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5. Kapitel. Der befreite Gefangene

Ein köstlicher Morgen ... Nicht allzu heiß ...

Und in der Wildnis des Djeibar-Parkes eine Freude der dort hausenden Tierwelt, daß einem das Herz aufging ... Ein Jubilieren der Vögel, ein Umhertollen der halbzahmen Affen, – es war eine Lust, diese Wildnis zu durchstreifen ...

Eine Lust ... wäre es gewesen, wenn nicht unser Geschäft unsere Gedanken so vollkommen in Anspruch genommen hätte, besonders meine Gedanken.

Die an Harald gerichteten Fragen waren zwecklos. Er wich mir aus. Er wollte mir die Ueberraschung nicht verderben, wie er sich ausdrückte.

Jetzt am hellichten Tage brauchten wir der Kobras wegen nicht mehr so vorsichtig zu sein wie gestern ... Nein, durchaus nicht ... Wir machten diesen Weg ja zum zweiten Male ...

Und kamen an die Lichtung ... Drüben der Baum, der Tropenriese ... Drüben in den Aesten die spitze Laubhütte des Fakirs ...

Wir am Rande der Lichtung auf den Baum zu ...

Urplötzlich zog Harst mich tiefer ins Gestrüpp ...

Da kam der hagere schmierige Fakir vom Parkeingang her ... Ohne Arme – langsam, würdevoll ...

Die Strickleiter erreichte er ...

Mit Füßen und Zähnen arbeitete er sich empor ...

Harst schlüpfte vorwärts ...

Zwei Sprünge ...

Packt das Obergewand des Fakirs ...

Reißt es herab ...

Oben in den Aesten ein gellender Schrei ... Oben auf der Plattform aus Aesten vor der Hütte steht zusammengeduckt, wie sprungbereit, des Fakirs Tochter ...

Ich habe die Clement erhoben ...

Ziele auf das Mädchen ...

Und sehe doch, daß ... der Fakir keineswegs armlos ist, daß er nur die Arme an den Leib gebunden hat ...

Und da – begreife ich verschiedenes ... Da begreife ich, daß die Spuren im Grase neben der Kinderbank, wo der Attentäter sich um sich selbst gedreht hatte, davon herrührte, daß ... dieser Fakir dort seine Arme wieder mit der Schnur umwickelt hatte, deren eines Ende an den Baum gebunden gewesen ... Da weiß ich, daß der Fakir kein Inder, sondern ein verkleideter Europäer ist und daß er und das Mädchen und die beiden Matrosen-Gentlemen die Künstlerfamilie gewesen, die in unserm Bungalow gehaust haben ...

Harst hat den Fakir herabgezerrt von der Strickleiter ...

»Wo haben Sie das, was Sie mir vor sieben Stunden raubten?« fährt er ihn drohend an ...

Die Szene wird zum Tribunal ...

Der angebliche Fakir zuckt zurück ...

»Heraus mit der Wahrheit ...!! Wo ist der Sack, den ich nachts aus dem Kranichhause brachte?! Reden Sie!!«

Das Mädchen oben auf der Plattform weint ...

Weint kläglich ...

Dann – ruft sie klagend: »Dimitri, sag' die Wahrheit! Herr Harst wird gnädig sein ...!«

Und dieser Dimitri stiert jetzt den beiden ... Matrosen entgegen, die soeben im Laufschritt vom Parktor nahen – die Gentlemen-Matrosen ... Hinter ihnen ... der Oberkellner aus dem Esplanade, Fürst Sergius Tschergin ...

Die drei stehen neben uns ...

Tschergin fragt:

»Herr Harst, was geht hier vor ...? – Wera, meine Kusine, schickt uns ... Urtschoff ist bei ihr im Hotel ... Urtschoff hat ihr den Tscherginschen Familienschatz ausliefern wollen – wollen!! Aber der Schatz ist gestohlen – in dieser Nacht ...«

Ein ... Familienschatz ...?!

Mir fällt's da in Wahrheit wie Schuppen von den Augen ...

