Immanuel Kant
Kritik der Urteilskraft
Immanuel Kant

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Der Kritik der Urteilskraft
Zweiter Teil

Kritik
der
teleologischen Urteilskraft

§ 61
Von der objektiven Zweckmäßigkeit der Natur

Man hat, nach transzendentalen Prinzipien, guten Grund, eine subjektive Zweckmäßigkeit der Natur in ihren besondern Gesetzen, zu der Faßlichkeit für die menschliche Urteilskraft, und der Möglichkeit der Verknüpfung der besondern Erfahrungen in ein System derselben, anzunehmen; wo dann unter den vielen Produkten derselben auch solche als möglich erwartet werden können, die, als ob sie ganz eigentlich für unsere Urteilskraft angelegt wären, solche spezifische ihr angemessene Formen enthalten, welche durch ihre Mannigfaltigkeit und Einheit die Gemütskräfte (die im Gebrauche dieses Vermögens im Spiele sind) gleichsam zu stärken und zu unterhalten dienen, und denen man daher den Namen schöner Formen beilegt.

Daß aber Dinge der Natur einander als Mittel zu Zwecken dienen, und ihre Möglichkeit selbst nur durch diese Art von Kausalität hinreichend verständlich sei, dazu haben wir gar keinen Grund in der allgemeinen Idee der Natur, als Inbegriffs der Gegenstände der Sinne. Denn im obigen Falle konnte die Vorstellung der Dinge, weil sie etwas in uns ist, als zu der innerlich zweckmäßigen Stimmung unserer Erkenntnisvermögen geschickt und tauglich, ganz wohl auch a priori gedacht werden; wie aber Zwecke, die nicht die unsrigen sind, und die auch der Natur (welche wir nicht als intelligentes Wesen annehmen) nicht zukommen, doch eine besondere Art der Kausalität, wenigstens eine ganz eigne Gesetzmäßigkeit derselben ausmachen können oder sollen, läßt sich a priori gar nicht mit einigem Grunde präsumieren. Was aber noch mehr ist, so kann uns selbst die Erfahrung die Wirklichkeit derselben nicht beweisen; es müßte denn eine Vernünftelei vorhergegangen sein, die nur den Begriff des Zwecks in die Natur der Dinge hineinspielt, aber ihn nicht von den Objekten und ihrer Erfahrungserkenntnis hernimmt, denselben also mehr braucht, die Natur nach der Analogie mit einem subjektiven Grunde der Verknüpfung der Vorstellungen in uns begreiflich zu machen, als sie aus objektiven Gründen zu erkennen.

Überdem ist die objektive Zweckmäßigkeit, als Prinzip der Möglichkeit der Dinge der Natur, so weit davon entfernt, mit dem Begriffe derselben notwendig zusammenzuhängen; daß sie vielmehr gerade das ist, worauf man sich vorzüglich beruft, um die Zufälligkeit derselben (der Natur) und ihrer Form daraus zu beweisen. Denn wenn man z. B. den Bau eines Vogels, die Höhlung in seinen Knochen, die Lage seiner Flügel zur Bewegung, und des Schwanzes zum Steuern usw. anführt; so sagt man, daß dieses alles nach dem bloßen nexus effectivus in der Natur, ohne noch eine besondere Art der Kausalität, nämlich die der Zwecke (nexus finalis), zu Hülfe zu nehmen, im höchsten Grade zufällig sei: d. i. daß sich die Natur, als bloßer Mechanism betrachtet, auf tausendfache Art habe anders bilden können, ohne gerade auf die Einheit nach einem solchen Prinzip zu stoßen, und man also außer dem Begriffe der Natur, nicht in demselben, den mindesten Grund dazu a priori allein anzutreffen hoffen dürfe.

Gleichwohl wird die teleologische Beurteilung, wenigstens problematisch, mit Recht zur Naturforschung gezogen; aber nur um sie nach der Analogie mit der Kausalität nach Zwecken unter Prinzipien der Beobachtung und Nachforschung zu bringen, ohne sich anzumaßen, sie darnach zu erklären. Sie gehört also zur reflektierenden, nicht der bestimmenden, Urteilskraft. Der Begriff von Verbindungen und Formen der Natur nach Zwecken ist doch wenigstens ein Prinzip mehr, die Erscheinungen derselben unter Regeln zu bringen, wo die Gesetze der Kausalität nach dem bloßen Mechanism derselben nicht zulangen. Denn wir führen einen teleologischen Grund an, wo wir einem Begriffe vom Objekte, als ob er in der Natur (nicht in uns) befindlich wäre, Kausalität in Ansehung eines Objekts zueignen, oder vielmehr nach der Analogie einer solchen Kausalität (dergleichen wir in uns antreffen) uns die Möglichkeit des Gegenstandes vorstellen, mithin die Natur als durch eignes Vermögen technisch denken; wogegen, wenn wir ihr nicht eine solche Wirkungsart beilegen, ihre Kausalität als blinder Mechanism vorgestellt werden müßte. Würden wir dagegen der Natur absichtlich-wirkende Ursachen unterlegen, mithin der Teleologie nicht bloß ein regulatives Prinzip für die bloße Beurteilung der Erscheinungen, denen die Natur nach ihren besondern Gesetzen als unterworfen gedacht werden könne, sondern dadurch auch ein konstitutives Prinzip der Ableitung ihrer Produkte von ihren Ursachen zum Grunde legen; so würde der Begriff eines Naturzwecks nicht mehr für die reflektierende, sondern die bestimmende Urteilskraft gehören; alsdann aber in der Tat gar nicht der Urteilskraft eigentümlich angehören (wie der Begriff der Schönheit als formaler subjektiver Zweckmäßigkeit), sondern, als Vernunftbegriff, eine neue Kausalität in der Naturwissenschaft einführen, die wir doch nur von uns selbst entlehnen und andern Wesen beilegen, ohne sie gleichwohl mit uns als gleichartig annehmen zu wollen.


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