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2. Die kleinen Schriften.

Die »Theorie« schließt mit folgenden Worten: »Von Plato und Cicero hätte man erwarten dürfen, daß sie in ihren Büchern über die Gesetze die Regeln der natürlichen Gerechtigkeit und Billigkeit anführen würden, denen Geltung zu verschaffen die Aufgabe der positiven Gesetzgebung jedes Landes ist, aber sie haben nichts dergleichen getan: ihre Gesetze dienen der Politik, nicht der Gerechtigkeit. Grotius scheint der erste gewesen zu sein, welcher der Welt so etwas wie ein System der Grundsätze gegeben hat, die den Gesetzgebungen aller Nationen zugrunde liegen und sie beherrschen sollten, und so unvollkommen seine Abhandlung über das Recht des Krieges und des Friedens sein mag, ist es doch bis heute das vollständigste aller Werke, die diesen Gegenstand behandeln. Ich gedenke in einem anderen Werke Rechenschaft zu geben von den allgemeinen Prinzipien der Gesetzgebung und der Staatsverfassungen, und von den Umwälzungen, die sie in den verschiedenen Perioden der menschlichen Gesellschaft erlitten haben, nicht allein in Beziehung auf das Recht, sondern auch in Beziehung auf Politik, Einkommen und Krieg und was sonst Gegenstand der Gesetzgebung ist. Deshalb gehe ich an dieser Stelle auf die Geschichte der Jurisprudenz nicht näher ein.« In Beziehung auf Politik, Einkommen und Militärwesen hat Smith seine Verheißung im »Wealth« erfüllt. Die Geschichte der Jurisprudenz ist unausgeführt geblieben, und noch viel anderes, denn seine Pläne gingen weiter. Black und Hutton sagen in einer Vorbemerkung zu den von ihnen herausgegebenen Abhandlungen, diese seien Teile eines geplanten großen Werkes, das die Geschichte der schönen Künste und der Wissenschaften im Zusammenhange darstellen sollte. Die verbrannten Papiere werden das unverarbeitete Material zu dem Fehlenden enthalten haben. Und Dugald Stewart führt bei Erwähnung der als Anhang zur »Theorie« in deren zweiter Ausgabe veröffentlichten Abhandlung über die Sprache folgendes aus. Dieser geistvolle Essay sei weniger seines Inhalts wegen beachtenswert, als weil man in ihm eine Probe von einer ganz neuen Art von wissenschaftlichen Untersuchungen habe. Beim Vergleich unserer heutigen Sprache und unserer heutigen Kultur mit der Sprache und den Zuständen der in ursprünglicher Roheit verbliebenen Völker entstehe die Frage, auf welchen Wegen die zivilisierte Menschheit zur Vollkommenheit ihrer heutigen Einrichtungen gelangt sei. Die Geschichte gebe darüber keinen Aufschluß, denn in der Zeit, da die Menschen zu denken anfingen, waren sie noch nicht in der Lage, über die Entwickelung ihrer Denktätigkeit in Aufzeichnungen zu berichten. Man sehe sich also auf Konjekturen angewiesen, für welche die Berichte der Reisenden über die Zustände der Naturvölker einiges Material lieferten. Eine solche Geschichte, die nicht erzähle, was man als sicherlich geschehen verbürgen könne, sondern wie, nach den bekannten Anlagen der Menschennatur zu schließen, die Entwickelung wahrscheinlicher- oder möglicherweise verlaufen sei, pflege er theoretische (wir würden lieber sagen philosophische) oder Konjekturalgeschichte zu nennen. Eine solche habe Hume in seiner natürlichen Geschichte der Religion geliefert. In Frankreich nenne man das histoire raisonnée. D'Alembert habe die natürliche Aufeinanderfolge der Erfindungen und Entdeckungen der Beachtung empfohlen und die Geschichte der mathematischen Wissenschaften einschließlich der Astronomie von Montucla als ein Muster solcher Behandlungsweise gelobt. Aber auch die politische Geschichte könne auf diese Weise geschrieben werden. Alle älteren Historiker hätten sich damit begnügt, Begebenheiten zu erzählen und die Staatseinrichtungen auf die Weisheit einzelner Gesetzgeber oder auf schlecht beglaubigte zufällige Umstände zurückzuführen. Montesquieu sei der erste gewesen, der die Entstehung der Gesetze und ihre Wandlungen aus den sich wandelnden Zuständen der menschlichen Gesellschaft erklärte. Nicht aus dem verwirrenden Gelehrtenkram der Scholiasten, sondern aus den Berichten von ungelehrten Weltreisenden hole er das Licht, womit er das römische Recht durchleuchtet. Dieses nun war, schließt Stewart, die Erklärungsweise, die Smith zu befolgen pflegte, die er in den geplanten Werken: einer Rechtsgeschichte und einer Geschichte der Künste und Wissenschaften durchzuführen gedachte, und die er nicht bloß in den vollendeten Teilen seines Planes, sondern auch im Gespräch angewendet hat. Daß er den gewöhnlichen Gegenständen der Unterhaltung durch seine philosophische Auffassung ganz neue Seiten abgewann, bei deren Beleuchtung die unzähligen an sich unbedeutenden Tatsachen, die er gesammelt hatte und zur Erklärung benutzte, Bedeutung erhielten, das gab dem Umgange mit ihm einen so großen und so eigentümlichen Reiz.

