Josef Kastein
Josef Kastein

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Der Abt

Dort, wo die Straße nach Aleppo aus der Nordrichtung scharf umbiegt nach Südwest, liegt Katma. Ueber die beherrschenden Bergkuppen und das ausgeschwungene Quertal kommt man nach Karkini, auf dessen dürrem Grasland der Abt die Ziegen hütete. Die Form seines Hirtenstabes, den er sich als Abbild eines in Aleppo gesehenen Priesterstabes gebildet hatte, hatte ihm den Namen gegeben. Seinen wahren Namen wußte niemand, auch er selber nicht. Man wußte auch nichts von der toten Frau, neben der man ihn einmal auf der öden Nordstraße fand. Achmed Faradsch, der reichste Mann in Karkini, nahm ihn auf, und wie er gehen und Stock und Tasche tragen konnte, übergab er ihm die Herde.

Der Abt wuchs kräftig und schöngestaltet heran. Wenn er über seinem Stab lehnte und aufragend die schwach gewölbte Bergkuppe beherrschte und lange und gleichmäßig zu seinen Tieren sprach, war er wie ein lebendiges Stück Natur in diese südliche Welt eingefügt. Des Abends trug zuweilen der abstreichende Bergwind die quälende, klingende Einförmigkeit 100 seiner Lieder bis Karkini, daß die Frauen hinter den Lehmmauern horchten. Er kam nicht in den Ort hinein. Ein bei nächtlichem Diebstahl zerschossener Beduine, der bei Achmed Faradsch geblieben war, brachte ihm von Zeit zu Zeit, was er benötigte. Der Abt blieb bei seinen Herden.

Wie er eines Tages seine Tiere einem neuen Grasstreifen, nahe steil fallender Klüfte, zutrieb, hörte er Rufen einer Frauenstimme, einen lauten Schrei aus Furcht, Zorn und Ekel. Eilig raffte er scharfkantige Steine vom Boden, sprang gegen die Schlucht an und sah hinunter.

Im Wasser, hoch geschürzt beim Ueberschreiten der Furt, stand ein Mädchen. Am Ufer, zerlumpt, beschmutzt, entstellt durch Geschwüre und Flechten und Knoten, kahlhäuptig, schüttelnder, kriechender Ekel, stand ein Aussätziger und wehrte ihr mit gierigen, griffbereiten Händen den Weg. Aus den zahnlosen Mundwinkeln floß Speichel.

Der Abt ließ die Schleuder kreisen und schwang aus. Das Leder gab ein flappendes Geräusch. Der Aussätzige wollte die Hand an die Schläfe heben, ehe er zusammenfiel. Der Kopf klatschte in das Wasser. Wieder schrie das Mädchen auf, aus Furcht, die helfen wollte, und aus Entsetzen, das sich gegen die Berührung sträubte. Der Abt deutete diesen Schrei und wandte sich nicht um. Leicht klapperten die Hufe über das 101 ansteigende Gestein. Dann teilte sich die Herde über das fahlgelbe Gras.

Der Abt lehnte sich auf den Stab und sah in die Grenze von Berg und Himmel. Von dort hatte es gesungen gestern in der Nacht. Licht war von dort gekommen. Der Abt liebte jetzt diesen Berg. Keiner wußte, wie schön der Himmel sein kann. Nur er. Keiner wußte, wie die Erde singen und reden kann. Nur er. »Ich glaube nicht das, was ihr glaubt, und ihr glaubt nicht das, was ich glaube. Ihr habt euren Glauben und ich habe den meinigen.«

Er ging näher dem Berge zu. Willig ging die Herde mit. Er lächelte: »Bleibt nur, hier ist es gut!« Und Schachor, dem schwarzen, mageren Hunde, der ein fremdes Geräusch auffing und bösartig die Zähne fletschte, legte er abwehrend den Stab auf den Kopf: »Wer wird dir denn etwas Böses tun wollen?«

Dann ging ein leichter, verhaltener Schritt hinter seinem Rücken her. Die Ziegen hoben die Köpfe. Ein weißer Bock legte die Hörner vor und wollte angreifen. Ein Steinwurf schreckte ihn. Und dann hielt der Schritt an. Der Abt wandte sich nicht. Die Ziegen gierten wieder in das fahle Gras. Nur der Hund zitterte noch an allen Gliedern. Dann hub das Schreiten wieder an und verlor sich.

Die Sonne fiel über den scharfen Bergrücken. 102 In fliegenden Farben wurde das hohe Blau grünlich und gelb und rot, blaßte in Grau mit anschwellenden Tönen und überschlug sich schnell in sattes, nachtgetränktes Dunkel.

Gegen Norden ragte aus der Felswand ein mächtiger Steinbrocken hervor, der durch eine unwahrscheinlich schmale Bindung mit der Wand zusammenhing und doch nicht fiel. Er galt als ein Wunder in der Gegend. Aber der Abt hatte keine Scheu davor. Er hatte seine Behausung darunter gewählt, ein dunkles Zelt, straff gepflöckt, mit schwarzen Flicken besät. Ein Mann stand dunkel umrissen daneben. Der Abt erkannte ihn beim Heranschreiten und blieb stehen. Die Herde drängte um ihn. Der Beduine winkte und rief mit geschwätziger Gebärde, doch wie der Abt in der Entfernung verharrte, humpelte er mißmutig zu Tale. Geröll klang laut und aufpeitschend unter seinen Füßen. Es klang wie das Aergernis verschmähter Worte.

Der Abt versorgte seine Herde. Es waren seine Geschöpfe, denen er nahestand, von derber Alltäglichkeit bis zur aufzuckenden Begeisterung . . . über was? Die Sonne war schön. Sie war ein feuriger Kreisel, nach Allahs Willen aus Leben und zum Leben in die Welt gesandt. Die Erde war schön, nach seinem Willen gestaltet und gefurcht, mit den Wiesen bedeckt wie Teppiche der Moscheen und Bäume darin wie die rankenden 103 Kandelaber der Hallen. Das Gehen war schön. Der Körper, straff, gebräunt, gefügt aus einer Unsumme von feinster Bewegung. Zuweilen war es schmerzhaft, zu gehen.

