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3. Kapitel
Allerlei Überraschungen

Es war fünf Tage später. Frank Allan hatte mit Absicht gewartet; jetzt aber war der letzte Abend der »Grünen Woche« gekommen. Der Detektiv wußte, daß jeder Taschendieb gern dorthin zurückkehrt, wo er einmal erfolgreich gearbeitet hat, und in der elften Stunde betrat er den Zigeunerkeller. Freilich, man konnte in dem behäbigen, ostpreußischen Dialekt redenden Herrn, der sich mit den etwas fragenden Augen des Fremden umschaute, der die Großstadt nicht gewöhnt ist, den Amerikaner nicht erkennen; und seine große Kunst ließ sogar das hagere Gesicht des Amerikaners verändert erscheinen.

Langsam, immer sich suchend umblickend, schritt er durch die schmalen Gänge des wieder überfüllten Lokals; dann hatte er einen Platz gefunden, setzte sich nieder und rief den Kellner.

»Eine halbe Flasche Schampus!«

Er markierte den etwas Angeheiterten und quittierte mit schnellem Blick, daß man ihn beobachtete und auch den Hundertmarkschein sah, mit dem er gleich zahlte und den Rest arglos in die Westentasche steckte.

Nicht weit von ihm saßen an einem Tische drei Menschen. Ein junges, allerdings heute, wohl um die blauen Flecke zu verbergen, stark geschminktes Mädchen, eine würdige Dame und ein Herr, der eine große Hornbrille trug, im schwarzen Anzug.

Das Mädchen hielt den Kopf gesenkt. Der Detektiv, der in die Speisekarte vertieft schien, sah, wie die Alte ihr etwas zuflüsterte, auf ihn zeigte; das Mädchen aber schüttelte den Kopf, und die Mutter wurde ärgerlich.

Bisweilen hob die Junge den Blick, schielte nach dem vermeintlichen Agrarier herüber, versuchte zu lächeln; aber immer wieder erstickte dieses Lächeln in einer Grimasse.

Dann sah auch der junge Mann einmal auf – einen Augenblick tauchte ein rascher, lauernder Blick in das Auge des Detektivs, dann trank der junge Mann sein Glas leer und rief: »Ober, zahlen!«

Frank Allan hatte bemerkt, wie ein ganz kurzer Blick zu der Alten hinübergeflogen war, den diese verstand. Während der Mann, den der Detektiv ganz unbeachtet ließ, die Stufen emporstieg, fing die Frau an, laut und lachend auf die Tochter einzureden.

Auch der »Agrarier« zahlte, aber mit Absicht erst, nachdem der »Bebrillte« sicher fort war, und ging schwerfällig die Treppe hinauf, um in der Toilette zu verschwinden, aber nur für kurze Zeit. Als er wieder herauskam, schlotterte allerdings der Mantel etwas um seine schlank gewordene Gestalt, er trug eine Mütze, eine Brille und hielt in der Hand ein Paket, das seine bisherige »Leibesfülle« enthielt.

Nun ging er augenscheinlich frierend und eilig immer neben der Omnibushaltestelle auf und nieder, ließ aber einen Wagen nach dem anderen vorüberfahren, bis endlich die beiden Damen einstiegen. Rasch sprang er ebenfalls auf und stieg ungesehen in das obere Rauchabteil hinauf.

Am Alexanderplatz verließen beide Frauen den Omnibus, gingen ein Stück durch die Alexanderstraße und verschwanden an einer Ecke in einem Bouillonkeller. Der Detektiv folgte ihnen nicht, beachtete nur genau die Hausnummer; dann winkte er einer Autodroschke, fuhr höchst zufrieden heim und legte, nachdem er es noch einmal sehr genau betrachtet hatte, des jungen Mädchens Bild, das er damals im Vorraum der Bank dem Fabrikbesitzer zurückzugeben »vergessen« hatte, auf seinen Schreibtisch. – – –

Auch am Nachmittage war der Bouillonkeller in der Alexanderstraße stark besucht. An den Tischen saßen allerdings fast nur Männer, die eifrig miteinander sprachen und bisweilen rasche Blicke durch das Lokal schickten, wenn ein neuer Gast die Treppe herabkam.

