Immanuel Kant
Kritik der Urteilskraft
Immanuel Kant

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§ 85
Von der Physikotheologie

Die Physikotheologie ist der Versuch der Vernunft, aus den Zwecken der Natur (die nur empirisch erkannt werden können) auf die oberste Ursache der Natur und ihre Eigenschaften zu schließen. Eine Moraltheologie (Ethikotheologie) wäre der Versuch, aus dem moralischen Zwecke vernünftiger Wesen in der Natur (der a priori erkannt werden kann) auf jene Ursache und ihre Eigenschaften zu schließen.

Die erstere geht natürlicherweise vor der zweiten vorher. Denn wenn wir von den Dingen in der Welt auf eine Weltursache teleologisch schließen wollen; so müssen Zwecke der Natur zuerst gegeben sein, für die wir nachher einen Endzweck und für diesen dann das Prinzip der Kausalität dieser obersten Ursache zu suchen haben.

Nach dem teleologischen Prinzip können und müssen viele Nachforschungen der Natur geschehen, ohne daß man nach dem Grunde der Möglichkeit, zweckmäßig zu wirken, welche wir an verschiedenen der Produkte der Natur antreffen, zu fragen Ursache hat. Will man nun aber auch hievon einen Begriff haben, so haben wir dazu schlechterdings keine weitergehende Einsicht, als bloß die Maxime der reflektierenden Urteilskraft: daß nämlich, wenn uns auch nur ein einziges organisches Produkt der Natur gegeben wäre, wir, nach der Beschaffenheit unseres Erkenntnisvermögens, dafür keinen andern Grund denken können, als den einer Ursache der Natur selbst (es sei der ganzen Natur oder auch nur dieses Stücks derselben), die durch Verstand die Kausalität zu demselben enthält; ein Beurteilungsprinzip, wodurch wir in der Erklärung der Naturdinge und ihres Ursprungs zwar um nichts weiter gebracht werden, das uns aber doch über die Natur hinaus einige Aussicht eröffnet, um den sonst so unfruchtbaren Begriff eines Urwesens vielleicht näher bestimmen zu können.

Nun sage ich: die Physikotheologie, so weit sie auch getrieben werden mag, kann uns doch nichts von einem Endzwecke der Schöpfung eröffnen; denn sie reicht nicht einmal bis zur Frage nach demselben. Sie kann also zwar den Begriff einer verständigen Weltursache, als einen subjektiv für die Beschaffenheit unseres Erkenntnisvermögens allein tauglichen Begriff von der Möglichkeit der Dinge, die wir uns nach Zwecken verständlich machen können, rechtfertigen, aber diesen Begriff weder in theoretischer noch praktischer Absicht weiter bestimmen; und ihr Versuch erreicht seine Absicht nicht, eine Theologie zu gründen, sondern sie bleibt immer nur eine physische Teleologie: weil die Zweckbeziehung in ihr immer nur als in der Natur bedingt betrachtet wird und werden muß; mithin den Zweck, wozu die Natur selbst existiert (wozu der Grund außer der Natur gesucht werden muß), gar nicht einmal in Anfrage bringen kann, auf dessen bestimmte Idee gleichwohl der bestimmte Begriff jener oberen verständigen Weltursache, mithin die Möglichkeit einer Theologie, ankommt.

