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Der Waldbrand

Tags darauf trennten die verschiedenen Stämme sich wieder und zogen jeder in seine Himmelsrichtung; wenn man nüchtern war, gab es so viele Unstimmigkeiten, daß man nicht wie eine Familie zusammenbleiben konnte, das ging nur bei der Hitze der Musik; außerdem konnten sich so viele an ein und demselben Ort nicht ernähren. Bevor man sich aber trennte, hatte eine gewisse Auswechslung stattgefunden, viele waren vom einen zum andern Stamm übergelaufen, ein lebhafter Weiberaustausch hatte stattgefunden, und wenn der Mann einen Blick über seine Gesichter warf meinte er sie nicht alle zu kennen; einige lagen gleichsam frischer vor ihm im Staube, waren von anderswo her, hatten Stamm und alles verlassen, um die Stimme des Mannes immer hören und seinen Bart immer sehen zu können.

Ohne Zweifel hatte er eine gute Stimme und vermochte die meisten Tiere, die empfindlich gegen Lärm waren, zu verscheuchen; sogar der Löwe blinzelte, bekam saure Zähne und ging seines Weges. Mächtig war der Mann.

Gunung Api aber war mächtiger! Wenn er brummte ... wenn er blitzte ... Das Feuer!

Entsetzlich ist das Feuer. Da hilft kein Brüllen und sich auf die Brust schlagen, man rennt, weiß nicht, was man tut, macht sich naß, steht kraftlos still, kriecht auf allen vieren. Lähmend ist das Feuer. Der Mensch ist klein, wenn es sich zeigt.

Die Tiere fürchten es und fliehen davor; von weitem niesen sie und erheben sich auf den Hinterbeinen, machen kehrt und galoppieren Tage und Nächte, um andere Landstriche zu erreichen. Das wilde Vieh, die Pferde, stürmen besinnungslos in Scharen davon und treten sich gegenseitig nieder bei der Flucht, wenn sie Brandgeruch in die Nase bekommen. Sogar die Elefanten verlieren den Verstand und dreschen sich gegenseitig mit dem Rüssel, rennen Bäume übern Haufen und spießen sich selbst daran auf; alles rennt und stampft sich nieder, wenn das Feuer kommt.

Das Waldvolk kennt und fürchtet das Feuer. Die Angst davor sitzt ihm im Blut, sie haben sie von ihren Urvätern geerbt, die noch beständig in den Bäumen wohnten und keinen ärgeren Feind kannten als das Feuer. Das Feuer kletterte schneller und sprang rascher von Baum zu Baum als sie, und einen grausameren Untergang gab es nicht, als vom Feuer eingeholt und verzehrt zu werden. Es biß schmerzhafter als irgendein anderes bekanntes Wesen; die geringste Berührung mit ihm hinterließ unerträgliche Qualen, mit einem Zuge leckte es einem die Haare vom ganzen Körper und fraß alles, auch die Knochen; wo das Feuer gegessen hatte, blieb nichts übrig, und dabei konnte niemand sehen, wo das Verzehrte geblieben war. Denn im Feuer war eine unsichtbare Macht mit großem Appetit, aber anscheinend ohne Körper, ein unsichtbares Wesen, durch das Gunung Api sich kundtat, ein sausender Verzehrer, ein Geist, Gunung Apis heißer Geist.

Aus mancherlei zusammengereimten Dingen hatte das Waldvolk sich die Gewißheit verschafft, daß der Feuergeist im Berge zu Hause war. Leuchtete und drohte es nicht jede Nacht oben in den Wolken wie ein offner Feuerschlund? Und es kam vor, daß der nackte Geist selbst vom Berg herunter kam in Gestalt einer glühenden Zunge, so breit wie das ganze Tal und der Wald; und dann galt es, beizeiten zu fliehen, zu andern Wäldern, wenn möglich ganz aus dem Lande heraus, eine Reise von Tagen und Nächten, hatte man das Glück, einen Vorsprung zu gewinnen. Denn wenn die Feuerzunge den Wald erst erreicht hatte und Bäume aufzulecken begann, dann stand der Wald in kürzester Frist in Flammen, und man hatte den sausenden Feuergeist über sich.

