Wilhelm Jensen
Der Tag von Stralsund
Wilhelm Jensen

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In den letzten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts sieht die skandinavische Welt eine Frau von überragendem Geist und ungewöhnlicher weiblicher Tatkraft. Waldemar Atterdag hat zwei Töchter, Ingeborg und Margarete hinterlassen, die erste, ältere ist mit dem Herzog Heinrich von Mecklenburg, die zweite mit dem König Hakon von Norwegen vermählt. So fällt rechtgemäß dem Sohne Ingeborgs die Thronfolge in Dänemark zu, doch ihre jüngere Schwester handelt mit rücksichtsloser schneller Energie und gewinnt für ihr fünfjähriges Söhnlein Olaf die dänische Krone. Dies Ziel erreicht sie durch die mächtige Unterstützung der Hansa, die, von den ihr gemachten vorteilhaften Versprechungen vorbedachtlos verblendet, ihr Beihilfe leistet. Nach dem Tode seines Vaters ist Olaf König von Norwegen und Dänemark, für den unmündigen Knaben führt seine Mutter die Herrschaft. Noch kaum sechzehnjährig aber stirbt er, und unmittelbar danach wird die bisherige stellvertretende Regentin nicht nur zur Königin von Norwegen, auch zur »Fürstin des Reiches Dänemark« erwählt.

Eine mit dem König Albrecht von Schweden zerfallene starke Adelspartei ruft sie gegen diesen zum Beistand über den Sund und sagt ihr auch die schwedische Krone zu. Rasch folgt sie der Aufforderung, das Kriegsglück ist ihr günstig, und im Jahre 1389 vereinigt sie in ihrer Hand die Herrschaft über sämtliche drei skandinavischen Reiche. Ihr mannhaft kühnes Wesen damit bezeichnend, gibt man ihr dort den Beinamen »Margarete Sprengehest«, im übrigen Europa benennt man sie die »Semiramis des Nordens«. Die deutsche Hansa hat einen gewaltigen, nicht wieder wett zu machenden Fehlgriff begangen, daß sie in den Ländern ihrer Hauptgegner die Vereinigung der drei Kronen auf einem Haupt nicht nur geduldet, sondern selbst dazu behilflich gewesen ist.

Um diese Zeit spielt, unweit von der Hansestadt Rügenwalde im östlichen Pommerlande, manchmal am einsamen Ostseestrand ein siebenjähriger Knabe mit farbigen Steinen und Muscheln, die ihm die Wellen vor die Füße spülen. Er wandert dorthin von einer nah' der Küste belegenen Burg, die, obwohl von Wall und Graben umgeben, mehr nur einer großen ländlichen Hofstätte gleicht als einem fürstlichen Schloß, obwohl der Herzog Wratislaw von Pommern-Wolgast drin haust, der Vater des kleinen Knaben.

Diesem bläst der Seewind dunkelbraunes Haargelock um die Schläfen, zuweilen läßt er von seinem Spieltreiben ab und sieht eine Zeitlang unbeweglich aus großaufgeweiteten, hell und scharfgesternten Augen über die uferlose Wasserfläche hin; in seinen Zügen liegt dann ein horchender Ausdruck, als lausche er auf etwas durch die Luft über die See Herkommendes. Doch gemeiniglich nur immer das Gleiche ist's: Summen des Windes und ein leis singender Ton der Wellen. Nur wenn der Sturm von Norden her braust, wirft er zornig rauschende und knatternde Wogen ans Ufer; das sind Stimmen des Aufruhrs, die den Horchenden wie in einen Bann zu fesseln scheinen. Er mag fühlen, daß der wütende Nord ihm wie mit Dorngerten ins Gesicht peitscht, daß die kochende See Gischt und Schaum bis über seine Knie heraufschleudert, doch er achtet nicht darauf, es tut ihm wohl, und ein Funkeln sprüht zwischen seinen Lidern, als höre er jetzt das, wonach sein Ohr sich gespannt.

