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2. Kapitel. Gräfin Wera

Drei Stunden später ...

Ein ander Bild: die Vorderseite der Medaille von Bombay, wenn man so sagen will ...

Hotel Excelsior – auf den Malabar Hills ... Kein Hotel– ein Palast ... Ein Bauwerk, bei dessen Entwurf der Künstler alles vermieden hatte, was auch nur entfernt an ein Massenlogierhaus erinnern konnte ...

In diesem modernen, stilvollen Prachthotel, bei dessen Inneneinrichtung überwiegend deutsche Raumkunst Triumphe gefeiert hat, war der amerikanische Großmogul Mr. Thomas Orlinaton nebst Gattin und Gefolge abgestiegen, obwohl er vielleicht auf seiner Jacht bequemer gewohnt hätte. Aber es gehörte nun einmal zum guten Ton, das Excelsior zu besuchen ... Außerdem will man doch schließlich als Milliardär auch bewundert und beneidet werden ...

Zehn Uhr abends also ... Im Speisesaal des Excelsior ...

Eine erstklassige Jazzkapelle macht Geräusche. Je erstklassiger Jazzkapellen sind, desto weniger Musik im alten überlebten Sinne ... Das heißt: diese alte überlebte Musik wird wieder zu Ehren kommen. Die Hälfte der Menschheit ist eben nach dem Weltkrieg ein wenig außer Rand und Band geraten, was den Geschmack betrifft ... Bubiköpfe, Knieröckchen, Damen um die Vierzig, die wie Babys von hinten ausschaun, – – Weltkrankheit – wie manches andere ... All das renkt sich von selbst wieder ein ...

Die Jazzkapelle gab vor, den Donauwellen-Walzer zu spielen ...

An der Tafel neben dem Marmorspringbrunnen wiegt sich Mr. Tom Orlington im Korbsessel nach dem verschwommenen Takt grunzender Instrumente ...

Neben ihm sitzt seine blonde Gattin ... Und weiter sitzen am selben Tisch des Dollarkönigs Gefolge: Privatsekretär, Leibarzt, der Kapitän der Jacht und ein paar Freunde ... – Milliardäre haben immer Freunde ...

Und drei Tische weiter zwei blondbärtige Herren mit Hornbrillen ... Herren, die mit Andacht das Menü herunteressen und die scheinbar für nichts anderes Interesse haben ...

Wir ...

Wir beide, die wir heute nur des Großmoguls wegen hier den Abend zubringen ...

Ringsum eine Gesellschaft, die geradezu nach Gold riecht ... Hier wie überall Herr und Frau Raffke und Familie Neureich aller Nationalitäten üppig vertreten ...

Armes Hotel Excelsior ...!

Da ist ein Oberkellner, der still hin und her geht – mit einem ganz merkwürdigen Gesichtsausdruck ... So, als ob er immerfort innerlich grinse ...

Wir kennen ihn ... Der Oberkellner hieß einst Fürst Sergius Tschergin und war der drittreichste Mann Europas – – einst ...

Und fraglos grinst er innerlich ... Denn er kann beurteilen, was vornehmes Getue ist und was wahre Bildung heißt ... –

Die beiden Holländer haben längst festgestellt, daß Frau Orlington, seit fünf Wochen glückliche Gattin des Neuyorker Nabobs, dieselbe Dame ist, die aus dem runden Kabinenfenster die Brieftaube aufsteigen ließ ... Der Gang hier ins Excelsior hat also gelohnt ...

Ich präpariere mir ein Röstschnittchen mit Kaviar und nehme den ersten Bissen, als Harald, der mir soeben einen Vortrag über die verschiedenen Sorten Kaviar hält, plötzlich mitten im Satz stockt und dann ... »Donnerwetter!!« sagt – und dies in einem Tone, als ob er so ziemlich aus allen Wolken falle ...

»Was gibt's?« – und ich schiele umher ...

Da sagt er: »Gegenüber – genau unter dem großen Ventilator ...«

Ich beeile mich keineswegs hinzusehen ... So allmählich visiere ich ...

Und – – falle genau so aus den Wolken ...