Und eines Tages wird alles das, die kreiselnde Sonne und die deckenden Wiesen und die leuchtenden Bäume von einer großen, lichten Hand aufgehoben, und während aller Ausschnitt der Welt rings versinkt und kleiner und weiter und ferner wird, hinaufgetragen in das Paradies, wo die ewige Freude und der ewige Genuß sind. Wer nicht gesündigt hat, geht in das Paradies. Wer nicht mit den Menschen lebt, sündigt nicht . . .

Die Nacht schlug kalt gegen die Zeltbahnen. Die Sterne gingen in unerhörten Bildern. Der Hund wimmerte in Zorn und Angst vor dem Heulen der Schakale. Der Abt schlief wie ein Raubtier, in ständiger, halbwacher Bereitschaft. Einmal stand er am Bache in der Schlucht und wehrte mit gehobenen Händen einem Mädchen, das hoch geschürzt über die Furt ging. Am Rande der Schlucht stand ein Mann und kreiselte die Schleuder nach ihm.

Am Morgen war er unfreundlich zu seinen Tieren. Er schalt sie träge und falsch. Er verwünschte die Gier, mit der sie sich über jede Grasspitze warfen und nicht von der Stelle kamen. Er drohte ihnen. Bat sie, nicht gehässig und undankbar zu sein. Seine Stimme ging laut durch die helle 104 Morgenkühle. Alle scharfen Kiesel, die er fand, legte er in die Felltasche und fühlte sie immer noch nicht schwer genug. Er rief den Hund dicht an sich heran, um einen Schutz zu haben. Er verwünschte jetzt die verspielte Form des Stabes. Er war so unhandlich. Man konnte nicht schlagen damit, sich nicht wehren. Wenn er doch eine Flinte hätte! In Aleppo, im Basar der Klempner, war ein Mann, der heimlich Flinten verkaufte. Er diente jetzt zehn Jahre. Wenn er hinginge und endlich von Achmed Faradsch Lohn forderte für die ganze Zeit, es würde wohl zu einer Flinte reichen. Wenn er hinter dem überhängenden Felsen lag, mochten viele ankommen. Er würde sie alle wegblasen aus dem schlanken Rohr, wie der Wind die Eukalyptusblätter fegt.

So wehrte er sich gegen ein Unfaßbares, das ihn bedrohte.

»Schachor,« sprach er zu seinem Hunde, »verlaß mich nicht. Gib acht. Es wird jemand kommen in Feindschaft. Wir müssen kämpfen.«

Der Hund winselte auf und fletschte die Zähne.

Den ganzen Tag wartete er gespannt und hoch aufgerichtet. Ab und zu schnellte er einen Kiesel in die Schlucht. Nichts antwortete. Es wurde wieder Nacht. Kein Feind kam. Aber er legte sich nicht schlafen. Hinter dem Felsen duckte er sich und sah die Nacht hoch und wundersam über sich hinwegspielen. Einmal kam aus der flachen Ferne 105 des Westens ein Schuß. Ein schnelles Licht schlug auf an den Bergwänden von Katma. In dem Gemäuer der alten Karawanserei jenseits der Schlucht heulten die Schakale.

Der Abt biß die Zähne zusammen. Ein großer Trotz erwachte in ihm, sich nicht zu ergeben. Aber daß er den Feind noch nicht sah, ängstigte ihn mit abergläubischer Furcht. Seine Gedanken flatterten auf wie Sommervögel. Nicht seines Besitzes willen kam der Feind. Er hatte keinen Besitz. Auch nicht, um zu töten. Er war schuldlos. Es war keine Blutrache gegen ihn in allen Geschlechtern. Aber fortzerren wird man ihn, in das Tal, nach Aleppo, weiter noch, bis an das Tote Meer, nach El-Kuds, das langsam wie Saugarme eines Tintenfisches die freien Menschen anzieht. Und irgendwo wird er Sklave sein.

Der Abt krallte die Nägel in die Erde. Sie schmerzten. Kleine Bluttropfen sickerten in den Boden. Er freute sich dessen. Es tröstete ihn, sich zu vereinigen, wie aus alten Sagen Blutsfreundschaft der Männer herüberklingt. So hatte auch er Blutsbrüderschaft mit der Erde geschlossen.

Ein fahles Gelb kam über den Erdrand. Die Sterne erloschen schnell. Die dunklen Flächen der Dinge dehnten sich wieder zu Gestalt. Das Licht lief, floh über die Wölbung. Es war wie der Tag. 106

Vom überhängenden Felsen tropfte Tau der Nacht. Gesättigt leuchteten die Wiesen. Der Abt atmete in den erwachenden Morgen hinein, ganz leise und aufmerksam, ganz bedacht und wie ein Kind über das neue, ewig neue, bunte Farbenspiel aufsteigender Sonne gebeugt. Er saß so still, daß die Fliegen träge in seinen Augenwinkeln krochen.

Ein Kreiselspiel begann, anhebend mit einem hellen, frischen Fluß inmitten einer weitgeblümten Wiese. Ueber den Fluß ging eine Brücke, verhängt mit wilden Büschen und fallenden Blüten. Hinter dem braunen Holz des Geländers stand hellgelb und hoch eine Kakteenwand. Dann wandelte sich das Holz in graugefügten Stein. Die flache Wölbung der Brücke steilte sich zu vielen kurzen, voll ausgeschwungenen Bogen. Reiter trabten über die Brücke. Flockendes Zaumzeug, Keffijen, die straff gefaßt im Winde flattern. Immer Reiter und immer wieder Reiter. Der eine stemmt plötzlich an, sinnt nach und schlägt den Flintenkolben auf den Boden. Ein Bogen der Brücke zerbricht wie deckendes Schilfwerk. Der Reiter lacht und spornt sein Pferd hell aufspringend über die Lücke. Im gelb wehenden Staub verlieren sich Roß und Reiter.

Der Abt greift schwer atmend in das weiße Fell der Tiere. Sie stehen mit dumm verengtem Ausdruck vor ihm und rühren sich nicht. Der 107 Abt sieht nur das Fragende, Teilnehmende ihrer vertrauten Augen.

