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Wer waren diese Menschen? Waren sie die Ersten, die die Erde auf den dänischen Inseln betraten?
In der Mythe von der Eiszeit ist berichtet worden, wie das Gletschervolk, Drengs Nachkommen, entstanden; die ersten waren Mammutjäger, später verbanden sie ihr Leben mit dem der Renntiere und wilden Pferde; und als die Renntiere außer Landes zogen, mag wohl diese oder jene Familie des Urvolkes ihren Pfaden gefolgt sein, nach Norden oder Osten, wo das Renntier noch Heutigentages lebt. Zur Zeit der Steppen war Dänemark mit Asien verbunden, später schlossen sich die Sunde wieder um die Inseln.
Das Steinzeitvolk war ein seefahrendes Volk, es war von Süden nach den dänischen Inseln gekommen, von den baltischen Küsten, wo das Gletschervolk sich angesiedelt und mit den Eingeborenen, Nachkommen des dortigen Waldvolkes, vermischt hatte; der Ursprung der ältesten Dänen stammt daher aus zwei Quellen.
Hätte man sie selbst gefragt, würde man kaum eine befriedigende Antwort bekommen haben. Wenige nur schenkten der Vergangenheit einen Gedanken oder machten sich eine Vorstellung von ihrer Herkunft und dem Zeitpunkt ihrer Einwanderung; besonders die Jüngeren, die auf der Insel aufgewachsen waren und nur das umliegende Land als ihre Welt kannten, kümmerte es wenig.
Einige der Alten kannten Sagen, die ihnen von ihren Vätern und Vätersvätern überliefert worden waren und von denen sie bisweilen untereinander sprachen, von einer Vergangenheit, als die Menschen in einem fernen Lande wohnten, das man nur durch weite Reisen, von Neumond zu Neumond, erreichen konnte, in ausgehöhlten Eichen, über mehrere Sunde und um viele Küsten herum; in jenem Lande, hieß es, seien die Winter sehr milde, manches Jahr fiele gar kein Schnee. Man lebte auf großen Flüssen und konnte immer Fische bekommen. Es hieß, daß ein bestimmter Mann zum erstenmal die Inseln im Meere gefunden und sich auf ihnen angesiedelt habe, später waren ihm viele mit ihren Familien gefolgt. Anfangs pflegte man nur im Sommer zu den Inseln hinüberzurudern und dort auf die Jagd zu gehen, solange das gute Wetter anhielt; meistens waren es junge Leute, die beherzt waren und den Weg kannten; wurden die Nächte aber kalt, so ruderte man den langen Weg zurück und überwinterte auf dem Festland.
Mit der Zeit aber lernte man sich auch im Winter auf den Inseln einzurichten, entweder freiwillig oder wenn man von den Herbststürmen überrascht worden war; als man sich davon überzeugt hatte, daß es möglich war, blieben viele Familien während des ganzen Jahres auf den Inseln und sahen ihr altes Land nie wieder.
Als sie zuerst kamen, waren die Inseln unbewohnt gewesen; das Wild, das in Unmengen dort lebte, war ganz unberührt und zahm, man konnte die Vögel mit den Händen greifen, und die Hirsche kamen ganz nah heran und beschnüffelten die Art; die Jäger brauchten das Wild nicht erst aufzusuchen und das Fleisch halbe Tage lang zum Lager zu schleppen, man nahm gemächlich am Feuer Platz, und wenn die neugierigen Hirsche einen freundschaftlichen Besuch machten, schlachtete man sie, ohne sich zwei Schritte weit zu bemühen. Später wurden die Tiere allerdings klüger. Nach und nach, als die Jagd schwieriger wurde, wanderten immer weniger Menschen auf den Inseln ein; auch wurden sie von den ersten Siedlern nicht alle gut empfangen; es kam vor, daß ganze Bootbesatzungen verschwanden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Schließlich geriet der Weg nach den Inseln in Vergessenheit, und auch die Bewohner der Inseln kannten den Rückweg nicht mehr; die, die einst hinübergerudert waren und die Merkmale kannten, waren längst tot. Doch waren alle zufrieden und dachten nicht an Aufbruch, solange sie nur in Frieden leben konnten.
