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Letzte Predigt

Madame Kaudel hat sich erkältet. Traurige Folge dünner Schuhe.

Ich werde Dir nicht widersprechen, Kaudel, magst Du auch sagen was Du willst, aber ich sollte doch denken daß ich meine eigene Natur besser kennen müßte, als Du. Ich werde Dir auch keine Vorwürfe machen – ich fühle mich nicht wohl genug dazu, aber das ist keine Erkältung, die von dünnen Schuhen herrührt, Kaudel, das ist mehr – es sind meine Gedanken, die mich niederbeugen – Ja wohl – Haferschleim – Du denkst immer, Haferschleim könne bei einer Frau Alles curiren, und weißt doch, wie ich schon den Namen hasse – Nein wahrhaftig, Haferschleim kann das nicht heilen, was mir fehlt, aber natürlich glaubst Du nie, daß andere Menschen auch ein Leiden haben können. –

Nun sei nur ruhig, Kaudel, – ich meinte es nicht so schlimm, aber wenn einer Frau nur immer dünne Schuhe vorgeworfen werden, so spricht sie auch manchmal mehr wie sie eigentlich sollte – sie kann aber Nichts dafür. Du hast es aber ewig mit meinen Schuhen, und ich muß doch selber am besten wissen, was mir auch am besten steht – Dir wär' es freilich recht, wenn ich Bergschuhe trüge, aber ich denke gar nicht daran meine Füße zu verunstalten, so viel kann ich Dir ein für allemal sagen. Ueberdies habe ich mich in den Schuhen noch nie erkältet, und ich sehe nicht ein, weshalb sie jetzt auf einmal die Ursache sein sollten.

Nein, Kaudel, ich wäre die Letzte die Dich anklagte, ich wahrhaftig; aber die Erkältung, die jetzt bei mir ausbricht, habe ich mir schon vor zehn Jahren geholt; ja Kaudel, vor zehn Jahren, und sie hat mich seit der Zeit keinen Augenblick verlassen – vorgestern war es gerade zehn Jahr.

Wie ich mich darauf noch besinnen kann? Oh, Kaudel, Frauen haben ein vortreffliches Gedächtniß – bedauernswerthe Geschöpfe die es sind – Zehn Jahre sind es jetzt, als ich eines Nachts auf saß und auf Dich wartete – Nun, nun, Kaudel, ich will Nichts sagen was Dich kränken könnte, aber laß mich wenigstens reden – Zehn Jahre sind es jetzt, daß ich die Nacht aufblieb und dabei einschlief, und das Feuer war indessen ausgegangen, und wie ich aufwachte, saß ich gerade im Zug vom Schlüsselloch. – Das war mein Tod, Kaudel, – aber beunruhige Dich nicht darüber, Schatz, ich bin fest überzeugt, Du hast es nicht mit Absicht gethan.

Ja wohl, Du kannst das jetzt wohl Unsinn nennen, und es mir in die dünnen Schuhe schieben wollen; so seid Ihr Männer aber – Alle, und wer von Euch seine arme Frau unter die Erde bringt, weiß auch sicher die Schuld von sich abzuwälzen.

Nein, Kaudel, ich will nicht sagen daß Du mich umgebracht hast – gerade das Gegentheil, trotzdem hat es keinen Tag in der ganzen langen Zeit gegeben, an dem ich nicht das Schlüsselloch gefühlt hätte.

Warum ich nicht nach einem Doktor schicke? – Und was soll mir der helfen? Weshalb sollte ich Dir nur die Kosten machen? Außerdem, Kaudel, denk' ich mir auch beinah', daß Du schon ohne mich fertig werden wirst – ja wenn nur erst einmal die erste Zeit vorüber ist, wirst Du mich kaum noch vermissen – das ist ja immer so mit Euch Männern.

Peggy sagte mir vorher, die Mamsell Betsenberger habe sich heute nach meinem Befinden erkundigt – Was dabei wäre? oh gar nichts, Kaudel, nicht das Geringste, aber – eigentlich ist es doch ein wenig taktlos, Kaudel, sie hätte doch wohl noch die paar Tage warten können – ich werde ihr nicht mehr lange im Wege sein – sie kann jetzt bald den Schlüssel zur Speisekammer bekommen.

Ach Kaudel, was hilft es, daß Du mich jetzt Deinen »liebsten Schatz« nennst – Nun, ja, ich will Dir ja glauben daß Du es auch so meinst, ich hoffe es wenigstens – aber Du kannst doch nicht verlangen, daß ich hier ruhig in meinem Bette liegen soll, wenn ich an die junge Person denke – und sie ist noch nicht einmal so jung mehr, als sie sich gern machen möchte. Ich habe Nichts gegen sie, Kaudel, – gewiß nicht, aber ich glaube nicht daß ich ruhig in meinem Grab liegen könnte, wenn ich – gut, ich will Nichts weiter sagen, aber Du weißt was ich meine, Kaudel.

Höre, Schatz – glaubst Du nicht, daß Dir Mutter den Hausstand herrlich führen könnte, wenn ich einmal abberufen bin? – Nun nun, ich will nicht weiter darüber sprechen, wenn Du es nicht wünschest – aber ich fühle daß ich krank bin – nicht von den dünnen Schuhen, Kaudel, wahrhaftig nicht davon – Ich habe ja auch in meinem Leben keine dicken Schuhe getragen, und kein Mensch hätte mich dazu gebracht, und trotzdem wußte ich nie was Erkältung sei – Nein, mein guter Kaudel, das Schlüsselloch war es, ohne Dich aber damit zu kränken – eher stürb' ich.

Mutter kennt alle Deine kleinen Eigenheiten und Du würdest auch nie wieder eine Frau finden, die Dich so studirte und hätschelte und pflegte, wie ich es gethan habe – keine zweite Frau kann das – es liegt nicht in ihrer Natur. Und im Ganzen haben wir doch eigentlich recht glücklich zusammen gelebt, denn wenn wir einmal einen kleinen Wortwechsel mitsammen hatten, war das sicher nicht meine Schuld. Ich gebe zu daß Du mich manchmal geärgert hast, aber lieber Gott, wer kann für sein Temperament – besonders ein Mann. Wir haben doch recht glücklich mit einander gelebt, nicht wahr, Kaudel?

Gute Nacht – ja, die Erkältung drückt mir das Herz bald ab – aber die Schuhe sind nicht Schuld daran – Gott segne Dich, Kaudel, – die Schuhe waren es wahrhaftig nicht. Ich will auch nicht sagen, daß das Schlüsselloch die Schuld trage, aber die Schuhe thun es gewiß nicht – Gott segne Dich, Kaudel! – gieb ja den Schuhen nicht die Schuld.

*

Es läßt sich allerdings kaum annehmen, daß Madame Kaudel während ihrer längeren Krankheit nicht doch dann und wann Gelegenheit genommen haben sollte, ihren Tröstungen auch hie und da Ermahnungen beizumischen, oder sich über ihre häuslichen Verhältnisse, und was mit ihnen werden würde, auszusprechen. Solche fragmentarische Predigten schienen aber von ihrem trostlosen Wittwer für viel zu heilige Reliquien angesehen zu sein, als sie durch den Druck zu entweihen. Aber desto schärfer drückten sie sich dafür in Kaudels Herz ab, und er erwähnte später seine verstorbene Ehehälfte nie ohne hinzuzusetzen: »die liebe Selige« oder »der Engel, jetzt im Himmel«.

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