Ein schäbiger, alter, galizischer Jude, der offenbar hier noch fremd war, kam herein, stolperte im Halbdunkel des rauchigen Raumes die letzten Stufen herunter, lachte etwas verlegen, ließ sich eine Tasse von dem Gebräu geben, das der dicke und herkulisch gebaute Wirt »Kaffee« nannte, und blickte sich mit Augen um, die entschieden Anschluß suchten.

Endlich stand ein anderer Galizier auf und setzte sich zu ihm.

»Suchste was?«

Der Alte nickte.

»Jach suche e Mann, wo mer verkauft für en bekowenen Preis ene japanische Note über tausend Yen.«

»Nu, was sagste nich gleich, de willst e Geldstück vom Mond?«

»Kann ich dafür, daß der Mann, wo mer gibt den Auftrag, grad will haben japanischen Kies?«

»Jach werd' amal fragen unter meine Freinde.«

Nach einiger Zeit kam der Mann wieder zurück.

»Dussel haste! Ist wahrhaftig e Mann da, e sehr reeller Mann, e Mann, der zu unsereins paßt, ist kein Perkochgänger (Rauber), sondern wo ist a ganz feiner Paddenzieher (Taschendieb), was hat geflebbt a japanische Note und wird dir geben.«

»Ist er hier?«

»Kommen wird er, denn er kommt immer des Nachmittags hierher, um zu machen e Geschäft oder auszubaldowern, wo ist ains zu machen.«

»Jach will warten, jach habe Zeit.«

»Was gibt's zu verdienen, wann ich bringe den Mann? Ist der Tod umsonst?«

»Hab' jach nur a paar Pfennige Provision, will jach dir geben zwanzig Mark.«

»Sagen wir dreißig, zehn jetzt, zehn, wann ist perfekt das Geschäft.«

»Bist a Kochim!«

»Sind wer Ganowen alle zusammen. Wer macht auf de Tür? Wer kommt zu gehen herab die Treppe? Ist es der Mann, werd' ich reden mit ihm, wann ich hab' de zehn Emmchers.«

Der Alte holte zehn Mark in Groschen, Markstücken, zum Teil in Pfennigen aus der Tasche und zählte sie auf; der Galizier ging zu dem Ankömmling, der niemand anders war als der »vornehme Karle«, dann warf dieser einen argwöhnischen Blick zu dem Alten hinüber, schien aber befriedigt zu sein.

»Sie wollen eine Tausendyennote kaufen?«

»Jach nicht! Was soll jach mit a Tausendyennote? Aber ich hab' a Mann, a fainen Mann, wo will haben das Papier.«

»Kostet dreitausend Mark.«

»Weiß ich nicht, was kostet, weiß ich nur, daß der Mann is a schwerreicher Herr, daß er braucht das Geld, daß er nicht wird schachern, denn er is a fainer Herr.«

»Bringen Sie ihn her!«

»Werd' ich ihn holen, ist er ganz in der Nähe, werd' jach kommen in zehn Minuten zurück, – aber, wann der Mann zahlt, was ist ze verdienen?«

»Die Prozente zahlt er.«

»Was haißt er? Weiß ich doch, daß nicht kommt alle Tage ein Mann, was kauft solche Padden, will jach sein honett, will jach bringen dann Mann und werde bekommen Zug um Zug schon fünfhundert Emmchen.« –

»Sie sind meschugge, – hundert.«

»Bin jach ein alter Mann, was hofft, öfter zu verdienen, bin jach zufrieden mit hundert.«

Der Alte humpelte hinaus, und Karle wurde umringt.

»Ist a Geschäft! Wer wird los in Deutschland einen hohen japanischen Schein, wann er nicht kann gehen zur Bank?«

Schon kam der Galizier zurück; aber als er den Mann sah, der jetzt mit diesem die Treppe hinabstieg, war er mit einem Sprung hinten an der Tür.

»Hände hoch, dageblieben, oder ich schieße!«

Hinter dem behäbigen Herrn von Boltenstern, der jetzt mitten im Raume stand und sich mit etwas ängstlichen Blicken umsah, erschien der Kriminalkommissar.

»Hab's gedacht! De Polente und der Oberbalchoche is auch da.«

Der Galizier kam unterwürfig heran.