»Habt ihr gesehen?« fragt er leise. »Die schöne Brücke? Wie er den Boden einschlug wie einen zerbrochenen Tonkrug? Und wie er sprang? Wenn ich nicht bei euch wäre, möchte ich ein Pferd haben. Ein Pferd, mit dem man über die zerbrochene Brücke springen kann.«

So zogen sie wieder in die beginnende Einsamkeit des Tages hinaus. Bald stand die durchglühte Luft wie eine Mauer zwischen der Sonnenscheibe und der Erde. Alle Dinge lösten ihren Umriß in einem unmerklich fein aufsteigenden Zittern. Dieses Zittern ging über den Körper, daß er in tiefster Ruhe doch ein ständiges Bewegen fühlte, als sei er ein Teil der dunstheißen Erde, Teil der glühend aufzitternden Luft, als sei er eine Bewegung aus dem Bewegen der Sonne, Schweigsamkeit aus dem Schweigen des weiten Himmels.

Der Abt lehnte über den Stab und sah in die Grenze von Berg und Himmel. Er wagte nicht, sich zu rühren, denn in diesen schweigenden Stunden fühlte sich sein ganzer Körper dumpf, fern, und doch klar im Treiben des Blutes in Allahs Schöpfung eingestellt. Er mußte still und geduldig sein unter der schweren Sonne wie alle anderen Dinge der Erde auch.

»Ich bin eine Wiese, auf der die Ziegen weiden. Ich bin ein Büschel Gras zwischen Steinbrocken. 108 Ich bin das Stück Fels, das über der Wiese hängt. Wenn Allah seinen Finger darauf legt, stürze ich ab, und der Beduine findet mich nicht, wenn er Brot bringt. Achmed Faradsch wird fragen: wo ist der Abt geblieben? Dann wird er ärgerlich gegen den Felsen treten, wird fluchen und Allah um Verzeihung bitten. Aber ich werde lachen, leise, so wie Steine lachen. Denn er wird mich liegen lassen und wird mich nicht forttragen.«

Langsam drängte die Herde von der sonnenüberdeckten Kuppe in die Schlucht hinein und lagerte sich im schräg abfallenden Schatten. Schachor saß zu Füßen des Abtes, mißmutig, mit hängender Zunge. Endlich trollte er sich mit bösartigem Knurren in die Schlucht und suchte, wo er ein Tier beißen könnte, das sich zu weit verlor.

So stand der Abt allein. Er sah nichts. Er fühlte wohl an einer körperhaften Leere um sich, daß die Herde weitergezogen war. Er vermißte den Geruch des Hundes. Aber die Fessel von Land und Sonne lag so schwer über ihm, daß er sich ihr nicht entziehen konnte.

Da aber ging plötzlich ein helles, unentrinnbares Geräusch des Alltages durch seine Entrücktheit. Ein Schreiten kam hinter ihm daher, heraufsteigend aus der Straße von Karkini, an dem überhängenden Felsen vorbei, über die Bergkuppe, weich über das Gras und leise aufschlagend auf verstreuten Steinen. Es war ein 109 Schreiten über zarten, nackten Füßen, ein Gehen aus hohen, gewölbten Schenkeln unter schwankem, gebogenem Leib. Darüber Schultern, schmal und willig absenkend wie zart fallendes Geäst der Weiden. Und wenn die kleinen, beringten Hände das Gewand schürzen beim Ueberschreiten der Furt, über die wasserumschäumten Kiesel hinweg . . .

Ganz selig und versonnen kroch der Abt in sich zusammen bei diesem Gedanken. Tore, fest verriegelt von der schweren Last der Einsamkeit, brachen mit einem Male auf, und die Seele, angefüllt mit der Stille und dem lebendigen Land und den Tieren und Bäumen und Bergen und der Sonne, dem Abendwind und der kühl schauernden Furcht der Nacht, diese Seele klang wie bei dem Aufspringen erzener Riegel und gab einen Weg frei für einen Menschen außer ihm. Und so groß war die Freude in ihm, den neuen Menschen willkommen zu heißen in dem Torweg seines Herzens, daß er sich jäh und überwältigt umwandte.

Er wandte sich um in der Sekunde, als der leichte Schritt hinter ihm gerade in seinem Rücken verweilte. Die schönen braunen Augen der Ayscha, die den Namen trug von der Lieblingstochter des Propheten, hingen einen Augenblick hilflos über dem Gesicht des Abtes, als habe man ihnen ein Ziel genommen. Denn sie hatte nicht erwartet, daß der Abt sich wenden würde beim 110 Klang ihrer Schritte. Sie hätte sonst nicht den Mut gehabt, diesen Weg noch einmal zu gehen.

Der Abt fühlte die verwirrte Scham in den glänzenden Augen. Mit einem fernen Lächeln, das etwas von dem frühreifen Entsagen eines Kindes an sich hatte, wandte er ihr langsam und mit ausdrucksvoller Wendung den Rücken. Das Schreiten begann alsbald von neuem, verlangsamt, getragen, schleifend über den Boden und liebevoll verzögert und verhalten. Bis es auf dem Wege von Karkini verklang.

Da fing der Abt an zu gehen, ein klein wenig mit gebeugten Schultern, so wie Menschen zuweilen gehen, die ihr Glück als tragbare Last fühlen. Er ging in die Schlucht hinein. Die Tiere hoben die Köpfe und sahen ihm entgegen. Schachor kratzte trotzig und schuldbewußt zwischen losen Steinen.

Der Abt stellte sich etwas entfernt von der Herde. Seine Augen funkelten tief und satt. Er sprach:

»Eine Houri aus dem Paradiese unseres Propheten ging über die Brücken meiner Seele. Als sie in der Mitte war, hob sie das Auge und sah mich an. Da brach ein Balken aus dem Gefüge. Eine Tiefe tat sich auf. Wasser sind unten. Tiefe Wasser, die immer fließen. Ich springe darüber hin. Ich weiß nicht, wo dieser Sprung enden wird . . . . . . . . . . . . . . .« 111

Der Sommer stieg hoch auf über das Land. Die frischen Farben waren überdeckt von grau wehendem Staub. Nur in den Morgenstunden, wenn der reiche Tau der Nacht noch nicht aufgesogen war von der Sonne, vertiefte sich jedes Grün und wurde wie aus jungem Frühling geboren. Und jeden Morgen, wenn noch das Ausruhen des Schlafes in der Seele des Abtes lag, war seine Liebe wieder jung und frisch, als sei sie eben in ihm aufgekeimt.