Wozu die Dinge in der Welt einander nützen; wozu das Mannigfaltige in einem Dinge für dieses Ding selbst gut ist; wie man sogar Grund habe anzunehmen, daß nichts in der Welt umsonst, sondern alles irgend wozu in der Natur, unter der Bedingung daß gewisse Dinge (als Zwecke) existieren sollten, gut sei, wobei mithin unsere Vernunft für die Urteilskraft kein anderes Prinzip der Möglichkeit des Objekts ihrer unvermeidlichen teleologischen Beurteilung in ihrem Vermögen hat, als das, den Mechanism der Natur der Architektonik eines verständigen Welturhebers unterzuordnen: das alles leistet die teleologische Weltbetrachtung sehr herrlich und zur äußersten Bewunderung. Weil aber die Data, mithin die Prinzipien, jenen Begriff einer intelligenten Weltursache (als höchsten Künstlers) zu bestimmen, bloß empirisch sind: so lassen sie auf keine Eigenschaften weiter schließen, als uns die Erfahrung an den Wirkungen derselben offenbart: welche, da sie nie die gesamte Natur als System befassen kann, oft auf (dem Anscheine nach) jenem Begriffe und unter einander widerstreitende Beweisgründe stoßen muß, niemals aber, wenn wir gleich vermögend wären auch das ganze System, sofern es bloße Natur betrifft, empirisch zu überschauen, uns, über die Natur, zu dem Zwecke ihrer Existenz selber, und dadurch zum bestimmten Begriffe jener obern Intelligenz, erheben kann.

Wenn man sich die Aufgabe, um deren Auflösung es einer Physikotheologie zu tun ist, klein macht, so scheint ihre Auflösung leicht. Verschwendet man nämlich den Begriff von einer Gottheit an jedes von uns gedachte verständige Wesen, deren es eines oder mehrere geben mag, welches viel und sehr große, aber eben nicht alle Eigenschaften habe, die zu Gründung einer mit dem größtmöglichen Zwecke übereinstimmenden Natur überhaupt erforderlich sind: oder hält man es für nichts, in einer Theorie den Mangel dessen, was die Beweisgründe leisten, durch willkürliche Zusätze zu ergänzen, und, wo man nur Grund hat viel Vollkommenheit anzunehmen (und was ist viel für uns?), sich da befugt hält, alle mögliche vorauszusetzen: so macht die physische Teleologie wichtige Ansprüche auf den Ruhm, eine Theologie zu begründen. Wenn aber verlangt wird anzuzeigen: was uns denn antreibe und überdem berechtige, jene Ergänzungen zu machen; so werden wir in den Prinzipien des theoretischen Gebrauchs der Vernunft, welcher durchaus verlangt, zu Erklärung eines Objekts der Erfahrung diesem nicht mehr Eigenschaften beizulegen, als empirische Data zu ihrer Möglichkeit anzutreffen sind, vergeblich Grund zu unserer Rechtfertigung suchen. Bei näherer Prüfung würden wir sehen, daß eigentlich eine Idee von einem höchsten Wesen, die auf ganz verschiedenem Vernunftgebrauch (dem praktischen) beruht, in uns a priori zum Grunde liege, welche uns antreibt, die mangelhafte Vorstellung einer physischen Teleologie, von dem Urgrunde der Zwecke in der Natur, bis zum Begriffe einer Gottheit zu ergänzen; und wir würden uns nicht fälschlich einbilden, diese Idee, mit ihr aber eine Theologie, durch den theoretischen Vernunftgebrauch der physischen Weltkenntnis zustande gebracht, viel weniger ihre Realität bewiesen zu haben.