Die Familien waren zu kleinen Stämmen geworden, die weit voneinander auf den verschiedenen Inseln, in großen Abständen längs der Küsten wohnten; man kannte einander nicht und hatte auch kein Verlangen nach näherer Bekanntschaft, jeder Stamm war sich selbst genug und betrachtete im Grunde sich selbst als die einzige Menschengemeinschaft im eigentlichen Sinne, die anderen waren nur menschenähnliche, recht niedrigstehende Fremde.
Solch Mittelpunktstellung im Dasein, in ihrer eigenen, angenehmen Einbildung, nahmen auch die Bewohner des kleinen Jäger- und Fischerortes ein, wo Gast geboren war.
Die Einwohnerzahl war nur so groß, daß man sich gegenseitig kannte, ohne sich darüber klar zu sein, wie viele Köpfe man zählte. Wenn ein Hirsch erlegt worden war und alle ihren Anteil bekommen hatten, war der ganze Stamm mit knapper Not versorgt; eine kleine Familie war es darum nicht, und die tägliche Ernährung gab ihnen insgesamt genug zu denken.
Groß war die Welt des Stammes nicht, die Bucht und die nächste Umgebung des Fjords, außerdem der Wald, den man bis in alle Einzelheiten kannte, doch nicht weiter, als daß ein Mann ihn an einem Tage durchstreifen und vor Nacht wieder zurück sein konnte. Was außerhalb dieses Umkreises lag, war unbekannt und lockte auch nicht zu näherer Untersuchung. Man hütete sich, tiefer in das Innere des Landes einzudringen, wußte man doch nie, wer dort hausen konnte. Es kam vor, daß ein Mann zum Dorf zurückkam, fast gesprengt vor Atemlosigkeit und so außer sich, daß seine Freunde lange auf ihm sitzen mußten, um ihn niederzuhalten und zu beruhigen; ja, ja, niemand durfte dem Walde zu nahe treten, sonst schreckte er einen zu Tode.
Zur äußersten Meeresküste kam man selten; dort war das Meer zudringlich und grob, und außerdem führte dort der Weg zu den anderen Wohnplätzen, auf deren Bewohner man nur ungern stieß. Mit den nächsten Nachbarn, deren Rauch man vom Eingang des Fjords aus in der Ferne sehen konnte, unterhielt man einen flüchtigen Verkehr. Etwas Neues boten sie dem Neugierigen nicht, sogar ferner wohnende Stämme sahen nicht anders aus und benahmen sich nicht anders als man es von seinem eigenen Wohnort her gewohnt war, abgesehen von einigen Narrheiten, wie man sie von Leuten, die es nicht besser wußten, erwarten konnte. Im Walde grenzten die verschiedenen Jagdgebiete aneinander mit stillschweigend vereinbarten Grenzen; stieß man hier auf fremde Jäger, so zogen beide Parteien sich am liebsten gleich zurück, sehr steif und förmlich, während die Hunde von beiden Seiten sich natürlich gleich an die Kehle sprangen. Wenn die Jäger von der Bucht zurückkehrten, erzählten sie häufig von solchen Begegnungen, wobei sie sich in ihren Augen immer großartig benommen und den Fremden imponiert hatten.
War der Wald die Grenze des altbekannten Stammgebietes nach der einen Seite, so hatte nach der anderen Seite die Welt im Meere vor der Küste ein Ende. Es war nicht das offene Meer, bei klarem Wetter konnte man von dem Gipfel eines Baumes aus die jenseitige Küste ganz deutlich sehen, langgestrecktes, flaches Land, wie man es selbst bewohnte; von dort aber waren die Vorfahren sicher nicht gekommen, denn, welcher vernünftige Mensch würde so weit in einem eichenen Kahn rudern? Eher waren sie von Süden her gekommen, längs der Küste, von kleineren Inseln her. Denn daß man auf einer großen Insel wohnte, wurde von den Älteren als sicher hingestellt, obgleich noch keiner eine Reise rund um die Insel gemacht hatte.
Wenn die Jäger am Feuer saßen und Fragen erörterten, die von dem Alltäglichen abwichen, bemerkten sie häufig einen von Gros Jungen, der in der Nähe stand, weit vorgebeugt, mit Ohren, Mund und Nase lauschend; manchmal machte man sich den Spaß, ein brennendes Scheit nach ihm zu werfen, oder man ließ ihn auch stehen, unbedeutend wie er war. Gast war es, der mit allen Öffnungen in seinem Kopf Kenntnisse einsog und alle Sagen, die er hörte, wie einen kostbaren Schatz verwahrte.