Ein ungewöhnlich schöner Knabe ist's, mit eigenartigem, kühnem Schnitt des Antlitzes, drin die Augen sich unter eine stark vorgewölbte Stirn zurückziehen, bei dem Kinde schon von einem schweren Bogen dichter, schwarzer Brauen überschattet. Bald um ein Jahrhundert zuvor hat drüben jenseits der Ostsee der Strand der Insel Seeland das nämliche Knabenbild gewahrt, gleich und doch verschieden. Es hat auch so mit Muscheln und Steinen gespielt, auch mit solchen Augen und Zügen aufs Meer hinausgeblickt, doch nicht mit dunkel umrahmten, denn König Waldemar Atterdag hatte dänisch blondes Haar. Sonst aber gleicht ihm auffällig sein Nachkomme, der Enkel seiner ältesten Tochter, der schönen Ingeborg, Erich von Pommern. Nur hat bei diesem sich das ›wendische‹ Blut der alten pommerschen Fürsten hinzugesellt, sein anderer Ahnherr Swantibor, der heidnische wilde Todfeind des Christentums, ihm das dunkle Scheitelgelock übermacht. Das erhöht die Knabenschönheit Erichs von Pommern noch über die weitberufene, alle Frauenaugen bezwingende seines dänischen Urältervaters hinaus.

Er ist ein Fürstensohn, doch nicht von fürstlichem Prunk und Reichtum umgeben, die schmucklose Burg bei Rügenwalde bezeugt's. Trotz einem ausgedehnten Landgebiet sind die Herzöge von Pommern-Wolgast, unter brandenburgischer Lehnshoheit stehend, nur karg gestellt, durch unglückliche Fehden mit streitbaren Nachbarn herabgekommen; im Innern trotzt ihnen aufsässiger Adel hinter festem Gemäuer, und noch mehr tun's die fast ausnahmslos dem Hansabund beigetretenen Städte, zu denen jenseits des Stettiner Haffs auch noch Stralsund und Greifswald gehören. Sich das reichsfreie Lübeck zum Vorbild nehmend, erhöhen sie in immer wachsendem Maße ihre Selbständigkeit, versagen dem Landesherrn die Steuern, verschließen ihm nach Gutdünken ihre Tore. Diese Unbotmäßigkeit muß er schweigend dulden, zu einem Kampf mit der Macht der Hansa reichen seine Kräfte weitaus nicht hin. Der Herzog von Pommern-Wolgast führt in seinem Lande nur eine Scheinherrschaft, keine wirkliche.

Das weiß oder fühlt der am Strand spielende Knabe. Auch auf die Redeführung in seiner Väterburg hat er mit frühreifem Verständnis gehorcht, weiß, daß er ein Nachkomme des großen Waldemar Atterdag ist und daß nach seiner Abkunft rechtmäßig die Königskrone von Dänemark ihm gehört hätte, nicht seinem Vetter Olaf von Norwegen. Aber die dudesche Hanse hat diesem zu ihr verholfen.

Nicht nur das äußere Bild des Königs Waldemar hat die Blutserbschaft in dem Knaben Erich von Pommern wiederholt, auch das innere Wesen desselben hat sie ihm mitgegeben. Seine pommerschen Vätervorfahren lassen ihn gleichgültig, er fühlt sich als ein Sproß seines mütterlichen Ahnherrn, dessen Bild immer vor der Vorstellung seiner Augen und Gedanken steht. Begehrlich lauscht er, wenn von diesem gesprochen wird, von dem unschreckbaren Mut, der Tapferkeit und verschlagenen Klugheit, dem hochfahrenden Königsstolz Waldemars; von seiner beherrschenden Macht im ganzen Norden, seinem Sturz und Untergang, seiner Verjagung von Thron und Reich. Das hat die dudesche Hanse getan.