Man kann es den Alten nicht so hoch zum Tadel anrechnen, wenn sie sich ihre Götter als, teils ihrem Vermögen, teils den Absichten und Willensmeinungen nach, sehr mannigfaltig verschieden, alle aber, selbst ihr Oberhaupt nicht ausgenommen, noch immer auf menschliche Weise eingeschränkt dachten. Denn, wenn sie die Einrichtung und den Gang der Dinge in der Natur betrachteten; so fanden sie zwar Grund genug etwas mehr als Mechanisches zur Ursache derselben anzunehmen, und Absichten gewisser oberer Ursachen, die sie nicht anders als übermenschlich denken konnten, hinter dem Maschinenwerk dieser Welt zu vermuten. Weil sie aber das Gute und Böse, das Zweckmäßige und Zweckwidrige in ihr, wenigstens für unsere Einsicht, sehr gemischt antrafen, und sich nicht erlauben konnten, insgeheim dennoch zum Grunde liegende weise und wohltätige Zwecke, von denen sie doch den Beweis nicht sahen, zum Behuf der willkürlichen Idee eines höchstvollkommenen Urhebers anzunehmen; so konnte ihr Urteil von der obersten Weltursache schwerlich anders ausfallen, sofern sie nämlich nach Maximen des bloß theoretischen Gebrauchs der Vernunft ganz konsequent verfuhren. Andere, die als Physiker zugleich Theologen sein wollten, dachten Befriedigung für die Vernunft darin zu finden, daß sie für die absolute Einheit des Prinzips der Naturdinge, welche die Vernunft fordert, vermittelst der Idee von einem Wesen sorgten, in welchem, als alleiniger Substanz, jene insgesamt nur inhärierende Bestimmungen wären: welche Substanz zwar nicht, durch Verstand, Ursache der Welt, in welcher aber doch, als Subjekt, aller Verstand der Weltwesen anzutreffen wäre; ein Wesen folglich, das zwar nicht nach Zwecken etwas hervorbrächte, in welchem aber doch alle Dinge, wegen der Einheit des Subjekts, von dem sie bloß Bestimmungen sind, auch ohne Zweck und Absicht notwendig sich aufeinander zweckmäßig beziehen mußten. So führten sie den Idealism der Endursachen ein: indem sie die so schwer herauszubringende Einheit einer Menge zweckmäßig verbundener Substanzen, statt der Kausalabhängigkeit von einer, in die der Inhärenz in einer verwandelten; welches System in der Folge, von seiten der inhärierenden Weltwesen betrachtet, als Pantheism, von seiten des allein subsistierenden Subjekts, als Urwesens, (späterhin) als Spinozism, nicht sowohl die Frage vom ersten Grunde der Zweckmäßigkeit der Natur auflösete, als sie vielmehr für nichtig erklärte, indem der letztere Begriff, aller seiner Realität beraubt, zur bloßen Mißdeutung eines allgemeinen ontologischen Begriffs von einem Dinge überhaupt gemacht wurde.

Nach bloß theoretischen Prinzipien des Vernunftgebrauchs (worauf die Physikotheologie sich allein gründet), kann also niemals der Begriff einer Gottheit, der für unsere teleologische Beurteilung der Natur zureichte, herausgebracht werden. Denn wir erklären entweder alle Teleologie für bloße Täuschung der Urteilskraft in der Beurteilung der Kausalverbindung der Dinge, und flüchten uns zu dem alleinigen Prinzip eines bloßen Mechanisms der Natur, welche, wegen der Einheit der Substanz, von der sie nichts als das Mannigfaltige der Bestimmungen derselben sei, uns eine allgemeine Beziehung auf Zwecke zu enthalten bloß scheine; oder, wenn wir statt dieses Idealisms der Endursachen, dem Grundsatze des Realisms dieser besondern Art der Kausalität anhänglich bleiben wollen, so mögen wir viele verständige Urwesen, oder nur ein einiges, den Naturzwecken unterlegen: sobald wir zu Begründung des Begriffs von demselben nichts als Erfahrungsprinzipien, von der wirklichen Zweckverbindung in der Welt hergenommen, zur Hand haben, so können wir einerseits wider die Mißhelligkeit, die die Natur in Ansehung der Zweckeinheit in vielen Beispielen aufstellt, keinen Rat finden, andrerseits den Begriff einer einigen intelligenten Ursache, so wie wir ihn, durch bloße Erfahrung berechtigt, herausbringen, niemals für irgendeine, auf welche Art es auch sei (theoretisch oder praktisch), brauchbare Theologie bestimmt genug, daraus ziehen.