Wir sehen: was Smith erstrebte, war nichts Geringeres als eine die ganze Entwickelung des Menschengeschlechts umfassende philosophische oder Kulturgeschichte: das, wovon später in England Thomas Buckle, Hartpole Lecky und Herbert Spencer größere Bruchstücke als er geliefert haben, was in Deutschland noch vor Smiths Tode Herder begonnen hat und womit bis auf den heutigen Tag unzählige Geschichtsphilosophen, Kulturhistoriker, Ethnologen und Soziologen sich abmühen. Smiths Freunde haben bedauert, daß sein Staatsamt ihn gehindert habe, seinen Plan auszuführen. Bagehot jedoch dürfte, abgesehen von dem geringschätzigen Tone, in dem er von Smiths Plänen spricht, recht haben mit der Ansicht, daß der Abbruch seiner Lehrtätigkeit durch die Festlandsreise und das Zollkommissariat ein Glück für ihn gewesen sind, nicht bloß wegen der Informationen für sein Hauptwerk, die ihm die Berührung mit der lebendigen Wirklichkeit zuführte, sondern auch weil er auf diese Weise verhindert wurde, seinen Nachruhm zu beeinträchtigen durch ein unreifes Werk; denn ein solches hätte herauskommen müssen, wenn ein universell gerichteter Geist wie der seine sich über alles und jedes verbreitet hätte mit dem unzulänglichen Material jener Zeit; erst im neunzehnten Jahrhundert hätten die Fachwissenschaften das Material gesammelt, das für eine solche Geschichtsphilosophie die Grundlage abgeben müsse.

Das gilt nun ganz besonders auch von der Abhandlung, die Smith betitelt: Betrachtungen über die Entstehung der Sprachen, und über den verschiedenen Genius der ursprünglichen und der Mischsprachen. Aber es lohnt doch hervorzuheben, daß Smith zwei Grundwahrheiten gefunden hat, die auch das neueste monumentale Werk über Sprachwissenschaft: der erste Band von Wundts Völkerpsychologie, (1. Teil S. 560 und 2. Teil S. 10) entwickelt: daß das ursprüngliche Sprachgebilde der Satz gewesen sein muß, und daß bei dessen allmählicher Auflösung in Worte sich zuerst das Substantivum als selbständiger Teil abgesondert hat. Diese beiden Gedanken spricht Smith auch aus in einem Briefe vom 7. Februar 1763 an Georg Baird, anläßlich einer Rationellen Grammatik, die soeben erschienen war.

Die erste der von Black und Hutton veröffentlichten Abhandlungen führt den Titel: »Die Prinzipien, von denen philosophische Untersuchungen geleitet werden, beleuchtet durch die Geschichte der Astronomie«. Smith beginnt mit einer Erörterung der Begriffe Verwunderung, Überraschung und Bewunderung. Das Ungewöhnliche erregt Verwunderung, das Unerwartete Überraschung, das Große und Schöne Bewunderung. Die Worte werden oft nicht am richtigen Orte angewandt. So läßt Milton seinen Satan den zum erstenmal geschauten Tod bewundern, statt sich über ihn wundern. Psychologisch und physiologisch wahr beschreibt Smith sowohl die Bedingungen, unter denen die drei Affekte einzutreten pflegen, wie ihre Wirkungen. Unerwartete Freude tötet nach ihm leichter als eine plötzliche Trauerbotschaft, weil sich die Seele gegen das Schlimme wehrt, es nicht sofort glaubt, es nur zögernd einläßt, während sie sich dem Glück sofort ganz öffnet, sodaß die ungeheure Expansion im Nu vor sich geht, und die inneren Organe, die nicht Zeit haben, sich ihr anzupassen, verletzt worden. Die Verwunderung ist nun die Mutter der Philosophie. Der Mensch klassifiziert die Dinge, die er gewahr wird, und ein Gegenstand, der sich in keine der ihm bekannten Klassen unterbringen läßt, z. B. ein noch nie gesehenes und allen bekannten Tieren unähnliches Tier, setzt seine Denktätigkeit in Bewegung, die sich bemüht, den neuen Gegenstand in einen der vorhandenen Begriffe einzufügen oder einen neuen Begriff zu bilden, in welchem es mit den Vertretern eines alten Begriffs zusammen Platz hat. Der Mensch wird den gewöhnlichen Verlauf der Veränderungen inne, und wenn sich etwas ereignet, was diesem gewöhnlichen