Arthur Kahane
Der Schauspieler
Arthur Kahane

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16.

Als die Faustina in der Wohnung des Schauspielers, in dessen Hause sie auf sein und seiner Hausfrau inständiges Bitten ihr Domizil aufgeschlagen hatte – ihr Gefolge, Gepäck und die Dienerschaft blieben vorläufig im »Einhorn« – wieder erschien, war es bereits spät am Abend 340 und die Ärmste zu erschöpft, um über die Einzelheiten ihrer Unterredungen Bericht erstatten zu können. Aber alles was sie sich durchzusetzen vorgenommen hatte, war durchgesetzt: der Prinzipal bestand darauf, daß der Schauspieler seinen Urlaub abbreche und am folgenden Tage mit den Proben zur Armida beginne. Die Fürstin verzieh, nahm den Freund wieder in die frühere Gunst und Gnade auf und wünschte, daß über alles Vorgegangene der Schleier wohlwollenden Vergessens gebreitet werde. Nur machte sie es zu ihrer Bedingung, daß der Sekretär des Theaters zu seinem bisherigen Amte das eines fürstlichen Vorlesers übernehme und mit ihr gemeinsam die Dialoge und Traktate des göttlichen Plato lese. Die Kleine verzichtete auf die Rolle der Armida und versprach, sich nie wieder darum zu bewerben, falls der Schauspieler sich bereit erklärte, allen Heiratsabsichten und Ansprüchen auf ihre Person und Treue zu entsagen und dem Glück ihrer Zukunft in keiner Weise hinderlich in den Weg zu treten. Dieses Glück – so hatte sie der Faustina in schnell gewonnenem Vertrauen und mit der Bitte um tiefste 341 Verschwiegenheit erzählt – hätte braune Locken und Augen und trage die Züge des über alle Maßen verliebten Erbprinzen. Und die kluge Vermittlerin hatte im Namen des Schauspielers sich diese Zusage abringen lassen.

Das war Alles, was die Faustina, ungeachtet ihrer Ermüdung, in aller Eile noch am selben Abend von den Ergebnissen ihrer Unternehmung zu berichten sich nicht enthalten konnte. Die letzte Mitteilung nahm der Schauspieler, bei aller Dankbarkeit für den überraschend großen und glücklichen Erfolg, nicht ohne ein Zeichen der Enttäuschung auf. Um die Kleine wäre es schade, meinte er. Sie sei so begabt gewesen. Nicht allein für die Liebe. Aber was vermöchte ein Erbprinz mit ihrer Begabung anzufangen! Damit sei es nun vorbei.

Die Faustina lachte. Er möge es nur ruhig vorbei sein lassen, sagte sie, als die Hausfrau grade das Zimmer verlassen hatte. Was brauche er die Kleine? Er hätte ja, fürs erste, sie zum Ersatz. Was die Kleine könne, könne sie auch. Und besser. Er ahne gar nicht, wie viel sie in diesen Jahren zugelernt habe. Und sie werde es 342 ihm beweisen, da sie ja doch die verführerische Armida mit ihm zu spielen habe. Aber nun müsse sie zu Bette, wenn sie morgen auf der anstrengenden Probe frisch sein wolle. Und ihm täte dasselbe not.

Und dann gingen sie – die Hausfrau war unterdessen von ihrer Verrichtung im Hause zurückgekehrt – alle drei, friedlich und sittsam, jeder in den für ihn sorgfältig vorbereiteten Schlafraum, zur Ruhe.

