Arthur Kahane
Der Schauspieler
Arthur Kahane

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13.

Man sprach während dieser Tage im Theater von nichts Anderem als vom Schauspieler. Er hatte selbst den aufregenden Gesprächsgegenstand der Briefe für eine Weile aus den Gesprächen verdrängt.

Der Prinzipal zeigte ein besorgtes Gesicht. Ob der Unersetzliche, äußerte er sich zu seiner Frau und dem alten Spielleiter, sich denn auch wirklich erholen würde; er habe ihn durch sein verstörtes Wesen, das ihm schon lange an jenem aufgefallen sei, in der letzten Zeit richtig erschreckt; ob er den Urlaub auch wirklich zum Studium des Rinaldo ausnützen werde; ob man es denn wagen könne, den unfaßlicher Weise in Ungnade Gefallenen dem Publico in dieser neuen gefährlichen Rolle vorzusetzen; ob sich dann nicht 279 dessen Wut gegen ihn erneuern würde und was man dazu tun könne, solchem vorzubeugen.

Der vielerfahrene Spielleiter riet, erst Gras über die Geschichte wachsen zu lassen: es würde nichts so heiß gegessen, wie es gekocht würde, und beim Theater käme immer alles anders.

Aber die Frau des Prinzipals meinte, an allem sei das junge Ding, die Kleine, schuld; das käme davon, wenn alte Männer, denen man doch mehr Verstand zutrauen sollte, hinter jeder Schürze her wären. Und wenn der Schauspieler von ihr nicht lassen wolle, dann solle man sie einfach zum Teufel jagen. Das wäre allen zum Vorteil: der Schauspieler, an dessen Hausfrau man schließlich auch zu denken habe, würde sich mit der Zeit beruhigen, und das Publicum, auf dessen Gunst der Prinzipal angewiesen sei, hätte seinen Willen.

Aber das wollte der Prinzipal auch nicht recht: die Kleine sei doch recht begabt und verwendbar, und überdies hätte er Anzeichen, daß sie sich neuestens auch höheren Orts einer gewissen Beliebtheit zu erfreuen beginne.

280 Die Schauspieler hatten allerlei munkeln gehört.

Ob er denn so bald wieder auftreten werde? Es solle mit seiner Gesundheit nicht zum besten stehen? fragte der erste Liebhaber, der einige von des Schauspielers Partien nachspielen durfte, ernstlich besorgt. Und die Salondame bestätigte, auch sie habe gehört, daß er mit seinen Nerven am Ende sei.

Schlimmer, urteilte der Tenor und deutete mit dem Finger auf die Stirne, man spreche von Gemütserkrankung, von einer bedenklichen Störung und Verwirrung der Sinne: mit einem Worte, er sei dem Trübsinn nahe und drauf und dran, den Verstand zu verlieren.

Er habe die hinfallende Sucht, meinte die komische Alte.

Natürlich die hinfallende Sucht, scherzte der père noble; er trinke eben.

Trinke, setzte der Intrigant fort, weil ihm ja sonst nichts übrig bleibe, da er nun einmal eingesehen habe, daß es mit seiner Begabung und seiner Kunst vorbei sei.

Zum mindesten mit seinem Gedächtnisse, 281 hatte der Bonvivant gehört, das er völlig verloren haben solle. Sei es doch ihm selbst aufgefallen, wie jener bei der denkwürdigen Aufführung des Samson an dem Kasten des Einbläsers geklebt habe.

So? an dem auch? fragte die Heroine. Sie hätte nur gemerkt, wie er am Busen, wenn man so sagen könne, der Kleinen geklebt habe, so daß man sie nicht voneinander habe bringen können und sie gemeinsam nach Hause habe schaffen müssen.

Mit der Kleinen sei es aus, wußte die Naive. Er habe sie mit dem Erbprinzen erwischt, sie geprügelt und aus ihrer eigenen Wohnung hinausgeworfen.

Da habe er Glück gehabt, tröstete die Heroine, wenn er sie bloß mit dem Erbprinzen erwischt habe.

Und das habe ihn so aus dem Häuschen gebracht, begriff der Tenor, daß er zu trinken begonnen und sein Gedächtnis verloren habe.

Der arme Mann, weinte der erste Liebhaber, da werde er wohl so bald nicht wieder spielen können.

