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4. Letzte Lebensjahre.

Smith erwarb im vornehmsten Stadtteile Edinburghs, Canongate, ein vornehmes Haus, Panmure House (die Häuser hatten damals keine Nummern, sondern Namen), das nach ihm die Gräfin Aberdeen bewohnt hat, mit einem Garten, der jetzt Arbeitsstätte eines Böttchers ist, und prachtvoller Aussicht über Gärten und Wiesen, die jetzt natürlich bebaut sind. Im Januar 1778 siedelte Smith dahin über mit seiner Mutter und seiner Base, Miß Douglas; ein Neffe, für dessen Ausbildung Smith die Sorge übernommen hatte, ein Sohn des Obersten Douglas of Strathendry, vervollständigte die Familie. Sie lebten behaglich und glücklich miteinander und übten zwanglose Gastfreundschaft. Kaum ein Fremder von Bedeutung hat damals Edinburgh besucht, der nicht in Smiths Hause freundlich ausgenommen worden wäre, und Sonntags hatte man immer Tischgäste ohne förmliche Einladung. Diese Sonntagsgesellschaften blieben in gutem Andenken, bis das Puritanertum aufs neue erstarkte und die Sabbatarier jedes Sonntagsvergnügen als Sünde in Verruf brachten. Die Geselligkeit pflegte Smith auch außer dem Hause. Mit dem Chemiker Black und dem Geologen Hutton gründete er den Austernklub, aus dessen Namen man nicht auf Epikuräismus im schlimmen Sinne des Wortes schließen darf. Hutton war abstinent, Black Vegetarier, und Smiths einzige Delikatesse war Zucker. Walter Scott erzählt, vielleicht übertreibend oder eine scherzhafte Neckerei ernst nehmend, eine Teegesellschaft sei ihm unvergeßlich, wo sich die Dame des Hauses vergebens bemüht habe, Smith zum Sitzen zu bringen. Er sei, Zucker kauend, auf- und abgewandelt, und habe jedesmal, wenn er am Tische vorbeikam, ein Stückchen Zucker stibitzt; schließlich habe die Dame, eine ehrwürdige alte Jungfrau, die Zuckerschale auf ihren Schoß gerettet, um sie vor dem Räuber zu bergen. Die übrigen Mitglieder des Austernklubs haben immer bekannt, daß der größte Genuß bei ihren Zusammenkünften der gewesen sei, den sie aus den Unterhaltungen der gelehrten und geistreichen drei Gründer geschöpft hätten.

Die Mutter, die Freunde, die Bücher, das waren die drei Dinge, die Smiths Glück und Erholung ausmachten. Seine Bibliothek enthielt 3000 schön gebundene Bände; meine Bücher, sagte er einem staunenden Betrachter, sind das einzige, worin ich Eitelkeit entfalte. Keines seiner Bücher ist durch Randbemerkungen entstellt. Von 2200 Bänden ist ein Verzeichnis entworfen worden. Beinahe ein Drittel machen die französischen, ein zweites Drittel die lateinischen, griechischen und italienischen Werke aus; nur ein reichliches Drittel kommt auf die englischen. Dem Stoffe nach fällt ein Fünftel aus schöne Literatur und Kunst, ein Fünftel auf die lateinischen und die griechischen Klassiker (Horaz war in acht Exemplaren vorhanden), ein Fünftel auf Jura, Politik und Biographien, ein Fünftel auf politische Ökonomie und Geschichte, ein Fünftel auf Philosophie, Theologie und Naturwissenschaften.

Das Zollamt war im Oberstock der königlichen Börse, Exchange Square, untergebracht, und der Maler Kay, der an der Ecke von Parlamentsplatz und High Street (diese ist die Verlängerung der mittleren Canongatestraße) seinen Laden hatte, hat Smith dargestellt, wie er ihn oft des Morgens hat vorbeigehen sehen auf dem Wege dahin: in hellfarbigem Rock, Kniehosen, weißseidenen Strümpfen, Schnallenschuhen, niedrigem, breitkrämpigem Biberhut, in der Linken ein Blumenbukett und in der Rechten den in der Mitte gefaßten Spazierstock Gewehr über tragend. Er pflegte den Kopf abwechselnd nach der einen und nach der anderen Seite zu neigen und den Leib wurmartig zu winden, als wolle er bei jedem Schritt seine Richtung ändern, auch mit sich selbst oder mit einem unsichtbaren Gefährten zu reden und diesen anzulächeln. Die Marktweiber sprachen einmal ihre Verwunderung darüber aus, daß man den übergeschnappten Menschen allein herumlaufen lasse, besonders da er doch, seiner guten Kleidung nach zu urteilen, wohlhabenden Leuten angehöre. Auf dem Wege zu einer Sitzung soll er auch das stärkste in hypnotischem Gebaren geleistet haben. Den Sitzungen der Zollkommission hatte ein prachtvoll ausstaffierter Portier Feierlichkeit zu verleihen, der jeden der Herren Kommissare in der Weise empfing, daß er seinen sieben Fuß langen Zeremonienstab vor ihm präsentierte. Smith, der die Sache schon oft durchgemacht hatte, stellte sich ihm diesmal gegenüber und präsentierte seinen Spazierstock. Der Portier senkte vorschriftsmäßig seinen Stab und trat beiseite, um dem Kommissar den Vortritt zu lassen. Smith stellte sich auf die andere Seite. Dem verblüfften Diener blieb nichts übrig, als vorschriftswidrig die Türschwelle zuerst zu überschreiten, um seine Funktion weiter ausüben und dem Kommissar voranschreiten zu können, die Treppe hinauf bis zur Saaltür; Smith, genau Schritt mit ihm haltend, hinterdrein. An der Saaltür tritt der Mann beiseite, salutiert wieder mit dem Stabe und verbeugt sich tief; der Doktor tut mit feierlichem Ernst dasselbe. Nun weckt ihn Walter Scott, der zufällig Zeuge der seltsamen Szene gewesen und mit hinaufgegangen war. Derselbe erzählt auch, Smith habe einmal, als er ein amtliches Schriftstück unterzeichnen sollte, den Namen dessen, der vor ihm unterschrieben hatte, nachgemalt. Der phantasievolle Romancier hat möglicherweise in zu lebhaften Farben gemalt; nach dem früher Berichteten ist er überhaupt kein zuverlässiger Gewährsmann. Die Amtsgeschäfte der Kommissäre bestanden in der Prüfung von Reklamationen, in der Anstellung von Beamten, Entscheidung über allerlei Anliegen von Kaufleuten, über Leuchtturmangelegenheiten, Absendung von Truppen gegen Schmugglerbanden, in Gehaltszahlungen, Aufstellung des Etats und Übersendung der Überschüsse ans Schatzamt. Im März 1830 hatte in der französischen Akademie Flourens die Lobrede auf Benjamin Delessert zu halten und sagte darin: »Adam Smith hat ihn durch sein Buch gelehrt, verständlich über Nationalökonomie zu reden, und durch sein Beispiel, seinen eigenen Beweisführungen nicht zu trauen; ist doch der eifrigste Parteigänger des Freihandels als Zollkommissar gestorben.« Delatour bemerkt dazu, dieser Ausfall beweise, daß der berühmte Physiologe Smith nur sehr oberflächlich gekannt habe; bei genauerer Kenntnis würde er Ehrfurcht gehegt haben vor der großen und sympathischen Gestalt des bescheidenen und uneigennützigen Gelehrten, dem das Glück der Menschheit einziger Zweck seiner Tätigkeit gewesen sei. Die Zolleinrichtungen bestanden nun einmal, und Smith war ein entschiedener Feind jedes Versuchs radikaler und überstürzter Reformen. Übrigens habe er fiskalische Zölle ausdrücklich gebilligt und werde, als er das Amt übernahm, gehofft haben – freilich wohl vergebens – in diesem Verwaltungszweige Verbesserungen durchzusetzen, und durch liberale Handhabung der bestehenden Gesetze eine größere Reform vorzubereiten. Daß, wie seine Freunde klagten, die gewissenhafte Erfüllung seiner Amtspflichten ihn an der Ausführung seiner literarischen Entwürfe verhindert hat, ist richtig, ganz falsch dagegen die allgemein verbreitete Ansicht, seine praktische Tätigkeit habe in gar keinem Zusammenhange mit seinen Studien gestanden; die älteren Biographen scheinen sein Amt für ein subalternes gehalten zu haben. In Wirklichkeit waren die Kommissare hohe Finanzbeamte. Sir John Sinclair wollte einmal von Smith die Mémoires concernant les impositions geliehen haben. Diese Denkschriften waren für den Gebrauch einer französischen Finanzkommission in nur hundert Exemplaren gedruckt worden, und von diesen waren vier nach Britannien gekommen; Smith hatte das seine von Turgot erhalten. Er schrieb nun dem Bittsteller, er könne den Band nicht fortschicken, denn er ziehe ihn häufig zu Rate sowohl bei seinen Studien als auch bei der Erledigung von Amtsgeschäften; und Sinclair bemerkt bei der Mitteilung des Vorfalls, Smith habe aus seiner Amtstätigkeit viel Belehrung geschöpft; ohne sie würde er niemals erfahren haben, in welchem Grade praktische Tätigkeit zum Verständnis der Politik notwendig ist. In der Tat betreffen die meisten Zusätze und Berichtigungen der dritten Ausgabe des Wealth das finanzielle Gebiet. Derselbe Sinclair war ein eifriger Förderer der Landwirtschaft und schrieb eine Abhandlung gegen die puritanische Sabbathfeier, die schriftwidrig sei und die landwirtschaftlichen Arbeiten störe. Smith, dem er das Manuskript zeigte, sagte ihm: »Ihr Werk, Herr Sinclair, ist sehr geschickt abgefaßt, aber ich widerrate Ihnen die Veröffentlichung; denn seien Sie versichert, der Sabbath ist, abgesehen von seinem Anspruch auf göttliche Einsetzung, eine politische Institution von unschätzbarem Werte.« Das ist richtig, wenn man soziale Institution für politische setzt. Freilich wird die von den Puritanern wieder eingeführte pharisäische Form der Sabbathfeier im Neuen Testament ausdrücklich verurteilt, aber Smith wird geglaubt haben, daß durch die Gefährdung ihrer puritanischen Form sie selbst gefährdet werde, wie denn die Menschen im allgemeinen das Vernünftige nicht ohne einen Zusatz von Unvernunft zu tun vermögen. Demselben Sinclair hat Smith eine lange steuertechnische Abhandlung geschickt, von der nur noch der Schluß vorhanden ist: »Ich verwerfe alle Auflagen auf Lebensbedürfnisse der Armen. Je nach Umständen bedrücken sie entweder diese oder die Reichen, die den Arbeitslohn entsprechend erhöhen müssen. Steuern auf den Luxus der Armen dagegen, auf Bier und Spirituosen, zu mißbilligen, bin ich so weit entfernt, daß ich sie für die besten aller Luxussteuern halte, wenn sie nur nicht so hoch sind, daß sie zum Schmuggel verleiten. Ich könnte einen Band über die törichten gesetzlichen Maßregeln schreiben, mit denen man die Leinwandmanufaktur und die Fischerei zu fördern versucht hat, und über die schlimmen Wirkungen dieser Maßregeln.«