»Dies is der Herr, wo hat Interesse für den japanischen Schein.«

»Was für ein Schein? Ich habe gar keinen Schein, ich weiß von nichts.«

Mit raschem Griff hatte der alte Galizier, dem niemand solche Kraft zugetraut hätte, die Hände Karles gepackt. Ein Revolver fiel klappernd zur Erde, im Nu war der ganze Bouillonkeller leer, die anderen Galizier waren durch einen Vorhang im Hintergrunde entschlüpft.

»Untersuchen Sie den Mann. Er wird eine Brieftasche bei sich haben.«

»Ich habe gar nichts, ich bin –«

»Da ist schon die Tasche.«

»Halten Sie den Mann!«

Zwei Wachtmeister hatten sich seiner versichert.

»Da ist so etwas –«

Herr von Boltenstern griff zu.

»Das ist ja der Schein.«

»Das ist mein Geld, das ist –«

»Herr Kommissar, ich hatte das Datum in die linke obere Ecke geschrieben. 15.12.1914.«

»Stimmt, ist noch zu lesen. Kennen Sie vielleicht diese Tasche? Da in der Ecke ist wohl einmal ein Monogramm gewesen?«

»Wirt, drehen Sie mal alles Licht an!«

Der Wirt, der zwar selbst von früher her allerhand auf dem Kerbholze hatte, pflegte sofort zu gehorchen, wenn die Polizei da war.

»Herr von Boltenstern, erkennen Sie den Burschen vielleicht? Klemmen Sie mal das Einglas ins Auge, das Sie da hängen haben.«

»Das – ganz recht, das könnte der Mann sein, der damals am Tische saß.«

»Fesseln anlegen, weg mit ihm auf die Wache!«

Der »schöne Karl« fügte sich widerstandslos, wie es überführte Gewohnheitsverbrecher tun.

»Herr Kommissar, wie haben Sie mich denn geklappt?«

Der alte Galizier hatte inzwischen Kaftan, Anklebenase und Perücke abgelegt und jetzt eine verzweifelte Ähnlichkeit mit Frank Allan.

»Ich hatte die Freude, Ihnen gestern abend im Zigeunerkeller zu begegnen.«

»Also habe ich richtig gesehen!«

Karl Weber wurde abgeführt, und der Kommissar wandte sich an den Wirt.

»Kommen Sie mal her, Herr Krause. Wo wohnt der Mann?«

»Weeß ick nich. Nee, Herr Kommissar, det weeß ick wirklich nich. Wie soll ick wissen, wo meine Jäste wohnen?«

»Seien Sie mal vernünftig. Wir bekommen es auf alle Fälle heraus, aber der Herr hier ist eilig. Zwanzig Mark gibt er Ihnen, wenn Sie uns die richtige Spur geben. Übrigens ist auch eine Belohnung ausgesetzt, wenn wir das Geld wiederbekommen.«

»Wenn's so is. Wachtelstraße 7, zweiter Hof links, dritter Stock.«

»Na, sehen Sie, Krause, das Gedächtnis ist doch nicht so schlecht.«

»Herr Kommissar, bei diesen Zeiten!«

Auf einen Wink legte der Gutsbesitzer Geld auf den Tisch; dann stiegen sie die Treppe empor, auf der anderen Seite der Straße hielt das Auto.

»Wenn die Adresse nun falsch ist?«

»Ist sie nicht. Krause liegt daran, mit uns auf gutem Fuße zu stehen, und wagt nicht, mir etwas vorzulügen.«

Bald darauf hielt das Auto an der Ecke der kleinen Alexander- und Wachtelstraße. Den kleinen Weg durch die »Straße im Schatten« gingen sie lieber zu Fuß. Ein Auto hätte zu großes Aufsehen erregt.

Sie traten in das Haus, und zwar zuerst nur der Gutsbesitzer und einer der Kriminalwachtmeister, dann, von ihnen getrennt, der Kommissar und ein zweiter. Merkwürdig lange hatten die Herren für die paar Häuser gebraucht, und jetzt sahen sie, daß auf dem Hofe in Gruppen Männer standen, andere die Straße heraufkamen.

Polizisten in Zivil, zum Teil als Arbeiter gekleidet, die ein Bote des Kommissars, der das Präsidium benachrichtigt hatte, schnell herbeigerufen hatte.

