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2. Kapitel. Das Kranichhaus

Nun begann, um dies gleich im Voraus zu bemerken, genau derselbe Kampf um die Wahrheit wie in der Garage mit Generalkonsul Urtschoff ... Genau dasselbe Ringen um das Verheimlichen der Wahrheit von seiten Frau Wera Orlingtons wie dort ...

Nur daß diese Gegnerin weit intelligenter war und sehr bald durchschaut hatte, daß Harald im Dunkeln tappte.

Und – tappte er wirklich noch im Dunkeln?! Oder tat er nur so?! – Es war dies für mich schwer zu entscheiden ... Man wird aus ihm so wenig klug, wenn er seine Gedanken verbergen will ... –

Frau Orlington, schließlich von Harald ganz energisch gefragt, weshalb sie zu uns gekommen sei, erklärte nun endlich, wir sollten die Villa Urtschoffs für sie dauernd überwachen, Tag und Nacht, und ihr jede Kleinigkeit melden ...

»Verlangen Sie jede Summe, Herr Harst,« fügte sie hinzu. »Nur auf eins kommt es mir bei alledem an: daß Ihre Meldungen die allergeringsten Kleinigkeiten mit erwähnen ...«

Harald überlegte ...

Sehr lange ...

Dann blickte er die schöne Frau fest an ...

»Wenn Sie, die geborene Gräfin Oligow, mir Ihr Wort geben, daß Sie und Ihre Verbündeten hier keine Morde beabsichtigen, will ich es tun ...«

Sie reichte ihm die Hand ...

»Mein Wort, Herr Harst ... Wir wollten Urtschoff nur einschüchtern ...«

»Und – die vier Russen, die von hier aus diesem Bungalow verschwunden sind – abgereist angeblich?!«

Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr Gesicht ...

»Die sind abgereist, Herr Harst ... Die Polizei hier könnte Ihnen das bestätigen. Die vier auf jenem Dampfer belegt gewesenen Kabinenplätze sind tatsächlich eingenommen worden ...«

Und jetzt – wahrhaftig! –: ein ähnliches Lächeln glitt über Haralds Züge ...

Frau Orlington aber fuhr fort:

»Ich habe bereits alles für Ihren Auftrag vorbereiten lassen, Herr Harst. Die Villa neben der Urtschoffs ist ein Fremdenheim, das vornehmste Bombays ... Von den nach Osten zu gelegenen Zimmern im zweiten Stock kann man Urtschoffs Grundstück bequem überblicken. Wenn Sie und Herr Schraut vielleicht als älteres Ehepaar zwei dieser Zimmer beziehen – und Sie beide haben ja schon häufiger in dieser Verkleidung gearbeitet –, dann wird dies Urtschoff niemals auffallen ...«

»Eine Zwischenfrage, gnädige Frau ... Weshalb übernehmen nicht Ihre Verbündeten diese Ueberwachung?«

»Weil – ja, weil auch das Generalkonsulat am Hafen stets im Auge behalten werden muß ...«

»Durch die ... Matrosen – verstehe ...! – Die Zimmer im Fremdenheim sind frei?«

»Ja ... Das heißt, sie sind heute früh telegraphisch von Daman aus für das Ehepaar Doktor Woringer nebst Gattin, Schweizer von Geburt, belegt worden, auch ist sofort für zwei Wochen der Pensionspreis vorausbezahlt worden ...«

»Ah – Sie gehen zielbewußt vor, gnädige Frau ... Also Schraut und ich werden die Woringers sein ...«

»Ja – und heute nachmittag drei Uhr dort eintreffen ...«

»Wie Sie befehlen, gnädige Frau ...« Und Harald lächelte wieder ... »Weiß Ihr Gatte von alledem?« fügte er ernst hinzu ...

»Nichts, gar nichts ... Er ist heute morgen zur Tigerjagd nach Kotar gereist und kehrt erst nach fünf Tagen zurück. Ich ... habe mich kränklich gestellt ... Tom war nur mit Mühe zu bewegen, ohne mich zu reisen ... Er ist so rührend besorgt um mich ... Wenn unsere Ehe von meiner Seite auch nur eine Vernunftsheirat war, Herr Harst: ich habe es bisher nicht bereut, diesen Schritt getan zu haben. Tom hat sich längst auch seinem ganzen Auftreten nach seinen Milliarden angepaßt. Daß er überaus intelligent ist, brauche ich wohl kaum zu betonen ... Ein Dummkopf erarbeitet keine Milliarden. Nebenbei besitzt er aber auch eine so grundvornehme Gesinnung, daß mir diese Heimlichkeiten ihm gegenüber äußerst lästig und peinlich sind ... Später, wenn alles einmal erledigt ist, werde ich ihm ehrlich beichten ... Er wird mir verzeihen ... Denn das, was ich vorhabe, Herr Harst, ist bei Gott kein Unrecht ...! – Um eins bitte ich Sie und Ihren Freund: notieren Sie jede Kleinigkeit – jede! Und die Meldungen fassen Sie bitte so ab, daß keine Namen genannt werden. Einer von Ihnen bringt die Briefe ins Esplanade-Hotel und gibt sie dort dem Oberkellner ab ...«

»Ja – dem Fürsten Sergius Tschergin,« nickt Harald.

