Immanuel Kant
Kritik der Urteilskraft
Immanuel Kant

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§ 90
Von der Art des Fürwahrhaltens in einem teleologischen Beweise des Daseins Gottes

Zuerst wird zu jedem Beweise, er mag (wie bei dem Beweise durch Beobachtung des Gegenstandes oder Experiment) durch unmittelbare empirische Darstellung dessen, was bewiesen werden soll, oder durch Vernunft a priori aus Prinzipien geführt werden, erfordert: daß er nicht überrede, sondern überzeuge, oder wenigstens auf Überzeugung wirke; d. i. daß der Beweisgrund, oder der Schluß, nicht bloß ein subjektiver (ästhetischer) Bestimmungsgrund des Beifalls (bloßer Schein), sondern objektiv-gültig und ein logischer Grund der Erkenntnis sei: denn sonst wird der Verstand berückt, aber nicht überführt. Von jener Art eines Scheinbeweises ist derjenige, welcher vielleicht in guter Absicht, aber doch mit vorsätzlicher Verhehlung seiner Schwäche, in der natürlichen Theologie geführt wird: wenn man die große Menge der Beweistümer eines Ursprungs der Naturdinge nach dem Prinzip der Zwecke herbeizieht, und sich den bloß subjektiven Grund der menschlichen Vernunft zunutze macht, nämlich den ihr eigenen Hang, wo es nur ohne Widerspruch geschehen kann, statt vieler Prinzipien ein einziges, und, wo in diesem Prinzip nur einige oder auch viele Erfordernisse zur Bestimmung eines Begriffs angetroffen werden, die übrigen hinzuzudenken, um den Begriff des Dinges durch willkürliche Ergänzung zu vollenden. Denn freilich, wenn wir so viele Produkte in der Natur antreffen, die für uns Anzeigen einer verständigen Ursache sind; warum sollen wir, statt vieler solcher Ursachen, nicht lieber eine einzige, und zwar an dieser nicht etwa bloß großen Verstand, Macht usw., sondern nicht vielmehr Allweisheit, Allmacht, mit einem Worte sie als eine solche, die den für alle mögliche Dinge zureichenden Grund solcher Eigenschaften enthalte, denken? und überdas diesem einigen alles vermögenden Urwesen nicht bloß für die Naturgesetze und Produkte Verstand, sondern auch, als einer moralischen Weltursache, höchste sittliche praktische Vernunft beilegen; da durch diese Vollendung des Begriffs ein für Natureinsicht so wohl als moralische Weisheit zusammen hinreichendes Prinzip angegeben wird, und kein nur einigermaßen gegründeter Einwurf wider die Möglichkeit einer solchen Idee gemacht werden kann? Werden hiebei nun zugleich die moralischen Triebfedern des Gemüts in Bewegung gesetzt, und ein lebhaftes Interesse der letzteren mit rednerischer Stärke (deren sie auch wohl würdig sind) hinzugefügt; so entspringt daraus eine Überredung von der objektiven Zulänglichkeit des Beweises, und ein (in den meisten Fällen seines Gebrauchs) auch heilsamer Schein, der aller Prüfung der logischen Schärfe desselben sich ganz überhebt, und sogar dawider, als ob ihr ein frevelhafter Zweifel zum Grunde läge, Abscheu und Widerwillen trägt. – Nun ist hierwider wohl nichts zu sagen, so fern man auf populäre Brauchbarkeit eigentlich Rücksicht nimmt. Allein, da doch die Zerfällung desselben in die zwei ungleichartigen Stücke, die dieses Argument enthält, nämlich in das was zur physischen, und das was zur moralischen Teleologie gehört, nicht abgehalten werden kann und darf, indem die Zusammenschmelzung beider es unkenntlich macht, wo der eigentliche Nerve des Beweises liege, und an welchem Teile und wie er müßte bearbeitet werden, um für die Gültigkeit desselben vor der schärfsten Prüfung standhalten zu können (selbst wenn man an einem Teile die Schwäche unserer Vernunfteinsicht einzugestehen genötigt sein sollte): so ist es für den Philosophen Pflicht (gesetzt daß er auch die Anforderung der Aufrichtigkeit an ihn für nichts rechnete), den obgleich noch so heilsamen Schein, welchen eine solche Vermengung hervorbringen kann, aufzudecken, und, was bloß zur Überredung gehört, von dem was auf Überzeugung führt (die beide nicht bloß dem Grade, sondern selbst der Art nach, unterschiedene Bestimmungen des Beifalls sind) abzusondern, um die Gemütsfassung in diesem Beweise in ihrer ganzen Lauterkeit offen darzustellen, und diesen der strengsten Prüfung freimütig unterwerfen zu können.