Das, was Harald mit »Der Gefangene« bezeichnet hat, sind Familienjuwelen, die Urtschoff beiseite geschafft hat, die er nun doch herausgeben wollte ...! –

Harald deutet auf den Fakir ohne Arme ...

»Fürst, wer ist der Mann?«

»Ein Detektiv, gebürtiger Russe, den wir, meine Kusine und ich, mit seiner Frau beschäftigten ... Die beiden sollten unsere Familienjuwelen suchen ... Wir ahnten, daß Urtschoff sie hier verborgen hielt. – Und diese Herren ...« – er deutet auf die Gentlemen-Matrosen – »sind Weras Brüder, die damals doch dem Blutbade entgingen ... Weras Mutter war die Schwester meines Vaters ... Die Familienjuwelen hatte Urtschoff hier in dem Nest der ...«

»... der beiden Kraniche versteckt, – das weiß ich, Fürst ... Und ich war's, der den kostbaren Sack von dort raubte – für Frau Orlington ... Dieser Kollege aber schlug Schraut und mich nieder und ...«

Tschergin trat dicht vor den Kollegen hin ...

»Senetow – wo sind die Juwelen?!« Er hob die Hand ... ließ sie aber wieder sinken ...

»Lump, Du bist es nicht wert, geschlagen zu werden ...«

Dimitri Senetow senkte den Kopf, stammelte ...

»Die Verführung war zu groß ... Ich ... bereue ... Dort ... dort habe ich den Sack vergraben, Fürst ... Verzeihen Sie mir ... Ich habe Ihnen bisher treu gedient ... Verzeihen Sie mir ...«

Und sein Weib rief:

»Fürst, ich hätte Dimitri umgestimmt ... Er ist nicht schlecht ... Er hat sich durch die böse Eingebung eines Augenblicks blenden lassen ...«

Tschergin nickte ... »Gut, Senetow ... Hier haben Sie Ihr Honorar ...« Er warf eine Brieftasche ins Gras ... Und dann zerschnitt er Senetows Armfesseln ...

Der Kollege hatte im Nu den Sack herbeigeholt ...

Wir fünf, die drei Vettern und wir beide, schritten der Straße zu – mit dem »befreiten Gefangenen« ... Stiegen in das wartende Auto ... Waren im Esplanade ... im Salon Frau Orlingtons ...

Dort saßen Wera und Urtschoff am Frühstückstisch ...

Der Generalkonsul erhob sich, lächelte ein wenig verlegen und meinte:

»Ich habe mit meinen Landsleuten Frieden geschlossen, Herr Harst ... Ich wollte die Familienkleinodien herausgeben  ... Meinen Schreck können Sie sich wohl vorstellen, als das Kranichnest leer war ... – Gott sei dank, ich sehe, der Fürst trägt den kostbaren unscheinbaren Beutel ...«

Wir hatten Urtschoff also wirklich nicht falsch beurteilt. Er war ein anständiger Mensch. Daß er zunächst die Juwelen »beschlagnahmt« hatte, – ja, zu jenen Zeiten war es nicht nur in russischen Seelen drunter und drüber gegangen! –

Als nun auch wir mit an der Frühstückstafel saßen, als wir alle bei bester Laune den »Fall« besprochen und ins Komische zogen, da gestattete ich mir eine Frage an Urtschoff zu richten:

»Gestern abend wurde doch ein sehr schwerer großer Koffer in Ihre Villa geschleppt ...?!«

»Ja, Herr Schraut ... Es waren Aktenbündel aus dem Konsulat darin ... Was glaubten Sie?«

»Hm – ehrlich: ich fürchtete, Harald sei in dem Koffer verstaut worden ...«

Tschergin rief: »Das ist einen Likör wert!!«

Alles lachte ...

Wir tranken auf das Wohl des ... befreiten Gefangenen ... –

So endete denn dieses Problem mit einer vergnüglichen kleinen Zecherei ... Wir hatten's eben mit Russen zu tun ... Und keine echt russische Freude ohne Alkohol ...

 


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