Arthur Kahane
Der Schauspieler
Arthur Kahane

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15.

So war denn die Faustina in der Stadt eingetroffen, hatte ihren Troß, den sie auf ihren Reisen mitzuschleppen liebte, im »Einhorn« untergebracht, wobei die abenteuerlich und bunt anzusehende Kavalkade von Kavalieren, Adoranten, Zofen, Lakaien, Friseuren, Schneiderinnen, Papageien und anderem exotischem Getier, nebst ganzen Wagenfuhren von voll mit Kostümen gepfropften Koffern und ungeheueren Hutschachteln, auf dem Marktplatze nicht geringes Aufsehen hervorrief, hatte diesmal selbst die Bimba, ein Kind von etwa vierzehn Jahren, das sie auf einer ihrer letzten Reisen irgendwo aufgegriffen hatte und von dem sie sich seither nie zu trennen pflegte, im Gasthofe zurückgelassen und war in das Haus des Schauspielers geeilt, war diesem, ohne sich um Erstaunen und sichtlichen Verdruß der danebenstehenden Hausfrau zu kümmeru, um den Hals gefallen, ihn herzhaft abküssend, um dieses nicht minder herzhaft im nächsten Augenblick bei der aus einem Verdutzen ins andere Fallenden und vergeblich sich Wehrenden zu wiederholen. Und wer sie bei 328 alledem begleitete und nun vergnügt danebenstand, lächelnde Zufriedenheit im Gesicht, daß ihm dies alles so wohl gelungen war, recht nach dem geheimen Auftrage Ihrer Hoheit der Fürstin, die sich den ihr noch Unbekannten hinter dem Rücken des Schauspielers hatte kommen lassen und mit ihm alle Einzelheit der Mission gnädigst und vertrauensvoll besprochen hatte, wie er es am besten fertig bekäme, die in der Welt Vagabundierende ausfindig zu machen, sie zu überreden und die Unzuverlässige gleich mit sich herzubringen, das war zu des Schauspielers nicht geringer Überraschung dessen junger Freund, der Sekretär.

Und neben ihm stand, nein, lief, sprang, tanzte, wirbelte, saß, lag, fuhr auf und tanzte wieder und alles das zugleich die Faustina, wirklich und leibhaftig, in ebendemselben wohnlichen Landhause, an dem sie schon damals, zur Zeit ihres kurzen Beieinanderlebens, nie vorübergehen konnten, ohne es mit begehrlich wünschenden Blicken, wenn auch nur von Ferne, anzuschauen und es mit unzähligen Träumen umzugestalten, weiter zu bauen, einzurichten und 329 auszuschmücken, wenngleich die beiden von ewigen Geldnöten Bedrängten nie zu hoffen wagen durften, es je wirklich in Besitz zu nehmen, und nun gehörte das Haus dem Schauspieler, und die Faustina stand da und tat just so, als wäre sie nie fort und nie anderswo zu Hause gewesen als eben hier. Den Schauspieler dünkte, als wäre alle die Zeit dazwischen der Traum einer Nacht oder als hätte die Ruhelose gestern eine ihrer kleinen Reisen über Land unternommen und wäre heute wieder heimgekehrt. Sie war unverändert, ebenso schön wie sie je gewesen war, nur voller, üppiger, in den Formen weicher und runder, frauenhafter an Büste, Hüfte, Gang, und, ein paar kurze Minuten lang, solange sie grade daran dachte, in ihrer Haltung gemessener, weil man ja doch nicht ungestraft Jahre hindurch die vielen Königinnen spielt. Bis dann plötzlich in einer überraschten Wendung, in einer schnellen Grimasse des kecken und flinken Gesichts ungewollt der gassenbübische Schalk voräugte, dem so gar nichts Königliches, ja nicht einmal ein besonderer Respekt vor Königlichem zu eigen war. Sie hatte wohl schon zu viel davon, und aus der nächsten Nähe, gesehen.