Die Stadt schwirrte in den nächsten Tagen von Gerüchten. Die Faustina ist wieder da, hieß es. Unsere Faustina. Heimlicher Weise, bei Nacht und Nebel, sei sie überraschend in die Wohnung des Schauspielers eingedrungen, habe ihre alten Rechte geltend gemacht und die Hausfrau noch in derselben Nacht zur Türe hinausgedrängt. Ja, aber die Hausfrau habe es nicht dabei bewenden lassen, sondern sich zur Wehre gesetzt und es sei zu Streit, ja zu Tätlichkeiten und Handgreiflichkeiten gekommen. Zum mindesten habe man noch spät in der Nacht das Licht im Hause brennen gesehen und laute Stimmen gehört. Das habe man, nur sei es nicht die Hausfrau, die von 343 der Faustina mit dem Schauspieler überrascht worden sei, sondern die Kleine, und nicht die Hausfrau, sondern die Kleine sei von der Faustina, im Verein mit der Hausfrau, hinausgeworfen worden. Die Kleine? Als ob diese sich nicht längst mit dem Schauspieler entzweit hätte, und die Geliebte eines Andern geworden wäre! Eines Andern? Welches Anderen? Das müßte man doch wissen. Man wisse es auch: des Tenors. Das könne nicht sein, da der Tenor der Geliebte der Heroine sei. Der sei es auch nicht, sondern der erste Liebhaber sei der zweite Liebhaber der Kleinen geworden. Der sei in den festen Händen der Salondame. Dann sei es der Bonvivant. Der halte es, ebenso wie der Tenor, mit der Heroine, die keinen ihrer Liebhaber der gehaßten Rivalin, der Kleinen, überlassen würde. Nein, meinte ein Anderer – oder war es eine Andere? – es sei überhaupt niemand vom Theater, der des Schauspielers Nachfolge bei der Kleinen angetreten hätte, sondern jemand ganz Anderer, viel Höherer. Und man ließ den Erbprinzen erraten. Das sei freilich etwas Anderes. Und der Schauspieler war entschuldigt.

Die Faustina ist heimgekehrt. Aber warum 344 eigentlich? Eben darum. Weil die Fürstin wünschte. Das heiße, weil sie nicht wünschte? Doch gerade, weil sie wünschte. Oder eigentlich, weil der Erbprinz wünschte. Der Wunsch ihres Lieblingssohnes, dem sie nichts abschlagen könne, und es komme bei Prinzen doch so sehr darauf an, wer die Erste sei. Schon wegen der Erziehung für den Beruf des Landesvaters. Und da wäre ihr, dieser pädagogischen Erwägung wegen, die Kleine eben recht. Und darum wußte die Faustina. Schon um die Kleine vom Schauspieler zu lösen. Niemand Anderer als die Fürstin sei es gewesen, die Beide, den Schauspieler und die Faustina miteinander versöhnt habe, und es sei auch nicht wahr, daß die Faustina heimlich und bei Nacht und Nebel heimgekehrt sei, sondern man habe sie geholt, mit einem Staatskurier, und sie sei gewissermaßen im Triumphe eingezogen, mit einem großen Gefolge, und wohne im »Einhorn«. Ja, das sei wahr, wie eine Fürstin sei sie gekommen, mit einem Gefolge von Kavalieren und Negern, Zwergen und Elefanten, und man sage, sie sei die Geliebte eines indischen Fürsten, eines Radschahs oder Nabobs, 345 wie man sie nenne. Nein, das sei arg übertrieben und könne wohl auch deshalb nicht die Wahrheit sein, weil sie, wäre sie die Geliebte oder Favoritin eines orientalischen Fürsten, nicht zum Schauspieler zurückgekommen wäre und sich nicht von der Fürstin mit ihm hätte versöhnen lassen. Dieses aber sei geschehen und unbezweifelbar, denn der Zettelausträger des Theaters, der den Schauspielern die Proben anzusagen habe, hätte sie mit dem Schauspieler und dessen Hausfrau zusammen friedlich beim Frühstück sitzen gesehen. Und man munkele sogar von einem Haushalt zu dritt, wie die Sage von jenem berühmten oder berüchtigten Grafen von Gleichen zu berichten wisse. Aber dagegen sträubte sich die bürgerliche Wohlanständigkeit. Nein, das sei pure Verleumdung, und darein hätte unsere sittenstrenge Fürstin nie und nimmer gewilligt, und auch die Faustina hätte in der Fremde und im Laufe der Jahre dem wilden und zuchtlosen Leben ihrer Jugend entsagt und sei reuig und bekehrt heimgekehrt, als Niemandes Geliebte, vielmehr hätte sie ihr märchenhaftes Vermögen sich redlich mit ihrer Kunst erarbeitet und es sei dem 346 vereinten Bemühen der drei tugendhaften und frommen Frauen gelungen, auch den Schauspieler zu bekehren, so daß man künftighin seines gebesserten Lebenswandels, in der Umfriedung einer guten und bürgerlichen Ehe versichert sein könne.