Ein Beweis aber, der auf Überzeugung angelegt ist, kann wiederum zwiefacher Art sein, entweder ein solcher, der, was der Gegenstand an sich sei, oder was er für uns (Menschen überhaupt) nach den uns notwendigen Vernunftprinzipien seiner Beurteilung, sei (ein Beweis κατ' αληθειαν oder κατ' ανθρωπον, das letztere Wort in allgemeiner Bedeutung für Menschen überhaupt genommen), ausmachen soll. Im ersteren Falle ist er auf hinreichende Prinzipien für die bestimmende, im zweiten bloß für die reflektierende Urteilskraft begründet. Im letztern Falle kann er, auf bloß theoretischen Prinzipien beruhend, niemals auf Überzeugung wirken; legt er aber ein praktisches Vernunftprinzip zum Grunde (welches mithin allgemein und notwendig gilt), so darf er wohl auf eine in reiner praktischer Absicht hinreichende, d. i. moralische, Überzeugung Anspruch machen. Ein Beweis aber wirkt auf Überzeugung, ohne noch zu überzeugen, wenn er bloß auf dem Wege dahin geführt wird, d. i. nur objektive Gründe dazu in sich enthält, die, ob sie gleich noch nicht zur Gewißheit hinreichend, dennoch von der Art sind, daß sie nicht bloß als subjektive Gründe des Urteils zur Überredung dienen.

Alle theoretische Beweisgründe reichen nun entweder zu: 1) zum Beweise durch logisch-strenge Vernunftschlüsse; oder, wo dieses nicht ist, 2) zum Schlusse nach der Analogie; oder, findet auch dieses etwa nicht statt, doch noch 3) zur wahrscheinlichen Meinung; oder endlich, was das mindeste ist, 4) zur Annehmung eines bloß möglichen Erklärungsgrundes, als Hypothese. – Nun sage ich: daß alle Beweisgründe überhaupt, die auf theoretische Überzeugung wirken, kein Fürwahrhalten dieser Art, von dem höchsten bis zum niedrigsten Grade desselben, bewirken können, wenn der Satz von der Existenz eines Urwesens, als eines Gottes, in der dem ganzen Inhalte dieses Begriffs angemessenen Bedeutung, nämlich als eines moralischen Welturhebers, mithin so, daß durch ihn zugleich der Endzweck der Schöpfung angegeben wird, bewiesen werden soll.

1) Was den logisch-gerechten, vom Allgemeinen zum Besonderen fortgehenden Beweis betrifft, so ist in der Kritik hinreichend dargetan worden: daß, da dem Begriffe von einem Wesen, welches über die Natur hinaus zu suchen ist, keine uns mögliche Anschauung korrespondiert, dessen Begriff also selbst, sofern er durch synthetische Prädikate theoretisch bestimmt werden soll, für uns jederzeit problematisch bleibt, schlechterdings kein Erkenntnis desselben (wodurch der Umfang unseres theoretischen Wissens im mindesten erweitert würde) stattfinde, und unter die allgemeinen Prinzipien der Natur der Dinge der besondere Begriff eines übersinnlichen Wesens gar nicht subsumiert werden könne, um von jenen auf dieses zu schließen; weil jene Prinzipien lediglich für die Natur, als Gegenstand der Sinne, gelten.