Der Name war noch nicht erwähnt worden. Frau Orlington erblaßt denn auch jäh, beruhigt sich schnell und flüstert:

»Ich sehe, daß Sie ... mich eigentlich ganz in der Hand haben, Herr Harst ... Aber ich weiß auch, daß Sie Gentleman sind ... Tschergin wird übrigens von Urtschoffs Spionen dauernd überwacht ... Also Vorsicht bei der Ablieferung der Berichte ...«

»Das ist wohl selbstverständlich, gnädige Frau ... – Noch eins: wen vermuteten Ihre Freunde in uns beiden? Vielleicht Spione Urtschoffs, die der Fakir ohne Arme beobachten sollte?«

»Ja, Herr Harst ... Und der Blasrohrschuß war ... Abschreckungsmittel ...«

»Und der Fakir hat uns belauscht und so erfahren, daß wir Harst und Schraut sind ...«

Sie nickte ... »Leider erst nach dem Schuß ...! Und doch bin ich froh, daß ich auf diese Weise Ihre Bekanntschaft gemacht habe ... – Ich möchte mich nun verabschieden, meine Herren ... Um drei Uhr müssen Sie ja bereits im Fremdenheim Tabbars sein ...«

Harald begleitete sie bis zur Gartenpforte. Sie war zu Fuß gekommen – auf Umwegen und unter allerlei Vorsichtsmaßregeln. In derselben Weise begab sie sich nun ins Hotel Esplanade zurück.

Als Harst die Veranda wieder betrat, fragte ich ihn gerade heraus:

»Du weißt, um was es sich hier handelt?«

»Du etwa nicht, mein Alter?! Nachdem die Rachepläne gestrichen werden mußten, ferner bei Berücksichtigung des Verhaltens Urtschoffs gibt es nur eine Lösung ...«

»Und – die lautet?!«

»Kannst Du es Dir wirklich nicht selbst zusammenreimen ...?!«

Ich wurde ungeduldig. »Leider nein ...! Könnte ich's, so würde ich nicht fragen ... Ich habe allerdings eine Vermutung, die mir aber nicht recht gefällt ...«

»Aeußere Dich nur ...«

»Wenn man Urtschoff Drohbriefe geschickt hat, so will man ihn zu etwas zwingen ...«

»Bravo ...!«

»Vielleicht lebt noch ein Mitglied der Familie Orligow in Gefangenschaft, irgendwo ... Und Urtschoff soll entweder den Ort angeben, wo der Gefangene weilt, oder gar dessen Freilassung erwirken ...«

»Bravo ...! So ungefähr stimmt das wirklich, mein Alter ... Du bist in der Tat der Wahrheit ziemlich nahe gekommen. – Jetzt wollen wir unsere drei Diener beurlauben ... Ich werde Ahmed rufen, ihnen Geld geben und sie wegschicken. Kommen sie abends heim, finden sie einen Zettel vor, daß wir bis auf weiteres verreist sind und daß sie den Bungalow gut in Ordnung halten sollen ...« –

Um halb zwei waren wir allein in dem einsamen Häuschen. Um zwei Uhr verließ Harald als älterer graubärtiger Herr den Bungalow und besorgte ein Auto. Um bald drei waren wir auf dem Zentralbahnhof. Etwas nach drei fuhr das Ehepaar Doktor Woringer vor dem Fremdenheim vor ...

Frau Woringer mußte aus dem Auto gehoben werden ... Sie war sehr blaß, die rundliche Dame ... Und sie saß dann oben auf dem Balkon in Decken gehüllt im Sessel – noch blasser, mit dunklen Schatten um die Augen ... Sie litt an Malaria, die Aermste ... –

Ja – ich Armer!! – Man stelle sich vor, was es heißt, ungezählte Stunden im Sessel eine Kranke zu spielen ...!

Nun – ich will nicht vorgreifen, will eins nach dem andern berichten. Es gibt noch übergenug zu erzählen. –

Ich saß also dicht an der Brüstung des Balkons, der zu unserem Wohnsalon gehörte ... Harald markierte den treubesorgten Gatten ... War stets in meiner Nähe ... Las mir vor, bemutterte mich, reichte mir Medizin im silbernen Eßlöffel, rieb mir die Schläfen ein ...