Die Faustina ist heimgekehrt, und es hieß, man werde sie wieder spielen sehen können. Sie habe ein neues oder lange nicht aufgeführtes Stück mitgebracht, dessen beide Hauptrollen so beschaffen seien, als seien sie mit genauer Absicht recht eigentlich für sie und den Schauspieler geschrieben worden. Und es werde bereits eifrig daran gearbeitet und geprobt und mit solcher Lust und Kunst, daß die anderen Mitspielenden mitunter ihre Stichworte überhörten, weil sie mit offenen Augen und Ohren daneben stünden und dem Wettkampfe der Beiden zusähen und zuhörten, wie denn der Neid des Schauspielers mitunter zurücktritt, wo er sich zu ehrlicher Bewunderung gezwungen fühlt, und er sogar seines Selbstgefühls zu vergessen vermag, wenn er glaubt, zum Vorteile seiner Kunst lernen zu können. Auch sei, wurde erzählt, der bedächtige Prinzipal diesmal seiner Sache so sicher und so voll 347 Glaubens an den Beifall und Zulauf, den diese Aufführung finden werde, daß er, seiner sonstigen Sparsamkeit untreu, für die äußere Ausstattung des Werkes große Aufwendungen gemacht habe, um es mit allem erdenklichen Pomp und Prunk der berühmten beiden Protagonisten würdig und dem Auge wohlgefällig in Erscheinung treten zu lassen. Die Faustina ist wieder da; nun könne er, nicht mehr auf den einen Schauspieler allein angewiesen, alles wagen, jubelte er: der Meister habe seine Meisterin gefunden, und mit dem sich so glücklich ergänzenden Duo dieser Beiden breche eine neue Ära der Kunst an. So war im Theater alles voll Eifer an der Arbeit, es herrschte eitel Glück und Freude und schon glaubte man wahrzunehmen, wie das Geschäft sich zusehends zu heben beginne. Da der wachsende Flor des Unternehmens allen seinen Mitgliedern zugute kam und solcher Umstand, mehr noch als die Bewunderung, den Neid der Kollegen zum Schweigen brachte, herrschte allgemein eine gute und versöhnliche Laune. Auch die Kleine zeigte sich wieder des öfteren im Theater, lauschte mit deutlich an den Tag gelegter Andacht und Lernbegierde 348 den Proben, und tat, als ob alles Andere sie nicht mehr anzugehen brauchte.

Die Faustina ist wieder da, sagten die Freunde im »Einhorn« und nahmen es mit Freuden zur Kenntnis, als der von allem unterrichtete Notar ihnen von dem im Hause des Schauspielers wiedereingekehrten ehelichen Frieden berichtete. Da ja das wilde Leben dem Schauspieler auf die Dauer doch Schaden hätte bringen können, besorgte der Apotheker. Und da der Ehestand, er sei, wie er sei, noch immer der beste Stand wäre, meinte der Kaufmann. Und der Schwerenöter von Notar fügte hinzu: zumal wenn für so gute Abwechselung, wie es die Faustina wäre, gesorgt sei. Und es überdies immer noch Abwechselung der Abwechselung gäbe, grinste Rigolo, der bis dahin geschwiegen hatte.

Die Faustina ist wieder da, hieß es bei Hofe, was sagt Seine Hoheit der Fürst, was vor allem Ihre Hoheit dazu? Und da sie es höchstselbst veranlaßt hat, was mag sie dazu bewogen haben? Die Gräfin hörte nicht auf zu grübeln, zu vermuten und Anschläge gegen sich zu wittern und der Minister hatte eine schlimme Zeit. Die 349 anderen Herren freuten sich. Nun werde es wieder lustig werden. Es sei in den letzten Zeiten ein wenig langweilig geworden, klagte der lustige Domänenrat. Trauerklötrig, schnauzte der Oberst. Aber die Faustina solle anders geworden sein, als sie früher gewesen sei, das wäre schade, es hätte ihn gereizt, die tolle Faustina von damals kennen zu lernen, schmetterte der Adjutant. Man werde nicht anders, philosophierte der Abbé, und wie der Mensch einmal beschaffen sei, so bleibe er, und der Justiziar bestätigte dies, mit seinem feinen Lächeln, aus seinen Erfahrungen mehr kriminalistischer Natur. Seine Exzellenz der Intendant deutete an, Geheimnisse zu wissen, die er verschweigen müsse. Die Hofdame versprach sich gutes für ihren Günstling, den Schauspieler. Die kleine Baronin blieb nicht frei von eifersüchtigen Regungen und verriet dies auch. Der Erbprinz war, wie öfters in der letzten Zeit, bei diesen Gesprächen nicht anwesend.

