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21. Die innere Sprache

Unsere Seherin füllte nicht nur das Innere ihres Lebenskreises mit einer Schrift aus, die einer orientalischen nahezukommen scheint, sondern sie sprach auch eine solche Sprache, wie oben ausführlicher angegeben wurde, in halbwachem Zustande und nannte sie die Sprache des Innern.

Sie sagte zugleich, daß ein einziges Zeichen dieser Sprache, oder ein Wort, oft mehr bedeute als ganze Reihen von Charakteren in unserer Sprache, und daß man nach dem Tode in einem einzigen solchen Zeichen sein ganzes Leben überschauen könne.

Wir finden schon, nicht nur bei Menschen, die durch schlafwachen Zustand in ihr Innerstes geführt wurden, sondern auch bei anderen Gottbegeisterten (z. B. bei Jakob Böhme und andern Sehern), daß sie für das, was sie in ihrem Innersten fühlten und ausdrücken wollten, keine Worte fanden, sie mühten sich ab, selbst Worte zu erfinden, die aber auch wohl noch weit nicht ausdrückten, was sie fühlten, was sich ihnen offenbarte, und die uns oft auch nur halbverständlich blieben. So erfand Jakob Böhme eine ganze Reihe eigener Worte. Auch im Kinde gehen oft für seine Empfindungen eigene Worte auf, die es oft nur spät und ungern mit erlernten äußern vertauscht.

Auch im wachen Zustande genügt unserer Seherin der Ausdruck für viele Dinge nicht, und sie konnte öfters sagen: es ist mir fast unmöglich, dies so zu benennen, ich möchte es so gerne anders heißen.

Wir sehen in dieser von unsrer Seherin zutage geförderten Sprache des Innern sehr viel Übereinstimmendes mit den Sprachen des Orients, und dies gewiß nur daher, weil jene Sprachen der Länder, wo die Wiege des Menschengeschlechtes war, gewiß auch die Überbleibsel der Ursprache des gefallenen Menschen sind. Unsre jetzige Sprache ist für den Zustand des Innern und seine Empfindungen nicht zureichend, sie ist, wie eine tiefe Seherin sagte, »laut, aber wenig Ausdruck darin«.

So ist es auch Menschen im innern Zustande unmöglich, sich konventioneller Titel und Namen der Außenwelt, und namentlich der Anrede mit Sie zu bedienen. »Lieber wollte ich sterben«, sagte Frau H. schlafwachend, »als jemand anders als mit du anreden.«

Das Abmähen, jene Figuren für ihre Empfindungen hervorzubringen, erzeugte bei Frau H. jene Schrift, wie jene Zeichnung von Kreisen. Unsre Sprache ist Sprache der Konvention und des intellektuellen Lebens, und man findet in ihr wohl nur schwer Worte für Dinge und Gefühle, die aus ganz andern Kreisen hervorgehen.

Folgende Mitteilung von Herrn Eschenmayer über diesen Gegenstand wird dem Leser genügen.

»Unsre Seherin zeichnete in den Lebenskreis die uns ganz unbekannten Charaktere einer Natursprache ein, und sprach diese Sprache auch sonst im magnetischen Zustand in Worten, von welchen der Sprachverständige nur Annäherungen in den Sprachen des Orients findet.

Sie sagte ferner (in Beziehung auf jenen Lebenskreis), daß diese Charaktere hauptsächlich den bleibenden moralischen Wert oder Unwert enthielten, in einer Sprache, welche der Seele sich erst nach dem Tode ganz aufschließe, und vermittelst welcher jeder Mensch in sich selbst lesen werde, wie der ganze Verlauf seines Lebens in Gesinnung und Handlung beschaffen war. Wir dürfen wohl annehmen, daß in einer solchen Sprache ein einziger Charakter einen ganzen Zyklus von Jahren umfasse, und in der Seele ein geistiges Abbild des Lebens erwecke und zur Wiedererinnerung bringe. Unsre konventionellen Sprachen sind tot, und nehmen gleichfalls teil an dem Zustande unsrer verlorenen Integrität; wenn sie die Geschichte eines Lebens schildern, so geschieht kaum in tausend Blättern, was die innere Sprache in wenig Abbildern lebendig und anschaulich vor die Seele führt. Diese innere Sprache ist zugleich eine Kraft, die mit den Taten aufs innigste verbunden ist, und je nach dem moralischen Wert oder Unwert einen verschiedenen Zug bildet. Auf der einen Seite lebt in ihren Charakteren die Energie der moralischen Schwere, die aus den bösen Neigungen, Leidenschaften, Begierden und überhaupt allen Lastern und Bosheiten die Sündenschuld und Sündenlast zusammensetzt; auf der andern Seite lebt in ihnen die Energie des moralischen Lichts, welche in den guten Neigungen, Gesinnungen und Taten, überhaupt allen Pflichten, Rechten und Tugenden besteht.