Wenn das Feuer sich dick gefressen hatte, war es das größte und furchtbarste von allen Geschöpfen. Es konnte im Handumdrehen kommen; anfänglich entstand es aus einer ganz kleinen Flamme, einem unbedeutenden Feuerchen, das aus einem Funken vom Vulkan oder Blitz geboren worden war, bis es plötzlich, nachdem es im trockenen Laub herumgeleckt hatte, krachend auf die Bäume kletterte und groß wurde. Schon von weitem, wo seine Arme gar nicht hinreichten, konnte es verzehren; hatte es erst einmal um sich gegriffen und alles ringsum erhitzt, dann gerieten die Bäume in weitem Umkreis wie von selbst in Brand, bis der Wald ein einziges Feuermeer bildete.

Und das Feuer war das Leuchtende, es machte die Nacht zum Tage, ging nicht in Dunkelheit unter wie andere Geschöpfe; Licht ging von ihm aus in der Nacht, so daß alle Dinge in seiner Nähe zu sehen waren. Nachts war es blutigrot und meilenweit zu sehen, am Tage im Sonnenschein aber hatte es fast unsichtbare, wilde, heiße Luftglieder. Sein Antlitz aber ließ es niemals sehen. Dagegen hatte es eine Stimme, drückte sich verschieden aus, siedete, brüllte oder krachte, wenn es auf einem Baume saß und fraß. Wenn es in seiner vollen Macht auf dem Wald ritt und noch der Sturm dazu kam, wanderte es von einem Wald zum andern; und dann gab es keine Rettung, außer man hatte beizeiten das kommende Unheil gerochen. Sehr kluge Leute konnten das Eintreffen des Geistes voraussagen, sogar lange im voraus. Der Vulkan gab ja einen Geruch von sich, wenn er sich zum Kommen anschickte, und gebärdete sich auf mancherlei Weise, mit inwendigem Rummeln und viel Rauch; wer Verstand hatte, erriet, daß er auf Raub ausgehen wollte, und entfernte sich, sobald der üble Geruch von Gunung Api herabkam.

Mit dem Blitz war es eine andere Sache, vor ihm konnte man sich nicht schützen, der schlug ein, wo es gerade traf. Das war der Feuergeist in einer andern Form; er offenbarte sich zusammen mit dem Donner, dem großen Himmelsbrüller und Blitzerzeuger, der hin und wieder brutal im Himmel spukte und den Aufenthalt im Walde unsicher machte. Oft auch blitzte er dort oben nur zu seinem Vergnügen, ohne Schaden anzurichten; jede Nacht trieben die Feuergeister sich in den Wolken herum, rote, nackte Gesellen, die im Himmel herumsprangen; zwischen den Malen, wo der Blitz einschlug, verging oft lange Zeit, so daß die meisten sich dessen gar nicht mehr erinnerten. Plötzlich eines Tages war er wieder da.

Es fing damit an, daß schwere, geschwollene Wolken um Gunung Api heraufstiegen, den ganzen Himmel belagerten und den Tag krank machten – der erste Blitz glomm im Dunkeln auf, als ob ein Raubtier mit zitternder Oberlippe seinen Eckzahn bloßlegte, und bald darauf brüllte der da oben, ein langes, rollendes und luftiges Gebrüll, das sich in den Himmeln verlor und in fernen Waldklüften Widerhall fand. Das Mastodon antwortete aus der Ferne, wo es im Walddickicht graste; im Verhältnis zu dem Wesen, das die Welt von seiner Wolke herab volldonnerte, war es nur ein kläglicher, langgezogener Nasallaut, wie ein Mäusepiepen aus einem Grashaufen. Der große Löwe hustete traurig drohend, stöhnend, ein Mal ums andere, die Tatze auf dem Rückgrat eines Tieres. Wer wagte es, seine Eßruhe zu stören? Das Nashorn schrie, bis ihm die Luft ausging, während es mit Gekrach durch das Gehölz brach, ganz von Sinnen wie ein Huhn; das Flußpferd steckte seinen Kopf aus dem Wasser, beklagte sich mit schwerem Grunzen über den Spektakel da oben und fächelte sich das Wasser von den Ohren; der Dicke haßte Lärm und wußte offenbar nicht, wen er vor sich hatte.

Alle kleineren Tiere aber, die nicht mitzureden hatten, suchten lautlos Schutz. Geier kamen wie Steine vom Himmel, die Flügel fest an den Körper gelegt, und machten sich ganz klein unter einem Strauch; Nager stürzten sich kopfüber in ihre Höhlen; alles, was verschwinden kann, verschwand; im Augenblick war der Erdboden wie reingefegt von allem Lebenden.