Im Jahre 1779 waren wieder einmal irische Fragen brennend geworden, und die Regierung wandte sich an Smith um Rat. Die Engländer hatten bekanntlich durch eine jahrhundertelange unter dem Vorwande der Religion verhängte grausame Verfolgung die Iren ausgeplündert und zu bettelhaften Pächtern des Grund und Bodens der grünen Insel, ihres früheren Eigentums, herabgedrückt. Dann hielten sie jeden Versuch der Geknechteten, sich durch Verwertung ihrer landwirtschaftlichen Produkte und durch Gewerbtätigkeit wieder hinaufzuarbeiten, mit eiserner Konsequenz darnieder. Irland hatte gute Viehweiden – die Ausfuhr lebenden Viehs wird ihnen verboten. Sie versuchen es mit geschlachtetem Vieh – die Ausfuhr von Pökelfleisch wird verboten. Sie verlegen sich auf die Schafzucht – die Wollausfuhr wird verboten. Sie verarbeiten ihre Wolle selbst – die Tuchausfuhr wird verboten; und so wird jede Industrie, mit der sich das unglückliche Volk zu helfen versucht, in der Wiege erstickt. Die Folge davon war, daß es für Hunderttausende an Beschäftigung fehlte – denn Irland hatte damals über eine Million Einwohner mehr als heute und konnte bei vorherrschender Graswirtschaft, wie sie das Klima fordert, in der Landwirtschaft so viel Menschen nicht unterbringen – und daß die Pächter zugrunde gingen, weil die jedes Einkommens beraubten Massen die spottbilligen Nahrungsmittel nicht kaufen konnten und Ausfuhr unmöglich war. In Dublin hielten die Arbeitlosen Umzüge mit einem schwarzen Schaffell als Fahne. Nun würde diese Not die Engländer so wenig gerührt haben wie der Schrei nach Gerechtigkeit, aber man lag damals im Kriege gegen Frankreich, Spanien und die amerikanischen Rebellen, viele Iren wanderten aus und traten ins Heer der Freiheitskämpfer ein; die protestantische Minderheit aber, die eingewanderten Engländer, beschwerten sich, daß ihre Häfen ohne Schutz blieben, und brachten eine nationale Küstenverteidigungsmannschaft auf die Beine, die wohl auch zu anderen Zwecken verwendet werden konnte. Überall im Lande entstanden revolutionäre Vereine, und französische Emissäre schürten den Brand. Unter diesen Umständen fragten zwei Mitglieder der Regierung, Henry Dundas und der erste Lord des Schatzes, Earl of Carlisle, bei Smith an, ob es seiner Ansicht nach ratsam sei, die den Iren auferlegten Handelsbeschränkungen aufzuheben. Der Hauptinhalt der beiden Gutachten, die Smith abgab, ist folgender. Da er den Wortlaut der irischen Forderungen nicht kenne, so könne er nur bedingungsweise antworten. Die Iren können mit dem Freihandel, den sie fordern, viererlei meinen. 1. Daß ihre Ausfuhr keinen anderen Beschränkungen unterworfen werde als solchen, die ihr eigenes Parlament [sie hatten es damals noch; es ist erst 1801 durch die Union mit England beseitigt worden] ihnen auflegt. Diese Forderung ist gerecht. Das sehr geringfügige Interesse unserer Fabrikanten ist die Ursache der jetzt bestehenden Ungerechtigkeiten. Die immer wachsame Eifersucht dieser Herren wird erregt durch die unbegründete Furcht, die Iren, die noch niemals ihren eigenen Bedarf an Fabrikaten aus eigener Kraft haben decken können, möchten ihnen auf ausländischen Märkten Konkurrenz machen. 2. Können sie freie Einfuhr verlangen; jetzt dürfen sie ausländische Waren nur über England beziehen. Auch diese Forderung ist gerecht, und ihre Erfüllung würde kein großbritannisches Interesse ernstlich schädigen. »Mit allen Beschränkungen der irischen Aus- und Einfuhr haben wir nicht die wirklichen Interessen, sondern nur die Unverschämtheit unserer Kaufleute und Fabrikanten gefördert.« 3. Können die Iren freie Aus- und Einfuhr nach und aus unseren Kolonien fordern. Weil sie zur Gründung und Verteidigung dieser Niederlassungen wenig beigetragen haben, würde dieser Anspruch weniger begründet sein, aber schaden würde es uns nichts, wenn wir sie an unserem Monopol des Kolonialhandels teilnehmen ließen. 4. Endlich fordern sie vielleicht, daß ihre Erzeugnisse bei der Einfuhr nach Großbritannien keinen anderen Steuern unterworfen werden als die britischen Erzeugnisse. Diese Forderung würde die am wenigsten vernünftige sein. Aber auch ihre Erfüllung würde uns nichts schaden. Im Gegenteil: die irische Konkurrenz würde dazu beitragen, das Monopol zu durchbrechen, das wir törichterweise unseren Gewerbetreibenden verliehen haben. Doch würden Jahrhunderte vergehen, ehe sich diese Konkurrenz bemerkbar machte, schon aus dem Grunde, weil Irland weder Holz noch Kohle hat, und es ihm außerdem an einer Bedingung fehlt, die noch wichtiger für das Gewerbe ist als Holz und Kohle: an einer guten bürgerlichen Ordnung und Rechtspflege; und diese wird es nicht haben, so lange das Volk in zwei einander bekämpfende feindliche Nationen: Unterdrücker und Unterdrückte, Protestanten und Papisten gespalten ist. »Sollte sich aber Irland in Zukunft einmal der Freiheit und einer guten Regierung erfreuen und seine Industrie mit der englischen an Tüchtigkeit wetteifern – dann desto besser fürs ganze britische Reich und für England im besonderen! So wenig der Wohlstand und die Industrie von Lancashire Yorkshire schädigen, so wenig würden der Wohlstand und die Industrie Irlands England schädigen; vielmehr würden dadurch Englands Wohlstand und Industrie befördert werden.« – Einige Korrespondenzen dieser Jahre beziehen sich auf Übersetzungen des Wealth in fremde Sprachen. In einem die Übersetzung ins Dänische betreffenden Briefe an Strahan bittet Smith, ihm eine Wattsche Kopiermaschine, die mit Kiste 125 Mark koste, samt Kopiertinte, einem Ries Kopierpapier und sonstigem Zubehör zu schicken, und mit dem, was von der beiliegenden Anweisung auf 160 Mark übrig bleibe, einen Schneider zu bezahlen, dem er einige Schillinge habe schuldig bleiben müssen, weil er vor der Abreise die Rechnung nicht habe bekommen können. Er habe beinahe vergessen gehabt, daß er der Verfasser des Wealth sei, da habe ihn ein Schreiben des Sekretärs des neu errichteten Handelsamts in Kopenhagen, der das Werk übersetzen wolle, daran erinnert. Smith war ein guter Kunde seiner Bücher, indem er oft Exemplare kaufte, um sie zu verschenken; mehrere Briefe haben solche Bestellungen zum Inhalt. An Cadell, Strahans Kompagnon, schreibt er am 7. Dezember 1782, er müsse wegen seiner Faulheit um Entschuldigung bitten; er habe aus London eine Menge Bücher mitgebracht, die teils neu, teils wenigstens ihm neu gewesen seien, und diese hätten ihn von seiner literarischen Aufgabe: der Vorbereitung einer neuen Ausgabe des Wealth, so lange abgezogen. [Er scheint in dieser Zeit in den Mußestunden, die ihm das Amt und die Geselligkeit übrig ließen, ausschließlich Belletristik und alte Klassiker, besonders Sophokles und Euripides, gelesen zu haben.] Jetzt aber habe er sich daran gemacht und hoffe in zwei bis drei Monaten die Neubearbeitung schicken zu können. Er habe viele Verbesserungen vorgenommen und drei oder vier beträchtliche Zusätze gemacht. Darunter sei eine kurze, aber wie er sich schmeichle vollständige Geschichte aller britischen Handelskompagnien; von diesen Zusätzen solle auch eine Sonderausgabe für die Besitzer der alten Auflagen des Werkes veranstaltet werden. Sie erschienen 1783 in Quart, die dritte Auflage selbst aber aus buchhändlerischen Rücksichten erst Ende 1784 zum Preise von 20 Mark. Die Zusätze betrafen Gegenstände, die damals höchst aktuell waren. Von den Handelskompagnien war natürlich die ostindische die wichtigste, und Pitt setzte gerade damals, 1784, die Einsetzung eines Board of Control durch; mit seinem weitergehenden Plane, die Regierung Indiens von der Kompagnie auf Regierungskommissare zu übertragen, ist er gescheitert. Ein anderer Zusatz betrifft die Wirkung der schottischen Fischereiprämien, die damals Gegenstand einer parlamentarischen Untersuchung waren. Ferner wird – im Widerspruch zum radikalen Freihandelsprinzip – zweierlei empfohlen: ein Finanzzoll auf die Wollausfuhr, der sehr einträglich sein werde; der Vorschlag war insofern liberal, als der Zoll an die Stelle des damals bestehenden Ausfuhrverbots treten sollte. Und zweitens werden auf begrenzte Zeit verliehene Monopole für Handelsgesellschaften gebilligt in Fällen, wo ein Unternehmen dem Publikum bedeutenden Nutzen verspricht, aber des großen Risikos wegen ohne Monopol nicht gewagt wird.

