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Nach Fyrs Tode stiegen mancherlei Bedenken auf; der Zweifel an seiner Göttlichkeit war doch eine gefährliche Sache; das beste und sicherste für einen Menschen war immerhin, am Zweifel zu zweifeln.
Nach Fyrs Opfertod ließen sich verschiedene Wahrzeichen schwer deuten, wollte man unparteiisch sein. Gunung Api hatte sich gleich beruhigt, keine Erschütterungen und Blitzentfaltungen mehr, kein Waldbrand, im Gegenteil, der Berg war seltsam still geworden; das konnte man einerseits so auffassen, daß der Berg durch die Abstrafung des Sünders zufriedengestellt sei, andererseits aber hatte es den Anschein, als ob Gunung Api eine tödliche Wunde bekommen habe; er hörte auf zu rauchen, eine totenähnliche Ruhe bemächtigte sich der Erdkruste – hatte man vielleicht dennoch einen leibhaftigen Gott, Gunung Api in Menschengestalt, ums Leben gebracht?
Mehrere schicksalsschwangere Zeichen deuteten darauf hin; bald nach dem katastrophalen Tag fand man eines Morgens alle Palmen verwelkt, ein Reif war gefallen, der den Untergang der immergrünen Wälder prophezeite. Ein Schauder ging durch die Allnatur, und etwas Seltsames geschah: der Himmel begann in weißen, kalten Fetzen herunterzufallen. Was nun? Was hatte man getan, stand die Welt nicht mehr, hatte man wirklich in seinem Unverstand den getötet, der Himmel und Erde zusammenhielt?
Ganz stürzte der Himmel diesmal noch nicht ein, nur eine Schicht löste sich, indessen war es schlimm genug, die ganze Himmelswölbung schien arg beschädigt. Zu spät wurde es dem Waldvolk klar, daß es zu seinem eigenen Schaden gehandelt hatte.
Viele schwere Gedanken machte man sich über seine eigene Schwäche und die Möglichkeit zur Errettung der Welt; wenn man jetzt Fyrs Kopf hätte, um zu durchdringen, was Verirrung und was Wahrheit war!
Da stand man nun, schwarz wie Pech in der Seele, nachdem ein Feuer gestammt hatte, mit Spuklichtern vor den Augen, ohne die Dunkelheit durchdringen zu können. Hastig sammelte man alle Züge des dahingegangenen Fyr, ihn selbst aber bekam man nicht wieder. Feuer hatte man, ihn aber nicht.
Sein Ruhm und die Bilder, deren man sich bediente, um seine Eigenschaften zu beschreiben, gingen in die Sprache über. Feurig war Fyr, ein Licht zwischen Menschen, klar, ein leuchtender, glänzender, strahlender Kopf. Glanz ging von ihm aus, er funkelte, ewiges Feuer war in seinem Herzen, er war der Anfang aller Erleuchtung, blitzte, knisterte von Witz, sein Wesen war lauter Glut; und schnell war er, eine Fackel in der Nacht, er blendete, Wärme ging von ihm aus, er war sprühend, seine Seele flammte, er brannte, loderte, funkelte, schlug ein, sprühte; kurz gesagt, alle Bilder, die sich auf das geniale Element, das er gezähmt und mit dem er eins geworden war, bezogen, wurden auf ihn angewandt. Niemals würde es vergessen werden, daß er der Menschheit das Feuer gegeben hatte. Schade, daß gerade er bei einer Feuersbrunst umkommen mußte!
Aber es war geschehen. Das kommt vor. Ein Einzelner konnte dafür nicht zur Verantwortung gezogen werden, das ganze Waldvolk war sich einig geworden, ihn dem Feuer zu überantworten, und es hatte ihn unsanft angefaßt. Die Mehrheit und der große Verzehrer hatten gesprochen, wer wollte seine Einzelstimme dagegen erheben?
Was später vor sich gegangen war, eignete sich nicht zum Weitererzählen. Zwei Gesichtspunkte machten sich bei der Beurteilung von Fyrs Ende geltend; der eine war, daß man die Opferung überhaupt anzweifelte, sie klang ziemlich unerhört und mußte mit Vorbehalt aufgenommen werden. Die Nacht war dunkel gewesen, die Erde bebte, und alles wurde durcheinander gerüttelt. Wie leicht konnte da nicht Fyrs Tod und irgendeine zufällige Schlächterei in der Nähe miteinander verwechselt werden.
Man hatte kein Recht, das Schlimmste von der Menschheit zu glauben, wahrscheinlich war Fyr auf natürliche Weise umgekommen, und die Geier hatten ihn geholt, wie sie alle Toten holten; diese Erklärung wurde als die passendste überliefert und blieb die geltende; im übrigen war es Gunung Api gewesen, der die Bestrafung verlangt hatte.