2) Man kann sich zwar von zwei ungleichartigen Dingen, eben in dem Punkte ihrer Ungleichartigkeit, eines derselben doch nach einer AnalogieAnalogie (in qualitativer Bedeutung) ist die Identität des Verhältnisses zwischen Gründen und Folgen (Ursachen und Wirkungen), sofern sie, ungeachtet der spezifischen Verschiedenheit der Dinge, oder derjenigen Eigenschaften an sich, welche den Grund von ähnlichen Folgen enthalten (d. i. außer diesem Verhältnisse betrachtet), stattfindet. So denken wir uns zu den Kunsthandlungen der Tiere, in Vergleichung mit denen des Menschen, den Grund dieser Wirkungen in den ersteren, den wir nicht kennen, mit dem Grunde ähnlicher Wirkungen des Menschen (der Vernunft), den wir kennen, als Analogon der Vernunft; und wollen damit zugleich anzeigen: daß der Grund des tierischen Kunstvermögens, unter der Benennung eines Instinkts, von der Vernunft in der Tat spezifisch unterschieden, doch auf die Wirkung (der Bau der Biber mit dem der Menschen verglichen) ein ähnliches Verhältnis habe. – Deswegen aber kann ich daraus, weil der Mensch zu seinem Bauen Vernunft braucht, nicht schließen, daß der Biber auch dergleichen haben müsse, und es einen Schluß nach der Analogie nennen. Aber aus der ähnlichen Wirkungsart der Tiere (wovon wir den Grund nicht unmittelbar wahrnehmen können), mit der des Menschen (dessen wir uns unmittelbar bewußt sind) verglichen, können wir ganz richtig nach der Analogie schließen, daß die Tiere auch nach Vorstellungen handeln (nicht, wie Cartesius will, Maschinen sind), und, ungeachtet ihrer spezifischen Verschiedenheit, doch der Gattung nach (als lebende Wesen) mit dem Menschen einerlei sind. Das Prinzip der Befugnis, so zu schließen, liegt in der Einerleiheit des Grundes, die Tiere in Ansehung gedachter Bestimmung mit dem Menschen, als Menschen, soweit wir sie äußerlich nach ihren Handlungen miteinander vergleichen, zu einerlei Gattung zu zählen. Es ist par ratio. Ebenso kann ich die Kausalität der obersten Weltursache, in der Vergleichung der zweckmäßigen Produkte derselben in der Welt mit den Kunstwerken des Menschen, nach der Analogie eines Verstandes denken, aber nicht auf diese Eigenschaften in demselben nach der Analogie schließen; weil hier das Prinzip der Möglichkeit einer solchen Schlußart gerade mangelt, nämlich die paritas rationis, das höchste Wesen mit dem Menschen (in Ansehung ihrer beiderseitigen Kausalität) zu einer und derselben Gattung zu zählen. Die Kausalität der Weltwesen, die immer sinnlich-bedingt (dergleichen die durch Verstand) ist, kann nicht auf ein Wesen übertragen werden, welches mit jenen keinen Gattungsbegriff, als den eines Dinges überhaupt, gemein hat. mit dem andern denken; aber aus dem, worin sie ungleichartig sind, nicht von einem nach der Analogie auf das andere schließen, d. i. dieses Merkmal des spezifischen Unterschiedes auf das andere übertragen. So kann ich mir, nach der Analogie mit dem Gesetze der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung, in der wechselseitigen Anziehung und Abstoßung der Körper untereinander, auch die Gemeinschaft der Glieder eines gemeinen Wesens nach Regeln des Rechts denken; aber jene spezifischen Bestimmungen (die materielle Anziehung oder Abstoßung) nicht auf diese übertragen, und sie den Bürgern beilegen, um ein System, welches Staat heißt, auszumachen. – Ebenso dürfen wir wohl die Kausalität des Urwesens in Ansehung der Dinge der Welt, als Naturzwecke, nach der Analogie eines Verstandes, als Grundes der Formen gewisser Produkte, die wir Kunstwerke nennen, denken (denn dieses geschieht nur zum Behuf des theoretischen oder praktischen Gebrauchs unseres Erkenntnisvermögens, den wir von diesem Begriffe in Ansehung der Naturdinge in der Welt, nach einem gewissen Prinzip, zu machen haben); aber wir können daraus, daß unter Weltwesen der Ursache einer Wirkung, die als künstlich beurteilt wird, Verstand beigelegt werden muß, keinesweges nach einer Analogie schließen, daß auch dem Wesen, welches von der Natur gänzlich unterschieden ist, in Ansehung der Natur selbst eben dieselbe Kausalität, die wir am Menschen wahrnehmen, zukomme: weil dieses eben den Punkt der Ungleichartigkeit betrifft, der zwischen einer in Ansehung ihrer Wirkungen sinnlich-bedingten Ursache und dem übersinnlichen Urwesen selbst im Begriffe desselben gedacht wird und also auf diesen nicht übertragen werden kann. – Eben darin, daß ich mir die göttliche Kausalität nur nach der Analogie mit einem Verstande (welches Vermögen wir an keinem anderen Wesen als dem sinnlich-bedingten Menschen kennen) denken soll, liegt das Verbot, ihm diesen nicht in der eigentlichen Bedeutung beizulegen.Man vermißt dadurch nicht das mindeste in der Vorstellung der Verhältnisse dieses Wesens zur Welt, sowohl was die theoretischen als praktischen Folgerungen aus diesem Begriffe betrifft. Was es an sich selbst sei, erforschen zu wollen, ist ein eben so zweckloser als vergeblicher Vorwitz.

