Jean Paul
Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz
Jean Paul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Nach dem Mittags-Essen (auf unserem Zimmer) kamen wir aus dem Fegfeuer des Meßgetümmels, wo Berga an jeder Bude etwas zu bestellen und ihrer Nachtreterin etwas aufzuladen hatte, endlich im Himmel an, in der sogenannten Hunde-Wirtschaft, wie das beste Flätzer Wirts- und Lust-Haus außer der Stadt sich nennt, wo Messens-Zeiten Hunderte einkehren, um Tausende vorbeigehn zu sehen. Schon unterwegs wuchs meinem Weibchen als meinem Ellenbogen-Efeu dermaßen der Mut, daß sie unter dem Tore, wo ich mich, da nach der bekannten militärischen Prozeßordnung nicht nahe an der Schildwache vorübergegangen werden darf, deshalb auf die entgegengesetzte Seite hinwarf, ruhig dicht am Schieß- und Stech-Gewehr der Torwache vorüberstrich. Draußen konnt' ich ihr den umketteten, vergitterten, riesenhaften, schon außen mit Treppen aufsteigenden Schabackers-Palast mit Fingern zeigen, worin ich gestern gehauset und (vielleicht) gestürmt; »lieber den Riesen möcht' ich begucken«, sagte sie, »und den Zwergen; zu was sind wir denn mit ihnen unter einem Dach?«

Im Lusthause selber fanden wir hinlängliche Lust, umrungen von blühenden Gesichtern und Auen. Da setzt' ich mich heimlich in einem fort über Schabackers Refus mit Erfolg hinweg und machte mir überhaupt bis gegen Mitternacht einen guten Tag; ich hatt' ihn verdient, Berga noch mehr. Gleichwohl sollt' ich noch nachts um 1 Uhr eine Windmühle zu berennen bekommen, die freilich mit etwas längern, stärkern und mehreren Armen schlägt als ein Riese, wofür Don Quixote eine solche Mühle gern angesehen hätte. Ich lasse nämlich auf dem Marktplatz aus Gründen, die sich leichter denken als sagen, Bergelchen um einige zwanzig Schritte vorausgehen und begebe mich aus gedachten Gründen ohne Arg hinter eine versteckte Bude, die wohl die Silberhütte und der Silberschrank eines rohen Krämers sein mochte, und verweile davor natürlich nach Umständen: – sieh, kommt daher gerudert mit Spieß und Speer der Budenwächter und münzt und prägt mich so unversehends und unbesehen zu einem Schnapphahn und Raubfisch seiner Buden-Gassen aus, obgleich der schwache Kopf nichts weiter sieht, daß ich in einer Ecke stehe und nichts weniger tue als – nehmen. Ein Ehrgefühl ohne Kallus ist für solche Angriffe niemals abgestumpft. Nur aber, wie war einem Manne, der nichts im Kopfe hat – höchstens jetzt Bier statt Hirn –, in der Nachmitternacht Licht zu geben? –

Ich verhehle mein Wag-Mittel nicht: ich griff zum Fuchsschwanz, ich spiegelte ihm nämlich vor, ich hätte einen sogenannten Hieb und wüßte in der Betrunkenheit mich schlecht zu finden und zu halten – ich spielte daher alles nach, was mir aus diesem Fache zu Gesicht gekommen, schwankte hin und her, setzte die Füße tanzmeisterlich auswärts, geriet in Zickzacke hinein bei allein Aussegeln nach gerader Linie, ja ich stieß meinen guten Kopf (vielleicht einen der hellsten und leersten der Nacht) als einen vollen gegen wahre Pfosten – –

Gleichwohl sah der Buden-Vogt, der vielleicht öfter betrunken gewesen als ich und die Zeichen besser kannte, oder der es gar selber in dieser Stunde war, die ganze Verstellung für bloßes Blendwerk an und schrie entsetzlich: »Halt, Strauchdieb, du hast keinen Haarbeutel, du Windbeutel bist ja noch weniger besoffen als ich! – Wir kennen uns wohl länger. Steh! Ich komm' dir nach. Willt du im Markt deine Diebsfinger haben? – Steh, Hund, oder ich fordere dich!«

Man sieht hier seinen ganzen Zustand – ich entsprang zickzackig zwischen den Buden diesem rohen Trunkenbolde, so eilig als ich konnte; dennoch humpelte er mir nach. Aber meine Teutoberga, die einiges gehört, rannte zurück, faßte den betrunkenen Markt-Portier beim Kragen und sagte, obwohl (nach Dorfweise) zu schreiend: »Dummer Mann, schlaf' Er seinen Rausch aus, oder ich zeig's Ihm! Weiß Er denn, wen Er vor sich hat? Meinen Mann, den Feldprediger Schmelzle unter dem Herrn General und Minister von Schabacker bei Pimpelstadt, Er Narr! Pfui, schäm' Er sich, Kerl!« Der Wächter brummte: »Nichts für ungut!« und taumelte davon. »O, du Löwin,« sagt' ich im Liebes-Rausch, »warum bist du in keiner Todesgefahr, damit ich dir nun den Löwen zeigte als Gemahl!«

