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5. Kapitel. Des Todes Spitzen

Dolgurow rief vier der Diener herein ...

Ich kann mich in diesem Punkte ganz kurz fassen: von Höllenmaschine oder dergleichen natürlich keine Spur!

Wir standen dicht dabei, als die Schlitzäugigen suchten ... Beide Autos nahmen sie vor ...

Dann schickte Urtschoff sie wieder hinaus ... Wir waren in die Garage Nr. 1 zurückgekehrt, wo der gepanzerte Wagen seinen Platz hatte ...

Die beiden Russen schauten Harst etwas ratlos an. Der lehnte an der Seite des Autos und schwieg ...

»Herr Harst, ich ...«

»Herr Urtschoff – die Wahrheit! Es geht um Leben oder Tod ... – Waren Sie mal in Sewastopol?«

»Ja ... – Aber – ich habe mit der ... Katastrophe der Familie Oligow nichts zu schaffen, mein Wort darauf, Herr Harst ...! Ich verabscheue derartige Schlächtereien ... Das ist keine Redensart. Wenn Sie vielleicht im Auftrage der Gräfin Wera ...«

»– – weder in deren noch im Auftrage eines anderen – ich sagte es schon ... Ich bin durch Zufall auf die jetzige Frau Orlington aufmerksam geworden, gleichzeitig auf verschiedene merkwürdige Dinge, die mich als Detektiv reizten ... Mein Freund und ich folgten vorhin den beiden Männern, die hier ... den Tod für Sie zurückgelassen haben ... Nachdem die beiden verschwunden, habe ich mir Ihre Autos angesehen und – ich habe etwas gefunden ... – Also bitte – sprechen Sie!«

Urtschoff schaute zu Boden ...

Offenbar kämpfte er mit sich ... Dann hob er den Kopf ...

»Herr Harst, ich habe vor zwei Wochen etwa Drohbriefe erhalten,« erklärte er hastig. »Aus diesen Briefen ging hervor, daß man mich irrtümlicher Weise für den Tod der Familie Oligow verantwortlich macht. In den drei Briefen hieß es, daß ich sterben müsse ... Das ist die Wahrheit ...«

Harald wiegte den Kopf hin und her ...

»Das kann nur die halbe Wahrheit sein, Herr Urtschoff ... Wie soll ich wohl glauben, daß Leute, die Sie beseitigen wollen, Sie gleichsam warnen werden?! Außerdem: Sie widersprechen sich ... Vorhin erklärten Sie, Politik scheide hier aus ... – Nein, Herr Urtschoff ... so kommen wir wirklich nicht von der Stelle ...«

Der Generalkonsul hatte sich auf die Lippen gebissen ... Er war mit seiner Diplomatie abermals in der Sackgasse ... In dieser Not nahm er Dolgurow beiseite. Sie flüsterten miteinander ... eine geraume Weile ...

Dann trat Urtschoff wieder vor Harald hin ...

»Ich werde Ihnen die Briefe zeigen, Herr Harst ...« meinte er sehr höflich. »Das wird Ihre Zweifel zerstreuen ... Wenn Sie mich bitte begleiten wollen ... Ich habe die Briefe in einem geheimen Wandfach meines Arbeitszimmers ...«

Und er machte eine auffordernde Handbewegung nach der Garagentür, die Dolgurow bereits geöffnet hatte ...

Harst rührte sich nicht ...

Die beiden Russen warteten ...

Ich war stummer, aufmerksamer Zuschauer ...

Dann Harald: »Halten Sie mich für dumm, Herr Urtschoff?! – Sie spielen hier ein sehr gefährliches Spiel ... Sie wollen Schraut und mich in die Villa locken und dort festhalten, bis ich Ihnen die Gefahr näher bezeichnet habe, die Ihnen droht ... – Sie lügen beständig ... Daß die Drohbriefe existieren, bezweifele ich nicht ... Nur dürfte der Inhalt ganz anders lauten – ganz anders! – Also ...«

Dolgurow hatte die Tür wütend wieder zugeworfen, trat näher. Er und Urtschoff tauschten einen hilflosen Blick ...

»Sehen Sie,« meinte Harst ... »Sie geben Ihre Heimtücke ja bereits zu ... Unter diesen Umständen werden wir uns verabschieden. Unser Freund Goddwell erwartet uns. Er wird neugierig sein, was wir entdeckt haben ...«

Der Generalkonsul machte eine erschrockene Handbewegung ...

