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V

Wieder in Europa. Paris. Das Staatslexikon

Seine Familie ließ der Zurückkehrende vorläufig drüben und fuhr allein; am 20. Dezember landete er in Havre. Während er sich von nun an wieder in der Misere der Alten Welt herumärgerte, blieb er in lebhafter Verbindung mit der Neuen; sein Stiefsohn Karl mußte ihn durch Übersendung von Auszügen aus den Zeitungen auf dem Laufenden erhalten. In Paris wurde er freundlich aufgenommen, und seine Bemühungen, der amerikanischen Kohle Eingang zu verschaffen, hatten Aussicht auf Erfolg. Vor den neuen Kämpfen, denen er entgegenging, bangte ihm. »Ich wünsche,« schrieb er seiner Frau, »ein ruhiges, philosophisches Leben zu führen und nicht wieder genötigt zu sein, mich in die weite Welt zu wagen. Ich fühle, daß ich der Ruhe bedarf, und daß Du, meine Liebe, ihrer ebenfalls bedarfst, und daß sie uns unentbehrlich ist, um unsern Kindern eine gute Erziehung zu geben.« Die Sehnsucht nach Deutschland werde desto schwächer, je näher man komme. Alles, was er von dort lese, sehe so dümmlich, verzwickt und vertrackt aus, daß er nicht gern eine deutsche Zeitung in die Hand nehme. Aber auch in Paris, bei dem leichtsinnigen, herzlosen Franzosenvolke, gefalle es ihm nicht; er lebe wie ein Einsiedler in dieser Menschenwüste und arbeite an dem Buche, das er in Washington versprochen habe. Sie möge nur nicht ungeduldig werden, wenn er sie noch nicht bald herüberrufe, er müsse doch erst festen Fuß fassen.

In Hamburg sollte ihm das leider nicht gelingen. Er erfuhr, daß der bisherige Inhaber des Konsulats, Cuthbert, vermögenslos sei, von seiner Besoldung lebe und arme Verwandte unterstütze. Das war ihm peinlich und er erklärte der Regierung zu Washington, daß er unter diesen Umständen auf die Stelle verzichten müsse. Und wie gut war es für seine Ehre, daß er freiwillig verzichtete! Von zwei Seiten erhob sich Widerspruch gegen seine vom Präsidenten vollzogene Ernennung: der Senat versagte ihr die Bestätigung, und die Hamburger Regierung protestierte auf Anstiften der württembergischen dagegen. List gedenkt infolgedessen seinen Prozeß wieder aufzunehmen und seine vollständige Rehabilitierung zu betreiben; er verfällt einer trüben Stimmung, die ihm bei einem Besuch in Straßburg und Baden auch diese früher so lieben Stätten widerwärtig erscheinen läßt; nur der Verkehr mit den französischen und den belgischen Staatsmännern, die auf seine Ideen einzugehen und den Verkehr zwischen Amerika und Europa zu fördern geneigt scheinen, befriedigt ihn. Der amerikanische Gesandte in Paris, der die Bedeutung von Belgien und Antwerpen für die Vermittlung eines solchen Verkehrs erkennt, hält Brüssel für den geeigneten Ort, wo List die erfolgreichste Thätigkeit entfalten könne.