Im Jahre 1780 suchte ein junger Mann Smith auf, um ihn, wie wir heute sagen, zu interviewen. Man war jedoch damals weder so fix noch so indiskret wie heute: der Interviewer hat seine Niederschrift erst nach Smiths Tode, 1791, in der Zeitschrift »Die Biene« veröffentlicht und Amicus gezeichnet. Er fand Smith außerordentlich mitteilsam, offenherzig und liebenswürdig. Dieser erzählte ihm viele Anekdoten von literarischen Personen und charakterisierte einige Größen. So stellte er z. B. Swift als Dichter sehr hoch und erklärte Livius für den größten aller Geschichtschreiber. Was Shakespeare betrifft, so schien er Voltaires Urteil zu billigen, der den großen Dramatiker einen trunkenen Wilden genannt hatte; er habe gute Szenen aber kein gutes Stück gemacht. Als sich jedoch Amicus selbst abfällig über Hamlet äußerte, sagte Smith: ja, aber er ist voll von schönen Stellen. Smith meinte eben mit vielen seiner Zeitgenossen, Shakespeare habe zwar zehnmal so viel dramatisches Genie gehabt als Dryden, aber dieser übertreffe ihn in der dramatischen Kunst Heute spricht man Drydens Dramen jeden Wert ab. Amicus erwähnte das Gerücht, daß Burke eine junge Dame verführt habe. Smith erwiderte: »Diese schöne Geschichte haben Sie wahrscheinlich einem Magazin entnommen [so wurden damals auch in Deutschland die Wochen- und Monatschriften genannt]. Alle diese Blätter haben ein sehr niedriges Niveau. Sie haben einmal einen Gentleman beschuldigt, seine eigene Schwester entehrt zu haben, und als man nachforschte, stellte es sich heraus, daß er gar keine Schwester hatte. Burke ist in jeder Beziehung ein Ehrenmann; er hat ein hochgebildetes Mädchen geheiratet, das keinen Pfennig Vermögen besaß.« Unter den politischen Anekdoten, die er zum besten gab, war die wichtigste, daß Georg III. Minister, die nicht seiner Meinung waren, durch ein Jahrgeld von je 2000 Pfund zu bekehren pflegte; es sei sehr unpolitisch von Lord Bute gewesen, den oppositionellen Staatsmännern diese Einkommenquelle zu verstopfen, dadurch habe er die Opposition bösartig gemacht. Man hat diese Veröffentlichung getadelt: Smith, sagte man, würde eher in die Ausstellung seines mumifizierten Leichnams in einem Raritätenkabinett als in die Veröffentlichung seiner intimsten Äußerungen eingewilligt haben. Rae indes meint, man könne gegen diese Ansicht Smiths Ausspruch anführen: an einem bedeutenden Manne sei nichts so unbedeutend, daß sich seine Kenntnis nicht lohne; ihm für seine Person sei es immer angenehm gewesen zu wissen, daß Milton seine Schuhe nicht mit Schnallen befestigt, sondern mit Riemchen gebunden habe; und hier, schreibt Rae, handle es sich nicht um Schuhriemen, sondern um reife Urteile über Dinge, die er gründlich durchdacht und zum Teil in Werken und Vorträgen bearbeitet hatte. Die Authentizität dieser Aufzeichnungen ist übrigens von niemand angefochten worden. Ein französischer Professor der Geologie, Faujas Saint Fond, der ihn 1782 besuchte, erzählt: von Rousseau habe Smith mit einer beinahe religiösen Ehrfurcht gesprochen. »Voltaire,« sagte er u. a., »bekämpfte die Laster und Torheiten der Menschen, indem er sie schonungslos rügte und lächerlich machte; Rousseau führt seine Leser zur Vernunft und zur Wahrheit durch die Anziehungskraft, die er aufs Gefühl ausübt, und durch die Kraft der Überzeugung. Sein Sozialkontrakt wird ihn eines Tages für alle Verfolgungen rächen, die er erduldet hat.« Vielleicht hat die immer ernster werdende Lage Frankreichs Smith veranlaßt, den ehedem verachteten pathetischen Propheten jetzt höher zu schätzen als den frivolen Spötter; vielleicht auch darf man an das Urteil Stewarts denken, in seinen mündlichen Äußerungen sei Smith stark von Augenblicksstimmungen beeinflußt worden. Den genannten Professor fragte er, ob er Musik liebe, und da dieser bejahte, führte er ihn in einen Konzertsaal, wo acht nacktbeinige Hochländer einen Kriegstanz aufführten, den sie selbst mit ihren Dudelsäcken begleiteten. Der Franzose fand die Musik gräßlich, aber die schottischen Zuhörer spendeten, von patriotischem Hochgefühl geschwellt, stürmischen Beifall, und beim letzten Teile, der dem Franzosen nicht weniger bärentanzmäßig vorkam als der vorhergehende, der aber, wie Smith erklärte, die Klage um die Gefallenen bedeutete, schwammen die Augen der schönen jungen Damen in Tränen. Auch an anderen volkstümlichen Veranstaltungen nahm Smith teil. So war er, und zwar mit dem Titel Hauptmann, Ehrenmitglied der Bürgerwehr; am 4. Juni 1781 wurde er feierlich aufgenommen. Am 8. September 1784 ist diese Mannschaft aufgeboten worden, um die Obrigkeit bei einer Exekution zu schützen: zwei bei einem Krawall verhaftete Burschen sollten gepeitscht werden, und man fürchtete dabei eine Wiederholung des Aufruhrs; die martialische Haltung der Bürgerwehr jedoch, heißt es in einem Bericht, hielt den Pöbel in Schranken. Rae schreibt, er wisse nicht, ob in solchen Fällen auch die Ehrenmitglieder hätten antreten müssen, aber im Protokoll seien die Namen derer verzeichnet, die an dem Tage gefehlt hätten, und da Smith nicht genannt werde, so scheine er der Exekution beigewohnt zu haben – in Uniform doch jedenfalls.