Dort hörte er zum erstenmal von dem seltsamen Lande, woher alle Menschen von Anfang an stammen sollten –, nicht das Land mit den großen Flüssen, das verhältnismäßig nah lag, sondern eines, das so weit, weit fort war, daß kein Sterblicher es erreichen konnte, wenn er auch sein ganzes Leben lang wandern würde. Seit die Menschen von dort gekommen, war so viel Zeit vergangen, daß die Berichte darüber, durch unzählige Geschlechter überliefert, fast vergessen und nur dunkle Erinnerungen an die Sage und einige wenige Züge bewahrt worden waren. In jenem Lande, hieß es – wenige aber glaubten, daß es noch existiere oder überhaupt je existiert hatte –, sollte es keine Kälte geben, Kleider waren überflüssig, die Bäume hatten Brüste, aus denen man Nahrung saugen und in deren Schutz man nachts schlafen konnte. Ein jeder wußte wohl, daß die Bäume beschützte und heilige Wesen seien, das übrige aber klang unwahrscheinlich, wenn die Sage auch nie ganz in Vergessenheit geraten konnte. Die ersten Menschen waren von diesem Lande durch eine ungeheure Überschwemmung, bei der die meisten ums Leben gekommen waren, getrennt worden, nur die wenigen, die Eichenkähne besaßen und rudern konnten, waren gerettet worden; von ihnen stammte das Steinzeitvolk ab, und ihre Eichenkähne waren Beweis genug, daß dieser Teil der Erzählung auf Wahrheit beruhte!
Gast hörte zu, und was er erfuhr, drang ihm in die Seele. Gar zu gern hätte er gefragt und mehr erfahren, zum Beispiel die Himmelsgegend, wo das vermeintliche Land liegen sollte; eines Knaben Fragen aber beantwortete niemand, und mehr Aufschlüsse gaben die Gespräche ihm nicht. Gast seufzte still vor sich hin und begrub die teuren Bruchstücke in seinem Herzen. Alles, was er wissen wollte, mußte er aufschnappen. Denn noch war er ja nicht in den Kreis der Männer aufgenommen, wurde kaum täglich in ihrer Nähe geduldet. Wenn aber die großen Stammesfeste stattfanden, dann war er ganz ausgeschlossen, obgleich er nichts so sehnlich wünschte, als darin eingeweiht zu werden.
Das arme Steinzeitvolk feierte nicht viele Feste, für gewöhnlich schloß der niedrige Horizont des Wohnplatzes die Seelen ein; ein einziges Fest aber gab es, das die Geister wachhielt, und das war das Fest für die Sonne.
Zweimal im Jahre wurde es gefeiert, zur Winter- und zur Sommersonnenwende, und so heilig war es, daß bei dieser Gelegenheit sogar das gespannte Verhältnis zwischen den einzelnen Stämmen vergessen wurde. Von der ganzen Küste kam man zusammen, im Winter, wenn die Tage am kürzesten waren, um für die Wiederkehr der Sonne zu opfern, zur Mittsommerzeit, um die hellen Nächte mit einem großen Feuer zu feiern und sich der Sonne zu freuen, die bereits gewendet hatte, um dem Winter entgegenzugehen. Die Alten und Erfahrenen des Stammes wußten, wann diese Tage eintrafen, hatten Merkmale im Lande, wußten, wann während des ganzen Jahres die Sonne auf- und unterging, und konnten ihren Stand jederzeit aus den Sternenbildern lesen, wenn die Sonne selbst auch nicht sichtbar war.
Die Opfer waren zum Schutze der ganzen Bevölkerung notwendig; es war eine Lebensbedingung, daß man sich den unveränderten Gang der Jahreszeiten sicherte, darum mußten alle Stämme zusammenhalten. Wenn sie bei solchen Gelegenheiten zusammenkamen, erinnerten sie sich ihres gemeinsamen, unklaren, aber unbestreitbaren Ursprunges; einst waren sie ja alle von demselben Punkt ausgegangen, und alte Leute mit gutem Gedächtnis konnten selbst bei ganz entfernt wohnenden Familien Blutsverwandtschaft feststellen. Gemeinsame Feste verbanden Nachbarn, die sich sonst nur mit gesträubten Haaren, die steinbewehrte Hand auf dem Rücken, begegneten; die Jugend machte Bekanntschaften, Frauen wurden zwischen den Stämmen ausgetauscht, zur allgemeinen Auffrischung aller Beteiligten; Kampfspiele wurden aufgeführt, es pflegte allseitige Freude zu herrschen.