Verlauf widerspricht, so sieht er sich gezwungen, nach einer Erklärung zu forschen. Wo die Verknüpfung nicht sichtbar gemacht werden kann, muß eine Hypothese die fehlenden Glieder der Kette ersetzen. Auch in der Oper wundert sich der Unerfahrene über die schönen Erscheinungen, aber er braucht nur hinter die Kulissen in den Maschinenraum zu blicken, so hört seine Verwunderung auf. Dem Schauspiel der Natur gegenüber ist die Sache nicht so leicht, und über dem vergeblichen Bemühen, das Unzusammenhängende, scheinbar Unvereinbare zu verknüpfen, hat schon mancher den Verstand eingebüßt. Gewohnheit und Stumpfsinn ersparen der Masse der Menschen solche Qualen. Der gemeine Mann wundert sich nicht darüber, daß das Brot, welches er ißt, zu Fleisch wird, obwohl diese Verwandlung doch wahrlich Verwunderung verdient. Aber wie das feinere Ohr des Musikalischen die Dissonanzen heraushört, die dem gewöhnlichen Hörer eines Musikstücks entgehen, so bemerkt der feinere Sinn des Denkers die Lücken und Widersprüche im Universum. Freilich kann sich dieser feinere Sinn erst entfalten, wenn der Mensch nicht mehr mit der Not des Lebens ringt: bei den wohlhabenden kleinasiatischen Griechen, bei den vor kriegerischen Einfällen sicheren Inselgriechen ist die Philosophie entstanden. »Die Philosophie nun ist die Wissenschaft von dem, was die Naturerscheinungen verknüpft. Viel geht in der Natur vor, was in keinem Zusammenhang mit dem übrigen zu stehen scheint, und was den ruhigen Ablauf unserer Vorstellungen (Smith sagt: die bequeme Bewegung unserer Einbildung) stört. Indem nun die Philosophie die unsichtbaren Kettenglieder nachweist, welche die vereinzelten Erscheinungen verbinden, beschwichtigt sie den Aufruhr des Gemüts (der Imagination, sagt Smith wiederum) und verhilft ihm dazu, auch beim Anblick der großen Umwälzungen des Universums die ihm angenehme und seiner Natur bekömmliche Ruhe und Fassung zu bewahren. Die Philosophie darf daher zu den Künsten gerechnet werden, die sich an die Einbildungskraft wenden. Versuchen wir also zu beschreiben, wie sie von ihrem ersten Ursprung an allmählich zu ihrer heutigen Vollendung gelangt ist! Sie ist die erhabenste und erfreulichste aller Künste, und ihre Umwälzungen sind häufiger und wichtiger gewesen, als die aller anderen Künste, darum muß auch ihre Geschichte die unterhaltendste und lehrreichste sein. Prüfen wir demnach die verschiedenen Systeme der Naturphilosophie, die nacheinander von den Denkern dieser unserer westlichen Welt, der einzigen, die wir genau kennen, angenommen worden sind, und zwar nur von unserem eigentümlichen Standpunkte aus, indem wir untersuchen, wie weit jedes von ihnen geeignet war, die Einbildungskraft zu befriedigen; die Natur zu einem zusammenhängenderen und darum prachtvolleren Schauspiele zu machen, als sie uns ohne dieses Hilfsmittel erscheinen würde.« Von diesem Gesichtspunkte aus nun erzählt er die Geschichte der Astronomie, zeigt, wie jede Hypothese nur kurze Zeit zu befriedigen vermochte, weil neu beobachtete Himmelserscheinungen mit ihr nicht erklärt werden konnten, wie die falsche Grundanschauung, zu welcher der Augenschein verleitet hatte, zu immer verwickelteren und darum unbefriedigenderen Konstruktionen nötigte, bis endlich Kopernikus den richtigen Standpunkt fand und damit ein völlig befriedigendes Weltbild schuf, das später von Newton vollendet worden sei. Dieser habe die letzten Schwierigkeiten gehoben und von allem, was vordem beunruhigte, genügenden Aufschluß gegeben. »Wir selbst,« schließt Smith seine Betrachtungen, »indem wir die philosophischen Systeme nur als Erfindungen der Einbildungskraft auffaßten, die zu dem Zwecke ausgesonnen wurden, scheinbar widerspruchsvolle Naturvorgänge miteinander in Einklang zu bringen, sind bei der Darstellung der Lehre Newtons unvermerkt in eine Redeweise hineingeraten, als