Dieser selbst, vor allem darauf bedacht, dem neuen Verkehrsmittel auf dem europäischen Festlande Eingang zu verschaffen, bearbeitet den Boden da, wo er steht, und schreibt drei Artikel in die › Revue Encyclopédique‹ unter dem Titel: Idées sur des réformes économiques, commerciales et financières applicables à la France. Der Eingang war sehr geeignet, ihm sowohl das Publikum wie die neue Regierung geneigt zu machen. So ähnlich wie die Bourbonen und die Stuarts, so ähnlich sähen sich auch die französische und die englische Revolution. Aber jene sei die folgenreichere. Ihr Einfluß beschränke sich nicht, wie der der englischen, auf das eigene Land. Und hier habe sie den Einfluß des Adels und des Klerus von Grund aus zerstört; die Orleans könnten nicht, wie die englischen Welfen, an ein Bündnis mit Adel und Klerus denken, sondern seien durch die Entstehung ihrer Herrschaft mit dem Volksinteresse verbündet. Berufen, die neuen Bedürfnisse der Völker zu befriedigen, müsse diese Familie dem Lande eine wahrhaft volkstümliche Regierung geben, die Entwickelung seiner intellektuellen und produktiven Kräfte befördern, so der Alten Welt das Vorbild einer guten Verwaltung darbieten und das wahre, zukünftige Gleichgewicht Europas vorbereiten, das auf die heilige Alliance der Völker zu gründen sei. So sehe sich die Regierung vor eine ungeheure Aufgabe gestellt, denn alle Zweige der Verwaltung erheischten eine durchgreifende Reform. Vor allem sei den zahlreichen ärmeren Klassen die Möglichkeit eines besseren Erwerbes zu sichern, daher die Entwickelung von Landwirtschaft, Gewerbe und Handel zu fördern. Die Richtung sei dieser Entwickelung deutlich vorgezeichnet. Alle großen Fortschritte der Menschheit seien an große wissenschaftliche Entdeckungen und Erfindungen geknüpft. Die großen Erfindungen der Gegenwart, die Dampfmaschine und die Eisenbahn, hätten sich vorläufig nur die Engländer und die Amerikaner zu Nutze gemacht.

Lists geniale Auffassung des Eisenbahnwesens im allgemeinen legen wir im nächsten Kapitel dar; aus den Artikeln der Revue heben wir nur einige der Stellen hervor, die Frankreich allein angehen. Er weist u. a. auf die Notwendigkeit hin, das Salz durch Ermäßigung der Transportkosten wohlfeiler zu machen, weil in vielen Gegenden Frankreichs das Vieh infolge des Salzmangels heruntergekommen sei. Die Südfrüchte und der Wein der südlichen und der mittleren Provinzen seien im Norden, Seefische und Austern im Innern nicht genügend verbreitet. Verbesserung der Kommunikationswege werde Paris in dem Grade heben, daß es binnen kurzem London an Einwohnerzahl übertreffen werde. Er wisse wohl, daß die Großstädte von vielen als Pestherde verabscheut würden, allein das sei ein unbegründetes Vorurteil. Zu einem großen, starken Leibe gehöre ein entsprechender Kopf; keine große Hauptstadt wollen, das heiße, keine zahlreiche und wohlhabende Bevölkerung wollen. Wenn Frankreich zuerst von allen Ländern ein Eisenbahnnetz erhalte, so werde dieses seine Linien nach Belgien, Italien, Deutschland und auf die iberische Halbinsel ausstrecken, und Frankreich werde den Kontinent erobern »nicht durch die Waffen, sondern durch die Zivilisation, nicht um ihm Kontributionen abzupressen, sondern um seine Industrie auszubreiten, nicht um es tributpflichtig zu machen, sondern um es an den in der Wechselwirkung der Völker erzeugten Gütern teilnehmen zu lassen.« Nicht mehr auf die Zentralisierung der Verwaltung werde dann Paris sein Gedeihen gründen, sondern auf den freien Verkehr der Provinzen, die nur blühen, wenn sie ihre eigenen Angelegenheiten, die sie selbst am besten verstehen, auch selbst besorgen. Anstatt den Provinzen Beamte zu schicken, die die Bedürfnisse des Landes nicht kennen, werde es ihnen Fabrikate schicken, und zum Entgelt dafür Naturerzeugnisse empfangen, die eine nützliche Industrie unterhalten würden, anstatt, wie jetzt, nur einem unfruchtbaren Konsum zu dienen.