3) Meinen findet in Urteilen a priori gar nicht statt; sondern man erkennt durch sie entweder etwas als ganz gewiß, oder gar nichts. Wenn aber auch die gegebenen Beweisgründe, von denen wir ausgehen (wie hier von den Zwecken in der Welt), empirisch sind, so kann man mit diesen doch über die Sinnenwelt hinaus nichts meinen, und solchen gewagten Urteilen den mindesten Anspruch auf Wahrscheinlichkeit zugestehen. Denn Wahrscheinlichkeit ist ein Teil einer in einer gewissen Reihe der Gründe möglichen Gewißheit (die Gründe derselben werden darin mit dem Zureichenden, als Teile mit einem Ganzen, verglichen), zu welchen jener unzureichende Grund muß ergänzt werden können. Weil sie aber als Bestimmungsgründe der Gewißheit eines und desselben Urteils gleichartig sein müssen, indem sie sonst nicht zusammen eine Größe (dergleichen die Gewißheit ist) ausmachen würden: so kann nicht ein Teil derselben innerhalb den Grenzen möglicher Erfahrung, ein anderer außerhalb aller möglichen Erfahrung liegen. Mithin, da bloß empirische Beweisgründe auf nichts Übersinnliches führen, der Mangel in der Reihe derselben auch durch nichts ergänzt werden kann; so findet in dem Versuche, durch sie zum Übersinnlichen und einer Erkenntnis desselben zu gelangen, nicht die mindeste Annäherung, folglich in einem Urteile über das letztere durch von der Erfahrung hergenommene Argumente, auch keine Wahrscheinlichkeit statt.

4) Was als Hypothese zu Erklärung der Möglichkeit einer gegebenen Erscheinung dienen soll, davon muß wenigstens die Möglichkeit völlig gewiß sein. Es ist genug, daß ich bei einer Hypothese auf die Erkenntnis der Wirklichkeit (die in einer für wahrscheinlich ausgegebenen Meinung noch behauptet wird) Verzicht tue: mehr kann ich nicht preisgeben; die Möglichkeit dessen, was ich einer Erklärung zum Grunde lege, muß wenigstens keinem Zweifel ausgesetzt sein, weil sonst der leeren Hirngespinste kein Ende sein würde. Die Möglichkeit aber eines nach gewissen Begriffen bestimmten übersinnlichen Wesens anzunehmen, da hiezu keine von den erforderlichen Bedingungen einer Erkenntnis nach dem was in ihr auf Anschauung beruht, gegeben ist, und also der bloße Satz des Widerspruchs (der nichts als die Möglichkeit des Denkens und nicht des gedachten Gegenstandes selbst beweisen kann) als Kriterium dieser Möglichkeit übrig bleibt, würde eine völlig grundlose Voraussetzung sein.

Das Resultat hievon ist: daß für das Dasein des Urwesens als einer Gottheit, oder der Seele, als eines unsterblichen Geistes, schlechterdings kein Beweis in theoretischer Absicht, um auch nur den mindesten Grad des Fürwahrhaltens zu wirken, für die menschliche Vernunft möglich sei; und dieses aus dem ganz begreiflichen Grunde: weil zur Bestimmung der Ideen des Übersinnlichen für uns gar kein Stoff da ist, indem wir diesen letzteren von Dingen in der Sinnenwelt hernehmen müßten, ein solcher aber jenem Objekte schlechterdings nicht angemessen ist, also, ohne alle Bestimmung derselben, nichts mehr, als der Begriff von einem nichtsinnlichen Etwas übrig bleibt, welches den letzten Grund der Sinnenwelt enthalte, der noch kein Erkenntnis (als Erweiterung des Begriffs) von seiner inneren Beschaffenheit ausmacht.


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