hätten wir es mit den wirklichen Ketten zu tun, deren sich die Natur bedient, ihre mannigfaltigen Wirkungen miteinander zu verknüpfen. Können wir uns darüber wundern, daß diese Lehre allgemeine Zustimmung erlangt hat? Ja wir dürfen von diesem System wohl sagen: es ist nicht mehr ein bloßer Versuch, die Himmelserscheinungen in unserer Einbildung zu verknüpfen, sondern es ist die größte Entdeckung, die jemals gemacht ward, die Entdeckung einer ungeheuren Verkettung der wichtigsten und erhabensten Wahrheiten durch eine Grundtatsache [die Schwerkraft], von deren Wirklichkeit uns die tägliche Erfahrung überzeugt.«

Auch der Laie bemerkt in dieser Geschichte der Astronomie Lücken und Ungenauigkeiten. So kennt Smith zwar die stoische Ansicht, nach der sich die Erde um ein Zentralfeuer bewegen sollte, weiß aber noch nicht, daß Aristarch die Bewegung der Erde um die Sonne gelehrt hat. Das Verdienst, die kugelförmige Krystallhülse, von der man sich das Weltall umschlossen dachte, durchbrochen und dem Blick die Unendlichkeit der Fixsternwelten geöffnet zu haben, hat sich der unglückliche Giordano Bruno erworben. Smith nennt nur Cartesius als einen der ersten unter denen, welche »die Grenzen des Universums aufgehoben« hätten, weist aber dem anderen großen Italiener den ihm gebührenden Ehrenplatz ein, indem er zeigt, wie vor der Begründung der modernen Mechanik durch Galilei und vor dessen teleskopischen Entdeckungen die gegen das kopernikanische System erhobenen Bedenken nicht völlig beseitigt werden konnten. Und mit seiner anmutigen, bis auf den Grund durchsichtigen Darstellung macht er auch manche dem Laien gar nicht leicht verständliche Dinge wie die alte Lehre von den Epizyklen und Newtons Anwendung der Fallgesetze auf den Mond so klar, wie es nicht jedem modernen Popularisierer gelingt. Wenn sich ein Astronom der Mühe unterzöge, Smiths Abhandlung von etwaigen Irrtümern zu reinigen, ihre Lücken aufzufüllen und durch Anfügung der Geschichte seiner Wissenschaft in den seitdem verflossenen anderthalbhundert Jahren zu ergänzen, so würde er damit ein originelles, unterhaltendes und auch heute noch nützliches Büchlein liefern. Da Smith S. 90 erwähnt, daß im Jahre 1758 ein Komet erwartet werde (es war der Halleysche), muß seine Schrift vor dem genannten Jahre fertig dagelegen haben.

Es folgt die Beleuchtung der die philosophische Untersuchung leitenden Prinzipien durch die Geschichte der Physik des Altertums. Sie ist Fragment geblieben. Sie legt dar, wie sich bei dem Bemühen, den Wandel der Dinge, das Entstehen der einen aus anderen, ihnen ganz unähnlichen, die Notwendigkeit ergab, die unendliche Mannigfaltigkeit der Dinge auf einfache Elemente und deren Mischung zurückzuführen, wie sich da einerseits die sogenannten vier Elemente darboten, andererseits die Hypothese von einer qualitätlosen Materie und der diese Materie gestaltenden substantiellen Form zu Hilfe genommen wurde. Smith urteilt abfällig über Platos Ideenlehre, glaubt, daß Aristoteles mit deren Deutung das richtige getroffen habe, und stellt den Schüler über den Meister. Sehr gut zeigt Smith, wie der aus einer naiven Naturbetrachtung hervorgehende Polytheismus den Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnis aufgehalten hat, weil die Götter, selber nur Produkte der Natur, für die Störer der Naturordnung gehalten wurden und der Glaube an sie das Forschen nach den wirklichen Ursachen der scheinbaren Störungen überflüssig machte, und wie der Gedanke einer die ganze Natur durchwaltenden, mit sich selbst übereinstimmenden Gesetzlichkeit zum Theismus, zur Annahme eines einzigen vernünftigen Ordners aller Dinge führen mußte, daß also die Philosophie den Griechen in religiöser Hinsicht dasselbe leistete, wie den Juden ihre Offenbarung. – Eine kurze und unbedeutende Abhandlung ist der antiken Logik und Metaphysik gewidmet.