Der zweite Artikel in der Revue entwickelt einen Plan zur Reform des französischen Steuer- und Zollwesens. Bei Erörterung des Tabakzolls empfiehlt er, den Rohtabak nicht selbst zu bauen – Frankreich habe keinen Boden dafür übrig –, sondern zollfrei oder mit einem geringen Zoll belastet aus Amerika einzuführen, wo er sehr wohlfeil sei; das werde den Konsum erhöhen. Tabak und Branntwein seien freilich keine notwendigen Dinge. Aber der Nationalökonom betrachte jeden nicht geradezu unmoralischen Genuß als einen Stachel zu produktiver Arbeit und ziehe die Herrschaft des Luxus der Herrschaft der Faulheit vor; wer Tabak rauche, müsse irgend etwas produzieren, wofür er Tabak eintauschen könne. Auch aus politischen Gründen müsse sich Frankreich den Vereinigten Staaten anfreunden. Bei dem Geschmack und den Lebensgewohnheiten der Bewohner Frankreichs könne dieses nicht hoffen, daß seine Marine je groß genug sein werde, für sich allein die seinem Handel nötige Freiheit der Meere zu sichern; es müsse sich daher so eng wie möglich an einen Staat anschließen, der Aussicht habe, eine große Seemacht zu werden. Zum Schluß wird dann noch besonders lebhaft die Eisenbahn von Havre nach Straßburg empfohlen.

Der dritte Artikel handelt dann wieder von den Eisenbahnen überhaupt. Worauf beruhe Englands Reichtum? Auf seiner Unternehmungslust und gewerblichen Regsamkeit, und auf seinem natürlichen Reichtum an Kohle, Eisen, Salz, Kalk sowie darauf, daß diese Bodenschätze teils nahe bei einander lägen, teils durch Küsten- und Flußschiffahrt leicht zusammenzubringen seien. Nun, Frankreich dürfe nur unternehmungslustiger werden; an Bodenschätzen besitze es so viel wie England, und die Entfernungen in den Lagen dieser Schätze könnten durch Eisenbahnen aufgehoben werden.

Schleunigen Bau von Bahnen empfahl er, auch im mündlichen Verkehr mit den Ministern, schon als Mittel, den Ruf des Proletariats nach Brot zu stillen und der drohenden sozialen Revolution vorzubeugen. Er bearbeitete sowohl den König und die Minister, wie die Häupter der Opposition, jedoch vergebens, wie er sich je länger je mehr überzeugen mußte. Die kleinlichen Interessen des Augenblicks nahmen diese konstitutionellen Politiker ganz gefangen. Für die Regierung wie für die Opposition lautete die Lebensfrage nicht: was fördert das Wohl des Volkes?, sondern: was verschafft und erhält uns die Mehrheit im Parlament? Nur in untergeordneten Punkten befolgte man Lists Rat, indem man z. B. das Gesetz über Expropriation verbesserte. Für die Augsburger Allgemeine Zeitung schrieb er aus Paris Korrespondenzen.

Zur Entschädigung für das verlorene Hamburger Konsulat wurde ihm das freilich unbesoldete Leipziger angeboten, und er nahm es an. Im Sommer 1832 holte er seine Familie herüber; die Erkrankung der Gattin nötigte ihn, ein ganzes Jahr in Hamburg zu bleiben. Er benutzte diesen Aufenthalt, durch die Presse und im persönlichen Verkehr für Eisenbahnen Stimmung zu machen, aber er fand »allen Unternehmungsgeist tot«.

Gleichzeitig leitete er litterarische Unternehmungen ein, von denen eines zur Ausführung gelangte: das Staatslexikon. Vergebens hatte er sich schon von Paris aus an mehrere deutsche Verleger gewandt. Von Hamburg aus gewann er die Hammerichsche Buchhandlung in Altona für seinen Plan und bat dann Rotteck und Welcker, ihn bei der Redaktion und durch Beiträge zu unterstützen. Rotteck sagte mit Freuden zu. Man einigte sich dahin, daß das Werk eine politische Tendenz verfolgen solle. Diese legt dann Rotteck in einem langen Vorwort dar, aus dem wir nichts abzuschreiben brauchen, weil schon der Name Rotteck ein Programm ist. Er will das Vernunftrecht gegen das historische Recht, den echten Konstitutionalismus gegen Reaktion und Revolution verteidigen, will den Vernünftigen und Wohlmeinenden der beiden einander in Todfeindschaft gegenüberstehenden Parteien eine Brücke schlagen. Die Kluft könne nur ausgefüllt werden durch »möglichste Verdeutlichung des Rechts in freier Diskussion«, durch gründliche Belehrung. Die Gefahr der Revolution müsse gebannt werden »nicht durch Schrecken und nicht durch Täuschung oder macchiavellistische Kunst und nicht durch Niederhaltung der geistigen und moralischen Volkskraft, sondern durch Befreundung mit dem Volksgeiste«. Ein Anderes, worüber man sich einigte, war, daß der lehrbuchartige und pedantische Apparat so viel wie möglich zurückgedrängt und das Werk populär gehalten werde, dem gebildeten Bürger verständlich sein und ihn befriedigen solle. »Die Gelehrten«, schrieb Rotteck an List, »werden wir nicht bekehren, zu ihnen mag ich gar nicht sprechen; mir schweben die reinen und empfänglichen jugendlichen Gemüter vor und die Verständigung unter den Gebildeten und Bildungshungrigen der Bürgerklasse.«

