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2. Aufenthalt in Frankreich und in der Schweiz.

Unmittelbar vor diesem Briefe hatte Smith folgenden erhalten:

»Lieber Herr! Da die Zeit nahe rückt, wo der Herzog von Buccleugh ins Ausland zu gehen beabsichtigt, so nehme ich mir die Freiheit, unsere Unterhandlungen wieder anzuknüpfen. Sind Sie noch geneigt, mit ihm zu reisen, so werde ich die Genugtuung haben, Lady Dalleith und Seine Gnaden zu benachrichtigen und beiden zu einem Erfolg Glück zu wünschen, der ihnen ebenso sehr wie mir am Herzen liegt. Der Herzog will bis Weihnachten in Eton bleiben, dann sich in London bei Hofe vorstellen, aber ein langer Aufenthalt in London würde jetzt, wo sein Charakter noch nicht hinlänglich gefestigt ist, nicht erwünscht sein. Differenzen über die Bedingungen sind nicht zu befürchten, denn Sie werden finden, daß ich das Verhältnis so vorteilhaft für Sie zu machen bemüht bin, wie es für den jungen Herzog wohltätig fein wird. Dieser hat in den alten Sprachen und im schriftlichen Ausdruck bedeutende Fortschritte gemacht, und das hat natürlicherweise seine Lust zum Lesen und Lernen verstärk. Er ist hinreichend begabt, von männlicher Gemütsart, lauteren Herzens und wahrheitliebend, hat also die Eigenschaften, die einer Persönlichkeit von seinem Rang und Vermögen Gewicht und Grütze verleihen. Willigen Sie ein, dieses vortreffliche Material zu einem festen Charakter zu bilden und seine Erziehung zu vollenden, so wird er in sein Land und zu seiner Familie als der Mann zurückkehren, von dem unsere liebende Hoffnung träumt.

Ich bin, lieber Herr, mit aufrichtiger Zuneigung und Hochschätzung Ihr getreuer und ergebenst gehorsamer Diener

C. Townshend.

Lady Dalkeich empfiehlt sich Ihnen.

Smith nahm um so lieber an, da er zu seiner eigenen Belehrung einen längeren Aufenthalt im Auslande und namentlich in Frankreich wünschen mußte. Die Bedingungen waren glänzend: 6000 Mark jährlich auf Lebenszeit. Für 2½ Jahre eines leichten, angenehmen und ihm selbst weit mehr als seinem Zöglinge vorteilhaften Dienstes hat er bis zu seinem Tode gegen 160 000 Mark bezogen. Die Auslandsreise galt damals als Ersatz fürs Universitätsstudium. Auch der junge Buccleugh hat keine Universität bezogen, sondern gleich nach seiner Rückkehr geheiratet. Die eigene Mitwirkung zu solchem Ersatz hat Smith nicht abgehalten, die Sitte in seinem großen Werke zu tadeln.

Da er sich auf plötzliche Abberufung gefaßt machen mußte, eröffnete er am 8. November 1763 der Fakultät, daß eine wichtige Angelegenheit ihn nötigen werde, im bevorstehenden Winter das College zu verlassen, und bat um Urlaub unter folgenden Bedingungen: 1. Wenn er vor Beendigung seines Kursus abreisen muß, wird er den Studenten das Honorar zurückzahlen; sollte es einer nicht annehmen, so erhält die Universität das Geld. 2. Den fehlenden Teil der Vorlesungen bekommen die Studenten gratis von einem Dozenten, den die Fakultät bestimmt, und dem Dr. Smith die von ihr für angemessen erachtete Entschädigung auszahlt. – Die Fakultät bewilligte den Urlaub unter den vorgeschlagenen Bedingungen. Anfang Januar 1764 kam die Berufung nach London. Am 9. meldete Smith der Fakultät, daß er seinem Vertreter (einem jungen Theologen Thomas Young, der auf seinen Vorschlag bezeichnet worden war) den am vorigen 10. Oktober empfangenen Semestergehalt auszahlen werde, übergab die Bibliothek der Moralklasse, empfing den Rest seines Quästorgehalts und ein Exemplar von Foulis' großem Homer, das er als Geschenk für Seine Sizilische Majestät mitnehmen sollte. Den Abschied von den Studenten erzählt Tytler im Leben des Lord Kames. »Nachdem er seinen Zuhörern Lebewohl gesagt und das getroffene Abkommen mitgeteilt hatte, zog er die Honorare aus der Tasche, jedes in ein Papier gewickelt, und fing an, die Namen aufzurufen. Der zuerst Gerufene weigerte sich entschieden, das Päckchen zu nehmen, und alle riefen: sie hätten längst mehr von ihm empfangen, als sie jemals vergelten könnten. Smith dankte ihnen herzlich für die Gesinnung, die sie ihm bezeugten, sagte aber, das sei für ihn eine Gewissenssache; »beim Himmel, meine Herren,« rief er: »diese Gewissensberuhigung dürfen Sie mir nicht verweigern!« Und er faßte den Zunächststehenden am Rock und steckte ihm das Geld in die Tasche; die übrigen fügten sich, da sie sahen, daß er unbeugsam blieb.«