330 Auf den Sturm der ersten Begrüßung folgte eine zweite, mit vielem Fragen, die nicht auf Antwort warteten, nach einem Hündchen zuerst, das längst verreckt war, dann nach dem Theater, dem Prinzipal, den Kollegen von damals, den Kolleginnen von heute, nach dem Hofe, nach verschollenen Freunden. Und dann, in einem Nebenraume, ein unendlich langes, geheimes Zwiegespräch der Faustina mit der schon um einiges weniger verdrießlich dreinschauenden Hausfrau, indeß die beiden allein gelassenen Männer von den Vorgängen und Zwischenfällen der geraumen Zeit, in der sie einander nicht gesehen hatten, Bericht erstatteten.

Endlich erschienen die beiden Frauen wieder, Arm in Arm, in zärtlichstem Einvernehmen, die Hausfrau schon beinahe ein Lächeln in den Blicken. Nach kurzer Weile verschwand, auf ein Augenzwinkern der Faustina, die Hausfrau wieder geheimnisvoll, der Sekretär empfahl sich und die Beiden blieben allein, wobei die Faustina, ohne viel Federlesens und längere Einleitung, den Schauspieler über alle Vorkommnisse der letzten Zeit, von denen sie stück- und 331 gerüchtweis einzelnes Unverbürgte bereits, nicht durch den Sekretär, vernommen hatte, kurzerhand ins Verhör nahm.

Er beichtete, wie ein braves Beichtkind dem Beichtvater seines Vertrauens, aufrichtig und gründlich, ohne zu verschweigen noch zu beschönigen, alles: den Stand seiner Ehe, die Liebesbeziehung zur Kleinen, die Hörigkeit, in die er geraten sei und in der sie ihm die beiden Eide erpreßt habe, ihr die Armida zu verschaffen und sich von seiner Hausfrau zu lösen, um sie zu heiraten. Er berichtete von der Hetze der rätselhaften Briefe, dem Lärmvorgange im Theater, dem unfreiwilligen Urlaube. Er gestand seine Lasterwege durch die verrufenen Gassen und Häuser der Stadt, und alles, was er dort geschaut, gelernt und verübt hatte. Und verheimlichte auch die wüste Geschichte seines Besuches auf dem Landgute des Gutsherrn nicht. Er erzählte von seinem Kämpfen und Ringen mit der Rolle des Rinaldo, von der Verzweiflung, die ihn bereits überkommen hatte, sein Gedächtnis, seine Kunst, die Kraft der Jugend verloren zu haben, und von der seltsamen Wandlung in jener Nacht, in 332 der er alles Verlorene wiedergefunden zu haben glaubte. Und verschwieg von allem, was er erlebt und was auf ihn gewirkt hatte, nichts als das Gespräch mit Rigolo, das er nicht als sein, sondern als das Geheimnis eines andern ansah. So schloß er, indem er ihr wehmütig lächelnd zugestand, daß die Verwirrung seiner Angelegenheiten, in der sie ihn bei ihrem Fortlaufen zurückgelassen habe, ein Kinderspiel gegen das Chaos sei, in dem sie ihn bei ihrer Rückkehr antreffe, und das zu entwirren, sie sich so mutig und entschlossen anheischig gemacht habe und, vermöchte sie es nicht, keinem anderen Sterblichen gelingen würde. Dann bliebe ihm, da er jene beiden Eide einzulösen außer Stande sei und seine Kunst ihm zu hoch stehe, um den Künstler noch einmal dem Rasen einer gegen den des Meineids bezichtigten Menschen leicht zur Wut zu reizenden Menge auszuliefern, nichts anderes übrig als der Verzicht auf seine Kunst in der Fülle ihrer Kraft und ein Versinken ins Unbekannte.