Indessen mühte sich unten in Karkini Achmed Faradsch um den Sinn des Geschehens. Huleil, dessen Vater Handel trieb und dem große Herden zu eigen waren auf den Weideflächen von Katma, kam oft hinüber geritten zu Achmed Faradsch und saß bescheiden und höflich, wie es dem Jüngeren ziemt, in der Torwölbung und rauchte die Nargileh. Sie sprachen von allem, nur nicht von Ayscha. Und beide wußten, daß sie an nichts dachten als an Ayscha. Achmed Faradsch rechnete langsam und überlegt. Er wußte, daß niemand so viel Brautschätze einbringen konnte wie Huleil. Jenseits der Kuppe von Karkini waren viele Fellachen dem Vater Huleils verschuldet und zahlten ihm Pacht für das Land. Man wirft in den Brautschatz die Felder ein, die jenseits der Schlucht liegen. Vor Achmeds Augen gingen endlos große Herden die grünen, sanft steigenden Hänge hinauf, und seine 112 Augen leuchteten. Huleil sah es und sprach bescheiden von den letzten Erfolgen seines Vaters.

Endlich waren sie einander so nahegekommen, daß ihre Pläne glatt wie die Flächen zweier Hände ineinander lagen. Da dem Hause Achmeds die Frau fehlte, sagte er im Vorübergehen ein kurzes Wort zu Saba, welche die Wirtschaft führte. Saba setzte geduldig die Schüssel mit dem dampfenden Pilaf nieder und sagte: »Man wird die Hochzeit rüsten.«

Und man rüstete die Hochzeit. Händler kamen und legten Stoffe aus. Die gestreiften Tuche der Hemden lagen zu lockeren Ballen getürmt. Die Mäntel drängten sich vor in blauen und roten Farben. Von den kurzen Jacken glitzerten goldene Schnüren und aufgenähtes Schmuckwerk. Bis nach Smyrna hatte Huleils Vater um Stoffe schicken lassen. Hennah lag bereit. Gelbe Sandalen leuchteten zwischen Schleiern. Gewandnadeln aus Silber, Ohrschmuck, Gehänge klirrten unter spielenden Händen.

Achmed Faradsch rechnete immer noch, und immer bedachtsamer. Denn Huleils Vater würde kommen. Und er kam, höflich, stolz, zurückhaltend und argwöhnisch. Sie sprachen über ihre Güter und klagten einander. Achmed Faradsch sah sich als hungernden Fellachen auf einem verschuldeten Lande. Seine Herden waren unscheinbar und mager. Seine Wiesen unfruchtbar, 113 ohne Brunnen, ohne Nahrung für die Tiere. Seine Felder waren von der Gunst Allahs vergessen. Er war ein armer Mann.

Huleils Vater hatte Tränen des Mitleides in den Augen. Auch er war arm. Seine Karawanen kamen nicht zurück. Seine Diener bestahlen ihn. Die Kaufleute verkauften ihm schlechte Waren. Die Käufer betrogen ihn. Allah wird sie strafen.

Der streifige Tabak im Nargileh knisterte unter der glimmenden Holzkohle ganz leise. Aus dem kreiselnden Rauch formten sich begehrlich schöne Bilder. So schieden sie voller Zuversicht für einen späteren, gütlichen Ausgleich.

Als Achmed Faradsch am Abend durch den Hofgarten seines Hauses ging, saß Ayscha am Rande des Wasserbeckens und flocht an einer Jagdtasche. Achmed sah ihr zu, strich über die Früchte der kleinen Orangenbäume und sagte beiläufig: »Huleils Vater war bei mir.«

Ayscha nickte freundlich. Sie flocht weiter an der Jagdtasche. Dann erzählte sie – es war so leise und verhalten, als spreche sie nur für sich selbst – das Ereignis vom Aussätzigen und vom Abt, dessen Schleuder ihn fällte.

Achmed ging langsam hinaus und ließ sein Pferd abkoppeln. Sein weißer Bart zitterte. Noch bei sinkender Sonne ritt er, ein ehrwürdig stolzer Reiter, den Weg nach Katma. – – –

Wie der Abt schlafend unter dem 114 vorspringenden Felsen lag, hörte er traumverdämmert Hufschläge über weiches Wiesenland gehen. Er erschaute sich die gewölbte Brücke und den Reiter mit der fliegenden Keffije. Er sprengte nach der Lücke zu und setzte an, und es wurde ein Sprung weit in blautiefen Abgrund hinein, mit einem ewig währenden Fallen durch helle Wolken. – Als er aufwachte, sah er Schachor mißtrauisch knurrend vor einem Bündel sitzen, das dicht vor dem überhängenden Felsen lag. Es waren, mit Weiden umschnürt, ein Päckchen Hennah und eine gelbe Sandale. Der Abt nahm die Botschaft Ayschas in beide Hände und fühlte von der weichen, hellen Sandale ein warmes Rieseln durch seine Arme und weiter über die kräftigen Schultern gehen, bis es mit einem schnelleren Schlage seinem Herzen jauchzenden Antrieb gab. Das Bündel mit Hennah ließ er achtlos liegen. Die gelbe Sandale schnürte er mit einem Weidenzweig um seinen Stab und trat in den Morgen hinaus.

Er tollte mit Schachor durch das feuchte Gras und verspottete ihn: »Weißt du, wer Ayscha ist? Weißt du, was gelb und duftvoll blüht hinter braunen Hecken? Komm mir nicht an den Stab, du Ungeschickter, denn du neidest ihm seine Krone. Ich will dir erzählen, Schachor. Wenn ich über die Brücke gehe und sie bricht auf vor mir wie ein Felsen unter dem Toben der 115 Gehenna, dann werfe ich die gelbe Sandale in die Tiefe hinein, und sie sinkt wie eine gelbe Blume immer tiefer und ganz tief, daß es kein Ende gibt, daß es ganz fern aussieht wie die Sonne, wenn der Chamsin Staubwolken davor wirft. Und wenn ich mit meinem Roß springe, geht es mitten in Allahs große Sonne hinein. Und du darfst mit. Und ihr alle.«

Wie die Sonne hoch stand, kam der Beduine und trug frische Brotfladen in einem Tuch. Er kauerte mißtrauisch von weitem, legte das Bündel hin und begann zu rufen. Der Abt tat einen Stein in die Schleuder und fing an, zielend zu kreisen. Da fluchte der Beduine auf und verkroch sich talwärts. Der Stein flog aus kräftigem Schwung planlos in die blauen Lüfte hinein.