Nicht weniger ehrenhaft handelte er der Fakultät gegenüber: er resignierte auf seine Professur, was nicht jeder in ähnlichen Fällen getan hat. Es geschah dies erst von Paris aus in einem vom 14. Februar 1764 an den Lord Rektor Miller gerichteten Schreiben. Dessen Schluß lautet: »Nie war ich um das Wohl des College besorgter als in diesem Augenblick, und ich wünsche aufrichtig, daß mein Nachfolger, wer er auch sein möge, nicht allein durch Tüchtigkeit dem Lande Ehre mache, sondern auch die ausgezeichneten Männer, mit denen er wahrscheinlich sein Leben zubringen wird, durch einen rechtschaffenen Charakter und gute Gemütsart erfreue.« Der Senat genehmigte die Resignation am 1. März und schrieb in der Urkunde: »Die Universität kann nicht umhin, ihr aufrichtiges Bedauern über den Rücktritt des Dr. Smith auszusprechen, der sich durch seinen vortrefflichen Charakter und seine Liebenswürdigkeit die Hochachtung und Zuneigung seiner Kollegen erworben, durch ungewöhnliche Genialität, Tüchtigkeit und ausgebreitetes Wissen diese Körperschaft geehrt und sich durch seine Theorie der moralischen Empfindungen der literarischen Welt von ganz Europa empfohlen hat. Seine glückliche Gabe, abstrakte Gegenstände durch Beispiele zu erläutern, und sein treuer Eifer in der Mitteilung nützlicher Kenntnisse zeichneten ihn als Lehrer aus und gewährten der ihm anvertrauten Jugend zugleich mit wertvoller Belehrung den größten Genuß.« Mit der Würde eines LL. D. (Legum Doctor) hatte ihn der akademische Senat kurz vor seinem Abgange geschmückt. Indes hat weder er in seinen Unterschriften noch haben seine Freunde in der Anrede von diesem Titel Gebrauch gemacht, und Dugald Stewart mußte sich nachträglich entschuldigen, daß er ihn in seinem feierlichen Nachrufe auf Smith ausgelassen habe, weil er sozusagen verschollen gewesen und ihm gar nicht eingefallen sei.

Anfang Februar reisten Smith und sein damals siebzehnjähriger Schützling von London ab und langten am 13. in Paris an, wo sie kaum zwei Wochen geblieben sein können, denn am 4. März waren sie schon in Toulouse, und die Reise dahin dauerte damals sechs Tage, so daß sich Hume und Smith des ersehnten Wiedersehens nicht lange erfreut haben. Um sich in der Pariser Gesellschaft bewegen zu können, mußten Smith und der junge Buccleugh erst französisch sprechen lernen, und für diesen Zweck eignete sich Toulouse vorzüglich. Es war die zweite Stadt des Königreichs, hatte eine Universität, eine Akademie der Künste und Wissenschaften, ein Parlament, d. h. nach vorrevolutionärem französischem Sprachgebrauch einen höchsten Gerichtshof, und eine zahlreiche englische Kolonie. Die Adelsfamilien der Umgegend hatten ihre Häuser in der Stadt, die Gesellschaft war die feinste nach der Pariser, und nach Maßgabe ihrer Fortschritte im Französischen konnten die beiden Reisenden allmählich aus der englischen in die französische Gesellschaft übergehen. Den Führer machte der Abbé Colbert, ein Sprößling der schottischen Familie Cuthbert, von der auch der berühmte Colbert ab stammen wollte. Dieser war so versessen gewesen auf sein zweifelhaftes Schottentum, daß er allen vermeintlichen Vettern des Namens Cuthbert, die als arme Teufel nach Frankreich kamen, einträgliche Ämter verschafft hatte, und die Begnadigten hatten dann wieder andere Vettern nach sich gezogen. Der Toulouser Abbé hatte es damals, erst 28 Jahre alt, schon zum Generalvikar gebracht und wurde 1781 Bischof von Rodez. Er bemühte sich um die Verbesserung der Landwirtschaft und der Industrie. Nach Rae hat er im Mai 1789 als erster die Vereinigung der Geistlichkeit mit dem dritten Stande beantragt und ist zum Dank dafür auf den Schultern des Volkes durch die Straßen von Paris getragen worden. Von Smith und seinen volkswissenschaftlichen Grundsätzen war der Abbé entzückt. Sein Wunsch, ihn mit dem ebenfalls freihändlerischen Erzbischof und späteren Minister Loménie de Brienne zusammenzubringen, scheint an der fortwährenden Abwesenheit des Kirchenfürsten gescheitert zu sein.