282 So bald? neckte der Bonvivant, es sei überhaupt nicht daran zu denken, daß er je wieder die Bühne werde betreten können.

Und der Intrigant bestätigte, damit sei es aus, für alle Zeiten.

Nun, entschuldigte der père noble, sei es da ein Wunder, wenn einer aufs Trinken verfalle?

Ach was, bestritt die Heroine, er trinke nicht, sondern treibe es mit Frauenzimmern.

Und die Salondame wollte gehört haben, er sei sogar einmal in einer berüchtigten Gegend der Stadt gesehen worden.

Da lachte die Naive auf: mit Frauenzimmern, in einer berüchtigten Gegend einmal gesehen worden! Er wohne in Freudenhäusern, und was er Tag und Nacht mit den ausgepichtesten Huren der Stadt triebe, das wisse sie, durch Zufall, ganz genau und schickte sich an, zu erzählen.

Alle blickten auf Rigolo und dieser, mit dem ernsthaftesten Gesicht von der Welt, begann: Sie hätten alle recht und es sei wahr, der Schauspieler trinke und hure mit den Huren, 283 was sogar mitunter bekömmlicher sei als mit den naivsten Gänsen, und beides so ausgiebig, daß ihn die jüngsten Gelbschnäbel und Liebhaber darum beneiden könnten, und er habe sein Gedächtnis und seine Kunst und seinen Verstand verloren, den der Tenor leider nicht gefunden habe, und leide an der fallenden Sucht, an Melancholie und hypochondrischem Gemüt und an der Pest und Cholera obendrein und sei gestorben und begraben und fange bereits an zu verwesen, aber in vierzehn Tagen vermutlich werde er wieder auferstehen und wieder auftreten, mit einem funkelnagelneuen Gedächtnis und einem Rinaldo, daß ihnen allen in ehrlichem kollegialen Mitgefühl vor Entzücken Hören und Sehen vergehen würde. Was er ihnen, ebenso aufrichtigen Herzens, gern vergönnte.

Die Anderen meinten, er sei ein Spaßvogel und ewiger Witzemacher, den man nicht ernst nehmen könne und bei dem man nie recht wisse, was man ihm glauben dürfe und was nicht. Um den Schauspieler aber sei es schade, um den Künstler ebensowohl wie um den Menschen und 284 Kameraden, wenn anders man auch nicht leugnen könne, daß er seine Schrullen gehabt, sich mitunter recht hoffährtig und hochmütig gezeigt und gerne abseits gestanden habe, und vertieften sich nun liebevoll darein, auch die anderen Fehler des berühmten Mannes aufzuzählen.

Der Sekretär war in diesen Tagen von der geheimnisvollen Reise, die er mit dem Auftrage des Intendanten unternommen hatte, noch immer nicht zurückgekehrt.

Auch unter den Bürgern der Stadt war allerlei seltsames Gerede über die Abenteuer des Schauspielers im Umgange.