Wo nun das Übergewicht hinfällt, sei es auf die Seite des Verdienstes im Guten oder der Schuld im Bösen, dahin wird auch die Seele gezogen, entweder aufwärts gegen den Himmel, oder abwärts gegen die Hölle, und jeder Zug richtet sich in Höhe und Tiefe genau nach der Größe des Übergewichts. Das Reich des moralischen Lichtes und der moralischen Schwere ist geistiger Art, und alle Wesen darin leben in geistiger Mitteilung, wobei Raum und Zeit nur die niedersten Elemente bilden, indem die Gemeinschaft in unermeßbarer Geschwindigkeit geschieht und nicht nur Gedanken, sondern selbst Systeme in bildlicher Darstellung erscheinen und angeschaut werden. Wahrheit, Schönheit und Tugend glänzen wie drei Sterne, durch welche der Geist das Heilige anschaut. Dies ist die innere Sprache der Geisterwelt.

Aber es gibt auch eine äußere, wie Tiedge sagt: ›Gott spricht durch die Natur, der Mensch durch seine Tat.‹ Die Sprache Gottes ist die Schöpfung. Jedem Dinge ist sein Name gegeben und mit dem Namen sein Wert, das heißt seine Zahl und Eigenschaft. Das Universum gleicht einem Zahlensystem, in welchem jedem Dinge gleich der Ziffer sein Wert durch die Stelle, die es darin einnimmt, angewiesen ist. Dem rein erschaffenen Menschen war die Macht gegeben, jedes Ding an seinem Namen und an dem Namen seinen Wert und seine Eigenschaften zu erkennen und in jedem System der Dinge die Gesetze und Gleichungen anzuschauen. So vermochte der Mensch vereint mit der Natur zu leben und ihre stumme Sprache zu verstehen, aber sein Abfall in die Sünde verdunkelte alles. Die Natur fing an, seine Feindin zu werden und durch die mannigfaltigsten Störungen sein Leben zu gefährden, ja endlich zu verzehren; denn auch der Leib, der der Tempel des Geistes hätte sein sollen, verlor seine Integrität und ergab sich der Welt. Jetzt hat der Mensch unzählige Beobachtungen und Experimente nötig, um die Eigenschaften der Dinge zu finden, und doch versteht er sie nicht, und noch hat er kaum einige Grundlinien ihres Systems entdeckt.

Verlassen von jener Ursprache und Urschrift, schöpft er jedem Dinge einen willkürlichen Namen, der mit dem innern Werte der Dinge gar keine Beziehung hat. Eine stumme, aber reelle Sprache hat übrigens das potenzierte Nerven- und Gefühlsleben, wenn es, wie es bei unsrer Seherin der Fall war, die Eigenschaften der Mineralien und Pflanzen schon bei der Berührung empfindet, und die gleichen Erschütterungen davon empfängt, als wenn sie an die innern Organe und an das innere Nervensystem gebracht würden. Ohne Zweifel gab es eine Originalsprache, welche, je näher wir auf die Urbildung des Menschengeschlechtes zurückgehen, desto reiner war und mit dem gleichen Worte und Sinne sich fortpflanzte, sich aber immer mehr verwirrte und vervielfältigte, je mehr der Mensch von dem Stande der Integrität abwich. Es kann hier jedes Ding und jeder Begriff nur ein vollständig passendes Wort und Zeichen geben, so daß jeder, der das Wort nennen hört und das Zeichen erblickt, sogleich den nämlichen Sinn damit verbinde. Die tiefern Sprachforscher geben an, daß die hebräische Sprache eine der Sprößlinge sei, welche der allgemeinen Muttersprache noch am meisten gleich geblieben.

Wohl gibt es auch eine Ideensprache, welche alle Gundbegriffe eines Systems in ein Schema bringt, aus welchem derjenige, der die darin enthaltene Idee anschaut, das ganze System zu entwickeln versteht. Einst wird der wissenschaftliche Geist in lauter Schematen zu uns reden. Von diesem Gesichtspunkt aus können wir das Bestreben unsrer Seherin beurteilen, die in ihr liegende Sprache und Schrift, sowie den ganzen Entwurf der beiden Kreise uns mitzuteilen.

Überhaupt ist das magnetische Leben, das im Fühlen und Anschauen das wieder vereint, das wir im Denken und Wissen getrennt haben, ein Versuch, sich wenigstens auf Momente in den Stand der Integrität zu versetzen, von dem wir abgewichen sind, und eine Erinnerung an den Verlust, den der Geist erlitten hat. Wer dieses Leben in seiner wahren Fülle begreift und sich durch Erfahrung überzeugt, daß die moralische und religiöse Seite ein konstantes Phänomen der höhern Grade desselben ist, und wer sich nicht durch einseitig medizinische, psychische, philosophische und selbst dogmatische Theorien hindern läßt, in das Innere dieses Seelenlebens einzudringen, der wird kein Wunder darin suchen, sondern nur das Integrat des Geistes in seinem freien Schaffen darin erkennen, was freilich höher liegt, als die alte und neue Scholastik zu fassen vermag.«


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