1783 wurde die Royal Society von Edinburgh gegründet. Sie hatte eine wissenschaftliche und eine literarische Abteilung; Smith war einer der vier Präsidenten der literarischen Abteilung, und der Herzog von Buccleugh war Präsident der ganzen Akademie. Smith hat in dieser Gesellschaft niemals eine Abhandlung vorgelesen. In der Ministerkrisis von 1782 schrieb er, ungeachtet seiner Freundschaft mit Shelburne, einen aufmunternden Brief an dessen Gegner Burke, weil er dem Whiggismus Shelburnes nicht traute und dessen Verbleiben im Kabinett, nachdem sich die Whigs strengster Observanz zurückgezogen hatten, als einen Verrat ansah. Smith war eben entschiedener Gegner jeder Vermehrung der Macht der Krone. Wiederholt wurde er angegangen, Projekte von Patrioten zu begutachten, die den Staat aus seiner gefährlichen Lage retten wollten. In der Antwort auf einen Vorschlag Sinclairs schreibt Smith, Aufgabe der Publizistik sei es im Augenblick, den Völkern klar zu machen, wie töricht es sei, überseeische Besitzungen zu erwerben, die nichts brächten, die aber mit großen Kosten verteidigt werden müßten. Die Besitznahme von Gibraltar habe die Spanier und die Franzosen zu einem ihren natürlichen Interessen wie ihren alten Vorurteilen zuwiderlaufenden Bündnis getrieben, habe England die schwerwiegende Feindschaft Spaniens und die wertlose Freundschaft Portugals eingebracht; »und um diesen kahlen Felsen zu verteidigen, lassen wir unsere eigenen Küsten schutzlos.« Der Friede von Versailles 1783 hatte Handelsverträge mit Frankreich und den Vereinigten Staaten im Gefolge, die, wie Lord Shelburne an den Abbé Morellet schrieb, »vom großen Prinzip des Freihandels inspiriert« waren. William Eden, einer der Friedensunterhändler, muß in einem Briefe an Smith die Besorgnis ausgesprochen haben, daß der englischen Fischerei und Hutmacherei Gefahr drohe, wenn den Vereinigten Staaten freier Verkehr mit dem bei England verbleibenden, an Pelztieren und Fischen reichen Kanada gestattet werde. Smith schreibt ihm am 15. Dezember 1783: »Wenn die Amerikaner wirklich die Produkte der verschiedenen Nationen denselben Zöllen unterwerfen und allen dieselben Vergünstigungen gewähren wollen, so geben sie damit ein Beispiel verständiger Politik, das alle anderen Staaten nachahmen sollten. Jedenfalls ist es gerecht, daß ihre Handelsgüter bei uns denselben Zöllen unterworfen werden, denen wir die von Rußland, Schweden und Dänemark unterwerfen, und daß wir die Amerikaner so behandeln, wie sie selbst uns und die anderen Nationen zu behandeln gedenken. In welchem Grade wir unseren amerikanischen und westindischen Kolonien den Verkehr mit den Vereinigten Staaten gestatten sollen, mag manchen Leuten schwer zu entscheiden scheinen. Meiner Ansicht nach sollten wir den Verkehr so fortgehen lassen wie bisher; Nachteile, die etwa daraus entstehen, werden sich mit der Zeit von selbst heben. Westindien braucht das Bauholz und die anderen Rohstoffe, die es aus den Vereinigten Staaten bezieht, viel nötiger, als diese den westindischen Rum und Zucker brauchen, so daß Störung dieses Verkehrs unsere treu gebliebenen Untertanen mehr schädigen würde als die abgefallenen. Aber ich traue den Versicherungen der Vereinigten Staaten nicht. Ich habe einen Tarifentwurf gesehen, nach dem Rohzucker aus unseren Kolonien höher besteuert werden soll als der aus anderen Kolonien. Übrigens bin ich nicht besorgt wegen unseres Verkehrs mit Amerika. Wenn wir alle Nationen gleich behandeln, so muß mit unseren europäischen Nachbarn ein Verkehr in Gang kommen, der unendlich vorteilhafter ist als der mit dem viel weiter entfernten Amerika. Ich will Sie nicht mit einer langen Abhandlung belästigen, sondern bemerke nur: jede ungleiche Behandlung anderer Staaten, jede Vergünstigung oder Erschwerung, die den einen zugewendet oder auferlegt wird, den anderen nicht, ist eine Übertölpelung des Staates, bei der einer Klasse von Händlern das Interesse der Nation geopfert wird.« Zum Schlusse gratuliert er ihm und Fox dazu, daß das Unterhaus die Ostindia Bill angenommen hat, nach der die Regierung Ostindiens von den Direktoren der Kompagnie auf eine von der Krone zu ernennende Behörde übergehen sollte. Er hofft, das Oberhaus werde zustimmen. – Für das Jahr 1784 war Burke zum Lord Rektor der Universität Glasgow ernannt worden und kam Ende 1783 nach Schottland, um sich installieren zu lassen. Bei dieser Gelegenheit stattete er Smith einen Besuch ab, und beide beklagten gemeinsam den Niedergang der Freiheit, womit sie den der Whigs meinten. Bekanntlich ist Burke nicht lange darnach durch die französische Revolution in einen wütenden Reaktionär umgewandelt worden.