Der Wald stand mit ausgestreckten Ästen da und starrte hellgrün, als ob ihm übel würde, in die schwarzblaue Dunkelheit. Etwas weiter fort bewegte er sich wild, mit fuchtelnden Armen; es war das Gewitter, das sich näherte, es peitschte, heulte schaurig, wo es hinkam.

Wieder ein Blitz und gleich nachher ein Krachen, der Zornige war zornig und nah – Blitz, Blitz, die ganze Welt voll von blauem Feuer – Feuer und Gekrach gerade vor der Nase! Es hatte eingeschlagen, ein Baum sank um in blendendem Licht; gespalten, dröhnend brach der Stamm zusammen, und das Feuer saß ihm auf dem Nacken, schlug mit blendenden Gliedern auf ihn ein, von der Krone bis zur Wurzel! Der Wald brennt!

Das Feuer springt von Baum zu Baum, flammt wild an den Stämmen hinauf und frißt die Kronen mit Gebrüll und Flammenschein. Rauch wälzt sich aus dem Wald, es knallt und sprüht, und jetzt atmet es gewaltig im Feuer, der Unsichtbare bläst mit heißen Backen; das Feuer leckt mit langen, klaren, beweglichen Zungen aus dem Wald, umspinnt ihn, fährt darüber hin, während die Blitze den Himmel spalten und der Donner Berge umstößt. Der Wald muß sterben, das Feuer hat ihn beim Schopf gefaßt, frißt sich in ihn hinein, hastig, gierig, sichtbar oder unsichtbar, aber entsetzlich, entsetzlich.

Und der Wald stirbt. Sind Feuer und Sturm weitergerast mit alles verzehrendem Sausen und einer Welt von Rauch, der unterm Himmel galoppiert, dann stehen die verkohlten Bäume da, einige bis an die Wurzel verzehrt, andere, an denen das Feuer sich noch nicht sattgefressen hat, mit versengten Kronen, von denen das Feuer tröpfelt, und verkohlten Stämmen. So stehen sie und qualmen, bis der Regen kommt und die Vernichtung zu schlammigen Seen zusammenwäscht, ein trauriges Leichenfeld, auf das die Sonne herabscheint, wenn der Donner endlich verstummt ist, und der Regenbogen überm Berge am Himmel strahlt. Wer von den Tieren nicht Verstand genug hatte, um sich zu retten, liegt tot, versenkt, mit geschwollenem Bauch in den zerstörten Wäldern.

 

Wie aber schlug das Waldvolk sich durch? Nicht allen Stämmen erging es gleich gut; einige, die mit dem Winde flohen, wurden vom Feuer eingeholt und kamen um, andere, die die entgegengesetzte Richtung eingeschlagen hatten, behielten einen Vorsprung, aber nicht alle; einige gerieten bei der allgemeinen Verwirrung dem rasenden Vieh in den Weg und wurden bis zur Unkenntlichkeit niedergetreten. Es kam auf den Führer an.

Am besten schlug sich die Schar durch, die den Mann zum Führer hatte. Er war alt und erfahren, hatte Ähnliches schon früher erlebt und überlebt und wußte, was man nicht tun mußte. Er kannte das Feuer und dessen Wege, nicht auf die Bäume hinauf und von Baum zu Baum fliehen, wie man es sonst tat, wenn eine Gefahr drohte und man schleunigst ausrücken mußte, bei Überschwemmungen, oder wenn die Wölfe sich hungergierig zusammenrotteten; nein, von den Bäumen herunter und aus dem Wald heraus, auf offenes Land, und wenn das nicht anging, zu einer möglichst großen Lichtung im Walde, wo auf alle Fälle nur das Gras brannte und man vielleicht mit abgesengten Augenbrauen und Brandblasen an den Fußballen davonkam. Am besten aber zum Wasser, zum Fluß, wenn man ihn erreichen und zwischen sich und das Feuer legen konnte, zu einem See, und wenn nichts anderes da war, zu einem Sumpf, einem Loch, wo man kopfüber hineinspringen und, bis an die Nasenspitze untergetaucht, warten konnte, bis das Feuer vorbeigerast war.