Schon mehrfach hatte Gast von weitem das große Volksgetümmel auf dem Opferplatze gehört, auf der hochgelegenen Lichtung im Walde, hatte das Festfeuer durch die Baumstämme leuchten sehen, noch nie aber hatte er sich dorthin gewagt. Als er aber größer geworden war und die Zeit, wo er in die Geheimnisse der Erwachsenen eingeweiht werden sollte, nicht mehr fern war, schlich er sich eines Jahres zum Opferplatz und wurde heimlich Zeuge des Vorganges. Es war zur Zeit der Wintersonnenwende; der erste Teil der Feier ging im Dunkeln vor sich, so daß er sich leicht verborgen halten konnte. Hätte man ihn entdeckt, so wäre es um ihn geschehen gewesen, denn auf dieses Vergehen stand Todesstrafe; niemand aber entdeckte ihn, und er sah die ganze heilige Handlung mit an.
Beim Opfer waren nur Männer zugegen, die Frauen hatten wohl Anteil an dem nachfolgenden Fest, mit den Mächten in der Natur aber wollten die Männer allein verhandeln. In der späten Nacht, einige Stunden vor Tagesanbruch, versammelte man sich zur Feier auf dem Gipfel der Anhöhe, wo ein Kreis von großen Steinen errichtet war; die Ältesten und Auserwählten des Stammes traten in die Mitte, die übrigen Männer scharten sich um sie, alle sehr still und ernst. Nacht war es, aber es lag Schnee, so daß man sich gegenseitig unterscheiden konnte. Unheimlich war es im Walde, und man fror sogar in den Fellen; das aber gehörte mit zu der bevorstehenden Opferung, jeder sollte in Dunkelheit und Kälte die Vorstellung haben, daß es kein Feuer gab. Man war zur Winterzeit im Walde ausgesetzt, hungernd, mit kalten Füßen, ohne Feuer! Man stand große Angst im Dunkeln aus, obgleich man sich in großer Gesellschaft befand!
Plötzlich wurde der Schreck fast greifbar und schlimmer als ein Mensch ihn ertragen konnte, denn nach einem langanhaltenden, unheilschwangeren und unerklärlichen Brummen im Walde tauchten mehrere entsetzliche Wesen auf, offenbar Männer mit aufrechtem Gang, aber mit schrecklichen Köpfen, Drachen oder Geister, im Dunkeln kaum zu erkennen, aber desto furchtbarer; die Jüngsten, die dem Feste zum erstenmal beiwohnten, hatten bei diesem Anblick eine harte Prüfung zu bestehen, und manchem entschlüpfte wohl ein Schrei, obgleich er sich den Mund zuhielt, ein Grund zu unbarmherzigem Spott, wenn die Vorführung vorbei war; Gast war drauf und dran, in seinem Versteck vor Grauen zu vergehen, trotz seiner unbezähmbaren Neugierde. Doch auch den Eingeweihten kroch eine Gänsehaut über den Leib, ja, sogar die Maskenträger erschraken so sehr über das Entsetzen, das sie, wie sie später gestanden, hervorriefen, daß es ihnen schwer fiel, die Verkleidung nicht abzuwerfen und ihren geprüften Brüdern um den Hals zu fallen.
Mittlerweile hatten mehrere der Älteren im Kreise sich erhoben und murmelten Beschwörungsformeln, die Gast nicht verstehen konnte, die sich aber als kräftig erwiesen, denn die Ungeheuer zogen sich mit abnehmendem Gebrumm wieder in den Wald zurück; man war der Nacht Herr geworden.