Einige Monate darauf wurde Smith in tiefe Betrübnis versetzt: am 23. Mai 1784 starb seine Mutter im neunzigsten Lebensjahre. Seine Freunde fanden, daß er diesen Schlag nicht zu verwinden vermocht habe und von da ab ein anderer geworden sei. Drei Zugänge, hat Earl of Buchan einmal geäußert, gab es zu seinem Herzen: seine Mutter, seine Bücher und Übereinstimmung mit seinen politischen Überzeugungen. Die tiefe Niedergeschlagenheit, der er verfiel, gab zu der Vermutung Anlaß, daß er nicht an die Unsterblichkeit glaube, denn er traure wie jene, die keine Hoffnung haben. Zwei Briefe der folgenden Zeit, einer vom 22. Dezember 1785 und einer vom 3. Januar 1786, beschäftigen sich mit der Bevölkerungsfrage, die durch eine Schrift von Dr. Richard Price angeregt worden war. Dieser hatte aus Angaben über den Ertrag der Herdsteuer geschlossen, daß die Bevölkerung Englands seit der Revolution um dreißig Prozent ab genommen habe. Smith nennt Price einen faktiösen Bürger, einen oberflächlichen Denker, einen schlechten Rechner; seine Berechnungen verdienten seine Beachtung. Was Schottland betreffe, so seien die Zollerträge seit acht Jahren auf das Vierfache gestiegen. Die Bevölkerung scheine stationär geblieben zu sein, nach den Listen der Examinanden, die Dr. Webster angelegt habe. Jeder schottische Pfarrer hatte nämlich alljährlich einmal seine sehr zerstreut wohnenden Schäflein aufzusuchen und sie, auch die ältesten Personen, im Katechismus zu prüfen; von den Prüflingen mußte er eine Liste führen. Dr. Webster hatte diese Listen der Regierung auf deren Ansuchen eingesandt, und Smith hatte mit ihm die Angelegenheit besprochen. Jener hatte ihm mitgeteilt, die städtische Bevölkerung sei im letzten Jahrzehnt bedeutend gewachsen, aber dieser Zuwachs werde durch die Entvölkerung des Hochlands und der Inseln aufgewogen; auch im Unterland habe die ländliche Bevölkerung abgenommen infolge der Vergrößerung der landwirtschaftlichen Betriebe. 1786 erschien die vierte Ausgabe des Wealth, in deren Vorwort Smith dem Bankier Henry Hope dankt für die Informationen über die Bank von Amsterdam.

Die große Änderung, die man an Smith wahrnahm, ist wohl nicht durch den Tod der Mutter allein verursacht worden. Er litt an Unterleibsbeschwerden, alterte augenfällig und magerte zum Skelett ab. Doch fühlte er sich im April 1787 genügend erholt, eine Reise nach London zu unternehmen, wo er den Dr. Hunter konsultieren wollte. Der jüngere Pitt nahm die Gelegenheit wahr, ihm seine Verehrung zu bezeugen. Smiths Buch war sein erster Lehrmeister in ökonomischen Dingen gewesen, er war also kein Bekehrter, sondern von Haus aus Freihändler. Smith wurde zu einem Mahle in Dundas Haus in Wimbledon geladen, zusammen mit Pitt, Addington, Wilberforce, Grenville und anderen politischen Größen. Er kam zuletzt an und entschuldigte seine Verspätung. Die ganze Gesellschaft empfing ihn stehend. Auf seine Bitte: »Setzen Sie sich doch, meine Herren«, erwiderte Pitt: »Nein, wir bleiben stehen, bis Sie sitzen, denn wir sind alle Ihre Schüler.« Nach einem anderen Diner, bei dem sich Smith mit Pitt unterhalten hatte, äußerte jener zu Addington: »Was für ein außerordentlicher Mann ist doch Pitt! Er versteht meine Ideen besser, als ich sie selbst verstehe.« Aus verschiedenen Mitteilungen erfährt man, daß sich Smith einen Abszeß am Halse aufschneiden lassen mußte, und daß alle Staatsregistraturen angewiesen waren, ihn ihre Akten durchsuchen und für ihn kopieren zu lassen, was er wünschen werde. Wahrscheinlich hatte er im Auftrage des Ministeriums Nachforschungen nach irgend etwas anzustellen. Wilbersorce, der bekanntlich für die Aufhebung der Sklaverei agitierte, war unzufrieden mit Smith, weil dieser einen anderen philanthropischen Plan »mit charakteristischer Kälte« behandelte. Um der Entvölkerung des schottischen Hochlands zu steuern, sollten an dessen Küste vierzig Fischerdörfer angelegt werden. Der schottische Hochadel wurde dafür gewonnen, und man gründete eine »Gesellschaft zur Beförderung der Fischerei« mit einem Aktienkapital von 2 700 000 Mark. Smith urteilte, die Gesellschaft werde ihr Geld bis auf den letzten Pfennig verlieren; glücklicherweise werde das Publikum dadurch nicht zu Schaden kommen, denn die Wohltäter würden doch hoffentlich bloß in ihre eigenen Taschen greifen. Smith hatte richtig prophezeit. Nicht ein einziges neues Dorf kam zustande; alle verlockenden Angebote vermochten nicht, Ansiedler anzuziehen. Und wenn die Gesellschaft von den eingezahlten 700 000 Mark 300 000 rettete, so hatte sie es dem Umstande zu verdanken, daß sie sich von der Philanthropie zur gewöhnlichen Boden- und Bauspekulation bekehrte und Grundstücke in der Nähe eines aufblühenden Hafens bebaute, der ohne ihre Hilfe entstanden war. Dagegen begrüßte Smith mit herzlichem Beifall die Bewegung für Sonntagsschulen; seit den Tagen der Apostel, äußerte er, habe kein Unternehmen eine so wohltätige und mit so einfachen Mitteln zu bewirkende Sittenänderung versprochen.

Nach einer Mitteilung des Earl von Buchan soll Smith von der Aufnahme, die er bei dem Toryministerium gefunden hatte, so entzückt gewesen sein, daß er als ein Tory nach Hause zurückkehrte; nach und nach habe sich freilich die neue Tünche abgenutzt und sei die Naturfarbe wieder zum Vorschein gekommen. Bald nach seiner Rückkehr im November 1787 wurde er fürs nächste Jahr zum Lord Rektor von Glasgow gewählt. Professoren und Studenten hatten gleiches Stimmrecht, aber jene hatten Smith vorgeschlagen, und unter den Studenten war ein kleiner Krakehler, der den Kommilitonen predigte: wenn sie den Kandidaten der Professoren annähmen, so gefährdeten sie ihre Unabhängigkeit. Der große Nationalökonom war jedoch so beliebt, daß die Aufhetzung nicht zog: Smith wurde beinahe einstimmig gewählt. Der Rektor hatte früher die Disziplinargewalt über die Studenten geübt und den Verkehr der Studenten mit den Staatsbehörden vermittelt; seit der von Jakob VI. 1577 vollzogenen nova erectio war er nur noch ein repräsentierender Würdenträger. In einem Schreiben an den Prinzipal – so wurde der Vorsitzende der Fakultät tituliert – vom 16. November sagt Smith, er nehme mit Dankbarkeit und Freude die große Ehre an; keine andere Auszeichnung würde ihm solche Genugtuung bereitet haben. »Niemand kann einer Körperschaft so viel schulden wie ich der Universität Glasgow. Sie hat mich erzogen, sie hat mich nach Oxford geschickt, sie hat mich dann zu einem ihrer Mitglieder erwählt und bald darauf zu einem anderen Amte berufen, dem die Fähigkeiten und Tugenden des unvergeßlichen Dr. Hutcheson höheren Glanz verliehen hatten. Der dreizehn Jahre, die ich als Mitglied dieser Körperschaft verlebt habe, erinnere ich mich als der nützlichsten und darum glücklichsten und ehrenvollsten Periode meines Lebens.« Den Termin der Installation möge man nach Gutdünken anberaumen. Wolle man sie an Weihnachten vornehmen, so habe er da ja fünf oder sechs Tage Ferien. Aber er warte seines Amtes im Zollhause so regelmäßig, daß er auch zu jeder anderen Zeit, ohne Anstoß zu erregen, eine Woche Urlaub nehmen könne. Die Feierlichkeit fand schon am 12. Dezember statt, und beim Ablauf seines Amtsjahrs wurde er wiedergewählt, so daß er die Würde eines Lord Rektors vom Dezember 1787 bis Dezember 1789 bekleidet hat. Ein großer Teil der Briefe Smiths enthält Empfehlungen von Schützlingen, denen er Unterstützung oder Förderung verschaffte. In die letzte Zeit seines Lebens fällt ein unvollständig datierter Brief, in dem er den Tutor seines Neffen, einen talentvollen und fleißigen jungen Mann, dem berühmten Reisenden und Naturforscher Sir Joseph Banks empfiehlt. Der Empfohlene hat später als berühmter Physiker Sir John Leslie seinen Patronen Ehre gemacht. Am 18. Dezember 1788 dankt er Gibbon für die drei letzten Bände seines Geschichtswerks; dieses erhebe den Verfasser zur ersten unter allen literarischen Größen Europas. Im selben Herbst starb seine Base, Miß Douglas, so daß nun sein Haus ganz verödet war, da er den Neffen, der in Glasgow studierte, nur in den Ferien bei sich hatte.