Eine häßliche Medizin, hu, Wasser ist das Entsetzen des Waldvolkes, sie scheuen Wasser mit jedem Haar ihres Körpers, mit allen zehn empfindsamen Fingerspitzen und edlen Zehen; Wasser trinkt man, aber nur mit der äußersten trichterförmigen Spitze der Lippen, man scheut sich, auch nur einen Spritzer davon ins Gesicht zu bekommen. Mit dem ganzen Körper hinein zu tauchen, ist eine Qual und eines Menschen unwürdig; von dem Gewürm gar nicht zu reden, das sich im Wasser bewegt und sich auf einen setzt, Egel, Wasserlinsen, nasse Stengel, hu, der bloße Gedanke daran macht einen erschauern. Herzzerreißende Schreie aus tiefster Not gaben immer zu erkennen, wenn ein Mensch ins Wasser gefallen war, und es war mehr Ekel vor der Nässe als Angst vorm Ertrinken. So schrecklich war das Wasser!

Beim Waldbrand aber hat man keinen bessern Freund, denn das Wasser ist die einzige Macht, die dem Feuer gebieten kann! Von allen andern Dingen nährt es sich und wird stark, Wasser aber kann es so wenig leiden wie der Mensch. Dafür hat man Beweise. Wenn es zum Beispiel regnet, wird das Feuer krank und schrumpft auf seiner Beute ein, erstickt und riecht ungesund, kann seine Flamme nicht entfalten; und wenn es andauernd tüchtig regnet, stirbt es schließlich, wird einfach erstickt. Also auch das Feuer hat seine Begrenzung und seinen Meister. Kommt ein wenig Wasser zum Feuer, so zischt es zornig und stößt Rauch aus, kommen aber größere Mengen, so weicht es zurück und läßt seine geschwärzte Beute im Stich; Feuer und Wasser vertragen sich nicht, das ist sonnenklar. Es kommt also vor allem darauf an, daß man sich von den Bäumen herabplumpsen läßt, wenn der Blitz seine Zacken in den Wolken zeigt, dann auf allen vieren oder auf zweien, was am schnellsten geht, zu einem offnen Platz, wo es naß ist.

Der Waldbrand überrascht den Mann und seine Schar am Rande des großen Waldes, weit vom Fluß entfernt, und ohne einen See in der Nähe; der Alte aber bricht sich gleich durch den Wald Bahn, kommt in hohes Gras hinaus, sieht sich hastig nach allen Seiten um und rückwärts zum Walde, wittert durch die Luft; wo ist der Wind, welche Richtung schlägt das Vieh ein – Wasser? Er springt auf – dort ist eine große Lichtung mit einer Senkung in der Mitte, und weht dort nicht Schilf, Moorboden, Sumpf? Er faßt seinen Entschluß, läuft durchs Gras, duckt sich, schnuppert, läuft, bleibt stehen, läuft wieder, den Stab in der einen und einen großen scharfen Feuerstein in der andern Hand; und hinterher der ganze Stamm in langem Gänsemarsch, die Männer mit unruhig flackernden Augen und zitternden Knien, sie atmen röchelnd, Wasser stießt ihnen aus den Augen und von woanders, sie können es nicht halten, und folgen dem Mann, ohne zu wissen, was sie tun. Hinter ihnen kommen die Mütter, stumm und geschwinde wie Schatten, jede mit einem Kind im Arm und einem oder mehreren hinterdrein, die alle schreien, ein ohrenbetäubender Jammer. Die Mütter aber sind stumm, keiner weiß, wie furchtsam sie sind, was in ihnen vorgeht; sie haben wahnwitzige Augen, aber das haben sie immer, sie folgen zu Scharen und schweigen. Der Schwanz des Aufzuges wird von den Jungen des Stammes gebildet, den Lümmeln und schlanken jungen Mädchen; um ihre Körper liegt die kleidsame Glorie des Schreckens in Form von gesträubten Silberhaaren; sie lehnen sich gegen das Unabänderliche auf, indem sie ohne Entfaltung von Grazie fliehen; ihre Lippen aber sind schmal; sie wollen nicht die letzten im Kielwasser sein. Die Lümmel heucheln Gleichmut, bellen mit rauhen Stimmen und geben sich den Anschein, als ob sie sich nicht beeilen, doch treten sie sich gegenseitig nieder, wenn es ihnen nicht schnell genug geht.