Noch begann der Tag nicht zu grauen; aus dem dunklen Walde kam ein bitterkalter Lufthauch, jetzt aber sollte die Sonne angerufen, die große geheimnisvolle Feuerkunst ausgeübt werden; es kam Bewegung in den Kreis der Männer, und im Walde unterhalb des Abhanges konnte man Tiergebrüll und das Stampfen näherkommender Hufe hören; es waren die Sonnenopfer, die herbeigeführt wurden, mehrere große Kronhirsche und eine ganze Herde Wildschweine, die zu dem Zweck gefangen und für die Feier in einer Einfriedigung am Leben erhalten worden waren. Das eigensinnige Schreien der Schweine gellte durch den Wald, und die wilden Kronhirsche prusteten, mehrere Männer mußten jeden einzelnen halten, sie sprangen in die Luft und rissen die Männer mit sich; ein großer Eber mußte getragen werden, weil er nicht gehen wollte, er hatte eine tiefe Stimme und gab furchtbares Gebrüll von sich. Während die Tiere geordnet und zur Anhöhe hinauf getrieben wurden, hatten die Ältesten im Steinkreise etwas sehr Wichtiges vor, steckten ganz unten auf der Erde die Köpfe zusammen, – dort zeigte sich ein schwacher Funke in der dunklen Nacht, der seinen Widerschein auf die bärtigen, gespannten Gesichter warf, und jetzt standen alle anderen in feierlicher Erwartung um sie herum, das Feuer sollte wieder geboren werden; es war ganz still, trotz der schreienden Schweine, der Wald hielt den Atem an. Wer aufblickte, konnte sehen, daß der Tag graute, ein schwacher, dunkelroter Ton breitete sich im Osten über dem Walde – würde die Sonne kommen?
In diesem Augenblick war die Spannung am höchsten und alle waren von einem tiefen Gefühl der Abhängigkeit von dem, was geschehen sollte, erfüllt. Denn wenn es nicht glückte, das Feuer zu entfachen? Wenn die Sonne nicht mehr wenden würde? Bucht und Wohnplatz lagen in tiefem Dunkel, das Feuer war überall gelöscht worden, draußen und drinnen, in den Hütten, längs der ganzen Küste, in allen Wohnplätzen, das Feuer, das sonst Tag und Nacht unterhalten und genährt wurde; heute sollte neues Feuer von den Feuermächten entliehen werden, und die Mächte sollten dafür ihre Opfer bekommen. Gleichzeitig würde es sich zeigen, ob die Sonne wenden und wiederum dem Sommer entgegengehen würde. Wochenlang hatte sie sich nicht sehen lassen, eine dichte Wolkenschicht brütete am Himmel, bald regnete, schneite, bald nebelte es; sehr kalt war es nicht, aber naß, und jeder Tag wurde dunkler, die Dämmerung immer länger, als ob die lange, ewige Nacht kommen und es nie wieder richtig Tag werden sollte. Heute nacht würde die Sonne wenden, wenn es den Sachverständigen glückte sie zu versöhnen, sonst konnte man mit ewiger Nacht auch ewigen Winter erwarten. Aber es schien zu glücken, immer häufiger zeigten sich Funken und Feuerschein im Kreise, und für die, die aufblickten, herrschte nun auch kein Zweifel mehr, daß der Tag graute.
Gast konnte sich nicht länger beherrschen, er mußte sehen, was die Alten im Kreise vorhatten; er erhob sich und ging rücksichtslos auf den Steinkranz zu. Niemand achtete seiner, alles war zu gespannt, und jetzt sah er, daß der Alte, der in der Mitte hockte, einen kleinen Stab zwischen den Händen hielt, den er hastig hin und her rollte; die Spitze des Stockes verschwand in einem ausgehöhlten Holzstück, das die anderen auf der Erde festhielten, und daraus rauchte es, hin und wieder zeigte sich ein Funke, und ein Alter hielt ein Stück Moos und Zunder bereit, um das Feuer aufzufangen, wenn es stark genug war, um zu zünden.
In diesem Augenblick erhob der Älteste von allen Männern sich, ein alter, alter Mann, den Gast gar nicht kannte, aus einem der entferntesten Stämme, er wandte sein Gesicht nach oben, breitete die Arme zum Walde im Osten und begann mit zitternder, klangloser Stimme zu beschwören. Unbemerkt schlich Gast zu seinem Versteck im Walde zurück, er hatte gesehen, was er wollte.
Die Beschwörungen des Alten verstand er nicht, sie schienen in einer Sprache gesprochen zu werden, die er gar nicht kannte. Schließlich hob jener seine Stimme zu inständigem Flehen, und die, die seinem Blick folgten, sahen, wie sich in dem langen, dunkelroten Streifen am Himmelsrande, ganz fern an der äußersten Grenze des Waldes, ein leuchtender Kern bildete.