Schleier der Glut füllten das Tal aus, überschwemmten die Kuppe und wellten gegen die Sonne auf, daß sie weißlich schwelend irgendwo in dünnen, heißen Hüllen brannte. Der Abt stand aufrecht über den Stab gelehnt und wehrte mit müde zwinkernden Augen dem Andrang der unendlichen Gestalten, die traumklar zu ihm herankamen. Ayscha hockte neben dem Zelt unter dem Felshang und schmorte in einem eisernen Topf, daß blauer Rauch und würziger Duft seltsam beschwerend herüberstrichen. Dazu sang sie unaufhörlich und lächelte. 116 Schachor fuhr plötzlich auf, und sein Bellen überschlug sich vor sinnloser Wut zu einem Heulen wie das verhungerter Schakale. Der Abt erschrak vom ungestümen Erwachen, daß seine Glieder schmerzten. Vor ihm, wie ein Afrid letzten Tiefen entstiegen, stand Huleil, ein Gewehr in der Hand, eine Pistole im Gürtel, mit funkelnden, undurchsichtigen Augen. Aber er sah den Abt nicht an. Er sah unentwegt auf den Hirtenstab und auf die gelbe Sandale.

Der Abt trat unwillkürlich einen Schritt zurück und sagte: »Du bist mein Gast.«

Huleil warf mit einem Zischen der Zähne verächtlich den Kopf in den Nacken und ließ das Gewehr sinken.

»Ich bin dein Gast.«

»In Frieden,« fügte der Abt langsam hinzu.

Huleil antwortete nicht und sah auf die Sandale. Dann sagte er: »Mein Vater war gestern bei Achmed Faradsch. Er bringt Frauenkleider und Spangen und Fiebeln, Hennah für die Tage der Feste und Sandalen, die ganz schmiegsam sind. Der Beduine sagte mir, daß auf dem Hügel von Karkini gelbe Blumen wachsen. Die Blumen, die auf deinen Wiesen blühen, sind sehr schön. Mein Herz erfreut sich daran.«

Dem Gesetze der Gastfreundschaft folgend, daß dem Gaste gehört, was er mit Wort oder 117 Miene für sich begehrt, löste der Abt die Sandale und gab sie Huleil: »Sie ist dein.«

Huleil griff mit verhaltener Hast danach und verbarg sie in seinem Mantel. Der Abt hatte ein geheimes Lächeln um den Mund. Er legte die Hände mit einer Gebärde des Entzückens zusammen und sagte: »Nie sah ich eine Flinte, deren Rohr so schlank ist, schlank wie das Schilf unter den Wassern des Jordan. An dem Kolben mögen alle Meister von Damaskus gearbeitet haben, viele Tage lang. In meinen Träumen werde ich sehen, wie stolz sie auf deiner Schulter hängt.«

Huleil riß die Flinte hoch, daß sie wie ein Speer in seiner Hand lag. Es gab einen harten Schlag, wie er sie dem Abt auf die erhobenen Arme legte. Der Beutel mit Blei und Pulver fiel dumpf auf die Erde. Huleil verzog den Mund vor Feindseligkeit: »Was wirst du mit der Flinte tun?«

Der Abt nahm sieben Weidenruten, ging zum Felsen und zwängte sie entfernt voneinander in Steinrisse, daß sie wie dünne Halme gegen den weißlichen Himmel standen. Dann trat er weit zurück und schoß auf den ersten Zweig. Er splitterte.

»Die Feindschaft,« sagte der Abt und schoß wieder. Die zweite Rute splitterte. »Das war der böse Trieb,« sagte der Abt. »Und dies das Lauern aus dem Hinterhalt. Dies war der Grimm. 118 Dieses die Rache. Dieses die Furcht. Das endlich war die Blutrache.«

Bei jedem Schuß splitterte eine Rute. Huleil war bleich unter der gefalteten, braunen Haut. Sein Gesicht war schlaff und müde.

»Bleib in Frieden,« sagte er und ging schwankend in das Tal hinunter.

Der Abt hängte die Flinte über die Schulter und trieb die Herde in die Schlucht hinein. Er lachte unaufhörlich vor satter Freude, daß seine weißen Zähne glitzerten. Er wußte nun, daß Huleil ihm nicht mehr feind sein würde, und es war nichts mehr, das sich verdunkelnd vor Ayschas Bild stellte. Sie wuchs in seinem Herzen auf zur Pracht unzähliger Blüten, wenn die Regenzeit vorüber ist und Sonne über Tag mit unheimlich zaubernder Schnelligkeit dem Frühling einen lebendigen Teppich legt. In seinem Denken war sie schon das Weib Huleils. Heute, gegen abend, oder in der Nacht, würden die kupfernen Becken klirren und die getragenen Gesänge anheben aus den Höfen von Karkini. Drei Tage lang wird man feiern um die schöne Tochter des Achmed Faradsch. Und wie ein Duft wird es nächtlich hinaufklimmen zur Nachtruhe unter dem überhängenden Felsen. Er wird auf dem Boden hocken, sich leise in den Hüften wiegen und schaukeln im Rhythmus der fernen Gesänge. Er wird sie mitsummen mit seiner Stimme, die 119 immer irgendwo tief aus der gewölbten Brust zu kommen scheint. Er wird glücklich sein, denn er liebt Ayscha, das Weib Huleils. Er wird singen, aber leise, verhalten, damit die Tiere nicht aus dem Schlaf gerissen werden. Denn morgen wird es wieder ein heißer Tag sein in der ganzen Höhe des Sommers, und sie werden mühsam über dem dürr aufspringenden Land nach Futter suchen müssen.