Sie stiegen die Treppe hinauf, ein paar Beamte besetzten diese; dann wurde die Klingel gezogen.

Schritte schlürften herbei.

»Wer ist da?«

»Polizei!«

Die Tür wurde geöffnet, und Frau Weber stand im einfachen Morgenrock vor den Besuchern.

»Was ist denn? Hier wohnen ehrliche Leute.«

»Die möchten wir gern besuchen – weg da, eintreten lassen!«

Die nächsten Augenblicke boten ein wirres Chaos. Türen wurden geöffnet und wieder geschlossen, wie in einem Bienenkorb huschte es durch dunkle Räume; dann war alles still.

»Wo ist Ihre Stube?«

»Hier, Herr Kommissar, aber –«

»Werden schon sehen.«

Das Zimmer war ziemlich aufgeräumt, nirgendwo irgend etwas von Diebsgut oder Dingen, die nicht zu einem ärmlichen Hausrat gehörten, zu finden.

»Wir sind ehrliche Leute, mein Mann ist auf Arbeit.«

»Augenblicklich ist er im Präsidium, Frau Weber.«

Jetzt erst, nachdem die Taschenlampen der Beamten aufflammten, da in der Wohnung nur eine düstere Petroleumlampe an der Decke hing, erkannte die Frau den Detektiv Frank Allan und den Gutsbesitzer und – zuckte die Achseln.

Es dauerte fast eine Stunde, bis die Durchsuchung der Wohnung beendet war; dann bot sich in der Tat ein buntes Bild. Nicht weniger als sieben galizische Männer und fünf höchst verdächtige Frauen standen mit gesenkten Köpfen oder immer wieder jammernd ihre Unschuld beteuernd, vor den Beamten. Andere Männer trugen in Säcken und Bündeln ein ganzes Warenlager an Hehlergut die Treppen hinab und verstauten es auf dem Lastauto, das inzwischen herangefahren war.

»Mister Allan, da haben Sie uns wirklich zu einem guten Fang verholfen. Herr von Boltenstern, ich denke, das wird Ihnen und manchem von Ihren Freunden eine Lehre sein.«

Aber Frank Allan, an den der erste Teil der Rede gerichtet war, weilte gar nicht mehr hier, war einfach verschwunden.

In einem Päckchen hinter dem Ofen hatten sich, die zweitausend Mark des Agrariers gefunden, und dieser nahm sie beglückt in Empfang.

Endlich setzte sich, von mehr als zwanzig Beamten begleitet, der malerische Zug in Bewegung. Nur eine war nicht gefaßt: Grete!

»Oberwachtmeister Schröder, Sie bleiben vor dem Hause und passen auf, wenn das junge Mädchen zurückkommt. Sofort verhaften und aufs Präsidium!«

»Sehr wohl, Herr Kommissar.«

Während die verhafteten Galizier mit ihren Frauen das Lastauto besteigen mußten, nahmen die Herren wieder den Wagen des Kommissars. Überall, auf den Höfen, in der düsteren Straße, standen in Gruppen allerlei Männer und Frauen mit finsteren Gesichtern und geballten Fäusten, die dem Transport grimmig nachsahen, aber keinen offenen Widerstand wagten.

Nach kurzer Zeit schlossen sich die Tore des Polizeipräsidiums wieder hinter den Autos. Noch eine kurze Formalität im Büro, und Herr von Boltenstern trat hochaufatmend ins Freie, nahm ein Auto und fuhr in den Westen. Wie gut, daß er damals aus dem Kriege den Tausendyenschein, der noch nicht einmal echt war, als Andenken mitgebracht! Er hatte sicher den findigen Detektiv auf die richtige Fährte gebracht. Nun, jetzt aber schleunigst fort aus Berlin! Er streichelte liebevoll die wiedergewonnenen Scheine.

Er hatte recht! Dieser japanische Schein, an den er sich erinnerte, hatte dem Detektiv die Gelegenheit gegeben, dem Diebe eine Falle zu stellen. Was wußte Karl Weber, ob der Schein echt war, und selbstverständlich ergriff er die Gelegenheit, das Papier zu verkaufen, nachdem er in Erfahrung gebracht, wie wertvoll es war.


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