Am 5. Juli schreibt Smith seinem Hume:

»Mein liebster Freund! Der Herzog von Buccleugh schlägt vor, daß wir nächstens einmal nach Bordeaux fahren und dort 14 Tage bleiben. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie uns Empfehlungsbriefe schickten an den Herzog von Richelieu [den Feldmarschall], den Marquis de Lorges und den Intendanten der Provinz. Herr Townshend versicherte mich, der Herzog von Choiseul würde uns allen Spitzen der französischen Gesellschaft, auch der hiesigen, empfehlen, aber wir merken nichts davon und haben uns mit Hilfe des Abbés, der ebenfalls hier noch fremd ist, unseren Weg selbst suchen müssen. So haben wir denn noch keine großen Fortschritte gemacht; der Herzog verkehrt noch nicht mit Franzosen, und ich kann die wenigen Bekanntschaften, die ich gemacht habe, nicht pflegen, weil die Leute nicht zu uns kommen, und ich nicht oft in der Lage bin, sie besuchen zu können. Mein Leben in Glasgow ist, verglichen mit dem, was ich hier führe, das eines Genußmenschen gewesen. Natürlich habe ich auch wenig zu tun, und, um mir die Zeit zu vertreiben, fange ich an, ein Buch [den Wealth of Nations] zu schreiben. Wenn Sir James einen Monat seiner Reisezeit mit uns zubringen wollte, so würde er damit nicht allein mich erfreuen, sondern auch durch seinen Einfluß und sein Beispiel dem Herzog von großem Nutzen sein.«

Sir James Macdonald, ein junger Mann von vielbewunderter Begabung und ausgezeichnetem Charakter, war ihr Reisegefährte von Dover nach Paris gewesen, und ist schon 1766 gestorben. Aus dem Ausfluge nach Bordeaux, den sie in Gesellschaft des Abbés machten, hat Smith u. a. beobachtet, wie sich Fabrik- und Handelsstädte von Residenz- und Parlamentsstädten unterscheiden, und wie mäßig die Bevölkerung der südlichen Weinländer im Trinken ist. Am 21. Oktober schreibt Smith an den Freund:

»Mein lieber Hume! Ich nehme die Gelegenheit wahr, daß Mr. Cook [ein Diener des Hauses Buccleugh] nach Paris geht, und danke durch Sie dem Gesandten herzlich für die ehrenvolle Empfehlung an den Herzog von Richelieu, der mich, ehe er den Brief gelesen hatte, Herr Robinson anredete. Er hat uns sehr freundlich ausgenommen und unseren Herzog mit Auszeichnung behandelt. Den Intendanten trafen wir nicht, aber wir werden den Brief nächstens abgeben, da wir nach Bordeaux zurückkehren, um des Herzogs Bruder dort zu erwarten [den Cook abholte] … Unser Ausflug nach Bordeaux hat zusammen mit einem zweiten nach Bagnères de Bigorre eine vorteilhafte Änderung im Herzog hervorgebracht. Er fängt an, in französischen Gesellschaften zu verkehren, und ich schmeichle mir, daß wir den Rest unseres Aufenthalts nicht allein zufrieden und in Frieden miteinander verleben werden [der junge Herr scheint, solange er sich unbehaglich fühlte, manchmal unangenehm geworden zu sein], sondern in Heiterkeit und Amüsement. Wenn Mr. Scott [der jüngere Bruder Buccleughs] kommt, wollen wir die Ständeversammlung der Languedoc in Montpellier besuchen. Können Sie uns Empfehlungen an den Grasen d'Eu, an den Erzbischof von Narbonne und an den Intendanten verschaffen? Diese Ausflüge, finde ich, sind von großem Nutzen für Mylord.«