Die ganze Schar zieht durch das hohe Gras bis zur Mitte der Lichtung, wo ganz richtig, wie der Mann vorausgesehen hat, ein Sumpf mit offenem Wasser ist – und kopfüber allesamt in die Wasserlinsen! Plumps, plumps, plumps, zuerst die Frauen in Sicherheit, wie es sich gehört, alle Mütter; beim ersten nassen Spritzer zucken sie mit den Augenwimpern, aber tauchen hinunter, ohne zu murren, mit Säuglingen und allem. Dann die jungen Mädchen, sie weinen, aber es hilft nichts; eines der jungen Fräulein bremst im letzten Augenblick am Rande der Pfütze mit allen vieren und will nicht hinein, hu, nein, es ist so unkleidsam! Da muß der Mann kurzen Prozeß machen, sie bekommt eins auf den Kopf und ein Knie hintendrauf, und herein zu Aalen und Egeln! Dann alle Männer, plumps, plumps, plumps, schließlich die Lümmel, nicht ohne Gebrüll; und zuallerletzt, als alle gerettet sind, der Mann, der alte Führer! Mit saurer Miene hüpft er hinein, vorsichtig, indem er Kopf und Hände nicht nasser macht als unbedingt notwendig.

So sitzen sie allesamt im Sumpf, an einer Stelle, wo das Wasser so niedrig ist, daß sie den Kopf über Wasser halten, aber bis an die Augen untertauchen können, wenn das Feuer kommt. Und als sie sich ziemlich sicher fühlen, finden sie die Sprache wieder, verständigen sich durch viele modulierte Grunzlaute und weises Ziehen der Stirnhaut, durch Lippenschnalzen und Beweglichkeit der Nasenspitze. Sie sind klein, der Untergang der Welt ist nah, ihre Geschwätzigkeit aber ist bis zum letzten Augenblick unverwüstlich.

 

Von der Stelle, wo sie sitzen, können sie über die Lichtung bis zum Waldsaum sehen, und schauerlich ist, was sich vor ihren Augen abspielt. Der Brand entwickelt sich mit erschreckender Schnelligkeit; schwarze, geschwollene Wolken wälzen sich aus dem Walde, wachsen aus sich selbst heraus und rollen himmelwärts; Funken sprudeln hoch oben in den Wurzeln der Wolken, ein überwältigendes Sausen, Knistern, Krachen ist zu hören, wächst, nähert sich, nimmt an Umfang zu; jetzt sieht man Flammen überm Walde, ein ungeheuer gestreckter, lodernder Körper, der über die Wipfel hineilt, in den Rauch hinaufspringt, unsichtbar wird und wieder niederschlägt; rote und gelbe wilde Flammen sitzen auf dem Walde und schlängeln ihre Körper hoch in der Luft, wie Schlangen, die mit ihrer Beute ringen; und dabei hört man ein entsetzliches Gezisch, donnerndes Gekrach, der ganze Wald ist eine einzige vorwärtsstürmende, brüllende Flamme, furchtbar anzusehen. Jetzt aber hat sie den Rand des Waldes erreicht und läuft weiter, frißt sich mit rasender Eile vorwärts, ohne Zweifel will sie ihren Weg über die Lichtung fortsetzen und den Wald auf der andern Seite in Besitz nehmen. Die Menschen im Sumpf seufzen, sie wissen, daß sie umringt sind; in Wirklichkeit aber ist die Gefahr vorbei, denn auf der Lichtung stehen ja keine Bäume, die brennen können; sie sitzen in der Mitte eines Ringes, um den das Feuer herum muß; ohne Behaglichkeit, das ist gewiß, bis an den Hals im Wasser, die Hitze des nahen, ungeheuren Feuers sengt ihre Gesichtshaut, sie husten, vom Rauch halb erstickt, aber sie sind in Sicherheit. Den Tieren ist es schlimmer ergangen, so schlimm, wie es überhaupt gehen kann!