»Detektivinspektor Goddwell, Herr Harst ...?«

»Es gibt nur einen Goddwell in Bombay, mit dem uns berufliche Freundschaft verbindet ... – Gute Nacht, Herr Urtschoff ... Wenn es Ihnen übrigens lieber ist, werde ich Goddwell nichts von diesem kleinen Abenteuer erzählen ...«

Urtschoff war jetzt derart verlegen, daß er die Hände dauernd aneinander rieb, als ob ihn fröre ...

»Herr ... Herr Harst ...« stammelte er ... »Ist ... ist es denn wahr, daß ... daß ... wirklich Lebensgefahr für mich besteht ...?«

» Ich ... lüge nicht ...«

»Gut – dann ... dann werde ich eben die verdammten Autos nicht mehr benutzen – tagelang nicht ... Nachher wird wohl jede Gefahr, daß ...«

»Ein Irrtum, – die Gefahr schwindet nie, Herr Urtschoff ...«

Der Russe war bleich geworden. Das Temperament ging mit ihm durch ...

»Dann – werde ich die Autos zerschlagen lassen – oder ins Meer werfen ...!«

»Dazu kann ich Ihnen nur raten ... Am besten zerschlagen, Herr Urtschoff – mit allem Zubehör ...! Und verbrennen ...!«

Urtschoff schnappte förmlich nach Luft, schaute seinen Vertrauten an ...

»Dolgurow, rate mir ...!« rief er ... »Zum Teufel, – so mach doch den Mund auf ...!«

Dolgurow verbeugte sich vor seinem Chef ...

»Ich würde Herrn Harst bitten, sich um diese Dinge nicht weiter zu kümmern und Goddwell gegenüber zu schweigen ... Die Autos bleiben hier in den Garagen eingeschlossen, werden nicht mehr benutzt, nicht mehr angerührt, und wir kaufen zwei neue Wagen, die drüben im Schuppen untergestellt werden können ...«

Er blickte fragend Harald an ...

Der nickte ... »Von mir aus – gebilligt und zugesagt, meine Herren ... Bis auf einen Punkt: ich werde mich weiter darum bemühen, dieser Angelegenheit auf den Grund zu kommen ... – Gute Nacht ...«

Und – schritt zur Tür ...

Ich neben ihm ... Oeffnete die Tür ...

Ins Freie hinaus ...

Morgendämmerung ... trübe Helle ... Mein Herz klopfte ... klopfte ... Jeden Moment erwartete ich, daß Urtschoff die gelbe Meute auf uns hetzen würde ...

Nichts geschah ...

Wir schritten an der Villa vorüber ... dem Gartenausgang zu ... Die Pforte war verschlossen ...

Wir kletterten hinüber ...

Gingen die Villenstraße hinab – schweigend ...

Ein Motorsprengwagen kam uns entgegen ... Bäche von Wasser näßten das Zementpflaster ...

Nichts geschah ...

Harald schaut sich um ...

Sagt: »Natürlich – vier der Gelben hinter uns ...«

Und ich: »Was ... was war's mit den Autos?!«

Er – ganz schlicht:

»In den ledernen Sitzpolstern stecken je sechs Blasrohrpfeile, mit den Spitzen nach oben ... Und diese Spitzen, mein Alter, sind vergiftet ... Hätte Urtschoff in einem der Wagen Platz genommen, würden die Spitzen das Leder und Urtschoffs Beinkleider und Schenkelhaut durchbohrt haben ... Er würde emporgefahren sein ... In wenigen Minuten jedoch ... Leiche ...«

Ich ... sagte gar nichts ...

Mir war ganz wirr im Kopfe ...

Wir schritten immer weiter ... Die erste elektrische Straßenbahn brachte uns nach Bombay – uns im Vorderwagen, die vier Spione im Anhänger ...

Dann schlug Harald die Richtung nach dem Hafen ein ...

Und – – gegenüber der Jacht Hudson setzten wir uns auf ein paar Balken ...

Wir, die beiden indischen Hafenkulis ...

Und hinter uns ... lungerten die vier Chinesen umher ...

So ... kam der neue Tag ...

Und so ... beginnt der neue zweite Abschnitt des »armlosen Fakirs« – ein neues Geschehen ...

Der Leser wird auch damit zufrieden sein, hoffe ich ...


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