Bei der folgenden Abhandlung: »über jene Nachahmung, die in den sogenannten nachahmenden Künsten angewendet wird«, rechtfertigt sich eine vollständige Inhaltsangabe. Die vollkommenste Nachahmung, führt er aus, besteht darin, daß ein zweiter Gegenstand derselben Art hergestellt wird, der dem ersten, dem Urbilde, vollkommen gleich ist. Mag nun auch der zweite Gegenstand so schön sein wie er will, darum, weil er Nachahmung ist, wird er nicht höher geschätzt. Bei einem Gegenstande für den Alltagsgebrauch, z. B. bei einem Zimmerteppich, begründet es wenigstens keinen Tadel, daß er nicht Original ist. Hätte aber ein Architekt eine zweite St. Peterskirche oder eine zweite St. Pauluskathedrale gebaut, die ein sklavisches Nachbild des Originals wäre, so würde man ihn wegen seines gänzlichen Mangels an Genie und Erfindungsgabe verachten. Vollkommene Gleichheit zweier Gegenstände wird mitunter als ein wesentlicher Bestandteil der Schönheit geschätzt, wenn nämlich diese Gegenstände die rechte und die linke Hälfte eines Organismus, eines Leibes sind, und durch die Gleichheit die Symmetrie hergestellt wird. Ähnlich verhält es sich mit den zwei Pferden eines Gespanns. Betrachtet man jedes der beiden Pferde für sich, so gewinnt seine Schönheit dadurch nichts, daß es einem anderen gleicht; anders ist es, wenn sie zu einem Ganzen vereinigt sind. Beim Schmuck eines Zimmers lieben wir ebenfalls Symmetrie; wir hängen z. B. in gleicher Entfernung von der Mitte einer Wand Bilder von gleicher Gestalt und Größe auf, womöglich auch Bilder, die verwandte Gegenstände darstellen: zwei Landschaften, zwei religiöse Bilder, zwei Bacchanale; nur darf hier die Übereinstimmung nicht zu weit gehen; niemand wählt für die linke Seite eine Kopie der die rechte Seite schmückenden Landschaft. Kopien werden überhaupt um ihrer Ähnlichkeit mit dem Original willen gewöhnlich nur dann geschätzt, wenn es sich um die Nachbildung von Werken berühmter Meister handelt.

Zuweilen liegt der Wert einer Nachahmung darin, daß sie einen Gegenstand der einen Art einem Gegenstand ganz anderer Art ähnlich erscheinen läßt, z. B. Leinen so färbt, daß es wie Wolle aussieht. Darauf nun beruht die Schätzung der Nachahmung bei den nachahmenden Künsten. Der Maler ahmt auf einer Fläche Gegenstände nach, die drei Dimensionen haben, und der Bildhauer stellt die abgebildeten Gegenstände zwar körperlich dar, aber aus einem Stoff, der von dem des Urbildes durchaus verschieden ist. Gerade diese Verschiedenheit scheint das zu sein, was unser Wohlgefallen erregt, oder vielmehr die Überwindung der Schwierigkeit, die sie dem Künstler bereitet. Bei Gemälden kann die Nachahmung auch dann gefallen, wenn der abgebildete Gegenstand unbedeutend oder sogar häßlich und anstößig ist. Skulpturen gefallen selten, wenn der Gegenstand weder erhaben, noch schön, noch interessant ist. Küchengeräte sind kein Sujet für den Bildhauer. Der Maler mag einen buckligen Äsop darstellen, und auch die Niederländer machen uns Vergnügen, die uns gemeines Volk bei gemeinen Verrichtungen zeigen; dem Bildhauer ziemen nur Götter und Göttinnen, vollkommen schöne Menschenleiber in edler Haltung oder malerischer Stellung. Der Gegenstand der Skulptur bringt es mit sich, daß, wenn überhaupt eine, keine andere Draperie angewandt werden darf, als nasse Leinwand, die sich den Gliedern so anschmiegt, daß der Bekleidete so gut wie nackt ist. In Wirklichkeit würde das eine sehr unzweckmäßige Kleidung sein, und auch für die Malerei paßt sie nicht; auf Gemälden würde das so aussehen, als stellten die Figuren bettelhafte Menschen dar, die kein Geld hätten, sich ordentliche Kleider zu kaufen. Weil auf Gemälden auch Gegenstände ohne Bedeutung gefallen, und der Maler seinem Bilde alle Pracht geben soll, deren es fähig ist, so soll er seine Figuren mit reichlichen, wallenden Gewändern von schönem Faltenwurf bekleiden, die nicht alle Glieder deutlich hervorzuheben, sondern nur die hauptsächlichsten anzudeuten brauchen [Smith hätte diesen Grund des Unterschieds genauer angeben müssen: der Maler wirkt durch die Farbe, darum wäre es töricht, wenn er bei Figuren nur das Inkarnat benutzen wollte, während ihm, wenn er sie bekleidet, alle sieben Farben des Regenbogens mit allen ihren Schattierungen zur Verfügung stehen; der Maler kann im Unterschiede vom Bildhauer die ganze sichtbare Wirklichkeit, alle Erscheinungen der Weltgeschichte und der Gegenwart darstellen; darum wäre er sehr töricht, wenn er sich auf mythologische Gegenstände und Badeszenen beschränken wollte.] Moderne Bildhauer haben die Kleidung auch in der Skulptur einzuführen versucht; indes sehen alle solche Werke ungeschickt und uninteressant aus, wenn sie auch nicht alle so lächerlich sind, wie die marmornen Perücken in der Westminsterabtei. Durch Bekleidung und Färbung können Statuen dem lebenden Menschen zum Verwechseln ähnlich gemacht werden; aber eben diese Art Täuschung ist unkünstlerisch und soll vermieden werden. Bildtapeten sind mehr Prunkstücke als Kunstwerke; was ihnen Wert verleiht, ist weniger ihre Schönheit – sie können niemals so vollkommen wie Gemälde sein – als ihre Kostbarkeit. Obwohl der Teppichweber weit schlechter bezahlt wird als der Maler, kommt seine Arbeit doch, weil sie viel länger dauert, viel teurer zu stehen.