Die Freunde im »Einhorn« saßen bekümmert. Hatte sie schon der Bericht über jene seltsame Theateraufführung mit den Wutausbrüchen, die ein in seiner Sittlichkeit empörtes Publicum gegen den bisher so hoch angesehenen Mann richtete, und mit allem, was drum und dran hing und zur Erklärung des überraschenden Vorganges nachträglich bekannt wurde, mit der Geschichte der sträflichen Beziehung zu einer verführerischen und lasterhaften Schauspielerin, mit der Entdeckung des Geheimnisses durch das 285 Auftauchen der rätselhaften Briefe, mit der darauf erfolgten Störung des häuslichen Friedens, hatte das alles die Braven nicht wenig aufgeregt! Und nun vollends, was der in diesen Tagen besonders geschäftige Notar von den schwirrenden Gerüchten aufgefangen und mitgebracht hatte: der Freund habe seine Hausehre kurzer Hand aus dem Tempel gejagt, um seine Geliebte zu heiraten; darauf habe des Schauspielers Hausfrau sich schutzflehend an höchstselbst die Fürstin gewandt, habe einen Fußfall getan und es durchgesetzt, daß der Schauspieler in Ungnade gefallen sei; darauf habe man es von oben veranlaßt, daß der Prinzipal seinem besten Mitgliede und Stern seiner Truppe gekündigt und ihn stehenden Fußes entlassen habe. Zu guter letzt habe nun auch die Schuld und Ursache des ganzen Unglücks, eben jene unbedeutende und übel beleumundete kleine Schauspielerin, sich treulos und undankbar von dem Geliebten abgewandt und ihm den Laufpaß gegeben, worüber der arme Mann nun völlig den Kopf verloren habe und in einen Trübsinn verfallen sei, in dem er die tollsten Torheiten beginge. Was 286 Wunder, daß die drei trefflichen Getreuen darüber selbst aus dem Häuschen gerieten und an der Welt und ihrer Wirklichkeit zu verzweifeln versucht waren! Der Kaufmann schüttelte nur immer wieder den Kopf, wie es möglich sei, es so weit zu treiben, daß sogar die Hausfrau es erfahren mußte und der Friede des Hauses, der nun doch einmal das Heiligste sei, gefährdet würde: dem ängstlichen Apotheker hatte der Freund, als er ihn das letztemal sah und sein hastiges Trinken beobachtete, gleich nicht gefallen und er hatte das Schlimmste, freilich nicht so Schlimmes, befürchtet; und nur der Notar, der sich durch das auch ihn streifende Teilchen des Abglanzes der von ihm gemeldeten verwegenen und abenteuerlichen Dinge für diese als mit verpflichtet empfand, meinte, er verstehe den Schauspieler und die Hauptsache sei, gelebt und genossen zu haben, je toller, umso schöner, wenn er auch andererseits zugeben müsse, daß man auch lieben und genießen könne, ohne gerade Hof und Publikum unbillig und unklug vor den Kopf zu stoßen. Aber alle drei jammerte des verlorenen Freundes, der von solcher Höhe bürgerlicher 287 Angesehenheit durch unglückliche, der besonnenen Beschränkung bürgerlicher Denkweise unfaßbare Fehltritte und Verstrickungen in den Abgrund der Schande und Verfehmung gestürzt sei.

Andere, weniger Wohlwollende, wußten Anderes. In den bürgerlichen Häusern, in den bürgerlichen Köpfen und den Gesprächen der bürgerlichen Familien wuchs der Schauspieler zu einem Lovelace und Verführer, zu einem Weiberschreck, vor dem man die Phantasien der mit hochroten Köpfen lauschenden Töchter und Jungfrauen zu warnen und zu behüten hatte. Man erzählte einander von unzähligen Liebschaften und Verhältnissen des Unersättlichen. Man raunte von furchtbaren geheimen Lastern und Neigungen. Man schilderte Orgien und Bacchanale der Unzucht, die der Schauspieler in der entfesselten Schamlosigkeit des Lupanars feierte. Man munkelte von Mißhandlungen, von Blut und Vergewaltigung, ja es fehlte nicht viel, so hätte man ihm auch Verbrechen und Mord zugeschoben. Den einen erschien er ein rettungslos dem Trunke Ergebener, der in der Sinnlosigkeit seiner 288 Berauschtheit jeder Schandtat fähig würde, den Anderen ein Kranker, ein armer Narr, ein dem Irrsinn Naher oder längst schon Verfallener, der ohne zu wissen, was er tat, das Ungeheuerlichste tat; und Allen als Einer, dem man schon um seines Berufes willen zutrauen durfte, das, was man ihn allabends auf der Bühne verüben sah, tagsüber auch im wirklichen Leben zu verüben. Man bemitleidete seine Frau, der er das Schicksal einer Dido oder Ariadne bereitet hatte. Man weissagte der Kleinen, wenn anders sie nicht schon in ihrem jungen Blute schwamm, daß ihr kein besseres Los, als einer der Frauen Blaubarts beschieden sein würde. Man sah ihn gleich dem rasenden Ajax alles vernichten, was in seine unselige Nähe kam. Der gestern noch der Liebling Aller war, wurde zu einem von Allen Gemiedenen, dem man im weitem Bogen scheu und vorsichtig auszuweichen sich vornahm, wenn er um die nächste Straßenecke biegen sollte. Aber man hörte, trotz den ängstlichen Gefühlen, nicht auf, ihn zu beobachten, und wenn man ihn dann des Abends, den Mantel umgeschlagen, den Hut tief in die Stirne gedrückt, mit dem durch einen 289 umgehängten oder angeklebten Bart vergebens unkenntlich gemachten Gesicht scheu durch die winkeligen Gassen schleichen sah, so war dies nicht angetan, die Fülle der schwirrenden Gerüchte zu zerstreuen oder zu besänftigen.