In der Brust seines Urenkels lodert, von Jahr zu Jahr stärker genährt, ein ohnmächtiger tiefer Grimm gegen die dudesche Hanse. Vor allem ein wilder Haß gegen seines Vaters Stadt Stralsund. Sie hat mit Lübeck zusammen am meisten die Erniedrigung des großen Dänenkönigs ins Werk gesetzt, und sie ist's, von der er täglich hört, daß sie, auf ihre Mauern und Wehrbürger, ihre Stellung im Städtebund und ihren Reichtum pochend, am trotzigsten, fast mit unbemänteltem Hohn die Gebote ihres Oberherrn mißachtet. Die Welt hat sich verwandelt seit den Tagen, in denen Waldemar mit stolzer Verachtung auf die ›Peberswende‹ herabgeblickt, jetzt zucken die Pfeffergesellen geringschätzig über die Fürsten ihre Schultern. In dem Knaben Erich von Pommern schwillt und kocht das Blut seines Urältervaters gegen den ›gemeinen Kaufmann‹ auf bei der einbildnerischen Vorstellung, an den Städtebürgern, der dudeschen Hanse, der Stadt Stralsund Rache üben zu können. König Waldemar hat seinen Beinamen nach einem oft von ihm im Munde geführten Wort erhalten: »Morgen ist wieder – atter – ein Tag«; ein Tag, dessen kluge Benutzung zustande bringen wird, was heute fehlgeschlagen, und in der Handhabung dieses ›morgen‹ ist er ein Meister gewesen. Sein Urenkel baut am Strand aus Tang und Steinen eine Mauerrundung auf – das ist die verhaßte Stadt Stralsund – und er gräbt von ihr eine breite Rinne im Sand bis zum Wasser. Dann ruft er dies an und befiehlt den Wellen – das sind seine Heertruppen – vorzurücken, die Wälle von Stralsund zu erstürmen und niederzureißen. Doch sie folgen dem Gebot nicht, plätschern nur leis spielend in den Graben hinein; es wird Abend, er muß zur Burg zurück, seine Hand droht der Stadt noch einmal zum Abschied, und er sagt dazu: »Morgen ist wieder ein Tag«. Aber er ist nicht Waldemar Atterdag und kein Herrscher über die See. Das ›morgen‹ und die nachfolgenden Tage beweisen es ihm in gleicher Weise. Er kann seine Ungeduld, die das Warten nicht länger verträgt, nicht zügeln, und weil er Stralsund vernichtet sehen will, zerstört er es wieder. Doch seine eigene Hand muß es tun; jemand ist Zeuge des kinderhaften Treibens oder vernimmt davon, und in der Hansestadt Rügenwalde dient den Bürgern der Sohn ihres Herzogs zu spöttischer Belustigung.

Wie die Jahre weitergegangen, sieht die Ostsee Erich von Pommern keine Knabenspiele mehr am Strand anstellen, doch gewahrt ihn dafür eines Tages, ungefähr fünfzehnjährig, auf einem kleinen Fahrzeug westwärts der pommerschen Küste entlang segeln; heimlich hat er die Schloßburg verlassen, als ein gewöhnlicher Bauernjunge verkleidet, die Neigung dazu scheint ihm auch als ein Erbteil von Waldemar Atterdag überkommen zu sein, wie nicht minder ein anderes. Hochaufgewachsen hat er sich früh zum Jüngling entwickelt, nach dem die Augen der Mädchen gehen; ebenso aber richten die seinigen sich nach ihnen, finden mit laschem Blick aus einer größeren Anzahl die am meisten mit Reizen Begabte heraus. Die Phantasie ist mächtig in seinem Kopf, sie treibt ihn heut' übers Wasser fort; ihm ist zu Gehör gekommen, am Rand der Insel Wollin in der Oderausmündung sei in grauer Vorzeit eine große Stadt Jumne oder Julin, eine urbs Venetorum, der Wenden, danach auch Vineta benannt, von der See verschlungen worden, doch bei heller Luft könne man ihre Trümmer noch drunten unter den Wellen gewahren. Das hat in seinem Kopf gezündet, er verwendet seinen geringfügigen Geldbesitz dazu, einen Schiffer zu dingen, der ihn in seiner Schute dorthin bringt und noch anderes zu erzählen weiß. Auf dem Dünenhang neben der versunkenen Stadt haben noch vor dieser die Jomsvikinger die Jomsburg erbaut gehabt und der dänische Seekönig Palnatoke drin gehaust, der Schrecken aller Länder und Völker ringsum an der ganzen Ostsee. Als der nach unzählbaren Heldentaten gefühlt, daß der Tod die Hand nach ihm strecke, ist er im Vollmondschein zur höchsten Dünenkuppe aufgestiegen, hat eine weiße Locke von seinem Scheitel geschnitten und in die See drunten hinabgeworfen. Da rauschen wie sturmgepeitscht die Wogen auf, Schiffe mit blutroten Segeln steigen aus der Tiefe, ihre goldenen Schnäbel flammen, auf den Kastellen klirren und rasseln tausend Schwerter, Speere und Schilde, und von tausend Lippen hallt's: »Du hast uns gerufen, Herr, aus unsrer Meerrast!« Die Kriegsfahrtgenossen Palnatokes sind's, die vor ihm von Sturm und Flut verschlungen worden; nun grüßt er sie, und seine Hand winkt. Da birst der Wasserschlund auseinander, das Vikingschiff des Seekönigs hebt sich aus ihm empor, er tritt hinein, und die Segel umbauschen ihn wie ein Purpurmantel. Mit Waffenklang und Jubelgesang seine Heldentaten und seinen Ruhm preisend, umringen ihn seine Vasallen und geben dem alten Recken das Totengeleit zum Meeresgrund hinunter.