So freute sich der Abt auf den Abend und auf die sinkende Nacht. Aber vergeblich lauschte er vorgebeugt und mit halb offenem Munde, daß die Festlieder aufbrechen sollten aus den Tiefen wie freudiger Quell. Es kamen nur die alten Geräusche der Nacht, das Klingen aus dem Nichts, das Sprechen unendlicher Stimmen, die nirgends haften. Da legte sich das kühle Dunkel allmählich mit zunehmender Furcht über ihn. Schleichend verließ er das Zelt und kroch auf den Felsen, um einen Ueberblick über das Land zu haben. Schachor lockte er zu sich und nahm die Flinte in die Hand. Das war wieder das Bangen der Nacht, die auf das erste Begegnis mit Ayscha folgte. Seine einfachen Gedanken verknüpften die Furcht der beiden Nächte mit abergläubischer Beklemmung, und aus den schönen Augen der Ayscha sah er Schicksal mit dem dunklen Flügel der Nachtgeister über sich aufragen. Er versank in Träume, in denen er sich 120 wimmernd und stöhnend gegen Hände wehrte, die ihn seiner Einsamkeit und seinen Tieren und seinen Bergen entreißen wollten. Achmed Faradsch kam zu ihm und wollte ihn in einem kostbaren Teppich forttragen. Er schoß nach ihm. Unaufhörlich. Aber Achmed Faradsch fing kalten Gesichtes alle Kugeln mit dem Teppich auf und kam drohend immer näher.

Als der Abt aufwachte, zermürbt und zerschlagen von dem vergeblichen Ringen der Träume, stand sein Herr vor ihm. Der Abt zuckte zusammen in unmenschlichem Grausen, daß ihm die Augen stier in den Höhlen lagen. Entsetzt krümmte er sich zu Boden und wartete auf die Vollendung irgend eines unfaßbaren Schicksals, dessen ersten Beginn er schon in der Furcht und Not der Träume erlebt hatte. Aber es war, als sollte alles sich weiterspinnen in diesem Traum, nur daß jetzt alles unter der hellen, hohen Sonne der schweren Sommertage stand. Mit einem Male war der Beduine vor dem Felsen. Er trug einen neuen Mantel über dem Arm und kostbare, rotgefütterte Schuhe. Eine Stimme befahl ihm, den Mantel und die Schuhe anzulegen. Dann stand ein zerlumpter Junge da, der einen Hund von unbestimmter Farbe an einem Seil hielt und anfing, die Herde mit groben Worten über die Weide zu treiben. Der Beduine, selig unter dem Schutz des Herrn, der langsam den Talweg 121 zurückging, überströmte von einem Schwall blumenreicher Worte. Huleil, dieses Muttersöhnchen, dieser diebische Sohn eines diebischen Kaufmannes, der ein Betrüger war, wie sein Vater ein Betrüger war, Huleil, dieser Flaumbart, der Allah anruft, wenn er einmal eine Flinte abschießen will, dieser Huleil also, der im Verborgenen Wein trinkt und wie ein Dromedar über die Straße trabt, dumm und hinterlistig wie ein Kamel, störrisch und verliebt wie ein Maulesel, dieser Huleil also hat seines Vaters gestohlenes Roß und seines Vaters erschwindeltes Geld an sich genommen und ist über Nacht davongeritten. Wenn nicht das Pferd klüger sein wird als der Reiter, wird er mitten in die Wüste reiten. Vielleicht zu seinem Glück, denn Achmed Faradsch läßt es nicht zu, daß einer seine Tochter verschmäht, als wäre sie der Bastard irgend eines Fellachen. Achmed Faradsch ist kein Bauer. Er ist auch kein Unmensch. Er weiß, daß der Abt seiner Tochter das Leben gerettet hat. Aber ehe er das wußte, hatte er sie schon Huleil versprochen. Nun ist ihm sein Wort zurückgegeben. Nun gibt er sie dem Abt. Auf den Abend wird man feiern, die ganze Nacht hindurch und noch den folgenden Tag.

Der Abt lebte seinen Traum weiter. Es wurde heiterer vor seinen Augen, und doch war weit hinten am Himmel ein verwehter Streifen von 122 Dunst wie eine ferne Beklemmung. Wenn die Sonne am höchsten steht, ist es schön, im Schatten zu liegen und zu wissen, daß draußen Sonne ist. Aber dann vor das Haus treten und sich aufschwingen und mitten in die Sonne hineingreifen, ist der sichere Tod.

Der Beduine trieb ihn zur Eile. Der Abt ließ alles geschehen. Er fühlte keine Notwendigkeit zum Tun in sich. Er hatte nie selbst etwas getan. Es war immer etwas geschehen in ihm.

So geschah auch heute ein Märchen, von sanften Händen aus dem Traum in den Tag hinübergehoben. Die Lehmhäuser von Karkini tauchten auf. Frauen und Mädchen standen am Brunnen und sahen ihm nach. Die Aelteren lachten hämisch. In den Jüngeren war eine wache, flackernde Sehnsucht aus blanken Augen. Burschen fanden sich ein, die das Gastmahl des Achmed Faradsch witterten und mit gutmütiger Lustigkeit das Geleite vermehrten. Sie wußten, daß diese Hochzeit eine Rache des Achmed Faradsch war an dem aufgeblasenen Vater des Huleil und an Ayscha, welche zu lieben wagte, wo nur das Wort des Vaters zu entscheiden hat. Nur der Abt wußte nichts. Sein neuer Mantel streifte durch den Straßenstaub. Die Burschen hoben ihn auf und lachten. Er empfand es als Güte und Freundlichkeit und wurde immer tiefer und versonnener. 123

Dann standen sie vor dem Torbogen des reichen Hauses. Der Beduine hinkte um den Abt herum und floß über vor lauter Worten.

»Du mußt ein Brautgeschenk bieten,« schrillte er. »Wie sollen wir anklopfen und einen Schatz heben, wenn wir nicht eine Hacke bringen, den Boden zu öffnen?«

Plätschernd fielen die Stimmen der Burschen ein. Sie riefen nach dem Brautgeschenk des Abtes.

Da schlug der Abt, aus fernem, unklarem Verstehen, den Mantel zurück, und nahm die Flinte und die Pulvertasche des Huleil hervor, die er verborgen gehalten hatte. Beides legte er mit stiller Bewegung in die Hände des Beduinen.