Die Stände der Languedoc waren der einzige Überrest ständischer Verfassung in Frankreich. Sie beschäftigten sich mit der Anlegung von Kanälen und Häfen, der Austrocknung von Sümpfen und anderen gemeinnützigen Unternehmungen, die sie ausführten, ohne das Volk mit Fronarbeiten zu plagen. Um der Ausplünderung der Provinzen durch die Intendanten vorzubeugen, hatten sie die Steuern selbst gepachtet und repartierten sie gerecht. Der Adel genoß keine Vorrechte; allgemeiner Wohlstand blühte, es gab kein Armenhaus in der Provinz. Deren Kredit war so fest begründet, daß der König einigemal, um Anleihen zu bekommen, die Stände der Languedoc ersuchen mußte, für ihn Bürgschaft zu leisten. Von hier ist der Gedanke ausgegangen, dem zerrütteten Staate durch die Wiederbelebung der Stände aufzuhelfen. Smith hatte also guten Grund, mit seinen Zöglingen einer Sitzung dieser Ständeversammlung beiwohnen zu wollen. Den Vorsitz führte der Erzbischof von Narbonne, Kardinal, später Minister Dillon, ein Mann britischer Abstammung und strammer Verteidiger der ständischen Rechte gegen die Krone, dazu Freihändler. Nicht weniger lehrreich war der Verkehr mit den Herren vom Toulouser Parlament, nachdem das Sprachhindernis einigermaßen überwunden war. Diese Herren hatten Einfluß auf die Gesetzgebung; königliche Edikte erhielten für eine Provinz bekanntlich erst dadurch Gesetzeskraft, daß sie das Parlament dieser Provinz registrierte. 1756 hatte das von Toulouse dem Könige Vorstellungen wegen der Fronden gemacht und erklärt: die Lage der französischen Bauern sei tausendmal schlimmer als die der Negersklaven in Amerika, und gerade um die Zeit, da Smith nach Toulouse kam, hatten sämtliche Parlamentsräte Hausarrest, weil sie sich weigerten, eine neue Steuer zu registrieren. Kurz vorher hatten sie sich durch die Verurteilung des Calas einen schlimmen Ruf zugezogen. Zu ihrer Entschuldigung muß jedoch angeführt werden, daß, wie der Abbé Colbert an Hume berichtet hat, die ganze Bevölkerung der Stadt von der Schuld des grausam Hingerichteten überzeugt war und fortfuhr, gegen ihn zu wüten, auch nachdem auf Betreiben Voltaires seine Unschuld erwiesen und feierlich anerkannt worden war.

Ende August 1765 verließ Smith mit seinen beiden Zöglingen Toulouse und reiste über Marseille, wo der Herzog in der Porzellanfabrik zwei Service um zusammen 3000 Mark kaufte, nach Genf, wo sie im Oktober ankamen. Sie haben sich also Zeit genommen und unterwegs ohne Zweifel Land und Leute gründlich studiert. In Genf konnte Smith die von ihm hochgeschätzte Republik von nahem beschauen. Er verkehrte mit dem Arzte Tronchin, dessen Sohn in Glasgow sein Schüler gewesen war, und besuchte einigemal Voltaire in Fernay. Smith schätzte den großen Spötter, obwohl dieser strammer Absolutist war, sehr hoch. Als später einmal in seiner Gegenwart ein schottischer Freund von einem gewissen Voltaire sprach, schlug Smith mit der Faust auf den Tisch und rief, es gebe nur einen Voltaire; dieser habe der Vernunft unschätzbare Dienste geleistet; er habe mit seinem Spott die Menschen daran gewöhnt, das Licht zu vertragen; ernste Philosophen würden nur von wenigen gelesen, Voltaire lese jedermann; von Josefs II. Verstande könne man nicht viel halten, da dieser Kaiser angeblich als Philosoph gereist, aber bei Ferney vorbeigegangen sei. Die Reisenden verkehrten auch bei der Herzogin d'Enville, die sich damals von Tronchin behandeln ließ. Ihr Sohn aus erster Ehe war der edle und menschenfreundliche Herzog von Larochefoucauld, den 1789 ein Steinwurf getötet hat. Dieser nun hat später, am 3. März 1778, aus Paris an Smith geschrieben:

»Der Wunsch, mein Herr, sich Ihnen ins Gedächtnis zurückzurufen, wenn man die Ehre gehabt hat, Sie kennen zu lernen, muß Ihnen sehr natürlich erscheinen. Gestatten Sie daher, daß wir, meine Mutter und ich, die Gelegenheit dazu, die sich uns darbietet, benutzen, indem wir Ihnen ein Exemplar der neuen Ausgabe der Maximen von Larochefoucauld darbieten. Sie sehen zugleich daraus, daß wir Ihnen wegen des Bösen, das Sie diesem Werke in Ihrer Theorie der moralischen Empfindungen nachgesagt haben, nicht grollen. Beinahe hätte ich noch mehr getan; ich wäre vielleicht so kühn gewesen, eine Übersetzung Ihrer Theorie herauszugeben, aber als ich den ersten Teil vollendet hatte, erschien die Übersetzung des Herrn Abbé Blavet, und so mußte ich dem Vergnügen entsagen, eines der besten Werke Ihrer Sprache in die meinige zu übertragen. In der Übersetzung hätte ich eine Rechtfertigung meines Großvaters versuchen müssen. Vielleicht wäre es nicht schwierig gewesen, ihn damit zu entschuldigen, daß er die Menschen meistens nur bei Hofe und im Bürgerkriege beobachtet hat, also aus zwei Schauplätzen, auf denen sie ihre schlechtesten Eigenschaften zu entfalten pflegen, und dann ihn durch seinen persönlichen Wandel zu rechtfertigen. Er hat zu sehr generalisiert, den Teil fürs Ganze genommen; weil er die Menschen, die er vor Augen hatte, von der Selbstsucht beseelt sah, so hielt er diese für die Haupttriebfeder des menschlichen Handelns im allgemeinen.«

Es ist nicht bekannt, was Smith hierauf geantwortet hat. In der Ausgabe von 1781 wurde die Larochefoucauld betreffende Stelle noch nicht geändert. Aber als Dugald Stewart 1789 nach Paris ging, trug ihm Smith auf, dem Herzog sein Bedauern darüber auszusprechen, daß er irrtümlich die Maximen auf eine Stufe mit der abscheulichen Schrift Mandevilles gesetzt habe; in der bevorstehenden neuen Ausgabe werde die Stelle gestrichen werden. Das ist denn auch geschehen.

Um Weihnachten 1765 kam Smith, von Hume sehnlich erwartet, in Paris an, aber wieder genossen die Freunde einander nur wenige Tage, denn durch Hertfords Ernennung zum Lordleutnant von Irland hatte er sein Amt als Gesandtschaftssekretär verloren (er wurde bald darauf zum Unterstaatssekretär ernannt), und hatte es überdies eilig, seinen Schützling Rousseau nach England zu bringen, wo er bald schlimme Erfahrungen mit ihm machen sollte. Er reiste am 3. Januar 1766 ab, nachdem er Smith in die Pariser Gesellschaft eingeführt hatte. Dessen Theorie der moralischen Empfindungen war schon viel gelesen worden, teils im Original, teils in der 1764 unter dem Titel: Métaphysique de l'Ame erschienenen schlechten Übersetzung von Dous, und das Lob, das sie geerntet hatte, erschloß ihm zusammen mit der Einführung durch den vergötterten Hume alle Türen. Smith hat leider kein Reisetagebuch geführt und war hier so faul im Briefschreiben wie überall, aber zufällig weiß man, daß er am 21. Juli 1766 bei Mademoiselle d'Espinasse, am 25. bei der Gräfin Boufflers und am 27. beim Baron Holbach gewesen ist, und man darf diesen kleinen Ausschnitt aus seinem Pariser Leben für typisch halten. Selbstverständlich hat er auch an den oben erwähnten Diners bei Holbach teilgenommen, und bei Helvetius traf er den Abbé Morellet, der gleich ihm Philosoph und liberaler Ökonomist war, und der uns mitteilt, daß Smith ein schlechtes Französisch gesprochen habe, und daß sie miteinander Bank- und Kreditfragen erörtert hätten, »kurz die Gegenstände des großen Werkes, das Smith damals im Geiste entwarf«. Beim Abschiede gab ihm Smith seine Brieftasche zum Andenken, deren sich Morellet zwanzig Jahre lang bedient hat. Bei der d'Espinasse, in deren Hause auch einer der intimsten von Smiths Pariser Freunden, d'Alembert, wohnte, traf er öfter Turgot, der gerade an einem ähnlichen Werke arbeitete. Es erschien 1766 unter dem Titel: Réflexions sur la formation et la distribution des richesses. Turgot war damals noch Intendant der Provinz Limousin, kam aber oft nach Paris. Beide Männer hegten die lebhafteste Sympathie für einander, denn auch auf Smith paßte, was Turgot nachgerühmt worden ist: il ne cherche le vrai que pour faire le bien. Smith urteilte über Turgot: für einen Staatsmann sei er zu einfältigen Herzens gewesen, zu geneigt, die Selbstsucht, die Bosheit, die Vorurteile, die sich jeder Reform widersetzen, zu unterschätzen; so wenig kenne er die Welt und die Menschennatur, daß er sich einbilde, alles als recht Erkannte könne verwirklicht werden.