Auch eine Mondnacht ist's, in welcher der Schiffer während der Fahrt an der pommerschen Küste entlang seinem jungen Begleitsmann davon erzählt, und am andern Tag gegen Sonnenuntergang landen sie am einsamen Gestade der Insel Wollin. Der phantastische Sinn Erichs von Pommern hat reiche Nahrung eingesogen; unter der ruhigen Wasserfläche stellen die abendlichen Goldstrahlen ihm klar die Trümmerreste von Vineta vor Augen. In Wirklichkeit sind's nicht solche, sondern ein absonderlich geformtes Steingerippe aus alten Findlingsblöcken am Seegrund, doch die Einbildungskraft gestaltet dem jungen Beschauer daraus Überbleibsel von versunkenen Mauern, Türmen und Palästen. Dann steigt er im Dämmern allein zu der ›Silberberg‹ benannten Dünenhöhe hinauf, wo die Jomsburg des Seekönigs Palnatoke gestanden. Nur wenig Gesteinreste geben noch Kunde davon, daß hier einmal ein Bau gewesen; er setzt sich und hängt Vorstellungen nach, die ihm aus dem einfallenden Nachtdunkel heraufkommen. Drüben im Westen, wo den Himmelsrand noch ein rotbrauner Saum färbt, liegt die verhaßte Stadt Stralsund – wäre er der Seekönig Palnatoke, so zöge er mit seinen Vikingschiffen zu ihr hinüber, sie zu erstürmen und in Trümmer zu legen, wie dort unten Julin. Von Osten her steht der Nachtwind auf, und unter den Dünen beginnen Wellen murrend auf den Vorstrand zu rauschen, doch dabei auch zu blinken und hellere Schaumkämme zu zeigen, denn die Vollmondscheibe reckt sich aus der See empor. Eine Zeitlang wie ein glühender Feuerball, dann wird sie silbern, übergießt die stille Leere der Sandkuppe mit weißem Licht. Erich steht auf, vom langen Sitzen ist's ihm kühl geworden und überfröstelt ihn, so geht er, am abgeredeten Platz den Schiffer wieder zu finden. Aber wie er an den Rand der Düne kommt, hebt sich vor ihm ein dunklerer Schatten vom gelblichen Grund ab, dort sitzt etwas am Boden, ein Mensch, eine weibliche Gestalt mit lang auf Rücken und Schulter niederfallendem, tief dunklem Haar. Rasch überhellt sie das Mondlicht so deutlich, daß auch ihr Gesicht erkennbar wird, mit schönen Zügen und von einer weißen Farbe, die im Strahlenauffall ein eigenartiger perlender Glanz überrieselt. Sie hat dadurch etwas von einem aus dem Wasser heraufgestiegenen Meerweib; offenbar ist's eine Wendin, ein noch blutjunges Mädchen, an Jahren wohl ungefähr dem auf sie Zutretenden gleich. Verwundert fragt er: »Wer bist du? Kommst du von Julin hier herauf?« Sie sieht ihn aus dunkelglimmenden Augensternen antwortlos an, nur ein sonderbar halblachender Ton, an einen Wasservogelruf erinnernd, kommt ihr vom Mund, dabei blicken zwischen den Lippen ihre Zahnreihen noch weißer perlend als die Gesichtsfarbe hervor. Er wiederholt: »Wer bist du? Wie heißt du?« Mit seiner bäuerischen Kleidung nicht übereinstimmend, klingt etwas Befehlendes aus den Worten, und nun erwidert sie: »Gesa«. Er weiß nicht, warum ihm dabei ein anderer Gedanke durch den Kopf fährt, dem er Ausdruck mit der Frage gibt: »So stammst du vom König Palnatoke ab?« Dazu lacht sie abermals, doch begleitet dies mit einem Nicken. Jetzt faßt er nach ihrer, im Mondlicht auf dem Gewand über den Knien wie eine kleine Schaumwelle glitzernden Hand und sagt: »Komm mit mir zurück in seine Burg, dort erzähl' mir von ihm!« Sie leistet keinen Widerstand; beim Aufrichten steht sie schlankwüchsig höher da, als ihre Gestalt in der sitzenden Haltung erschienen. So gehen beide miteinander dem Platz der ehemaligen Jomsburg zu, lassen sich zusammen dort auf dem Dünensand nieder. Unter ihren Füßen murren die Wellen, der Wind, stärker anschwellend, stiebt ihnen das Haar an den Schläfen auf, und kühl liegt der weiße Nachtglanz um sie. Doch Erich fröstelt's nicht mehr, seine Blutwellen drängen sich rasch; mit mancherlei Fragen dringt er sprunghaft ungestüm auf Gesa ein, und ihre sonderbare Stimme, aus der helltönig etwas klingt, wie wenn das Wasser mit kleinen, klirrenden Strandkieseln spielt, antwortet nun darauf.