Der schrie auf vor Staunen und schnellte hoch vor Gier. »Huleils Flinte!«

Die Burschen schwiegen überrascht. Sie ahnten große, dunkle Zusammenhänge. Es konnte nur sein, daß der Abt den Huleil irgendwie besiegt hatte, im Kampfe um Ayscha. Vielleicht war Huleil nicht fortgeritten. Vielleicht lag er irgendwo in den Schluchten der kahlen Berge. Blutrache stand fern wie ein rotes Mal am Himmel. Vor dem Gesetz des eifernden Blutes wurden sie ehrfürchtig und schwiegen.

Als der Beduine, zitternd und mit unverständlichen Worten, die Brautgabe vor Achmed Faradsch niederlegte, vergaß der Alte für 124 Sekunden seine Würde und schlug ratlos die Hände über der Brust zusammen. Dann nahm er gesammelt und ernst die Flinte und hängte sie an einen Nagel. Ayscha gehörte dem Abt.

Wie weiche Klänge aus den Melodien des Sonnenunterganges trieb das Fest vorüber. Achmed Faradsch hatte nur einen Tag lang feiern lassen wollen. Nun dehnte er doch das Fest über drei Nächte und drei Tage aus, denn seine Scham wurde bedeckt von der Legende, die über die Flinte des Huleil umlief. Keiner wagte mehr, zu lachen und zu spötteln, und wie die Heiterkeit sich weitertrug, wandelte sich allen das hämische Mitleid in Teilnahme und Liebe.

Der Abt wußte nicht um den Verlauf der Zeit. Immer häufiger versank er lächelnd in eine traurige Entrücktheit, während der er rasend auf einem Pferd über gewölbte Brücken jagte und anhub zu springen, immer weiter, immer tiefer ins Bodenlose hinein, gelben Blumen entgegen, die in einem Abgrund ohne Ende schimmerten.

An kühl streichender Luft merkte er endlich, daß er ging und daß er nicht mehr in den Gassen von Karkini war. Es ging hinauf, seiner Bergkuppe zu. Da erwachte er mählich, fühlte den Boden wieder vertraut und wirklich, konnte wieder gehen und das Bewegen seiner Glieder spüren. Schüsse knatterten durch die Nacht. Chorlieder ertönten aus überanstrengten Kehlen. Der 125 Himmel rückte immer höher und blauer in die Unendlichkeit hinauf. Dann sprang der überhängende Fels wie eine plumpe Faust aus der Dunkelheit. Unkennbar im Schatten lag das schwarze Zelt. Der Abt war daheim.

Die Gäste blieben zurück, wandten sich talwärts. Vereinzelt peitschte ein Schuß, hell aufgefangen vom Echo der Bergwände. Hin und wieder eine Stimme, ferner, verklingender, aufgesogen von der Nacht. Dann war es still.

Der Abt stand vor seinem Zelte und legte die Arme über den Kopf. Der frische Duft der Nacht weitete seine Brust. Leuchtend dachte er an das Morgen. Der schöne Traum war vorüber. Das Märchen zu Ende erzählt. Nun begannen wieder Traum und Märchen aller Tage, mit der glückseligen Einsamkeit über Land und unter Luft und mit den Tieren und Quellen und Blumen. Allah war gut, so gut. Er gab ihm schon hier ein Paradies, ihm, denn er hatte nie gesündigt. Seine Seele war ganz rein.

Er nahm das Zelttuch auf und ging hinein. Da überfiel ihn ein Duft, fremd, lieblich und betäubend, aber fremd, unendlich fremd, daß ihm ein Herzschlag in den Hals fuhr und dort festsaß wie eine verkrümmte Faust. Und ehe das Blut sich noch wieder sammeln konnte, wurde es überfallen vom leise klirrenden Geräusch silberner Spangen und dem begehrlichen Rauschen 126 weicher Gewänder. Nun tobte das Blut oben vor den Augen wie eine wildgeschwungene Fackel aus Nacht der Not und des Krieges. Was war das? Mußte das sein? War das noch Traum? Er fühlte zwei Hände an seinen Knien, zwei Eisenfesseln, die ihn schnürten, daß er stürzte und hinfiel, über ein weiches, aufgehöhtes Lager, in offene Arme hinein, in einen Abgrund, tief, tief, ohne Ende und ohne Aufhören, auf dessen Grunde gelbe Blumen leuchteten. Und um ihn her stürzten Wasser quellender, jubelnder Glückseligkeit – – – – – – –

Der Abt lehnte sich auf den Stab und sah in die Grenze von Berg und Himmel. Schwer mühte sich die Sonne durch trägen Dunst. Schwer mühten sich die Augen des Abtes durch einen tiefen Schleier seiner Seele. Alles war wie sonst. Das dürre Gras zu seinen Füßen. Die Herde, die nach jeder grünen Spitze gierte. Schachor, der ewig unzufrieden und verdrossen knurrte. Die Höhe der Bergkuppe. Die Schatten der Felsen jenseits der Schlucht. Alles war wie sonst. Und doch war alles anders.

Das Staunen in den Augen des Abtes schwand nicht mehr. Aus dem Zelte kam ein Singen und das Aneinanderschlagen von Hausgerät. Er lachte mit einem tiefen Laut, satt, glücklich. Aber ein großes Staunen war doch darin. Der Abend kam und die Heimkehr in das Zelt und damit 127 das große Besinnen, daß er nicht mehr alleine war. Die Nächte waren ein Untertauchen in duftende Wasser. Früher waren sie unendlich gewesen und Zwiesprache mit den Geistern der Dunkelheit.

Zuweilen ging Ayscha in das Dorf und brachte Nahrung hinauf. Wenn dann ihre leichten Schritte den Talweg hinaufkamen, hinter dem vorspringenden Felsen her, ging die Erinnerung wohlig über seinen Rücken hinweg, wie in den ersten Tagen seiner Liebe.

Doch zuweilen stand er verloren horchend und wartete, ob nicht der Beduine kommen wollte mit seiner Traglast. Er sah ihn geschwätzig von ferne winken. Er tastete nach der Schleuder, ihn zu vertreiben. Und wenn er in lebendigen Träumen den Stein durch die Luft kreisen ließ, lachte Ayscha aus dem Zelte, daß er erschrak, sich zurückbesann und sich in der Melodie ihres Lachens wiegte.