Sie sahen sie, die wilde Jagd ums Leben, noch sind sie fahl im Gesicht von dem Erblickten, in ihren Augen ist noch die Spiegelung des Todes. Kurz bevor das Feuer den Waldsaum erreichte, kam es: vom Feuer gejagt, bricht eine mächtige Tierschar plötzlich aus dem Walde und eilt auf die Lichtung zu, Donnern von Hufen, Brüllen, Wiehern, Heulen, denn Tiere aller Art sind zwischen der Horde, Büffel, Pferde, Elefanten, Hirsche, Wildschweine, Bären, Löwen, Giraffen und Nashörner, Freund und Feind durcheinander, jeder denkt nur daran, das Leben zu bergen; wie eine dicht wogende Masse wälzt die Schar sich vorwärts, man hört Knochen knacken, Elefanten schwanken wie in einer aufgeregten See von Tierkörpern, heulen wie wahnwitzig, den Rüssel zum Himmel erhoben; lange Giraffenhälse ragen heraus, recken sich hilfesuchend nach rechts und links, bis sie sinken, die Beine unter ihnen sind im Gedränge gebrochen worden; Tausende von Ochsen drängen sich im Galopp von allen Seiten heran, wollen alle zur Mitte, rennen sich die Hörner in die Leiber, trampeln sich gegenseitig nieder mit gesenkter Stirn und tollem Prusten; alle kleineren Tiere werden zusammengedrückt und zwischen der Schar zu Boden getreten; – trotz aller Hindernisse aber kommt die Schar wie der wilde Wind vorwärts, unterwegs Tod und Vernichtung in ihrer Mitte schraubend; über eine Brücke von toten Körpern, die sie in ihrer blinden Flucht absetzen, geht es vorwärts, in wenigen Augenblicken haben sie die Lichtung durchquert und brechen mit Geheul, Gebrüll, Schreien und dem Krachen von zermalmten Knochen in den Waldsaum auf der andern Seite ein. Dort wird das Feuer sie verfolgen und die Jagd fortgesetzt werden; der Vorsprung ist nicht groß, denn während man den Tierhaufen durch den Wald donnern hört, hört man zu gleicher Zeit, wie das Feuer um die Lichtung ihnen auf den Fersen poltert.

Jetzt aber bekommt das Waldvolk andere Dinge zu denken, jetzt soll es selbst die Feuerprobe bestehen – das Gras brennt, das Feuer hat sich vom Wald auf die Lichtung hinaus verpflanzt. Sie müssen sich tief ins Wasser ducken; aber es ist nur ein Augenblick, das Feuer rast über die Lichtung hinweg und geht um das Wasser herum. Nachdem es vorüber ist, zeigt es sich, daß das Gras verschiedene Tiere versteckt hat, die dort Zuflucht gesucht hatten, ein Gewimmel von Schlangen, die vom Feuer zu Tode gesengt wurden. Gutes tut es also auch auf seinem Wege; ein Stachelschwein macht einen Buckel und sträubt seine Stacheln, um sich gegen das Feuer zu decken, die Stacheln aber erweisen sich als sehr brennbar, und der arme Nager wird gebraten; das spielt sich ganz in der Nähe des Sumpfes ab, und das Waldvolk reckt die Hälse, es riecht etwas, ein süßer, sehr süßer Dunst geht von dem Nager aus, nachdem das Feuer sich über ihn hergemacht hat; auch die Schlangen in der Nähe, die mit geplatztem Leib daliegen, während das Gift ihnen aus den Eingeweiden getreten ist, riechen brandig und recht lieblich; und obgleich das Waldvolk sozusagen selbst im Rachen des Todes sitzt, spricht der Augenblick zu ihrer Einbildungskraft, man ist ja schließlich nur ein Mensch und hat längere Zeit nichts zu essen bekommen; man ist nachdenklich, schmatzt mit den Lippen ...

Noch aber sind die Prüfungen nicht vorüber, ein Schrecken anderer Art ergreift sie mit Macht, sie fahren zusammen, daß das Wasser geradezu in Wogen geht, die Kinder schreien wild, und sogar der Mann stößt einen Laut der Verwunderung und des Alarms aus – wie durch Zauberei springt ein gewaltiger, gestreifter Tiger gerade vor dem Sumpf aus dem Grase!

Auf Tigerart hat er sich bis zum letzten Augenblick im Grase versteckt gehalten, nur wenige Fuß vom Waldvolk entfernt, jetzt aber muß er heraus, das Feuer ist ihm auf den Fersen – und so steht er vor dem Wasser, blickt sehnsuchtsvoll zum andern Ufer hinüber, krümmt den Rücken, alle vier Füße fest gegeneinander gepreßt, aber er springt nicht, denn er kann das andere Ufer ja doch nicht erreichen. Hebt die Pfoten, einmal, zweimal, wie um in das Wasser hineinzugehen, schüttelt sie aber jedesmal fröstelnd, als ob er schon Tropfen darauf bekommen hätte; er kann nicht. Und als er sich gefangen sieht, blinzelt er vergrämt, einsam mit den großen gelben Augen, öffnet das Maul, als ob er miauen wollte; aber es kommt kein Laut, der große gelbe Blick fällt auf die Menschen im Sumpf, aber er sieht sie nicht, ist zu verzweifelt, um überhaupt etwas zu sehen.