Im folgenden Jahre kam der damals 23jährige Dichter Samuel Rogers auf seiner »Home Tour« – diese Art Reisen war eben Mode geworden – nach Edinburgh; seinen Aufzeichnungen nach zu urteilen hat er seine Aufmerksamkeit vorzüglich Smith zugewendet als der Hauptmerkwürdigkeit des Ortes. Er traf ihn beim ersten Besuche, am 15. Juli 1789 (dem Tage nach dem Sturm auf die Bastille, von dem man natürlich in Schottland noch nichts wußte) beim Frühstück. Smith hatte eine Schüssel Erdbeeren vor sich stehen. Das ist mein Lieblingsobst, sagte er; es ist eine nordische Frucht; sie gedeiht am besten auf den Orkneys und in Schweden. Edinburgh, äußerte er, verdiene eigentlich keinen Besuch; es habe Schottland in Verruf gebracht (durch seinen Schmutz wohl, meint Rae); das einzige, was ihm einige Bedeutung verleihe, seien die königlichen Behörden. Dagegen pries er Loch Lomond als den schönsten aller britischen Seen. Der Boden Schottlands sei gut, aber das Klima sei so rauh, daß die Landleute oft vom Winter überrascht würden, ehe sie die Ernte eingebracht hätten. Er erinnerte sich daran, mit welcher Verwunderung er als Student auf der Reise nach Oxford in der Gegend von Carlisle bemerkt habe, wie anders dort die Felder aussahen. Smith lud den jungen Mann mehreremal zu Tische, nahm ihn mit in den Austernklub und in eine Sitzung der Royal Society. Dr. James Anderson hielt eine lange und langweilige Vorlesung über das gesetzliche Verfahren gegen Schuldner. Die Zahl der Anwesenden betrug sieben, einschließlich der vier Gäste, die Smith vom Mittagtisch mitgebracht hatte; Smith erfreute sich, wie öfter bei solchen Vorlesungen, eines gesunden Schlummers. Eines Sonntags vormittags, als gerade zur Kirche geläutet wurde, traf Rogers den Kommissar vor der Haustür, wie er eben eine Sänfte bestieg, um sich spazieren tragen zu lassen. Smith lud ihn zum Abendessen ein. Bei diesem wurde über den mutmaßlichen Verfasser der Juniusbriefe disputiert. Smith erklärte, er halte den Single Speech Hamilton (so genannt, weil er im Parlament nur einmal gesprochen hat) dafür. Eines Tags habe dieser zum Herzog von Richmond gesagt: Heut steht wieder ein verteufelt schneidiger Juniusbrief im Public Advertiser, und habe den Hauptinhalt angegeben. Als aber der Herzog das Blatt bekam, stand statt des Briefes eine Entschuldigung der Redaktion darin, daß sie den fälligen Brief nicht bringen könne. Infolge dieses Vorfalls sei Hamilton natürlich für den Verfasser gehalten worden, und sobald sein Name öffentlich genannt wurde, hätten die Briefe aufgehört zu erscheinen. Solange auf Männer geraten wurde, die nicht die Verfasser waren, sei die Veröffentlichung ungestört weiter gegangen. Das klingt überzeugend; die Mehrzahl der Kritiker hat sich trotzdem für Sir Philip Francis entschieden. Auch Rogers rühmt Smiths Mitteilsamkeit, kühne Offenheit und die herzliche Vertraulichkeit, mit der er ihn, den noch unbekannten jungen Mann, behandelt habe. Bei dieser Gelegenheit wollen wir der fable convenue gedenken, die über Smith hundert Jahre lang umgegangen ist. Auf Grund einiger ungenauer Äußerungen Dugald Stewarts hat man Smith als einen ganz unpraktischen, weltfremden Bücherwurm geschildert und es als ein Wunder dargestellt, daß dieser Stubengelehrte in der Einsamkeit von Kirkcaldy, abgesperrt von allem Verkehr, nicht allein ein Werk über den Verkehr habe schreiben, sondern sogar als reiner Theoretiker das praktisch Richtige habe treffen und praktisch Wertvolles habe leisten können. Namentlich das zehnjährige Anachoretenleben in Kirkcaldy hat man, in Antithesen schwelgend, mit dichterischer Lebhaftigkeit geschildert. Ein paar Beispiele. Buckle schreibt: »Es ist höchst merkwürdig, daß Hume und Adam Smith, die unsere Wissenschaft vom Handel so unendlich bereichert haben, keine praktische Bekanntschaft mit dem Handel hatten … Die zehn Jahre, die Smith auf das Niederschreiben seines großen Werkes verwandte, wurden nicht auf einem der Tummelplätze des Verkehrs zugebracht, wo er die Phänomene des Geschäftslebens hätte beobachten können. Er begab sich auf keinen dieser großen Märkte, wo die Ereignisse vor sich gingen, die er zu erklären suchte. Das war nicht seine Methode. Im Gegenteil: die zehn Jahre, die er daran arbeitete, das lebhafteste Schaffensgebiet zu einer Wissenschaft zu erheben, wurden in völliger Abgeschiedenheit zugebracht.« Und Bagehot, der übrigens wenigstens weiß, daß Smith von Kaufleuten viel gelernt hat, phantasiert: »Der Gründer der Wissenschaft vom Geschäft war einer der fürs Geschäft Untauglichsten aller Menschen. Er war ein linkischer schottischer Professor, allem Anschein nach mit Büchergelehrsamkeit vollgestopft und in Abstraktionen vertieft. Er hat niemals Handelsgeschäfte betrieben, und hätte er es einmal getan, so hätte er sicherlich keine vier Groschen verdient.« Wo von seiner Anstellung als Zollkommissar die Rede ist, meint Bagehot: »Eine für den öffentlichen Dienst ungeeignetere Person konnte nicht gefunden werden; aber im Zeitalter der Sinekuren und Pensionen hat man wohl auch nicht erwartet, daß er irgendwelche Amtsverrichtungen ausüben werde.« Unsere Erzählung, für die Rae den bei weitem größten Teil des Materials geliefert hat, zeigt, daß die englischen Biographen vor Rae ein total falsches Bild von Smiths Person und Lebensweise und von der Entstehung des Wealth gezeichnet haben, und es gereicht dem deutschen Gelehrtenfleiß und Scharfsinn zur Ehre, daß schon, ehe der neueste englische Biograph die Quellen erschlossen hatte, Emanuel Leser das Märchen von dem reinen Theoretiker und von der zehnjährigen Einsamkeit in Kirkcaldy zerstört hat. Was die Anfälle von Geistesabwesenheit betrifft, so sind sie sehr erklärlich bei einem Manne, der gewöhnt ist, sein Denken energisch auf einen Gegenstand zu konzentrieren. Der »zerstreute Professor«, wie der Deutsche fälschlich sagt (das englische absent schließt wenigstens das Wesen der Sache, die Konzentration, nicht aus) kann ganz praktisch handeln, wenn er seine Aufmerksamkeit vom Gegenstande seiner Forschung abwendet und, sich wirklich zerstreuend, sein Wahrnehmungsvermögen und seinen Willen den äußeren Dingen zuwendet. Auch die Bemerkung Stewarts, Smith sei Fremden gegenüber befangen gewesen, und in Gesellschaft sei es zu keinem richtigen Dialog mit ihm gekommen, weil er, wenn er einmal in der Unterhaltung das Wort ergriff, Vorträge, allerdings glänzende, gehalten habe, dürfte eine unberechtigte Verallgemeinerung sein.