Die physische Teleologie treibt uns zwar an, eine Theologie zu suchen; aber kann keine hervorbringen, so weit wir auch der Natur durch Erfahrung nachspüren, und der in ihr entdeckten Zweckverbindung, durch Vernunftideen (die zu physischen Aufgaben theoretisch sein müssen), zu Hülfe kommen mögen. Was hilfts, wird man mit Recht klagen: daß wir allen diesen Einrichtungen einen großen, einen für uns unermeßlichen Verstand zum Grunde legen, und ihn diese Welt nach Absichten anordnen lassen? wenn uns die Natur von der Endabsicht nichts sagt, noch jemals sagen kann, ohne welche wir uns doch keinen gemeinschaftlichen Beziehungspunkt aller dieser Naturzwecke, kein hinreichendes teleologisches Prinzip machen können, teils die Zwecke insgesamt in einem System zu erkennen, teils uns von dem obersten Verstande, als Ursache einer solchen Natur, einen Begriff zu machen, der unserer über sie teleologisch reflektierenden Urteilskraft zum Richtmaße dienen könnte. Ich hätte alsdann zwar einen Kunstverstand, für zerstreute Zwecke; aber keine Weisheit, für einen Endzweck, der doch eigentlich den Bestimmungsgrund von jenem enthalten muß. In Ermangelung aber eines Endzwecks, den nur die reine Vernunft a priori an die Hand geben kann (weil alle Zwecke in der Welt empirisch bedingt sind, und nichts, als was hiezu oder dazu, als zufälliger Absicht, nicht was schlechthin gut ist, enthalten können) und der mich allein lehren würde: welche Eigenschaften, welchen Grad und welches Verhältnis der obersten Ursache der Natur ich mir zu denken habe, um diese als teleologisches System zu beurteilen; wie und mit welchem Rechte darf ich da meinen sehr eingeschränkten Begriff von jenem ursprünglichen Verstande, den ich auf meine geringe Weltkenntnis gründen kann, von der Macht dieses Urwesens, seine Ideen zur Wirklichkeit zu bringen, von seinem Willen es zu tun usw., nach Belieben erweitern, und bis zur Idee eines allweisen unendlichen Wesens ergänzen? Dies würde, wenn es theoretisch geschehen sollte, in mir selbst Allwissenheit voraussetzen, um die Zwecke der Natur in ihrem ganzen Zusammenhange einzusehen, und noch obenein alle andere mögliche Plane denken zu können, mit denen in Vergleichung der gegenwärtige als der beste mit Grunde beurteilt werden müßte. Denn, ohne diese vollendete Kenntnis der Wirkung, kann ich auf keinen bestimmten Begriff von der obersten Ursache, der nur in dem von einer in allem Betracht unendlichen Intelligenz, d. i. dem Begriffe einer Gottheit, angetroffen werden kann, schließen, und eine Grundlage zur Theologie zustande bringen.

Wir können also, bei aller möglichen Erweiterung der physischen Teleologie, nach dem oben angeführten Grundsatze, wohl sagen: daß wir, nach der Beschaffenheit und den Prinzipien unseres Erkenntnisvermögens, die Natur in ihren uns bekanntgewordenen zweckmäßigen Anordnungen, nicht anders als das Produkt eines Verstandes, dem diese unterworfen ist, denken können. Ob aber dieser Verstand mit dem Ganzen derselben und dessen Hervorbringung noch eine Endabsicht gehabt haben möge (die alsdann nicht in der Natur der Sinnenwelt liegen würde): das kann uns die theoretische Naturforschung nie eröffnen; sondern es bleibt, bei aller Kenntnis derselben, unausgemacht ob jene oberste Ursache überall nach einem Endzwecke, und nicht vielmehr durch einen von der bloßen Notwendigkeit seiner Natur zu Hervorbringung gewisser Formen bestimmten Verstand (nach der Analogie mit dem, was wir bei den Tieren den Kunstinstinkt nennen), Urgrund derselben sei: ohne daß es nötig sei, ihr darum auch nur Weisheit, viel weniger höchste und mit allen andern zur Vollkommenheit ihres Produkts erforderlichen Eigenschaften verbundene Weisheit, beizulegen.

Also ist Physikotheologie, eine mißverstandene physische Teleologie, nur als Vorbereitung (Propädeutik) zur Theologie brauchbar, und nur durch Hinzukunft eines anderweitigen Prinzips, auf das sie sich stützen kann, nicht aber an sich selbst, wie ihr Name es anzeigen will, zu dieser Absicht zureichend.


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