Und ich – hatte nur Augen für das Nachbargrundstück ... Da, war die Garage ... Da war das Blockhaus, der Garten – alles gut zu überschauen ...

Leider aber gab es nichts zu beobachten ... nichts ...

Die chinesische Dienerschaft ging hin und her ... Um fünf Uhr kam Urtschoff in einem neuen geschlossenen Auto aus der Stadt heim ... Verschwand im Hause ...

Nichts geschah ...

Harst las einen Kriminalroman vor ...

Und – mitten auf einer Seite flocht er ein:

»Man beobachtete uns eine Weile ... Gut, daß ich Dir gerade wieder die sogenannte Medizin gab ... – Nimm ein Blatt Papier ... bitte ... – und schreibe, was ich Dir diktiere ... – Hier ist ein Buch als Unterlage ... Also vorwärts ...

 

Erster Bericht. – Sechs Uhr nachmittags.

Ankunft hier zweckentsprechend. Bisher nur folgendes: Fünf Uhr kam Er in neuem Auto nach Hause. Ein Viertel sechs trat Er auf die Veranda hinaus und schien sich minutenlang an den beiden zahmen Kranichen zu erfreuen, die in einem großen Vogelhaus im Schatten einer indischen Rotbuche untergebracht sind.

Der Hund liegt jetzt an der Kette. Die Hundehütte steht links von dem Vogelhaus am Fuße des Baumes.

Wir wurden aus einem Dachfenster fünf Minuten lang beobachtet. Argwohn gegen uns nicht vorhanden, da Bild hier auf unserem Balkon zu echt. Meine Frau krank im Sessel. –

Soeben erscheint Er wieder mit einem Teller voll Fischen, geht die Verandatreppe hinab und steht nun vor dem Kranichhaus, wirft dem Kranichpärchen Fische zu. – Sein Vertrauter D. nähert sich ihm. Sie sprechen miteinander. D. eilt zur Gartenpforte, begleitet von vier Dienern. Vor dem Hause hält ein Lastwagen. Man lädt eine grün-gestrichene große Hundehütte und eine Kiste ab. Die Hundehütte wird bis zum Kranichhaus getragen, und auf die andere Seite, der anderen Hundehütte gegenüber, aufgestellt.

Ein Mann holt aus der Kiste einen großen starken Hund heraus, der einen sehr festen Maulkorb trägt. Der Hund ist eine Kreuzung zwischen Dogge und Bluthund und offenbar sehr bissig. Er wird an die lange Kette der neuen Hundehütte gelegt. Der Mann nimmt ihm den Maulkorb ab und springt zurück. Der Hund rast vor Wut. Auch der andere kläfft. Die Kraniche fliegen erschrocken zu ihrem großen Nest empor, das mitten im Vogelhaus auf einem drei Meter hohen dicken Baumstumpf liegt. –

Er sucht den neuen Hund zu beruhigen. Das Tier wird von dem Manne, der es brachte, mit einem Knüttel mühsam in die Hütte gescheucht, vor deren Eingang ein Schiebegitter sich befindet. Das Gitter wird herabgelassen. –

Er hat durch einen Chinesen Fleischstücke bringen lassen, steht vor der Hütte und redet auf den Hund ein. Das Tier wird ruhiger und frißt, läßt sich auch den Kopf streicheln.

Er läßt nicht nach, sich um das Tier zu bemühen. Er scheint Hundefreund zu sein. Der Hund gewöhnt sich offenbar an seine Stimme und wird zutraulicher.

Er öffnet das Gitter. Die anderen sind zurückgetreten. Der Hund kommt heraus und zeigt sich nun Ihm gegenüber durchaus gehorsam.

Alle gehen ins Haus. Der neue Hund, dessen Kette bis zum Eingang des Kranichhauses reicht, legt sich nieder und beobachtet die Kraniche, die in dem kleinen Bassin in ihrem Käfig jetzt umherwaten.

Der Mann, der den Hund brachte, fährt mit dem Lastwagen davon. Die Diener schauen sich aus vorsichtiger Entfernung den neuen Hund an, der sofort auf sie losgefahren ist und wieder förmlich rast ...

Die Diener verschwinden. Das Tier beruhigt sich.

Schluß des Berichtes halb sieben abends.«

Ich hatte Wort für Wort zu Papier gebracht ...

Sagte nun:

»Eigentlich lächerlich, diese ganze Meldung ...!«

»So?! Meinst Du?!«

Und Harst versiegelt im Zimmer den Brief ... Verabschiedet sich von seiner kranken Gattin ...

Ich grübelte über sein merkwürdig gedehntes »Meinst Du?!« nach ...

Und – – stutzte ...

Der neue Hund ...!! Und – die Hütte des anderen jetzt gleichfalls neben dem Vogelhaus ...! In der Nacht stand sie noch weiter hinten im Garten ...!!


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