Aber von solchem Kleinmut wollte die Faustina nichts hören. Der tauge zu ihm nicht, so wenig wie es zu ihr passe, von einem 333 Geschäfte zurückzubleiben, bloß weil es schwierig scheine. Es gebe nichts Unmögliches für den, der an nichts Unmögliches glaube. Sie sehe keinen Anlaß für ihn zu Verzweiflung und Verzicht, solange er an seine Kunst glaube, und traue sichs auch gar wohl zu, die so verwirrt scheinende Angelegenheit zu entwirren. Nur müsse er sie gewähren lassen, ihr vertrauen und sie die Sache auf ihre Art betreiben lassen. Ihre Art aber sei, nichts zu verschieben, und alles, was sie unternehmen wolle, sofort, ohne Verzug anzugehen. Sie habe ihm aufmerksam zugehört, sich alles genau gemerkt, wohl überlegt und wisse nun auch schon, wie und in welcher Folge sie es angreifen wolle. Das Beste gebe dann der Augenblick, auf dessen Eingebung sie sich verlasse. Zuerst kämen die Männer dran: mit denen würde man am leichtesten fertig. Sie wenigstens. Dann das Publikum, das fast so unberechenbar sei wie ein Weib. Aber dann doch auch wieder so verliebt wie ein Mann und so leicht zu fangen wie ein solcher. Und zum Schlusse die Frauen. Die seien am schwersten zu behandeln. Die wüßten nicht, 334 was sie wollten, sondern wollten nur immer das nicht, was der Andere wollte. Und dagegen käme man am schwersten auf. Am schwersten werde das Gespräch mit der Kleinen werden. Das wisse sie schon. Aber wenn man etwas von ganzem Herzen wünsche und den Mut habe, es dem Andern zu sagen, was man wünsche, ungehemmt, unerwartet, ins Gesicht hinein, setze man oft das Unglaubliche durch und erreiche, daß Menschen das Entgegengesetzte ihres Vorsatzes, ja ihres klaren Vorsatzes täten. Denn nichts mache sie so schwach, als sich überrascht einem starken Wunsche gegenüber zu sehen. Alle, selbst die Frauen, würden dann schwach. Sie natürlich nicht, sie sei die Ausnahme. Und auch bei ihr käme es darauf an, welcher Art der starke Wunsch sei und wer ihn habe. Aber darüber könnten sie später verhandeln, jetzt hätte sie keine Zeit, jetzt müsse sie sich an die ihrer harrende Aufgabe machen. Denn bis morgen müsse alles erledigt sein. Morgen müsse die erste Probe der »Armida« stattfinden. Sie brenne darauf, diese Rolle zu spielen, die für sie geschaffen und für die sie geschaffen sei und die natürlich keine 335 Andere als sie spielen könne und dürfe. Also zuerst ins Theater, denn erstens gehöre sich das so und sehne sie sich danach, das Theater wiederzusehen, und zweitens, um mit dem Prinzipal zu sprechen, ihm den Urlaub und die Furcht vor neuen Ausbrüchen der öffentlichen Sittlichkeit auszureden und die Probe für morgen durchzusetzen. Und dann den Kampf mit dem Publico aufgenommen. Am klügsten wäre es, die Aufführung der »Armida« gleich anzuzeigen, und daß er den Rinaldo, sie die Armida spiele. Ihr Name müßte natürlich sofort genannt werden. Das würde, bei ihrer Beliebtheit und dem Anhange, den sie noch immer in allen Kreisen des Hofes und der Stadt habe, ungeheueres Aufsehen und eine günstige Voreingenommenheit für die Aufführung hervorrufen. Und man würde sehen, ob man mit neuen Briefen oder sonstiger Gegenwirkung, gegen die anzukämpfen sei, zu rechnen habe. Ob man denn den Urheber oder vielmehr, wie selbstverständlich, die Urheberin jener Briefe kenne?

Der Schauspieler verneinte die Frage.

Es sei, erriet die Faustina, wahrscheinlich die 336 Unwahrscheinlichste. Wer denn die tugendhafteste Frau der Stadt sei? Diese würde es sein. Denn auf solche Weise pflegten tugendhafte Frauen sich für das ihnen entgangene Vergnügen zu entschädigen und sich an den anderen Frauen zu rächen, die klüger und vergnügter gewesen seien.

Der Schauspieler dachte, betrübt, an die tugendhafteste Frau der Stadt und schwieg.

Dann zur Fürstin, sagte die Faustina.

Der Schauspieler sah sie erstaunt und fragend an.