Wie der junge, flüchtige Besucher Julins und der Jomsburg, der den Jahren nach noch ein Knabe, doch in Wirklichkeit schon weiter vorgeschritten ist, um zwei Tage später wieder bei Rügenwalde anlandet, hat sich ganz ein Gedanke seines Kopfes bemächtigt. Er will ein Seekönig werden, obgleich man ihm heute nur den Namen eines Seeräubers beilegen wird, sobald er's vermag, ein Vikingschiff ausrüsten und damit gegen Kauffahrer der dudeschen Hanse, vor allem gegen die von Stralsund ausziehen. Die will er überfallen, entern, ihrer Waren und Reichtümer berauben, zu Orlogskoggen umwandeln, um sich aus ihnen eine Flotte zum offenen Kampfe wider die Hansa zu schaffen. Sein Schiff soll nicht gleich denen der ›Pfefferknechte‹ einen Erzengel- oder Heiligennamen führen, sondern das Bildnis eines jungen Meerweibes am Bugspriet tragen und »Gesa« heißen. Ein kinderhafter Plan ist's, eines Ohnmächtigen Wunsch; zur Ausführungsmöglichkeit gebricht ihm alles, nicht am wenigsten der Geldbesitz. Es spielt damit nur eine Einbildung, die sich noch als die eines Knaben kundtut.

Da erwacht mit fünfzehn Jahren eines Morgens Erich von Pommern als der König von Dänemark, Norwegen und Schweden.

Die Semiramis des Nordens besitzt keinen Erben ihrer drei Kronen mehr, alternd hat sie sich erinnert, daß noch ein letzter Abkomme ihres Vaters unter den Lebendigen ist, und mit plötzlicher Entscheidung erwählt sie den Enkel ihrer Schwester zu ihrem Nachfolger. Mit der männlichen Kraft ihres Willens setzt sie sofort den gefaßten Entschluß ins Werk, und um ein paar Wochen nachher wird auf dem alten Schloß Kalmarhus an der Südküste Schwedens der Sohn des kleinen Pommernfürsten mit gewaltigem Feiergepränge zum König der drei nordischen Reiche gekrönt; eine Untrennbarkeit derselben setzt zugleich der Abschluß der ›Kalmarischen Union‹ fest. In Wirklichkeit jedoch führt der Gekrönte, auch nachdem er ins Männlichkeitsalter gelangt, nicht die Herrschaft, Margarete Sprengeheft ist nicht die Frau, so lange sie lebt, das Zepter in andere Hand zu legen; wie die assyrische Semiramis einstmals für ihren Sohn Ninyas bis zu ihrem Tode fortregiert hat, tut sie's für ihren Großneffen, der gleich jenem nur den Schein der Majestät vor der Welt trägt. Erst um fünfzehn Jahre später, als das zweite Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts schon ein Weilchen begonnen, scheidet die merkwürdige Frau aus dem Leben, und Erich von Pommern ist wirklich der König der von ihr vereinigten, aus früherer vielfacher Gegensätzlichkeit zur kraftvollen Eintracht emporgeförderten nordischen Welt.

Auf ihrem Thron sitzt ein dem Blut Waldemars Atterdag entsprossener Herrscher. Wie er diesem im bestrickenden Äußeren ähnelt, ist er von hochfahrendem Selbstbewußtsein, leidenschaftlich, wild-verwegen, treulos und falsch wie Waldemar Atterdag, noch mehr als dieser ein haßerfüllter Todfeind der dudeschen Hanse. Nur mangelt seinem heißblütigen Ungestüm, nicht die Verschlagenheit, doch die überlegene Klugheit, der kühl rechnende Verstand und das Gewaltige, der im Edlen und Unedlen bezwingende Zug, mit dem sein Urältervater seine Ziele ins Auge gefaßt und Jahrzehnte lang als Obsieger erreicht hat.

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