. Äußerlich ist er allerdings an der Phrase der ›nationalen Freiheit‹ gescheitert; politisch, das heißt zufällig, an der perfiden Unterstützung, die Nordamerika seinen Gegnern gewährte; im letzten Grunde aber ging er unter, weil er versuchte, eine noch unentwickelte Rasse mit europäischen Mitteln, das heißt anständig, zu regieren. Seine Regierung ist die aufgeklärteste, die wirtschaftlich fruchtbarste und bis auf den offenen Krieg die unblutigste gewesen, die Mexico in diesem Jahrhundert gehabt hat. Ihr Mißerfolg hat nur die Notwendigkeit dargetan, Mexico zu regieren, wie es Diaz regiert. Nachdem noch einmal alles experimentiert worden war, hat Diaz schließlich doch dasselbe wie Maximilian, das heißt die Befriedung des Landes durch die Monarchie, erstreben müssen. Er hat sein Ziel erreicht, weil er die Stirn gehabt hat, das vielleicht einzige hier wirksame Mittel anzuwenden: die Ley Fuga.

Karte der Reise Kesslers durch Mexico (Ausschnitte):


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