Ja, da steht das Tigertier, zwischen Feuer und Wasser eingeklemmt, wird nicht mehr vor Sonnenuntergang auf dem Rücken eines Wiederkäuers reiten, die Krallen tief in dem zitternden Fleisch, das Maul auf der Pulsader, aus der Lebensquelle trinkend, nach dem salzigen Trank ebenso durstig wie vorher; nie mehr wird es sich durch das schreckensvolle Dunkel des Urwaldes schleichen, furchtlos im Finstern, die Finsternis und das Entsetzen selber, wird sich nicht mehr in der Mittagssonne strecken und die flammenden Flanken durchglühen lassen, bis Lebensfunken und Kitzel ihm aus den Haaren knistern und es wie ein Rocken der Wollust spinnt; wird nicht mehr mit seiner lebendigen Nahrung spielen, das unheimliche Spiel, das damit endet, daß der eine Spielkamerad verschwindet und der andere schläfrig wird; wird nicht mehr in ruchlosen Liebesduetten im Mondschein mitsingen, sich nicht mehr mit der Pfote waschen und reinlichkeitsfroh nach dem Mord die kleinste Spur von Hirschblut von den Knurrhaaren wischen – jetzt soll es seiner Sünden wegen in einem heißen Element gewaschen werden, das Feuer ist über ihm, eine Flamme hat es bereits am Schwanz gefaßt.

Da aber dreht es sich mit einem Satz um, kehrt seine Vorderseite dem Feuer zu, das aus dem hohen, trocknen Gras knistert; es brüllt Tod und Untergang, will mit dem Heißen kämpfen, springt vorm Feuer kerzengerade in die Höhe, fuchtelt mit allen Krallen durch die Luft, schlägt nach dem Feuer, daß seine Pfoten und der Schnurrbart versengt werden; es facht das Feuer noch mehr an, indem es hineinschlägt, Funken und brennendes Gras schlagen ihm über dem Kopf zusammen, und mit ohrenzerreißendem Fauchen und Schreien rollt es sich in einer Wolke von Funken ins Feuer hinein, beißt, wo das Feuer beißt, reißt sich lange Schrammen im Gesicht, bis das Gras unter ihm verbrannt ist. Wahnwitzig niesend und schnaufend, ohne ein Haar auf dem Körper, ohne Ohren, geblendet und nackt wie ein gerupfter Haubenstock, mit bloßen Schwanzwirbeln, Blut ausschwitzend, galoppiert es quer über die Lichtung geradewegs in den Wald zwischen die weißglühenden Baume hinein!

Das Waldvolk sitzt im Sumpf mit weitaufgerissenen Augen, fühlt, es weiß nicht was, und grunzt leise. Haben sie nicht den Tod sterben sehen? Das Feuer ist noch grausamer als der Tiger!

Der Wald brennt aus. Doch wird es Abend und Nacht, bevor die Welt so abgekühlt ist, daß das Waldvolk aus seinem Zufluchtsort herauszusteigen wagt. Und erst tags darauf können sie ihre Wanderung wieder aufnehmen. Das Dasein beginnt für sie wieder von vorn; in meilenweitem Umkreis ist der Wald verbrannt, ein neuer Wald muß gesucht werden, ins Ungewisse muß man hineinwandern. Da preßt der Mann den Feuerstein in der linken Hand fester und geht voraus, mit sich selbst redend, unendlich weise. Ihm auf den Fersen folgen die Männer, hinter ihnen die Mütter und zum Schluß die Jugend, genau in derselben Reihenfolge, in der sie kamen.

 

Eines mehr aber sind sie in der Zwischenzeit geworden, denn eine der Frauen hat aus Schreck vor der Zeit ein Kind zur Welt gebracht, während sie in Todesangst im Sumpf saßen; keine bequeme Geburt. Mitten durch das Brüllen des Feuers und der zu Tode verurteilten Tiere erklang ein unheimlicher Ton, das Schreien des gebärenden Weibes, und bald darauf das zarte Winzeln eines Neugeborenen, das seinen Eintritt in die Welt mit einer Klage begrüßte.

Das Kleine kam halb ertrunken zur Welt, Rauch von einer Vernichtung war sein erster Atemzug, Geheul und Hitze das erste, was es mit Sinnen wahrnahm. Kaum ausgetragen aber hatte das kleine runzlige Ungeheuer dennoch Kraft genug, sich gierig, wenn auch blind, mit dem Mund zur Brust der Mutter durchzutasten; das eine Geschöpf saugt nun einmal Nahrung aus dem andern. Die Mutter aber war glücklich über diesen Schmarotzer, der häßlicher war als der Tod, zahnlos wie ein uraltes Gestell, aber hungrig wie ein Egel; sie machte ihm aus Armen und Brust ein Nest, verbarg ihn vorm Mann und beschwichtigte ihn, Mund auf Mund, damit der Mann ihn nicht hassen und aus Wut über das neue Gewinsel in seiner Nähe über ihn herfallen sollte. Entkräftet und ergeben schwankte sie mit, als aufgebrochen wurde, die letzte in der Schar, eine Blutspur hinterlassend.