Hume hatte dem, vom Strafrichter verfolgten, Rousseau ein Asyl verschafft, was wegen der unberechenbaren Launen des Flüchtlings sehr schwierig gewesen war, und außerdem eine Pension vom Könige, die Rousseau zuerst nur annehmen wollte, wenn sie geheim gehalten, dann, wenn sie öffentlich bekannt gemacht würde; beidemal ward seinen Wünschen Erfüllung zugesichert. Zuletzt beschuldigte er Hume einer abscheulichen Verschwörung gegen ihn: alle seine Wohltaten seien nichts als listig gelegte Fallen. Hume teilte das Unerhörte in großer Aufregung seinem Freunde mit. Smith antwortete am 6. Juli 1766:

»Mein lieber Freund! Ich bin ebenso wie Sie und hier in Paris jedermann überzeugt, daß Rousseau ein Schurke ist. Aber ich bitte Sie, denken Sie nicht daran, seine unverschämten Briefe zu veröffentlichen! Daß er die Pension zurückweist, die ihm Ihre Güte verschafft hat, mag Sie bei Hofe und im Ministerium ein wenig lächerlich machen. Lassen Sie das über sich ergehen! Zeigen Sie seinen letzten Brief, aber geben Sie ihn nicht aus der Hand, damit er nicht etwa durch den Druck veröffentlicht wird, und lachen Sie sich selbst mit aus; dann, ich wette mein Leben, wird diese kleine Affäre, die Ihnen jetzt so viel Ärger verursacht, binnen drei Wochen zu Ihren Gunsten ausschlagen. Wollen Sie diesen heuchlerischen Pedanten vor dem Publikum entlarven, so können Sie sich damit Ihr ganzes Leben verderben. Überlassen Sie ihn sich selbst, so ist nach 14 Tagen der Ärger ausgestanden. Gegen ihn schreiben – verlassen Sie sich darauf! – das ist es gerade, was er erstrebt. Er will der Vergessenheit, die ihm in England droht, dadurch entgehen, daß er einen berühmten Mann herausfordert. Kommt die Sache in die Öffentlichkeit, so wird er eine große Partei haben: die Kirche, die Whigs, die Jakobiten, die ganze weise englische Nation, alle werden wetteifern, den Mann zu feiern, der eine königliche Pension ausgeschlagen hat. Vielleicht zahlen sie ihm sogar reichlichen Ersatz, und es ist nicht unmöglich, daß er auch darauf spekuliert hat. Alle Ihre hiesigen Freunde: Holbach, d'Alembert, Madame Riccoboni, Mademoiselle Rianecourt, Herr Turgot, – sie alle wünschen, daß Sie nichts veröffentlichen. Mr. Turgot, ein Freund, der Ihrer in jeder Beziehung wert ist, hat mir aufgetragen, Ihnen meinen Rat als seinen eigenen zu empfehlen. Gleich mir fürchtet er, englische Literaten von der Sorte, die gewöhnt ist, ihren persönlichen Klatsch in die Zeitungen zu bringen, möchten Einfluß auf Sie gewinnen und Sie schlecht beraten.«

Smith täuschte sich in zwei Stücken. Zunächst waren keineswegs alle Pariser Freunde der Meinung, es dürfe nichts veröffentlicht werden. Die Sache war ja schon durch mündliche Mitteilungen in die Öffentlichkeit gedrungen und erregte ungeheures Aufsehen. Rousseau triumphierte: sein Gegner wage nicht, gegen ihn zu schreiben. Hume schickte deshalb d'Alembert die Schriftstücke, und dieser veröffentlichte sie. Dann aber hielten die Franzosen Rousseau nicht für einen Schurken, sondern für einen Geisteskranken (als einen interessanten Fall von Paranoia in der Form des Verfolgungswahns hat neuerdings Möbius den unglücklichen Rousseau behandelt, seinem Charakter aber das beste Zeugnis ausgestellt). So dachten besonders Turgot und die Gräfin Boufflers. Diese, die Geliebte des Fürsten Conti, der den aus England zurückgekehrten Rousseau auf einer seiner Besitzungen aufgenommen hat, schrieb an Hume: »Glauben Sie doch nicht, daß Rousseau fähig sei, zu lügen und eine künstliche Intrige einzufädeln, daß er ein Betrüger, ein Verbrecher sei! Seine Wut ist grundlos, aber sie ist aufrichtig. Warum haben Sie nicht, anstatt über einen Unglücklichen zu zürnen, der Ihnen nicht schaden kann und der nur sich selbst zugrunde richtet, das hochherzige Mitleid walten lassen, für das Sie so empfänglich sind? Sie hätten dadurch einem Skandal vorgebeugt, der Ärgernis und Spaltung verursacht, der Bosheit einen Gefallen erweist, auf beider Kosten die Gedankenlosen amüsiert und zu Betrachtungen einladet, die den Philosophen und der Philosophie nicht eben zur Ehre gereichen.« Die Dame hat also die schließlich erfolgte Veröffentlichung zwar ebenfalls gemißbilligt, aber aus anderen Gründen als Smith.