Für List verstand sich die zweite Forderung von selbst; trocken zu schreiben wäre er gar nicht im stande gewesen. Seine Beiträge sehen dem, was man heute in den Realencyklopädien findet und von ihnen fordert, gar nicht ähnlich; bei allem reichen Wissen, was sie darbieten, sind sie packende Streit- und Propaganda-Reden, flammende Proteste, phantasievolle Zukunftsgemälde. Er lieferte zu dem seit 1835 erscheinenden Werke die Artikel: Advokat; Ägypten; Afrika; Arabien; Arbeit; Arbeit sparende Maschinen; Australien; Bayerische Hypotheken- und Wechselbank; Banknoten; Eisenbahnen und Kanäle; Dampfbote und Dampfwagentransport. (Den zuletzt genannten Artikel, welcher der längste und inhaltlich bedeutendste von allen ist, benutzen wir im nächsten Kapitel.) Die Arbeit über Advokaten dient ihm dazu, die englische und amerikanische Rechtspflege auf Kosten der Justiz des europäischen Kontinents zu verherrlichen. Er schildert die angesehene Stellung der Advokaten in jenen Ländern, die mäßige Schätzung, die sie bei uns erleiden, und führt den Unterschied auf die verschiedenen Regierungssysteme zurück: hier wie dort würden die Männer nach ihrem wahren Werte geschätzt. In despotisch regierten Ländern gebe es kein Privatrecht, geschweige denn öffentliches; alles hänge von der Willkür der Beamten ab. »Wenn aber schon der Sklave selbst verachtet wird, um wie viel mehr muß es der sein, der sich zum Sachwalter eines Sklaven aufwirft. In China erhält der Advokat den Bambus, wenn er eine unrechte Sache verteidigt, hier ist also der höchste Mangel an Ehrgefühl, nicht Studium, Talent und unabhängige Gesinnung das Haupterfordernis. In konstitutionellen Staaten dagegen steht das Individium und sein Recht im höchsten Ansehen; was in der Sklaverei der Bambus des Mandarins, ist hier der Ausspruch des Richters, nämlich das Schutzmittel gegen Rechtsverletzungen. Der Richter aber, selbst aus dem Stande der Advokaten hervorgegangen, wird von diesem fortwährend in seiner Amtsverwaltung kontrolliert und durch die Vorträge der Advokaten in seinen Entscheidungen bestimmt.« List entwickelt ein Programm für Justizreform, dessen Hauptpunkte – 1. Öffentlichkeit der Rechtspflege, 2. Geschworenengerichte, 3. Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt, 4. selbständige Fortbildung des Rechts durch die Richtersprüche – ausführlich dargestellt und begründet werden.

In den geographischen Artikeln kommt List wiederholt auf die Bedeutung des Pharaonenlandes für die Zukunft Europas zurück. England habe sein Augenmerk darauf gerichtet. Nicht Frankreich, dem es großmütig vergönne, »zur Zerstreuung und zum Ersatz für ernstere Unternehmungen in Algier Kolonisierens zu spielen«, sondern Rußland sei der Gegenstand seiner Eifersucht, Rußland, das in Asien in der Richtung nach Indien zu vordringe (damals aber doch noch sehr entfernt vom Ziele war) und Nachbar zu werden drohe, »ein Nachbar, dem man weder mit Sepoys imponieren, noch mit Nelsonschen Flotten von der Basis und dem Centralpunkte seiner Macht würde abschneiden können.« Unter diesen Umständen müsse es England erwünscht und Rußland widerwärtig sein, aus dem Schutte des osmanischen Reiches eine Macht erstehen und erstarken zu sehen (das Ägypten des klugen und kraftvollen Mehmed Ali), »die, durch ihre Lage hinlänglich von England abhängig, den Fortschritten der russischen Macht in Asien Grenzen zu setzen und damit das englisch-ostindische Reich gegen einen feindlichen Zusammenstoß mit der russischen Macht zu decken verspricht.« Schon werde auch die Freundschaft mit Mehmed Ali zur Abkürzung des Weges nach Ostindien benutzt. Das erste englische Dampfboot aus Gußeisen sei am 5. März (1835) von Bombay in Suez angelangt; von da werde man mit Dampfwagen in einem Tage nach Alexandrien gelangen, und schon plane Mehmed die Durchstechung der Landenge und einen Kanal.