Und dort brach jetzt die Sonne durch; zuerst war sie nur wie ein glühender Feuerpunkt, von dem Strahlen in das kalte Morgendämmern hineinschossen, dann tauchte die runde Hälfte der Sonnenscheibe auf; langsam, langsam hob sie sich über den Erdrand, bis die ganze runde Scheibe frei im Raum schwebte. Wohl war die Sonne matt und blutigrot, ungeheuer fern und ohne Wärme, und kaum hatte der untere Rand sich von der Erde gelöst, als auch schon der obere in einer Wolkenschicht wieder verschwand; der Sonnenaufgang wurde vom Winternebel verschlungen, zurück blieb nur das ferne, düstere Dämmern über den blätterlosen Bäumen.
Tag aber war es geworden. Der Wald hatte sich aus der Dunkelheit hervorgeschlichen und lag jetzt meilenweit sichtbar in dem kalten Morgenlicht, unendlich still, schwarz und kahl im Schnee; die bekannten Dinge, Steine und Bäume traten aus der Dämmerung hervor, handgreiflich nahm dem beginnenden Tag; alle Dinge waren neu erschaffen worden.
Tiefe, andachtsvolle Stille hatte sich der Schar auf der Höhe bemächtigt, während sie zur Sonne hinüberblickte; gewaltig war die Sonne, rot am Kopf vor Kummer, und sehr einsam, wie sie dort am äußersten Ende der Welt wanderte – jetzt aber wußten alle, daß sie wenden würde, wenn sie sich auch noch wochenlang versteckte, von jetzt ab würden die Tage wieder länger werden!
Im selben Augenblick, als die Sonne aufging, bekamen die Männer im Kreise Feuer; es war mit Absicht so eingerichtet, daß, wenn die Sonne sich zeigte, die erste kleine Flamme aufzüngelte und ihren Schein über den Schnee warf. Großes Getümmel entstand, man lief nach mehr Reisig, das beste und trockenste, das man erwischen konnte, Wochengeschäftigkeit, Schlachtfesteifer, die Schweine verdoppelten ihr gellendes Geschrei, denn jetzt wurden sie abgestochen und nicht gerade sanft, das sägezackige Flintsteinmesser durchschnitt ihnen die Kehle, die Kronhirsche stürzten zu Boden, einen Feuerschein in den großen, angstvollen Augen, der eine nach dem anderen, während der schwere Steinhammer ihnen auf die Stirn sauste; mit einem letzten Grunzen verschieden die Schweine, und in der darauffolgenden Stille hörte man das festliche Plätschern des Blutes, das kochendheiß über den Opferstein floß, in dem der Sonnenring eingeritzt war. Brüllend sandte das wiedergeborene Feuer seine ersten langen, klaren Flammen und lebendigen Rauchsäulen zum Winterhimmel hinauf.
Da begannen sich frohe, befreite Ausrufe aus der Versammlung Bahn zu brechen, das Feuer wurde durch Freudenrufe begrüßt, man sang und tanzte ihm im Schnee etwas vor, die Männer in ihren Fellen glichen Bären auf Hinterbeinen, die Füße in dicke Lappen eingehüllt. Die Feierlichkeit war vorbei, das Fest konnte seinen Anfang nehmen.
Wie tat es wohl, nach dem kalten Aufenthalt in Nacht, Dunkelheit und Zweifel, auf einer zugigen Anhöhe, in der immer etwas bedenklichen Gesellschaft der Mächte, sich wieder als Mensch zu fühlen – und jetzt waren auch die Frauen gekommen! In geschlossenem Trupp standen sie am Fuße der Anhöhe, vom Feuer beleuchtet, die soliden Kinder des Tales und der Wirklichkeit, verfroren und glücklich, in ihrem feinsten Staat, die farbigsten Fuchspelze, reiche Ketten aus Meerschweinzähnen um den Hals, mit vielen Töpfen in den Händen und aufgekrempten Ärmeln, zum Zerlegen bereit; und hinter ihnen die Kinder mit Stöcken und Zweigen in den Händen, um Feuer für den heimatlichen Herd zu holen.
Wenn die Opferung vorbei war, und das Feuer den Anteil der Sonne an den Opfern erhalten hatte, sollte der Rest in den Wohnplätzen, in behaglichen, rauchgefüllten Höhlen verzehrt werden. Es hatte angefangen zu schneien, große nasse Flocken, es war nicht ratsam, länger draußen zu verweilen; einen mehrtägigen Schneesturm aber fürchtete man nicht, konnte man doch drinnen bleiben, denn Speck hatte man für Wochen, und wenn er verzehrt war, gab es im Walde Wildschweine genug.