An der Riccoboni hatte dieser geradezu eine Eroberung gemacht. Sie war Schauspielerin gewesen und wurde damals als Novellistin gefeiert. Sie empfahl Smith aufs wärmste ihrem Garrick, »dem Liebling ihres Herzens«, in zwei Briefen; den einen schickte sie mit der Post, den anderen übergab sie Smith. Der zweite lautet: »Ich bin eitel darauf, mein teurer Herr Garrick, daß ich Ihnen etwas schenken kann, was ich mit lebhaftem Bedauern verliere: das Vergnügen, Herrn Smith zu sehen. Dieser bezaubernde Philosoph wird Ihnen selbst sagen, wie viel Geist er hat, denn er ist gar nicht imstande, zu sprechen, ohne welchen zu offenbaren. Leider nötigt mich ein höflicher Brauch, ihm diesen Brief offen zu übergeben, so daß ich ihm nicht volle Gerechtigkeit widerfahren lassen kann; dem bescheidenen Manne würde die schlichte Wahrheit als grobe Schmeichelei erscheinen. Ich könnte Ihnen sagen, was er selbst einmal von einem anderen gesagt hat: Die Berufstätigkeit dieses Mannes besteht darin, liebenswürdig zu sein; ich würde nur noch hinzufügen: und die Achtung aller zu verdienen, die das Glück haben, ihn zu kennen. O diese Hunde von Schotten! Sie gefallen mir und bereiten mir Betrübnis! Ich bin wie ein junges, verliebtes Mädchen, das an nichts als an ihren Liebsten denkt. Zanken Sie mich aus, prügeln Sie mich, töten Sie mich – ich liebe einmal diesen Smith! Ich wollte, der Teufel holte alle unsere Literaten und brächte mir Herrn Smith wieder usw.« Auch an Burke empfahl sie ihn auf seinen Wunsch, er ließ aber das Schreiben bei ihr liegen. »Mein Schäfchen, der Philosoph« schrieb sie Garrick am 3. Januar 1767, »ist abgereist, ohne den Brief zu holen.« Eine französische Marquise, die ihn auf einem Ausfluge nach Abbeville für sich in Beschlag nehmen wollte, stieß auf kalte Zurückweisung, weil der Philosoph dort eine Engländerin getroffen hatte, für die sein Herz erglüht war. Ob es dieselbe ist, von der Dugald Stewart berichtet, daß sich ihre geplante Verheiratung mit Smith zerschlagen habe, und daß sie ebenfalls ledig geblieben sei, läßt sich nicht ausmachen; Rae hält es für wahrscheinlich, daß die beiden Personen nicht identisch sind. Smith besuchte auch fleißig das Theater und bildete durch Anschauung und in Gesprächen mit der Riccoboni seine Theorie der dramatischen Kunst aus. Auch die Oper, die ernste wie die komische, liebte er sehr, was nicht der Fall gewesen sein würde, wenn ihm, wie der Earl of Buchan behauptet hat, der Sinn für Musik gefehlt hätte.