Und so begab der Zug sich wieder auf die Wanderung, der Mann mit Speer und Stein an der Spitze, bereit zu stechen und zu schlagen, hinterdrein das Weib mit ihrer Leibesfrucht und ihrem Geschlecht, eine nie geheilte Wunde, die der Mann offen hält.

Alles in allem aber hatte der schreckliche Tag den Menschen doch allerlei Vorteile gebracht; nach dem Brand kam eine Reihe von Festen, denn auf der Erde lag meilenweit das schönste Fleisch, von gebratenen Tauben, die vom Himmel gefallen waren, bis zu Elefanten, über und über geröstet, mit Gemüse gefüllt. Der Tod der Tiere war nicht zum Schaden der Menschen; sie selbst hatten kein Leid erlitten, hatten im Gegenteil noch einen Zuwachs bekommen.

Zuwachs bekam man in guten Tagen, und auch im Unglück brachten die Frauen Kinder zur Welt, Zuwachs bekam man zu jeder Zeit. Der Mann duldete es, obgleich es ihm im Grunde zuwider war, daß andere als er aßen und sich sättigten, selbst seine Nächsten; doch hatte es seinen Vorteil, zahlreich zu sein, besonders des Nachts, und auch aus andern Gründen. Viele schrien lauter als einer, das war klar, je größer der Chor, desto mehr Recht; darum ließ der Mann sich die Begleitschaft gefallen.

Das Neugeborene wurde geduldet, es war ein Knabe; der Mann kniff ihn, bis er weinte, und schlug ihn, bis er schwieg, das war die Vatereinweihung; späterhin schenkte er ihm wenig Beachtung. Er war in der Gewalt der Mutter, sie deckte einen Menschen in ihm auf. Rund und stramm war sie, als sie ihren Erstgeborenen bekam, als er aber fertig gesäugt war, war sie schlaff mit hängenden Brüsten; dafür war er desto blühender, ein Wunderknabe mit der Üppigkeit seiner Mutter und der Stimmbegabung seines Vaters; zeitig machte er sich im Stamm bemerkbar.

Die Natur hatte in Gnaden auf ihn herabgesehen. Bei seiner Geburt wurde er in Wasser getaucht, schmeckte den Tod des Ertrinkens, das Wasser aber gönnte ihm das Leben. Seinen ersten Atemzug tat er hustend, doch der Rauch erstickte ihn nicht; Heerscharen von tollen Tieren erschütterten den Boden in seiner unmittelbaren Nähe, Gestank von verbranntem Horn, Blut, Schweiß war das erste, was er roch, und der Schrecken legte den Grund zu seinen Instinkten; aber sogar die wahnwitzige Herde ließ ihn leben, trampelte zu beiden Seiten des Sumpfes an ihm vorbei, wurde in den Morast gedrängt und kam darin um; dort aber, wo das Waldvolk saß, war niemand hingekommen; der Tiger war ihm näher gewesen, als er lang war, ließ ihn aber unangetastet. Das ganze Dasein hatte ihn anders empfangen als andere, alle Mächte der Vernichtung hatten sich in ihrer Schrecklichkeit gezeigt, Leben wurde verschwendet, als ob die ganze Welt ausgerottet werden sollte, und just in derselben Stunde war ihm das Leben gegeben worden.

War das anders zu erklären, als daß das mächtige, das allmächtige Feuer über seiner Geburt geleuchtet und andere Mächte im Zaum gehalten hatte? Sein Leben schien von Anfang an heilig zu sein.

Zum Andenken an den großen Waldbrand und zu Ehren dessen im Himmel, der gedonnert und Feuer über die Welt ausgestreut, die Menschen aber geschont hatte, wurde Gunung Api als Gevatter angerufen, der Knabe ihm geweiht und Fyr Ein Wortspiel. Fyr bedeutet im Dänischen Feuer und Bursch. genannt.

Er wurde ein großer Feuermann und Stammvater reicher Geschlechter.


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