In dem Artikel »Asien« wird u. a. ausgeführt: »Eine auf innere Kultur und zureichende Bevölkerung des asiatischen Rußlands gegründete Macht würde der russischen Regierung einen unwiderstehlichen Einfluß auf das östliche und mittlere Asien verschaffen.« Es könne aber nicht im Interesse Rußlands liegen, seine unmittelbare Herrschaft, die schon zu ausgedehnt sei, zumal in Gegenden, die vom Regierungssitze so weit entfernt liegen, noch weiter auszudehnen. Sein wahres Interesse, das zugleich das Interesse Europas und der ganzen zivilisierten Welt sei, gehe dahin, das östliche und innere Asien dem europäischen Unternehmungsgeiste zugänglich zu machen, den Handelsverkehr zu vermitteln und durch Suzeränität über die militärisch schwachen asiatischen Regierungen auf Herstellung der Sicherheit, Verdrängung der Barbarei und Einführung europäischer Kultur hinzuwirken. Auf diese Weise dürfte es ihm gelingen, ein asiatisches System zivilisierter Staaten zu bilden und einen Handel zwischen Asien und Europa groß zu ziehen, der seinen gegenwärtigen Einfluß auf die Angelegenheiten von Europa und den Handel der Engländer, Holländer und Amerikaner um das Kap unendlich weit überträfe und wodurch der russischen Monarchie ungleich reellere Vorteile zufließen würden, als aus dem Streben nach politischem Einfluß auf die europäischen Angelegenheiten. Hege aber Rußland trotzdem Eroberungspläne, so sei China ein geeigneteres Feld als Inner- und Vorderasien. China sei militärisch ohnmächtig, und Rußland finde dort alles, was es sich Schönes und Gutes wünschen könne: Thee, Zucker, Seide genug, um ganz Europa zu versorgen, Wolle, Baumwollenzeuge und andere gewerbliche Erzeugnisse, und »den Überschuß einer zum strengen Gehorsam und zur Produktion abgerichteten Bevölkerung, hinreichend, das ganze asiatische und europäische Rußland zu bevölkern und seine Werkstätten und Minen zu beleben«. Widerstand würde es dabei von keiner Seite zu befürchten haben; es könne Menschenalter hindurch daran arbeiten, ohne von jemand anderem daran gestört zu werden als von wilden Horden, die zu bändigen ihm nicht schwer fallen dürfte. Um die erforderliche Truppenmacht an die chinesische Grenze zu bringen, brauche Rußland nur eine Bahn zu bauen; Menschen, Holz und Eisen für einen Bahnbau von tausend Meilen habe es genug. Nur dürfe bei alledem nicht vergessen werden, daß, je höher ein Gebäude aufsteige, desto tiefer das Fundament sein müsse, und daß Rußland nur auf der Grundlage europäischer Zivilisation ein zivilisiertes asiatisches Staatensystem errichten könne, daher den Überschuß der europäischen Bevölkerung in sich aufnehmen und durch Gewährung munizipaler Selbstverwaltung einen freien Bürger- und Bauernstand erziehen müsse. Die Zivilisierung Vorderasiens sei hauptsächlich Österreichs Aufgabe, das die Donau bis zu ihrer Mündung unter seine Herrschaft bringen müsse. Wahrhaft kläglich benehme sich die europäische Diplomatie, die mehr Mühe darauf verwende, die türkische Barbarei aufrecht zu erhalten, als es kosten würde, das westliche Asien der Kultur zu gewinnen. – Viel hofft List auch von dem an Naturschätzen reichen Afrika. Dort sei zunächst die Sklaverei zu unterdrücken. »Haben Menschen keinen Tauschwert mehr, so werden sich die Neger aus die Produktion von wertvollen Dingen verlegen, um dagegen ihre Bedürfnisse an Gewerbeerzeugnissen einzutauschen.«