Die wahre Kunst also geht niemals auf Täuschung aus; die perspektivischen Kunststückchen mancher Maler, daß sie uns z. B. verleiten, eine gemalte Treppe für eine wirkliche zu halten, sind eben Kunststückchen, nicht Kunst im höheren Sinne des Wortes. Deren Wirkung besteht, wie gesagt, in der Erregung unserer Verwunderung darüber, daß es dem Künstler gelungen ist, einen von der Natur gesetzten Unterschied zu überwinden und uns mit einem Gegenstande der einen Art einen Gegenstand ganz anderer Art vorzuzaubern. Von den Naturwundern unterscheiden sich die Wunder der Kunst dadurch, daß sie ihre Erklärung in sich tragen: auch der Laie erkennt auf den ersten Blick, mit welchen Mitteln der Künstler seine Wirkung erzielt.

Den ursprünglichsten Genuß spendet dem Menschen die Natur durch die Befriedigung seiner Bedürfnisse. Mit diesem Genusse begnügt sich aber der Mensch nicht; er verschafft sich noch dazu Genüsse eigener Erfindung. Die ersten solchen Genüsse sind Musik und Tanz. Es gibt kein Naturvolk, das nicht mit ihnen sein halbes Leben ausfüllte. Bei zivilisierten Völkern treten diese beiden Vergnügungen mehr zurück, weil die Armen keine Zeit dazu, die Reichen so viel andere Lustbarkeiten haben. Das beide Künste Verbindende ist der Rhythmus. Als natürliches Musikinstrument besitzt der Mensch seine Stimme. Anfänglich haben die musikalischen Laute nur den Zweck, einen Rhythmus kenntlich zu machen, und wenn sie artikuliert werden, dann kommen nur sinnlose Worte heraus wie unser Juwiwallera. Erst nach und nach werden statt solcher sinnvolle Worte eingeführt, die, um sich dem Rhythmus anschmiegen zu können, in Versform gebracht werden. Die Verse müssen natürlich einen Sinn haben, der dem fröhlichen oder traurigen Charakter der Melodie entspricht. Ist die Entwickelung so weit gediehen, dann wollen Musik und Tanz Schicksale und Leidenschaften darstellen, die eine heitere oder traurige Stimmung oder irgend einen anderen Affekt erzeugen. Das kann auch durch Pantomimen geschehen; aber die Poesie verfügt über einen größeren Reichtum von Ausdrucksmitteln; sie kann auch Gedanken, Ideen ausdrücken und ganze Geschichten erzählen. Zuletzt lösen sich Musik und Poesie aus der ursprünglichen Einheit los und bilden sich zu selbständigen Künsten aus; der Tanz kann niemals selbständig werden; er ist unausführbar ohne Musik, weil nicht das Auge, sondern das Ohr das Organ ist, das den Rhythmus wahrnimmt. Die Musik kann natürlich nicht als Vokal-, sondern nur als Instrumentalmusik selbständig werden.