So gelangten wir beide liebend nach Hause; und ich hätte vielleicht zum schönen Tage noch den Nachsommer einer herrlichen Nachmitternacht erlebt, hätte mich nicht der Teufel über Lichtenbergs neunten Band, und zwar auf die 206te Seite geführet, wo dieses steht: »Es wäre doch möglich, daß einmal unsere Chemiker auf ein Mittel gerieten, unsere Luft plötzlich zu zersetzen durch eine Art von Ferment. So könnte die Welt untergehen.« Ach, ja wahrlich! Da die Erdkugel in der größern Luftkugel eingekapselt steckt: so erfinde bloß ein chemischer Spitzbube auf irgendeiner fernsten Spitzbubeninsel oder in Neuholland ein Zersetz-Mittel für die Luft, dem ähnlich, was etwa ein Feuerfunke für einen Pulverkarren ist: in wenig Stunden packt mich und uns in Flätz der ungeheuere herschnaubende Weltsturm bei der Gurgel, mein Atemholen und dergleichen ist in der Erstick-Luft vorbei und alles überhaupt – Die Erde ist ein großer Rabenstein mit Galgen geworden, wo sogar das Vieh krepieret – Wurm- und Wanzenmittel, Bradleysche Ameisenpflüge und Rattenpulver und Wolfstreiben und Viehsterbekassen sind im Welt-Schwaden, im Welt-Sterb dann nicht sonderlich mehr vonnöten, und der Teufel hat alles geholt in der Bartholomäus-Nacht, wo man das verfluchte »Ferment« zufällig erfunden.

Indes verbarg ich der treuen Seele jeden Todes-Nacht-Gedanken, da sie mich doch entweder nur schmerzlich nachempfunden oder gar lustig ausgelacht hätte. Ich befahl bloß, daß sie am Morgen (des Sonnabends) für die zurückkehrende Landkutsche fertig und gestiefelt dastände, sollt' ich anders ihren Wünschen gemäß an die Überschwängerung mit Räten, die ihr so am Herzen lag, früh genug kommen. Sie war so freudig meiner Meinung, daß sie gern den Jahrmarkt aufgab. Auch ruht' ich ruhig, mit der Fußzehe an ihre Finger geknüpft, die ganze Nacht hindurch.

Der Dragoner nahm und zupfte mich am Morgen heimlich beim Ohre und sagte mir in dasselbe hinein, er habe ein lustiges Meßgeschenk für seine Schwester vor und reite deshalb auf seinem gestern vom Roßtäuscher eingetauschten Rappen etwas früher voraus. Ich bot ihm meinen Vor-Dank.

Am Morgen lief jeder lustig vom Stapel, ausgenommen ich; denn ich behielt noch immer, auch vor dem besten Morgenrote, das nächtliche Teufels-Ferment und Zersetz-Mittel meiner Gehirn-Kugel sowohl als der Erd-Kugel gärend im Kopfe; ein Beweis, daß die Nacht mich und meine Furcht gar nichts hatte übertreiben lassen. Der mir verdrüßliche blinde Passagier setzte sich auch wieder ein und sah mich wie gewöhnlich an, doch ohne Effekt; denn diesmal, wo ich Welt-Umwälzungen, nicht bloß die meinigen, im Kopfe hatte, war mir der Passagier mehr ein Spaß und Spuk; da niemand unter Fuß-Absägen das Herz-Gespann verspürt oder unter dem Summen der Kanonen sich gegen das der Wespen wehrt, ebenso konnte mir ein Passagier mit allen Brandbriefen, die etwa sein verdächtiges Gesicht in meine nahe oder späte Zukunft wirft, bloß lächerlich zu einer Zeit vorkommen, wo ich bedachte, das »Ferment« könne ja mitten auf meinem Wege von Flätz nach Neusattel von irgendeinem Amerikas-, Europas-Manne, der ganz unschuldig versucht und versetzt, zufällig erfunden und losgelassen werden. Die Frage, ja Preisfrage wäre aber nun, inwiefern es seit Lichtenbergs Drohung nicht etwa welt- und selbstmörderisch aussieht, wenn aufgeklärte Potentaten scheidekünstlerischer Völker es nicht ihren Scheidekünstlern, die so leicht Leib von Seele scheiden und Erde mit Himmel gatten, auferlegen, keine andere chemische Versuche zu machen als die schon gemachten, die doch bisher den Staaten weit mehr genützt als geschadet.

Leider blieb ich in diesen jüngsten Tag des Ferments mit allen Sinnen versunken, ohne auf der ganzen Rückreise nach Neusattel mehr zu erleben und zu bemerken, als daß ich daselbst ankam, wo ich zugleich wieder den blinden Passagier seines Weges gehen sah.

Nur mein Bergelchen schauete ich in einem fort unterwegs an, teils um sie noch so lange zu sehen, als Leben und Augen dauern, teils um auch bei kleinster Gefahr derselben, es sei nun eine große oder gar ein ganzes hereinstürzendes Goldau und verzehrendes Welt-Gericht, wenn nicht für sie, doch an ihr zu sterben und so verknüpft mit ihr ein geplagtes und plagendes Leben hinzuwerfen, worin ihr ohnehin nicht die Hälfte meiner Wünsche für sie erfüllt geworden.

So wäre denn meine Reise an sich vollendet – gekrönt mit einigen Historiolen – vielleicht künftig noch belohnter durch euch, ihr Freunde um Flätz herum, wenn ihr darin etwa einige gut geschliffne Jätemesser finden solltet, womit ihr leichter das Lügen-Unkraut ausreutet, das mich bis jetzt dem wackern Schabacker verbauet – – Nur sitzt mir noch das verfluchte Ferment im Kopfe. Lebt denn wohl, solang' es noch Atmosphären einzuatmen gibt. Ich wollt', ich hätte mir das Ferment aus dem Kopfe geschlagen.

Euer

Attila Schmelzle.

N. S. Mein Schwager hat seine Sache ganz gut gemacht, und Berga tanzt. Künftig das Nähere! – –


 << zurück weiter >>