Bei Beleuchtung der Kolonisationsthätigkeit der verschiedenen Nationen kommen die Holländer schlecht weg. »Der Holländer ist Monopolist von Haus aus. Alles, selbst die Elemente, möchte er ausschließlich besitzen, wie den deutschen Rhein. Ihm fehlt politische Bildung, Weltbürgersinn, Lebendigkeit und Beweglichkeit. Wo er sich gesetzt hat, bleibt er sitzen; was er angefangen hat, treibt er fort, wie er es begonnen. Von allen seinen Besitzungen hat keine einzige eigentümliches Leben und wird keine solches gewinnen.«

Aus dem Artikel »Arbeit« heben wir zwei beachtenswerte Stellen hervor. »Wie wir die Arbeit als das einzige vernünftig-legitime wie das sicherste und nachhaltigste Mittel für Individuen und Nationen, zu Wohlstand und Reichtum zu gelangen, erkennen, so erscheinen uns alle gesellschaftlichen Zustände, die nicht auf dieser Basis ruhen, als solche, die sich mit der fortschreitenden Aufklärung und Verbesserung der menschlichen Institutionen ändern müssen. Nehmen wir z. B. den Krieg: was war er, seit man Geschichte kennt, mit nur geringen Ausnahmen anderes, als ein Mittel, die Heerführer zu bereichern, Mut und Talent geltend zu machen, ihre Macht auszubreiten? Und wer anders hatte die Kosten zu bestreiten als die, welche im Schweiße ihres Angesichts das Korn gepflanzt, das Eisen aus den Eingeweiden der Erde hervorgeholt, das Kleid gesponnen und gewoben hatten? Aber nicht nur auf Kosten ihrer Früchte ward dieses im Müßiggang und im Zerstörungssinn wurzelnde Spiel getrieben, es verdarb selbst die Wurzeln der Arbeit, indem es die Ehre nahm, die ihr gebührte, die Gewohnheit zerstörte, ohne die es keinen Fleiß gießt, die Sicherheit des Eigentums und des Verkehrs zerrüttete.« Die heutigen Staaten beruhten auf einem Rechtssystem, »das, rein aus der Arbeit hervorgegangen und seinem Entstehungsgrund gemäß aufgebaut, nach außen keinen anderen Krieg kennt, als den der Verteidigung gegen ungerechte Angriffe, im Innern keine anderen Kämpfe besteht als mit der rohen Natur.« Demnach sei die Hoffnung keine Chimäre, daß die Arbeit dem Kriege ein Ende machen werde. »Der vollkommenste Zustand des Menschengeschlechts ist wohl der, wenn es alle übermäßig anstrengenden Arbeiten durch Naturkräfte verrichten läßt, wenn somit dem Menschen nur noch so viel körperliche Anstrengung übrig bleibt, als zu seinem körperlichen Wohlbefinden erforderlich ist, und er sein Leben in einem Wechsel von geistigen und körperlichen Anstrengungen, von geistigen und körperlichen Genüssen hinbringt. Daß die Menschheit diesem Ziele entgegenstrebt, ist nicht zu verkennen.«

Die Redaktion des Lexikons führten Rotteck und Welcker allein; List übernahm mit Hammer den geschäftlichen Betrieb, der ihm außer viel Arbeit auch noch Verdruß und Mißhelligkeiten mit seinem Partner zuzog. Auf finanziellen Ertrag seiner wissenschaftlichen Unternehmungen mußte er um so mehr bedacht sein, da in seiner Abwesenheit die Ausbeutung seiner amerikanischen Gruben stockte, während zugleich eine Finanzkrisis sein Vermögen bedrohte und thatsächlich zum größten Teil verschlang.



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