Sie würde, setzte sie, erklärend, auseinander, dann gleich vom Theater weg zur Fürstin fahren und bei dieser um eine Unterredung ansuchen. Denn diese sei ihr immer gnädig und gewogen gewesen und würde sie seine Sünden, die der sittenstrengen Frau freilich ein Greuel sein müßten, nicht entgelten lassen. Ob er sich das je hätte träumen lassen, daß sie, die Vielgescholtene, dereinst mit ihrer Tugend die Folgen seiner Lasterhaftigkeit würde gutzumachen haben? Gleichviel, ihr und keiner anderen würde die Fürstin seine treulose Abkehr von der Seelenfreundschaft verzeihen, umsomehr 337 als sie ihr gleich einen tüchtigen, jungen Vertreter und Adepten der Seelenfreundschaft zu stellen wüßte. Und die Vergebung und günstige Gesinnung der Fürstin sei notwendig, denn stünde diese hinter ihnen, so hätten sie den halben Hof und die ganze Stadt auf ihrer Seite: wer würde sich's vergessen, zu urteilen, wo die Unantastbare freigesprochen habe? Und die Unantastbare werde freisprechen, das verbürge sie. Dann bliebe nur noch das schwerste Stück ihrer Arbeit, die Kleine. In diesem Kampfe aber stehe ihre Frauenehre auf dem Spiele, und daß sie da nicht nachgeben werde, bis sie gesiegt habe, dafür müsse er sie kennen. Die Kleine müsse dafür büßen, daß sie sich unterfangen habe, ihn Dinge zu lehren, die er von ihr nicht gelernt habe, und ihm eine Liebe beizubringen, von der sie selbst nichts gewußt habe. Damals wenigstens. Man sei eben immer noch viel zu unschuldig und müsse sich von Kindern beschämen lassen. Heute könnte ihr das nicht mehr widerfahren. Aber das sei das Einzige, was eine Frau von Stolz einer andern nie vergeben könnte. Und darum möge er ruhig sein; sie würde mit der 338 Kleinen schon fertig zu werden wissen. Und was die Hauptsache sei: morgen werde die Armidaprobe sein und als Armida sie auf der Bühne stehen und nicht die Kleine.

Und sie schloß: wenn alles glücklich vorüber sein werde, dann habe sie für ihn noch eine große Überraschung im Hinterhalte, ein Geschenk, das sie ihm von der Reise mitgebracht habe. Aber, wie gesagt, nicht früher, als bis er den Rinaldo, sie die Armida mit großem, mit ganz großem Erfolge gespielt hätten.

Eben als sich die Faustina anschickte, das Haus zu verlassen und ihre Wege zu beginnen, trat die Hausfrau ins Zimmer. Sie war so verwandelt, daß sie kaum wiederzuerkennen schien. Statt der dunklen und fast nachlässigen Gewandung, die sie sonst zu tragen pflegte und die sie zwiefach älter erscheinen ließ als sie den Jahren nach war, hatte sie ein mit Sorgfalt gewähltes, ihr wohl zu Gesicht stehendes Kleid in zarten, hellen Farben angelegt, in dem sie schlank und fast jugendlich aussah. Desgleichen hatte sie die unförmliche Haube, unter der sie sonst ihr nicht allzuordentlich gepflegtes Haar 339 verbarg, abgetan und dieses in einem zierlichen Knoten hinaufgesteckt. Ein verschämtes Lächeln, das sie vergebens zu unterdrücken suchte, spielte ihr um Mund und Augen und machte den Ausdruck des Gesichtes weich und liebenswürdig, und als dieses, über das sichtliche Wohlgefallen, das sowohl der Schauspieler wie die Faustina über die überraschende Wandlung in einer besonders herzlichen Begrüßung bezeigten, vollends errötete, war der Anblick ein so lieblicher, daß Beide, der Schauspieler und die Faustina, nicht anders konnten, ihr um den Hals fielen und sie herzlich abküßten.

Darauf ging die Faustina, und der Schauspieler sprach, seit langer Zeit zum erstenmal wieder, seiner Hausfrau die Rolle des Rinaldo vor.

 


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