Sie setzten sich, in anderer Gestalt, auch bei Hofe fort. Die Peinlichkeit der Briefe, die vor der skandalösen Chronik der ersten Gesellschaft nicht Halt gemacht, im Gegenteil manche verschwiegene Heimlichkeit in grelles Tageslicht gerückt hatten, der verdrießliche Vorfall jener lärmenden Samsonaufführung, umso verdrießlicher, als auch die Gegenwart der höchsten Persönlichkeiten dem Ausbruche der Wut nicht Zügel anzulegen vermochte, hatte eine gewisse gedrückte und erkältete Stimmung geschaffen, die sich, mochte der Einzelne und, vor Allem, die Einzelne, noch so freundlich für ihn eintreten, gegen den Schauspieler als ihren unmittelbaren Anlaß und Anstoß, richtete. Die Hofdame freilich, die allzeit Getreue, verteidigte ihn so warm wie zuvor. Sie bestritt, selbst gegen den Augenschein, sogar die über Freundschaftliches hinausgehende Natur der Beziehung zur Kleinen und erklärte 290 sie als ritterliches Eintreten für die Angegriffene. Aber sie stand allein mit ihrer Auffassung. Die Anderen lächelten. Sogar die kleine Baronin, selbst nicht ohne eifersüchtige Anwandlung, warf ihr vor, nicht sehen zu wollen, was sie nicht glauben wolle, nicht, weil sie nicht glaubte, daß es sei, sondern, weil sie es nicht wollte, daß es sei, was aber, so schade es wäre, doch sei. Und der Intendant bestätigte, indem er, wenn auch nur in Andeutungen, Alles berichtete, was über des Schauspielers Besuche in der kleinen Wohnung der Nachbargasse erzählt wurde, manches mit einem wie beiläufigen Streifen von Einzelheiten, das den Anschein weckte, als könne es von Niemanden als der Kleinen selbst herrühren. Die Hofdame blieb standhaft: sie könne derartiges vom Schauspieler nicht glauben; und wenn sie es von der Kleinen selbst hörte, würde sie eher annehmen, jene lüge, was sie von der Eitelkeit jeder Frau anzunehmen geneigt sei, als daß sie den Freund, den sie besser zu kennen meine, preisgäbe.

Hierin widersprach ihr der Abbé. An die Leidenschaft und Sinnlichkeit des Schauspielers glauben, meinte er, hieße doch nicht, ihn 291 preisgeben: im Gegenteil, hieße nicht daran glauben an seiner Begabung und an seinem Berufe zum Schauspieler zweifeln. Wenn auch nicht allen Gerüchten, die im Umschweife wären, blindlings zu folgen wäre, so sei doch, bei Lichte besehen, nichts darunter, was einer großen und leidenschaftlichen Natur, wie es die des Schauspielers, wie es jede schöpferische sei, nicht zuzutrauen wäre. Menschen dieser Art und dieser Tätigkeit seien mit anderen Maßen zu messen als Andere, seien tieferen und heftigeren Begierden und Erschütterungen unterworfen, als Andere, und wenn nun noch, wie im Falle des Schauspielers, das hinzukäme, daß ein die Leidenschaft gewissermaßen als Beruf Ausübender in jenes Alter einträte, in dem, wie man es aus des Freundes eigenem Munde wisse, Körper und Seele des Mannes wunderlichen Krisen ausgesetzt seien, wie sollte man es nicht glauben, daß er sich zu manchem Tun fortreißen ließe, das man von Anderen nur mit Kopfschütteln, ja nur mit strenger Verurteilung hinnehmen könnte? Wohl jenem, bei dem eines Tages das schlimmste Erlebnis doch wieder in Werk der Kunst umgesetzt, 292 in Schönheit verwandelt, strahlend ans Licht treten werde!