Die Nachahmung besteht nun bei diesen drei Künsten darin, daß die Schicksale, Gedanken, Stimmungen, Gespräche, Taten von Personen dargestellt werden. Man hat die Oper unnatürlich genannt, weil in Wirklichkeit kein Mensch Gespräche und Monologe singt. Aber diese Abweichung von der Natur ist eben das, was das Wesen der Kunst ausmacht: die Nachahmung eines Dinges durch ein Ding von ganz anderer Art. Und nur die Arie, nicht das Rezitativ ist vollkommene musikalische Kunst. Gerade die Wiederholung derselben Tonfolgen nicht allein, sondern auch derselben Worte und Silben, und das lange Verweilen auf einem Ton, einer Silbe, drückt das aus, was dargestellt werden soll: die Leidenschaft; denn deren Eigentümlichkeit ist es, die Seele an einen Gedanken, an einen Gegenstand zu fesseln, von dem sie nicht los kann. [Ein sehr hübsches Argument gegen Wagners Bekämpfung der alten Oper!] Den geeignetsten Gegenstand für poetisch-musikalische Darstellung geben die sozialen Affekte ab, die die Menschen durch Sympathie verbinden: Trauer, die Mitleid, Freude, die Mitfreude erregt, Liebe, hochherzige Verachtung der Gefahr, Zorn über Ungerechtigkeit. Alle diese sozialen Affekte sind musikalisch, weil sie die Seele in rhythmische Schwingungen versetzen. Dagegen wirken die unsozialen, die die Menschen auseinanderreißen, wie Haß und Bosheit, stoßweise und bringen, wo sie sich durch die Stimme äußern, Mißtöne hervor. Solche dürfen in einer Symphonie vereinzelt vorkommen, sie können aber auch ganz fehlen. Dagegen würde ein aus lauter Dissonanzen bestehendes Konzert ein sonderbares Vergnügen sein. Die Musik leistet Höheres als die bildenden Künste. Diese fügen der Schönheit der Natur keine neue Schönheit hinzu: sie können nichts, als vereinzelte Naturschönheiten zu einem neuen Ganzen kombinieren. Musik dagegen gibt es nicht in der Natur, abgesehen von den doch sehr unvollkommenen Melodien einiger Vögel. Die Musik erschafft eine neue, in der Natur nicht vorhandene Schönheit. Die höchste Vollkommenheit erreicht die Nachahmung der tönenden Künste in der Oper, wo die Personen und Begebenheiten der Dichtung nicht allein mit Wort und Melodie, sondern auch mit körperlicher Aktion nachgebildet werden. Eine Verirrung ist es, wenn der Komponist für sich allein, ohne das hinzukommende erklärende Wort, Begebenheiten, Ereignisse, unmusikalische Geräusche nachzubilden versucht. Theaterdonner und dergleichen sind Kunststückchen untergeordneter Talente. Sparsam angewendet können sie eine gute Wirkung hervorbringen, wie der Lerchen- und Nachtigallenschlag in einer Komposition Händels zu einem Texte Miltons. Was die Musik darzustellen vermag, das sind nicht Begebenheiten und Gedanken, sondern Stimmungen. Hohe Töne und rasches Tempo drücken freudige Erregung, tiefe Töne und langsames Tempo Trauer aus, gemäßigtes Tempo und mittlere Töne eine ruhige Stimmung. Eine vollkommene Instrumentalmusik will keine Geschichte erzählen. Ihr Gegenstand liegt nicht außer ihr, wie der Gegenstand eines Gedichtes oder eines Gemäldes; ihr Gegenstand ist sie selbst: diese bestimmte Tonfolge in diesem bestimmten Rhythmus mit diesen Wiederholungen. Nicht vermittels irgend welcher Vorstellungen und Gedanken wirkt sie, wie die übrigen Künste, sondern unmittelbar: eine fröhliche Musik stimmt ohne jede Reflexion fröhlich, eine traurige traurig. Und zwar tut dies die Melodie. Harmonie verstärkt nur die Wirkung, aber Harmonie ohne Melodie ist keine Musik. [Man sieht hieraus und aus dem oben von der Arie gesagten, daß Smith, wenn er heute lebte, kein Bayreuther sein würde.] Instrumentalmusik gehört demnach streng genommen nicht zu den nachahmenden Künsten; ihr Vermögen, nachzuahmen, ist außerordentlich beschränkt.