Im selben Jahre 1789, dem letzten seines Lebens, veranstaltete Smith eine neue Auflage der »Theorie« mit bedeutenden Zusätzen und Änderungen; daß er den Ausfall auf Larochefoucauld strich, ist bereits gesagt worden. Im Vorwort bemerkt er: Von dem in der ersten Ausgabe, 1759, dargelegten großen Plane sei nur ein Teil – der auf Politik, Finanzen und Kriegswesen bezügliche – ausgeführt worden (im Wealth), weil Amtsgeschäfte und später Krankheiten ihn abgehalten hätten; doch habe er die Stelle, wo er mehr verspricht, nicht ändern mögen. Im Februar 1790 besuchte ihn der Earl of Buchan und sagte beim Weggehen: »Lieber Doktor, wenn ich im Februar des nächsten Jahres in die Stadt komme, gedenke ich Sie öfters zu sehen.« Smith erwiderte: »Mein lieber Ascanius [Buchans Schriftstellername], am Leben sein werde ich ja vielleicht noch manchen Februar, aber Ihren alten Freund bekommen Sie trotzdem nicht mehr zu sehen; ich fühle es, daß die Maschine zusammenbricht, und ich werde dann nicht viel mehr als eine Mumie sein.« Eine seiner letzten Handlungen bestand darin, daß er die Kinder seines Freundes und Hausarztes Cullen der Fürsorge des Herzogs von Buccleugh empfahl. Die Mühewaltung, die er einst dem nun längst verstorbenen Hume zugedacht hatte, übertrug er den Professoren Black und Hutton, die ihm jetzt am nächsten standen. Wie ein dritter Freund, der dem Autodafé beiwohnte, erzählt, äußerte Smith sein Bedauern darüber, daß er so wenig geleistet habe. Er habe mehr zu veröffentlichen beabsichtigt, und das Material dazu sei in seinen Papieren vorhanden, aber davon könne nun keine Rede mehr sein. Als sie die zum Flammentode verurteilten sechzehn Bände verbrannt hatten, ohne zu wissen und zu fragen, was sie enthielten, schien er sich erleichtert zu fühlen. An dem Sonntage, der sein letzter sein sollte, kamen seine gewöhnlichen Gäste zum Abendessen. Er empfing sie heiter, stand auf und wollte sich mit ihnen zu Tische setzen, aber sie bewogen ihn, sich wieder zu legen. Beim Verlassen des Speisezimmers sagte er: »Ich liebe Ihre Gesellschaft, meine Herren, aber ich glaube, ich muß Sie verlassen, um in eine andere Welt zu gehen.« So erzählt einer der Tischgenossen, Henry Mackenzie. Nach Huttons Bericht lautete sein Abschiedswort: »Ich glaube, wir müssen die Sitzung verschieben und an einem anderen Orte anberaumen.« Sonnabend darauf, am 17. Juli 1790, starb er, 67 Jahre und anderthalb Monate alt. Black und Hutton haben dann als Vollstrecker seines literarischen Testaments 1795 die nicht verbrannten Abhandlungen veröffentlicht. Universalerbe war Smiths Neffe David Douglas, der später Lord Reston hieß. Das hinterlassene Vermögen war kleiner, als man bei seinem Einkommen erwarten durfte. Er war sehr wohltätig gewesen – nur Bettlern gab er nichts, weil seiner Ansicht nach Almosen den unteren Klassen die Faulheit stärkten – und er verstand seine Wohltaten so sinnreich zu verbergen, daß ihnen seine Freunde, die sie vermuteten, trotz aller Mühe nicht auf die Spur kamen. Aber Dugald Stewart hat erfahren, daß Smith in Fällen, wo er einer Vermittelung bedurfte, eine Freundin, Miß Roß, ins Vertrauen zu ziehen pflegte, und diese hat ihm mitgeteilt, Smiths Gaben seien unverhältnismäßig groß gewesen und in einer Form gespendet worden, die seinem Zartgefühl nicht weniger Ehre machten als seiner Freigebigkeit. Mackintosh hat einmal geäußert: »Ich habe Smith oberflächlich, Ricardo gut, Malthus intim gekannt; ist es nicht ein gutes Zeugnis für eine Wissenschaft, daß ihre drei größten Meister die besten Menschen gewesen sind, die ich in meinem Leben kennen gelernt habe?«

Smiths Freunde fanden es auffällig, daß die Zeitungen von seinem Tode wenig Notiz nahmen. Sein Leichnam wurde auf dem Kirchhofe von Canongate beerdigt; ein einfacher Denkstein macht das Grab kenntlich, das von Studnitz, wie er in der Gegenwart vom 26. Februar 1876 berichtet, mit Küchenabfällen bedeckt fand, die aus einem Fenster des Hauses geworfen wurden, an dessen Wand das Grab liegt. Zu einem aller Welt zugänglichen Denkmal hat es der Begründer der Nationalökonomie nicht gebracht. Rae zählt vier Porträts auf, die angefertigt seien, ohne daß er dem Künstler je eine Sitzung bewilligt hätte. Kay hat außer dem oben erwähnten 1790 noch eins gemalt, das ihn beim Eintritt in eine Amtsstube darstellt. Tassie, Zögling der Zeichenakademie zu Glasgow, der auch eine Büste oder Statuette modelliert haben soll, fertigte 1787 zwei Medaillons an. Auf einem trägt das Reliefbild eine Perücke, das andere ist in antiker Manier gehalten. Nach diesen vier Originalen sind alle späteren Bildnisse angefertigt. Sie müssen nicht sehr häufig sein, denn Delatour hat trotz aller Nachforschungen keines zu sehen bekommen. Man hatte ihm gesagt, daß die von Kay 1790 angefertigte »Silhouette« in der Randolph Galerie zu Oxford hänge, allein sie war nicht aufzufinden; ferner daß in einem Winkel des Stadthauses zu Kirkcaldy eine kleine Marmorbüste, ein Werk Maricottis, stehe, und daß die Universität Oxford bei einem österreichischen Bildhauer eine Statue bestellt habe, aber er hat nicht erfahren können, ob sie ausgeführt worden ist und wo sie steht. Einige Jahre vorher wußte man beides noch. Thorald Rogers schreibt: Die Bildnisse von Tassie und Kay dienten Gasser als Vorlagen für die prachtvolle Statue, die jetzt, 1869, in der Randolph Galerie in Oxford steht.« Rae erwähnt diese Statue nicht; er schildert nur Smiths Äußeres: mittlere Größe, fleischig aber nicht fett, gerade Haltung, große hellblaue Augen, die unaussprechlich gütig strahlten; immer sorgfältig und fein, aber niemals auffällig gekleidet.

Die hohe soziale Stellung Smiths und überhaupt der schottischen Gelehrten, die den Lesern aufgefallen sein muß, wenn sie dabei der gleichzeitigen kläglichen Lage der deutschen Magister gedacht haben, erfordert eine kurze Erläuterung. In England hat sich nach der Reformation der Begriff der respectability gebildet, der bis zum Beginn der sozialen Bewegung im vorigen Jahrhundert eine unübersteigliche Scheidewand aufrichtete zwischen den besitzenden und gebildeten Ständen und den labouring poor, wie die Lohnarbeiter amtlich genannt wurden; im Fabrikzeitalter wurde der noch rohere und höchst charakteristische Ausdruck hands üblich. Es ist sehr natürlich, daß diese Scheidung in die zwei Völker, die einander nicht kennen, wie Disraëli sagt, im Norden eintrat in einer Zeit, wo die Technik weit genug fortgeschritten war, um den Besitzenden einen für die Armen unerreichbaren Komfort zu schaffen, wo der Kapitalismus anfing, die geistige und die körperliche Arbeit, die in der früheren Landwirtschaft und im Handwerk in einer Person vereinigt gewesen waren, auseinander zu reißen und zwei verschiedenen Volksschichten zuzuteilen, und wo die in geschlossenen Räumen vor sich gehende geistige und gewerbliche Arbeit in immer weiterem Umfange den Verkehr zwischen den Angehörigen verschiedener Stände aufhob, während der Handwerker südlicher Länder im Freien oder in einer nach der Straße hin offenen Werkstatt arbeitet und dadurch mit den höheren Ständen in lebendiger Berührung bleibt. Die Religionsänderung verstärkte diese Scheidung, nicht in dem Sinne, daß das lutherische oder das calvinische Dogma zur Verachtung der Armen geführt hätte (obwohl die Beseitigung der »evangelischen Räte« und der Lehre von der Verdienstlichkeit des Almosens die Bahn nach dieser Seite hin frei machte), sondern so, daß die aus der ökonomischen Entwickelung entspringende Verachtung der Armen die Kirchenmoral beeinflußte; diese bequemte sich der Ansicht der Reichen an, daß die zum Reichtum führenden und das Vermögen erhaltenden wirtschaftlichen Tugenden die höchsten, die entgegenstehenden Laster die schlimmsten seien, und daß man aus der Armut eines Menschen auf Lasterhaftigkeit und verächtlichen Charakter schließen dürfe. Es kommt dazu, daß sich im Süden auch der Besitzlose seines Lebens freuen, Mensch bleiben, geistig geweckt sein, die ästhetische Anlage entwickeln und ästhetische Bedürfnisse befriedigen kann, während der in eine schmutzige Wohnhöhle oder nicht viel weniger traurige Arbeitsstätte eingesperrte nordische Arbeiter leicht zum schmutzigen und stumpfsinnigen Vieh wird.