Die Hofdame dankte dem menschlichen Manne für seine milde und duldsame Erklärung, wenn es ihr auch noch immer schwer und schmerzlich wurde, den Namen des Freundes, dem man so viele Feste der Schönheit danke, in Verbindung mit wüsten und gemeinen Dingen zu hören. Die kleine Baronin gestand, errötend und mit ihrem Kinderlächeln, für sie sei diese Vorstellung gar nicht schmerzlich, sondern, im Gegenteil, eher mit einem gewissen angenehmen Gruseln verbunden und, wenn sie aufrichtig sein solle, mit ihrem Bilde echter Männlichkeit sehr wohl vereinbar. Die anwesenden Herren widersprachen, aber wohl nur, um den anständigen Schein zu wahren, und ihr Protest klang mehr geschmeichelt als beleidigt. Man konzedierte, immerhin, die Schauspielerin als äußerste Grenze des in der Liebe gesellschaftlich Zulässigen, bestritt aber die Möglichkeit, in tiefere Schichten niederzusteigen, als wo eben die Sphäre des Wüsten und Gemeinen beginne. Den Herren, unter ihnen der Domänenrat und der Oberst, die ihre rusticalen 293 Erinnerungen zu vergessen vorzogen, schien die Frage nach der Persönlichkeit der liebenden Tätigkeit im Vordergrund, den Inhalt der Tätigkeit übergingen sie mit Stillschweigen.

Der Intendant erzählte, ihm seien derartige Anwandlungen und Neigungen des Schauspielers schon seit längerem bekannt und kämen ihm nicht überraschend. So habe er den Mann eines Tages in seiner Wohnung besucht, und da habe ihm jener, mit dem Stolz und der Begeisterung des erfahrenen Kenners, eine kleine Sammlung von Tabatièren und Döschen gezeigt, erlesenen Stücken übrigens, wie er, selbst Kenner und Sammler, bezeugen könne, mit amoureusen Malereien, galanten Szenen und Figuren aus der Mythologie, von höchst scabröser Natur. Schon damals sei es ihm aufgefallen, in einem wie seltsamen Glanze die Augen des Mannes bei der Betrachtung der abgeschilderten Nuditäten aufgeleuchtet hätten. Nun hieße es in Geduld abwarten, wie sich der allerdings bedenkliche Gesundheitzustand des Bedauernswerten entwickelte, ferner wie sich die Stimmung bei dem mit Recht gereizten Publico, und vor Allem 294 bei den hohen Herrschaften gestaltete. Über alle die zahllosen Gerüchte, die bei den Ununterrichteten im Umlaufe und verbreitet wären, möchte er sich, so genau er, seiner Stellung entsprechend, Bescheid wüßte, zunächst, als über ein Amtsgeheimnis gewissermaßen, noch nicht äußern, zu seinem schmerzlichen Bedauern, den schönen Hörerinnen nicht besser dienen zu können. Ob es zur Scheidung von der Hausfrau, ob es zur Heirat der Kleinen oder zum endgültigen Zerwürfnis kommen werde, ob der Schauspieler wieder auftreten werde oder nicht, das alles hänge von dem Zusammenwirken vieler Faktoren ab, deren Fäden in der Hand zu behalten für ihn eine schwere, verantwortungsvolle und vor Allem die strengste Verschwiegenheit erfordernde Aufgabe sei.

Man ehrte seine Verschwiegenheit und die Gerüchte nahmen immer ausschweifendere Formen an.

Als man der Fürstin von den Vorgängen erzählte, zeigte sie besonders für die Angelegenheit der Briefe lebhaften Anteil. Es sei doch immer von Neuem überraschend, sagte sie, wie viel 295 Häßliches es in der Welt gäbe, von dem man keine Ahnung habe. Welche Verworfenheit, welche Kenntnis des Bösen und Gemeinen, welche Bosheit und Gemeinheit der eigenen Seele gehöre dazu, solche Briefe abzufassen, zu schreiben, zu versenden! Aber umso notwendiger sei es auch, unablässig an der eigenen Veredelung und Läuterung zu arbeiten, um alle Keime des Bösen im Herzen zu ersticken, und die härtesten Ansprüche an die eigene Sittenstrenge und Reinheit zu stellen. Nur dem herbsten Ernst, der fleckenlosesten Sittlichkeit sei es gegeben, zum Vorbild zu werden, durch das allein solche entsetzlichen Auswüchse der Schlechtigkeit in der Welt allmählich unmöglich werden könnten.

Auch über den Schauspieler urteilte sie streng, aber nicht hoffnunglos. Es gäbe für ihn nur eine Heilung, ihn seiner Kunst zurückzugewinnen, und sie versprach sich für ihn Alles von der Faustina, für deren Rückkehr Schritte unternommen zu haben, sie geheimnisvoll andeutete.

 


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