In weit höherem Grade vermag der Tanz nachzuahmen; aber das Nachahmen ist ihm nicht wesentlich. Die Tänze der Alten waren meistens pantomimisch; sie begleiteten gewöhnlich einen Gesangsvortrag; heute tanzt man nach Instrumentalmusik, die keinen nachahmenden Charakter hat, demgemäß hat auch der Tanz den nachahmenden Charakter eingebüßt. Der Opernsänger, der ja zugleich Schauspieler ist, hat auch seine Bewegungen dem Rhythmus der Musik anzupassen, aber sein Schritt darf nicht Tanzschritt sein. Der Tanzschritt unterscheidet sich von dem zwar anmutigen, aber nicht affektierten Gehschritt, wie die Singstimme von der zwar angenehmen, aber nicht affektierten Sprechstimme. Der Tänzer will sich in anmutiger Stellung und Bewegung zeigen und will sonst nichts; der Gehende will nur den Zweck seines Ganges erreichen, und will er nebenbei noch den Zuschauern durch die Anmut seiner Bewegungen gefallen, so darf er das nicht merken lassen, wenn sich nicht das Wohlgefallen in Mißfallen verwandeln soll. Der Sänger will durch die Schönheit seiner Stimme Gefallen erregen, das ist der Zweck seines Gesanges. Der Sprechende will sich bloß verständlich machen; dabei absichtlich Melodie in die Stimme legen ist Affektieren. Durch die [damals] neuen Entdeckungen der Physiker ist es uns möglich geworden, den Unterschied der musikalischen von der unmusikalischen Tonfolge exakt anzugeben. Zwischen den Schwingungszahlen tönender Körper walten bei musikalischen Intervallen einfache arithmetische Verhältnisse ob. Die kleinen Intervalle in der Modulation der Sprechstimme lassen sich nicht durch einfache Verhältnisse der Schwingungszahlen ausdrücken.

Man sieht: Smith ist darin ganz Brite, daß für ihn die metaphysischen Fragen der deutschen Ästhetik, namentlich die nach dem künstlerischen Ideal, nicht existieren. Unseren Modernen wird gerade dieses an seinen übrigens nicht sonderlich modernen, aber unserer Ansicht nach meist zutreffenden Ansichten gefallen. Es folgt eine Abhandlung über die Verwandtschaft zwischen gewissen englischen und italienischen Versen: Bemerkungen über Metrum und Reim, die nur insofern interessieren, als sie von der Vorliebe Smiths für die Poesie zeugen. Bedeutender ist wieder die letzte Abhandlung: über die äußerlichen Sinne, eine Physiologie der Sinne, an der die heutige Wissenschaft wohl nur Unvollständigkeit, aber nicht Irrtümer auszusetzen finden würde. Smith entwickelt auch den von Locke begründeten Unterschied zwischen den primären Qualitäten der Körper: Ausdehnung, Teilbarkeit, Gestalt, Beweglichkeit und den sekundären: Farbe, Temperatur, Duft, Wohlgeschmack, aber er findet die Feststellung dieses Unterschieds nicht sehr verdienstlich, weil auch der gemeine Mann ganz genau wisse, daß die süßen Körper ihre Süßigkeit nicht selbst schmecken, die roten ihre Röte nicht selbst sehen, sondern daß mit diesen Worten Empfindungen bezeichnet werden, die wir selbst haben, und daß die äußeren Dinge nur die Kraft besitzen, diese Empfindungen in uns zu bewirken. Hier irrt Smith in doppelter Weise. Daß der Zucker seine Süßigkeit nicht selbst schmeckt, weiß allerdings auch der Ungebildete; aber wenn wir ihm sagen, daß der Ton nicht der Glocke und die rote Farbe nicht der Rose anhaftet, sondern jener nur in unserem Ohr, diese nur in unserem Auge, oder vielmehr beides vermittelst unserer Sinne nur in unserer Seele existiert, so schüttelt er den Kopf. Dann unterschätzt Smith die Wichtigkeit von Lockes Entdeckung für die Metaphysik: sie hat den Weg gebahnt zu der heut allgemein angenommenen Ansicht, daß die Materie ein System immaterieller Kraftpunkte sei. Sehr hübsch wird die biologische Bedeutung der Sinne dargelegt und der Unterschied zwischen dem Menschenkinds und dem Hühnchen beschrieben: jenes braucht lange Zeit, ehe es die Entfernungen der gesehenen Dinge abschätzen lernt, dieses läuft sofort, nachdem es aus dem Ei gekrochen, zu den Krumen und Körnchen, die ihm die Henne hinwirft; auch wie anders sich andere Vögel verhalten, wird gezeigt. In dem Abschnitt über den Geschmack wird bemerkt, man nehme an, daß eine die Haut durchdringende Flüssigkeit die Nervenenden in Bewegung setze und dadurch die Geschmacksempfindung erzeuge, aber wie die Flüssigkeit solche Bewegung, und wie die Bewegung eine Empfindung erzeugen könne, die weder selbst der Bewegung fähig ist, noch mit Bewegung die mindeste Ähnlichkeit habe, das werde wohl nie ein Philosoph erklären können. Das erste: die Nervenschwingung, haben die heutigen Hypothesen nicht bloß für den Geschmack, sondern für alle fünf Sinne erklärt, das zweite ignorabimus hat auch Herbert Spencer stehen gelassen. Auffällig ist, daß Smith nicht bei dieser Gelegenheit die Hypothesen über die Natur des Lichts erwähnt.


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