Er liebte Ayscha wie in den ersten Tagen, mit all seiner Seele und all seinen Gedanken. Aber seit sie am Tage in seiner Nähe war und des Nachts an seiner Seite, fühlte er eine Hand über seinen Augen liegen. Er sah nicht mehr so weit in den Himmel hinein. Seine Träume wurden enger und kleiner. Er war nicht gut zu seinen Tieren, da es ihn doch trieb, gut zu sein zu Ayscha. Er sprach nicht mehr zu Schachor, da er doch zu 128 Ayscha sprach. Und alle Märchen, die er sich spann, fanden ihr Ende unter den schwarzen Tüchern des Zeltes.

Klaglos und lautlos weinte etwas in ihm, Tag und Nacht. Er verstand es nicht. Er horchte darauf, dumpf wehmütig. Er war ein Gefäß, darin ein Afrid eingeschlossen war, versiegelt mit dem heiligen Zeichen, und es war kein Weg nach außen mehr. Und in diesem heimlichen Lauschen war eine ferne Furcht, ein Schuldbewußtsein des Sündigen. Er hatte gesündigt. Aber er wußte nicht, womit. Doch er sah, daß Allah ihm sein Paradies der Erde allmählich entzog. Die schönen Farben verblaßten. Träume starben. Märchen schwanden. Blumen welkten. Es mußte doch etwas gesündigt haben in ihm.

Je mehr ihn diese dunkle Furcht bedrängte, desto glühender wurde seine Liebe zu Ayscha. Es waren Tage, da er Schachor bei der Herde zurückließ und in gestrecktem Laufe zum Zelt eilte. Er sah Ayscha Korn mahlen, Kuskus bereiten, sich die Hände mit Hennah färben, eine Spange in das offene Gewand nesteln. Er nickte, lachte, wie sie lachte, und ging zu seinen Tieren zurück.

Der Sommer ging dahin, in gleicher Liebe und in gleicher Not. Die Regen kündeten sich an. Er lag eines Nachts im Zelte, eng an Ayscha gepreßt, gestrafft und doch wohlig ermüdet. Da kam ihm wieder ein Traum. Ein Reiter jagte über 129 das Land, mit fliegender Keffije. Wie er näher kam, gewahrte er, daß er es selber war. Fern über einen Fluß in steilen Ufern ging eine steinerne Brücke mit vielen kurzen Wölbungen. Er sprengte dahin. Die Flinte Huleils war in seiner Hand. Mitten auf der Brücke riß er das Pferd hoch und schlug den Kolben auf den Stein. Lautlos brach ein Bogen zusammen. Die Trümmer verschwanden in einem Abgrund, der sich rauschend auftat. Er spornte das Pferd und setzte in den Abgrund hinein. Straff hielt er die Zügel. Wasser rauschte. Er fiel und fiel. Immer weiter, in einen großen, blauen, lachenden Himmel hinein.

Jäh wachte er auf. Ayscha schlief mit tiefem Atem ihm zur Seite. Hämmernd mit einem einförmigen Geräusch schlug der erste Regen auf die Tücher des Zeltes. Der Sommer wollte Abschied nehmen. Da fuhr der Abt auf. Auch der Sommer wurde ihm genommen um seiner Sündigkeit willen. Der Sommer durfte noch nicht gehen, ehe nicht seine Augen wieder klar geworden waren!

Hastig erhob er sich. Er tastete über Ayschas weiche, braune Glieder und liebkoste sie. Sie regte sich träge im Schlaf, und um ihren Mund war ein gutes Lächeln. Dann trat er aus dem Zelte. Sprühend umrauschte ihn der Regen. Er nahm einen Pfahl, der zum Befestigen der Seile diente und stieg auf den vorspringenden Felsen. 130 Vorsichtig zwängte er die Spitze des Pfahles in die schmale Verbindungsstelle der Bergwand und des Felsens. Er hob und stieß und schlug, langsam, bedacht, während tausend schöne, ferne Gedanken zu Ayscha gingen. Die Erde war weich, vom Regen aufgelockert. Unverdrossen mühte er sich an seinem Werk. Er wußte, der Sommer würde wiederkommen. Tiefer und tiefer grub der Pfahl in den Felsen hinein. Er konnte endlich ein leises Beben und Schwanken spüren. Sein Herz klopfte vor Freude und schlug hoch vor Liebe. Immer noch strömten die Wasser, als wollten sie ihm helfen. Und dann klammerte er den Pfahl oben um den Kopf, hängte sich daran und ließ sein ganzes Gewicht mit einem Ruck fallen. Splitternd riß der Pfahl den schmalen Steg auf. Es gab ein dürres, hartes Krachen. Dann schlug der überhängende Fels mit schwerer Wucht auf das Zelt hernieder und begrub es spielend unter sich. – – – – – – – – – – – – – –

Der Morgen dämmerte schnell. Die Regen verschwanden. Klar hob sich der Himmel über der Erde. Sonne kam wieder wie sonst und wie an allen Tagen. Der Sommer war noch einmal zu kurzer Frist zurückgekehrt. Ueppig schwoll das letzte Gras. Eine unendliche Frische, ein würziger Duft wie in ersten Frühlingstagen war in der Luft.

Der Abt stieg über den abgestürzten Felsen 131 hinweg auf die Bergkuppe. Sein Gesicht strahlte vor Glück und Reinheit. Seine Augen waren blank. Er konnte ganz weit sehen bis in die Grenze von Berg und Himmel. Es war keine Sünde mehr in ihm. Er sah sich nicht mehr um nach dem Felsen.

Der Abt lehnte sich auf seinen Stab und stellte sich in einigen Abstand von seiner Herde. Die Tiere drängten um ihn. Seine Stimme klang tief und satt. Er sprach:

»Eine Houri aus dem Paradiese unseres Propheten ging über die Brücken meiner Seele. Als sie in der Mitte war, hob sie das Auge und sah mich an. Da brach ein Balken aus dem Gefüge. Eine Tiefe tat sich auf. Wasser sind unten. Tiefe Wasser, die immer fließen. Ich springe darüber hin. Ich weiß nicht, wo dieser Sprung enden wird.

 


 


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