Die Fürstin hatte mit ihrem neuen Vorleser, dem jungen Sekretär, im Plato gelesen. Sie schien in ihren Gedanken ein wenig zerstreut. Also die Faustina ist wieder da, sagte sie, 350 nachdenklich, statt wie sonst in die liebevolle Erörterung des Gelesenen einzutreten, und fragte den Sekretär, ob er sich, da er doch den Schauspieler so genau kenne, von der liebenswürdigen, aber doch immer noch recht wilden und ungeregelten Frau, einen günstigen Einfluß auf die Angelegenheiten des chaotisch gewordenen Mannes verspräche oder nicht; hätte sie auch selbst den Kopf, er den Arm zu diesem Unternehmen geboten, beide dem Schauspieler befreundet und sich ihrer Verantwortung bewußt, so seien ihr doch nachtrags Bedenken aufgestiegen, ob sie nicht in ihrem Wunsche, Verwirrtes aufs schnellste zu entwirren, voreilend gehandelt hätten und es unklug gewesen sei, dieses allzugleiche Gespann wieder zusammenzubringen. Worauf der junge Mann, nach einer kleinen Pause, in seiner stillen und überlegten Art erwiderte:

Um den Schauspieler sei ihm nicht bange und brauche ihr auch, brauche Niemandem, dem an des Mannes Glück, Schicksal und Zukunft gelegen wäre, bange zu sein. Nicht der Faustina wegen, seiner selbst wegen. Gewiß, die Faustina sei wieder da, sei heimgekehrt, und er, für sein 351 Teil, halte dafür, daß es gut wäre, daß sie wieder heimgekehrt sei. Der treffliche Mann werde in ihr, was für ihn vielleicht das Wichtigste sei, seines Spieles beste und würdigste Partnerin, und überdies den treuen und immer heiteren Kameraden, die stets bereite, kluge und willenstarke Helferin wiederfinden. So habe er sie während der gemeinsamen Reise kennen und wertschätzen gelernt. Und es stehe zu hoffen, daß es ihr gelingen werde, den Schauspieler von der äußeren Verwirrung seiner Angelegenheiten zu lösen. Aber selbst wenn es ihr nicht gelänge, selbst wenn sie diese Verwirrung nur zu vermehren heimgekehrt wäre, selbst wenn sie nicht heimgekehrt wäre, dieser Mann wäre nicht verloren. Denn er habe eine andere Faustina in sich, die ihm helfe, seiner innern Verwirrung Herr zu werden: seine Kunst. Furchtbar oder wie die Alten es genannt hätten, tragisch sei das Schicksal derer, denen es verhängt sei, jene innere Verwirrung, einen Dämon, ein Geheimnis in sich zu tragen, ohne es durch dieses Mittel der Kunst reinigen, in Form und Schönheit lösen zu können: ihr Los sei ein trauriges Ende im Wahnsinn. In den Griechen sehe 352 man ein ganzes Volk, von seinem Dämon gepeinigt, sich seiner durch die bacchische Raserei seiner Mysterien erwehren, bis es ihnen gelungen sei, ihn durch Schönheit und Form, durch Bildgestaltung und Tragödie zu bändigen. Die Künstler aber seien die Erben jener Griechen und so sei auch der Schauspieler einer, der beides in sich hätte, sein Geheimnis, seinen Dämon und zugleich auch die Kunst, diesen unschädlich zu machen, indem er ihn in Form und Schönheit, in Kunst verwandle.

Und Sie? fragte die Fürstin.

Er glaube, antwortete der Sekretär, er habe vielleicht die Form und Schönheit in sich, vielleicht auch nur das Wissen um Form und Schönheit, zum mindesten die Sehnsucht darnach, aber was ihm fehle, sei eben das Geheimnis. Und darum werde er es nie über die bloße Form hinausbringen, höchstens zu einer Art beschaulicher und sehnsüchtiger Lyrik. Aber die Gipfel der tragischen Kunst seien seiner undämonischen Natur versagt.

Und ich? grübelte die Fürstin. Sie sagte es nicht. Aber in der dämmernden Ferne einer grauen Zukunft sah sie ein trauriges Ende in Verwirrung und Wahnsinn. 353

 


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