Aber während sich so die den Gebildeten vom »Mob« – Smith gebraucht das Wort oft – trennende Scheidewand mehr und mehr befestigte, blieben die höheren Klassen ein durch keine Standesprivilegien gespaltenes Ganzes. Bekanntlich ist der englische Adelstitel an den Grundbesitz gebunden. Es gibt keine Grafen ohne Grafschaft, keine Herr von's, die von nichts Herren wären. Die jüngeren Söhne eines Grafen oder Marquis, die die Grafschaft oder Markgrafschaft nicht erben, heißen bloß Herr oder Frau Müller oder Schulze und müssen sich als Beamte, Offiziere, Literaten, Gelehrte, Kaufleute, Gewerbtreibende ihr Brot verdienen. Fällt ihnen durch Erbschaft ein Landgut oder ein Güterkomplex zu, so werden sie je nach dessen Größe und Rang Ritter, Barone, Grafen, Herzöge. So machen der Hochadel und die Gentry, zu der die Gelehrten, Künstler, Beamten und gewerblichen Unternehmer gehören, einen einzigen Stand aus, den Stand der Gentlemen, der respektablen Leute. Auch die Gutspächter gehören dazu, denn in England gibt es nach der Vernichtung des Bauernstandes nur noch »kapitalistische« Großpächter. Diese Abwesenheit scheidender Privilegien und angeborener Rangunterschiede hindert natürlich die reicheren und vornehmeren Mitglieder des herrschenden Standes nicht, die armen Mitglieder zu verachten und sich vom Leibe zu halten; Burton meint sogar im »Leben Humes«, gerade das Fehlen jeder gesetzlichen oder sozial anerkannten Scheidewand habe die damalige Londoner Gesellschaft exklusiv gemacht, während sich der Pariser Hofadel, eben weil er ein geschlossener Stand war, durch den ungenierten Verkehr mit Gelehrten und Künstlern nichts zu vergeben glaubte. Und Hume selbst, der überhaupt die Engländer im allgemeinen und die Londoner im besonderen für Barbaren erklärt, sagt einmal: in London könne sich ein der Gentry angehörender Gelehrter nur durch die Beteiligung an politischen Ränken Beachtung verschaffen; als bloßer Gelehrter bleibe er unbeachtet, und sei er arm, so werde er verachtet.

Für das damalige Schottland aber kommen noch vier Umstände in Betracht, die den armen Gelehrten vor Verachtung schützten. Erstens war die dort Clanverfassung genannte Gentilverfassung noch nicht in Vergessenheit geraten. Die Clanleute fühlten sich als zur Familie ihres Häuptlings gehörig, des Laird, wie in Schottland der Landlord heißt, und sie waren, da der Adel in nichts als in der Freiheit bestand, alle gleich adelig. Diese Clanleute waren im Hochland Hirten, an der Küste Fischer, in Niederschottland kleine Pächter, und unter diesen gab es nicht wenige nachgeborene Söhne von Lords. Zweitens war, wie das schottische Volk im ganzen, so auch mancher Lord sehr arm. Die in England damals schon vorhandene Bourgeoisie fehlte in Schottland noch; es gab wenig Kaufleute und Fabrikanten, und mancher Lordsohn schlug sich kümmerlich als Dorfkrämer oder Schankwirt durch; ein Professor brauchte sich also vor einem Lordsohn nicht allzutief zu verbeugen. Drittens herrschte in Schottland noch die Landwirtschaft vor, und zwar deren Betrieb durch kleine Pächter; sind doch die armen Studenten, die ihren Proviant in Gestalt von Hafergrütze aus dem Vaterhause mitbrachten, Söhne von solchen Kleinpächtern gewesen; und herrschte demnach ziemlich allgemein die Gleichheit der Armut, so ließ auch die Arbeit im Freien, die der Landwirtschaft eigentümlich ist, keine strenge Absperrung zu. Die Gleichheit reichte darum in Schottland bis in die untersten Schichten, so daß die eben beschriebene Scheidewand damals erst in England, noch nicht in Schottland aufgerichtet war, wo zudem die demokratische Presbyterianergeistlichkeit die höheren mit den niederen Schichten verband, besonders auch durch die Pfarrschulen; Smith rühmt: in ihnen lernten fast alle lesen, viele auch schreiben und rechnen; in England hat bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts das ganze niedere Volk aus Analphabeten bestanden, und da dem Arbeitervolk auch keinerlei mündliche Belehrung zufloß, so vertierte es in haarsträubender Unwissenheit. Viertens endlich hatte ganz Schottland damals höchstens anderthalb Millionen Einwohner. Bei der oben beschriebenen Lage der Dinge war akademische Bildung die einzige soziale Scheidewand; die oberen Zehn- oder vielleicht bloß Fünftausend waren eben die Akademiker. Der akademisch gebildete Schotte gehörte also ohne weiteres der höchsten Gesellschaftsschicht an und war schon durch seinen Stand eine hervorragende Persönlichkeit, die nicht übersehen werden konnte, während im heutigen Deutschland der akademisch gebildete Mann nur einer unter vielen Tausenden ist, eine Alltagserscheinung, die im Gewühl der Standesgenossen verschwindet und im Kreise ihrer nächsten Umgebung nur dann hervorragt, wenn sie auf einem entlegenen Dorfe – als Arzt oder Geistlicher – einsam glänzt. Daher kommt es, daß, auch nachdem die große Umwälzung den deutschen Magister von der Verachtung erlöst hat, mit der ihn in Rabeners Zeit der Junker behandeln durfte, nachdem die Industrie hoffähig geworden ist, dem Erbadel der Geldadel und die Intelligenz als Rivalen gegenübergetreten sind und die Politik den Gelehrten aus dem Dunkel des Studierzimmers und der Schulstube ins Licht der Öffentlichkeit, in die Zeitung und ins Parlament geführt hat, daß auch nach allen diesen Veränderungen der Besuch einer Universität für sich allein noch keine Bedeutung verleiht, und daß nur verhältnismäßig wenige von den auf der Universität gebildeten Männern entweder durch außerordentliche Leistungen oder durch die Beförderung zu einem hohen Staats- oder Kirchenamte, in weiteren Kreisen bekannt werden. Noch weniger zahlreich als der akademische Stand im allgemeinen, dessen Masse die Ärzte und die Geistlichen ausmachten, war natürlich im damaligen Schottland der Stand der höheren Akademiker: der Universitätsprofessoren und der Richter. Bei jenen war von der Spezialisierung der Wissenschaften, die heute bei uns nicht bloß die unnatürlich angeschwollenen philosophischen Fakultäten, sondern auch mehrere Arten technischer Hochschulen mit Tausenden von Dozenten bevölkert, noch keine Rede, und die Richter sind in Britannien bis auf den heutigen Tag ein sozial hochgestellter, hoch besoldeter und wenig zahlreicher Stand geblieben. Heute beziehen die dreizehn Mitglieder der Edinburgher Gerichtshöfe jeder 60 000 Mark Gehalt, mehr als der höchstbesoldete preußische Minister, die beiden Präsidenten 90 000 und 96 000 Mark.


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