Donnerwetter – – da sitzen unsere beiden Matrosen ...

Die schäbigen Kerle ...

Das heißt: jetzt sind's Gentlemen geworden ... Der Lange trägt sogar Monokel ...

Ich schüttele den Kopf ...

»Harald, soll man so was für möglich halten ...!! Die Boys schaun vornehmer aus als das ganze Schiebergesindel hier rundum!«

»Dja – geahnt hab' ich das ...«

»Ich auch ...«

»Die Geschichte macht mir Spaß, mein Alter ... Das wird eine feine Arbeit, das wird ein »großer Fall« ...!«

»Ist es schon, wenn man bedenkt, daß die beiden Gents bei dem armlosen Fakir, dem Taubenzüchter, waren – in seiner Baumhütte ...«

»Stimmt – der Schmierfink von Fakir im Park von Djeibar ... Auch ein wandelndes Rätsel ... Soll mit seiner Enkelin dort erst seit zwei Wochen hausen, wie der Bettler vor dem Parktor uns zu erzählen wußte ... In zwei Wochen haben sich Tauben an einen Schlag und an eine Umgebung völlig gewöhnt ...«

»Und – das Ganze?« fragte ich leise. »Ob etwa des Nabobs junges Weib zweifelhafter Herkunft ist und etwas gegen Orlington plant, gegen seine Milliarden?!«

Er ... winkte einem Kellner ...

»Die India-World von der vorigen Woche ...« bestellte er ...

Und da wußte ich, daß ich in dem illustrierten Heft etwas über Frau Orlington finden würde.

Der Kellner brachte die Zeitschrift. Ich blätterte darin, fand auch ...: Photographien, acht Stück – von der Hochzeit des Neuyorker Großmoguls ...

In dem Begleitartitel:

»Miß Lydia Alexandra Wera Gräfin Oligow, Vater russischer General, von den Bolschewisten standrechtlich erschossen, flüchtete aus Sewastopol in der Verkleidung eines Heizers und rettete sich nach Konstantinopel. Hier erfuhr sie, daß auch ihre Mutter und ihre Geschwister hingemordet worden waren. Arm, krank und weltfremd, unendlich verwöhnt und doch beseelt von einer Tatkraft, die durch die unerhörten Gefahren in ihr geweckt worden, schlug sie sich stets in Männerkleidung bis Neuyork durch, wo andere russische Flüchtlinge des früheren Regimes für sie sorgten. Sie trat in eins der großen Unternehmungen Orlingtons als Stenotypistin ein. Orlington sah sie zwei Jahre später, machte sie zu seiner Privatsekretärin und heiratete sie, als er auf andere Weise nicht zum Ziele kam ...«

Ich legte das Heft aus der Hand. Unwillkürlich suchte mein Blick den Oberkellner, den Fürsten Sergius Tschergin.

Auch er Russe ... Auch er, wie wir durch den Direktor des d'Angleterre unter dem Siegel der Verschwiegenheit erfahren hatten, ein Flüchtling aus jenen Zeiten des Schreckens ...

Der Oberkellner stand hinten vor einem großen Spiegel, schien seine Krawatte zurechtzuzupfen ...

Schien ...

Der Spiegel gab auch den Tisch Orlingtons wieder ... Und Wera Orlington – ich sah es ganz genau – führte die Hand an die Stirn, ballte diese Hand zur Faust und spreizte dann nur den Mittelfinger ab ...

Dieselbe Handbewegung tat der Fürst – genau dieselbe ...

Dann wandte er sich um und schlenderte wieder durch die Tischreihen ...

Kam zum Tische der beiden Gentlemen, denen nachmittags noch jeder Gutmütige eine Münze geschenkt hätte ...

Verbeugte sich ...

Ganz Oberkellner ...