Die wichtigste seiner Pariser Bekanntschaften nach Turgot ist Quesnay gewesen, das Haupt der Physiokraten. Von Smiths Verhältnis zu dieser ökonomischen Schule wird an seinem Ort zu sprechen sein; hier mag nur daran erinnert werden, daß Quesnay, der Leibarzt des Königs, gleich Turgot ergriffen von dem Elend der Bauern und dem kläglichen Zustande der Staatsfinanzen, sein berühmtes Tableau économique entworfen hat, dessen Motto lautet: pauvre paysan, pauvre royaume, pauvre royaume, pauvre roi. Quesnay hatte eine Wohnung im Entresol der Pompadour inne, und da er nicht zu bewegen war, zu ihr hinunterzukommen und an den Staatsratssitzungen teilzunehmen, denen sie präsidierte, so stieg sie manchmal hinauf zu ihm und hörte ihn mit seinen Schülern über den Reinertrag der Landwirtschaft disputieren. Die Physiokraten standen im schärfsten Gegensatz zum ancien régime und wurden trotzdem gehätschelt; Turgot sollte als Finanzminister ihre Grundsätze durchführen. Was sie dem Könige und der Pompadour empfahl, das war ihre Vorliebe für den Absolutismus: alles für, nichts durch das Volk war ihr Wahlspruch. Sie wollten die ökonomische Freiheit, aber sie brauchten – das ist echt französisch – einen Despoten, der diese Freiheit durchsetzte, ohne Rücksicht auf die entgegenstehenden Überzeugungen und Interessen.

Gegen Ende der Reisezeit bereiteten dem guten Smith seine beiden Zöglinge großen Kummer. Buccleugh erkrankte, und Smith mußte Quesnay in seiner Eigenschaft als Arzt in Anspruch nehmen. Es kostete große Mühe, den alten Mann, der selbst kränkelte, in Bewegung zu setzen, gelang aber zuletzt. Smith bewährte sich auch in dem neuen Amte eines Krankenpflegers, und der junge Herzog genas. Am 18. Oktober 1766 aber wurde dessen Bruder, der 19jährige Hew Campbell Scott, in Paris auf der Straße ermordet. Da verstand sich die augenblickliche Heimkehr für den Rest der Reisegesellschaft von selbst, und die Sehnsucht nach der Heimat, die Smith trotz der glänzenden Aufnahme in Paris und trotz den dort genossenen Annehmlichkeiten und Vorteilen in einem Briefe an Millar ausspricht, wurde rascher gestillt, als er vermutet hatte. Er war darin Hume unähnlich, der England verabscheute, an Schottland nicht allzusehr hing und sein Leben am liebsten in dem schönen Frankreich beschlossen hätte, welchen Plan Smith dringend widerriet. Am 1. November trafen die Heimkehrenden laut Zeitungsmeldung in Dover ein. Es gehört zu den schönen Zügen der Familie Buccleugh, daß Smith für das Unglück, von dem sie betroffen worden war, nicht verantwortlich gemacht und das freundschaftliche Verhältnis zwischen beiden nicht getrübt wurde. Nach Smiths Tode schrieb Buccleugh an Dugald Stewart: »Im Oktober 1766 kehrten wir nach London zurück, nachdem wir gegen drei Jahre zusammen gelebt hatten, ohne daß je die geringste Mißhelligkeit oder auch nur Kälte zwischen uns obgewaltet hätte, und was mich betrifft, mit dem Nutzen, der vom Umgange mit einem solchen Manne erwartet werden konnte. Unsere Freundschaft hat bis zu seinem Tode fortbestanden, und nie wird mir das Bewußtsein entschwinden, daß ich in ihm einen Freund verloren habe, den ich nicht allein um seiner großen Talente willen geliebt und geschätzt habe, sondern auch, weil ihn alle Tugenden schmückten.« Der Herzog Heinrich hat sich gegen den Willen seines Stiefvaters von der Politik fern gehalten und ist auf seinen Gütern geblieben, als ein Vater und Wohltäter seiner Untertanen und Förderer der Landwirtschaft und der Wissenschaften. Gewiß sind seine Vorzüge guter Anlage entsprossen, aber er hätte auch in den entscheidenden Jahren der Reife keinen geeigneteren Hüter und Pfleger seiner natürlichen Gaben finden können als Smith. Dessen Freundschaft mußte namentlich das Verhältnis Buccleughs zu seinen Pächtern beeinflussen. Die Familie stand in dem Rufe, daß sie gegen ihre Untertanen Gerechtigkeit und Milde walten lasse, aber Herzog Heinrich soll seine Vorfahren darin noch übertroffen haben. Smith war ein leidenschaftlicher Feind jeder Inhumanität und Ungerechtigkeit und brandmarkte sie, wo immer er darauf stieß. Als einmal aus der Gesellschaft ein Herr fortgegangen war, der eine Ungerechtigkeit zu beschönigen gesucht hatte, sagte Smith: »Jetzt können wir wieder frei atmen; dieser Mensch hat keine Entrüstung in seinem Herzen.«


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