Der andere Gesichtspunkt wurde nie in Form von Worten erörtert, er war nur eine Betrachtung, die alle teilten, die aber keiner Erwähnung bedurfte: es gab eine Anzahl Waldmänner, eine ganz bestimmte Anzahl, die genau Bescheid wußte, denn sie hatten allesamt an dieser sogenannten, nie ganz aufgeklärten oder bewußten Opferung teilgenommen, und wenn man auch nicht darüber sprach, so war man doch im geheimen Mitwisser einer Sache, die sich hinterher von nicht geringer Wichtigkeit erwies: alle Teilnehmer hatten ja ein Stück von der Gottheit im Leibe! Die andern bewiesen ihnen eine gewisse Ehrfurcht, wenn sie sich auch ein wenig vor ihnen graulten. Still! Sie und ihre Nachkommen nahmen eine Sonderstellung in den Stämmen ein, man umfaßte sie mit heiligem Gefühl wie eine Art Grabstätte, dort wußte man, lag Fyr begraben.
Im übrigen ging Fyrs Macht und Geheimnis auf seine Söhne über, deren er viele hatte, lauter springende Windbeutel, die sich das Erbe des Feuers zunutze machten.
In der Meinung der Menge nahm Fyr nach und nach Gunung Apis Platz ein, denn es lag näher, sich den Gott als Mann anstatt als Berg vorzustellen. Wenn man opferte, dachte man mehr an Fyr als an das Feuer, man betete es in seiner Person an und erwartete von ihm Erhörung, denn er verstand Menschen besser als das unmenschliche Feuer. Auf diese Weise bekam die Anbetung, die dem Waldvolk früher ziemlich unklar war, einen Sinn.
Von Fyr als Mensch wurde erzählt, daß er gar keinen Widerstand geleistet hatte, als man ihn zur Feuerprobe verurteilte, er war willig auf den Scheiterhaufen gestiegen. Nicht über die Behandlung hatte er geklagt, wie man mit Nachdruck hervorhob, sondern offenbar aus andern persönlichen Gründen.
Gegen die Behandlung ließ sich nichts sagen, sie waren viele gegen einen gewesen, hatten im Chor gebrüllt, und der Chor hatte immer recht. Das Feuer ist allerdings kein zärtlicher Freund, dennoch hatte Fyr sicher keine Qualen erlitten, weil er verbrennen und sterben sollte, sondern weil Dinge, an die er dachte, ihn vor seinem Ende, als er in aller Eile abrechnen mußte, mit bitteren, inneren Bildern bedrängten.
Er hatte erkannt, wie arm er geworden war, wie kurzarmig der Mensch ist und wie weit der Weg bis zum Himmel. Er hatte sich eingebildet, daß er eines Tages auf dem Sternenfeld spazierengehen, den Mond von hinten sehen und die Sonne mit dem Finger berühren könnte! Doch nicht einmal Gunung Apis Gipfel hatte er erreicht. Dazu hätte er immer noch Zeit, hatte er gemeint, denn inzwischen war es ihm auf Erden allzu gut ergangen. Alles war ihm geglückt, er hatte sich seine Welt angeeignet, das Feuer war ihm gehorsam geworden; nur eines hatte er sich nicht untertan machen können, die unbarmherzige Zeit. Er hatte ihr ein Maß gegeben, Zahlengrößen in die Welt gesetzt, um sie zu halten, wo aber war sie geblieben?
Wo war die verflossene Zeit? In seinem Kopf war sie gegenwärtig, sie selbst aber war nicht mehr. Wo war der junge Fyr und sein Morgengesang auf dem Berge? Wo war der Mohn? Eine Freundin einst, wo war sie und der kurze Brand, in dem sie zusammen geglüht hatten? Ach, war er es damals gewesen, und war er es jetzt noch? Gut, daß man ihn dem Feuer gab! Eine Strafe? Ach, nur schnell, schnell, legt mehr Holz auf, ihr Hunde!
Fyr war weinend in den Tod gegangen. Als er aber schrie in Menschennot, als die Jahre und das Feuer ihn zwickten, da hörte man jemanden quieken und sah den Schatten eines Menschen, ein altes, gebeugtes Weib, auf den Scheiterhaufen zukriechen; es war Fyrs uralte, hinkende, von allen längst vergessene Mutter. Sie hatte ihren Jungen weinen hören, weit, weit fort in einer Erdhöhle, wo sie sich zum Sterben niedergelegt hatte; jetzt kam sie noch einmal hervorgekrochen, tastete sich mit ihrem lahmen Fuß vorwärts und humpelte ins Feuer hinein, legte sich nieder und seufzte; ach, es tat gut, den Tod mit dem Gesunden zu teilen, der einst vor langer, langer Zeit und doch vor kurzem erst ihr mit fliegenden Haaren vom Schoß gesprungen und in den Wogen der Welt verschwunden war.
Da sie bisher nicht für ihn durchs Feuer gehen konnte, so tat sie es jetzt. Sie hieß Weh.
Später sagten die Nachkommen des Waldvolkes, daß Fyr die Sonne sei, blendend und spendend ginge er jeden Tag über den Himmel und säe Licht über die Welt.
Der Mond aber sei seine Mutter Weh, die seinem Pfad mit bleichen Zügen folgte, bisweilen ganz und bisweilen halb, weil sie Stücke ihres Herzens für ihn hingäbe; wenn die Nächte dunkel waren, hatte sie alles hingegeben und war in Kummer untergegangen, wenn sie aber hell am Himmel strahlte, dann ging es ihm wieder gut.
Alle Frauen beten zu Weh; veränderlich wie ihr Herz ist auch ihr Sinn, sie geben so viel, daß sie dabei in Stücke zerbrechen; doch alle Monate ist ihr Wesen wieder ganz.