Sprach ein paar Worte ... schritt weiter ... –

Harald – ganz leise zu mir:

»Ich denke, mein Alter, wir lassen die Finger von dieser Geschichte weg ... Das riecht mir nach Politik ... Und Du weißt: mit derlei befasse ich mich nicht ...! Das ist stets ein Kampf gegen ein ganzes System ...«

»Du meinst, die beiden Gentlemen sind ebenfalls Russen, und Wera Orlington ...«

»... könnte Kraft der Milliarden ihres Mannes insgeheim Rachepläne schmieden – das meine ich! Wenn wir also die Sache weiterverfolgen wollen – aus Sport bleiben wir nur Zuschauer und greifen auf keinen Fall ein.«

Ich schaute mir nochmals Thomas Orlington an ... Nun, für einen Kriegsgewinnler sah er überaus manierlich aus. Vierzig Jahre zählte er. Dem mageren faltigen Gesicht sah man die Intelligenz und die brutale Energie an. Sein Benehmen seiner Frau gegenüber war geradezu von ritterlicher Zärtlichkeit. Alles in allem eine sympathische Erscheinung ...

Ich schaute hin und beobachtete auch die geborene Gräfin etwas schärfer ... Ein schönes, kaltes Gesicht mit dunklen melancholischen Augen ... Um den üppigen Mund ein rätselhafter Zug ... schwer zu sagen, ob Seelenleid oder verbitterter Haß ... Wenn sie mit Orlington sprach, lächelte sie ein wenig – ein ebenso fragwürdiges Lächeln ...

Weiß Gott, ich hätte diese Frau nicht zum Weibe haben mögen ... Ich hätte mich vor diesem Sphinxlächeln gefürchtet ...

Harald raunte mir:

»Medusa – – das Lächeln der Blutgier ...! – Mein Alter, ich möchte die Gedanken lesen, die in diesem Frauenhirn sich jagen ... Wehe denen, die Wera Oligows Familie hinschlachteten ...! Wir ... werden die Zuschauer bleiben, Zuschauer, die noch heute das d'Angleterre verlassen und einen kleinen Bungalow mieten werden – in der Nähe des Djeibar-Parkes ... – Komm, für heute Abend ist's genug ... Wir finden schon noch einen Agenten, der uns einen Bungalow vermittelt ...«

So verließen wir den Hotelpalast. Der Direktor im d'Angleterre wies uns an einen Inder, den er telephonisch anrief. Um elf Uhr bereits fuhren wir im Auto und mit unseren Koffern in Begleitung des Maklers Selim Darba nach dem winzigen weißen Landhäuschen, das zwischen den Hügeln westlich vom Djeibar-Park unter alten Bäumen in einem tadellos gepflegten Gärtchen lag. Drei Zimmer und reichlich Nebengelaß – dazu zwei Diener und einen Koch, all das für vierzig Mark pro Woche, – so etwas gibt es nur in Indien ... –

Die Diener und der Koch trafen um Mitternacht ein. Der Makler garantierte für ihre Ehrlichkeit. Es waren der Religion nach Hindus, ältere, bescheidene Leute, an den Umgang mit Europäern gewöhnt ...

Und die Einrichtung des Bungalow – alles weißlackierte Möbel, alles peinlich sauber, das ganze ein Schmuckkästchen ...

Selim Darba verabschiedete sich, nachdem er die Vorauszahlung für eine Woche in Empfang genommen hatte ...

Wir begleiteten ihn noch bis zur Gartenpforte ... Zu unseren Füßen jenseits des Weges breitete sich im klaren Mondlicht der weite Djeibar-Park aus ...

»Sagen Sie mal, Selim,« begann Harald, als der Makler sich schon zum Gehen wandte ... »Wie kommt es, daß der Bungalow so spottbillig vermietet wird, daß er überhaupt leer steht? Da scheint mir irgend etwas nicht so ganz zu stimmen, Selim ... Uns gegenüber können Sie ganz offen sein ...«

Selim wurde sichtlich verlegen ...

»Oh ... es ... es hat sich hier ein ... Unfall zugetragen, Sir ...«

Und – rasch eilte er davon – so rasch, daß es mir zu sehr nach Flucht aussah ...

Harst pfiff leise durch die Zähne ...

»Nehmen wir mal unsere Dienerschaft ins Gebet, mein Alter ... Ich bin neugierig ... Dieser Unfall wird wohl ein Mord gewesen sein ...«

Er irrte sich ... Es war kein Mord ... Es war etwas ganz anderes ...


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