Jean Paul
Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz
Jean Paul

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Erster Tag in Flätz

Kein Mensch wird sich anfangs in meiner Tigerhotels-Lage stark enthusiasmieren über die nächsten Aussichten. Ich als der einzige mir bekannte Mensch, besonders von der Seite der Liebe (vom abgehenden Dragoner nachher!), sah aus den Fenstern des mit Marktgästen sich vollstopfenden Gasthofs heraus und auf das Nachströmen des Marktheeres hernieder und konnte sehr bald bedenken, daß eigentlich niemand als Gott und die Spitzbuben und Mörder genau wußten, wieviel von beiden letztern darunter mit einschwämmen, um vielleicht die unschuldigsten Marktgäste teils zu enthülsen, teils zu enthalsen. Meine Lage hatte etwas gegen sich – mein Schwager hatte, weil er alles blind herausschlägt, es fallen lassen, daß ich im Tiger abstiege (o Gott, wann lernen solche Menschen geheimnisreich bleiben und auch den elendesten Bettel des Lebens unter Deckmänteln und Schleiern bloß deshalb zu tragen, weil so oft eine lausige Maus einen Eis- und Golgatha-Berg gebiert als ein Berg eine Maus?) – Sämtliches Post-Gesindel saß sämtlich im Tiger ab – die Hure – der Kammerjäger – Jean Pierre – der Riese, der schon am Stadttore ausstieg und den Großkopf des Zwergs als eignen Kopf durch Mantel-Bemäntelung über die Straßen trug, damit er um einen halben Zwerg gratis riesenhafter erschiene, als er eigentlich für Geld zu sehen war. – –

Es kam nun auf jeden ausgestiegenen Passagier an, ob er zum Tiger, dem Wappentiere des Gasthofs, den Prototypus machen und welches Lamm er dann fressen, aussaugen, abrupfen wollte. Auch mein Schwager verließ mich, um einem Roßtäuscher nachzuziehen, behielt aber für seine Schwester sein Zimmer neben meinem; dies sollte, wie es schien, Aufmerksamkeit für sie verraten. Ich blieb einsam meiner Tatkraft überlassen.

Gleichwohl dacht' ich unter so vielen Spitzbuben, die mich umzingelten, wenn nicht gar belagerten, warm an eine ferne, redliche Seele, an meine Berga in Neusattel, ein Mark- und Kraft-Herz, das vielleicht manchem schwachen Ehe-Bündner mehr Schutz gewähren als verdanken würde. Erscheine nur morgen mittags recht bald, Berga, sagte mein Herz, und womöglich noch vormittags, damit ich dein Jahrmarkts-Paradies um so viele Stunden länger ausdehnen als du um frühere anlangst!

Ein Geistlicher läuft mitten im Weltsturm leicht in einen Freihafen ein, in die Kirche; die Kirchenmauer ist seine Schießhaus-Mauer und Fortifikation; und darhinter sitzen gleichergestimmte und friedlichere Seelen beisammen als auf dem Marktplatz – kurz ich ging in die Hofkirche. Inzwischen wurde ich in meiner Lieder-Andacht ein wenig verrückt durch einen Heiducken, der einem wohlgekleideten jungen Herrn mir gegenüber die Doppellorgnette von der Nase abriß, weil in Flätz, so wie in Dresden, Gläser, die verkleinern und nähern, gegen den Hof verstoßen; ich hatte zwar selber eines aufgesetzt, aber es vergrößerte. Ich konnte mich unmöglich dahin bringen, die Brille abzunehmen, und ich werde hier, fürcht' ich, wieder als Starrkopf und Waghals aussehen; bloß dies hielt ich für schicklich, in einem fort mit ihr ins Gesangbuch zu blicken und nicht einmal, da der Hof einrauschte, aufzuschauen, um Winke zu geben, daß sie erhaben geschliffen. – Die Predigt übrigens war gut, wenn auch nicht immer fein bedacht für eine Hofkirche; denn sie mahnte von unzähligen Lastern ab, zu deren Widerspielen, den Tugenden, ein anderer Prediger so leicht hätte ermahnen können! Unter dem ganzen Gottesdienste trachtete ich wahre tiefe Ehrerbietung an den Tag zu legen, sowohl gegen Gott als gegen meinen erhabnen Landesherrn. Zur letztern Ehrerbietung hatte ich noch meinen Privat-Grund; ich wollte solche nämlich recht öffentlich und stark wie mit erhabnen Schrift-Punzen auf meinem Gesicht ausprägen, um irgendeinen eingefleischten Schadenfroh am Hofe Lügen zu strafen, der etwa meine neuliche Widerlegung von Linguets Lob auf Nero und meine deutsche freie Satire auf diesen wahren Tyrannen selber, die ich ins Flätzische Wochenblatt eingeschickt, möchte zu einem heimlichen Charaktergemälde meines Fürsten umzudrehen beliebet haben. Leider kann man jetzt kaum auf den höllischen Teufel selber eine Stachelschrift abfassen, ohne daß irgendein menschlicher sie auf einen Engel appliziert.

Als endlich der Hof aus der Kirche in den Wagen stieg, hielt ich mich in solcher Entfernung, daß mein Gesicht unmöglich wäre zu sehen gewesen, falls ich etwa in der Nähe kein ehrerbietiges, sondern ein zu stolzes gezogen hätte. Gott weiß, wer mir allein jene toll-kecken Phantasien und Gelüste eingeknetet hat, die vielleicht einem Helden Schabacker mehr anständen als einem Feldprediger unter ihm. Ich kann hier nicht umhin, eine der frechsten euch, meinen Freunden, zu vertrauen, würfe sie auch anfangs ein zu grelles Licht auf mich. Es war bei meiner Ordination zum Feldprediger, als ich zum heiligen Abendmahle ging am ersten Ostertag. Während ich nun so dastand, weich bewegt vor dem Altargeländer mit der ganzen Männer-Gemeinde – ja, ich vielleicht stärker gerührt als einer darunter, weil ich als ein in den Krieg Ziehender mich ja halb als einen Sterbenden betrachten durfte, der nun wie ein zu Henkender die letzte Seelen-Mahlzeit empfängt –, so warf in mir mitten in die Rührung von Orgel und Sang etwas – sei es nun der erste Osterfeiertag gewesen, der mich auf das sogenannte alte christliche Ostergelächter brachte, oder der bloße Abstich teuflischer Lagen gegen die gerührtesten – kurz etwas in mir (weswegen ich seitdem jeden Einfältigern in Schutz nehme, der sonst dergleichen dem Teufel anschrieb!) – dies Etwas warf die Frage in mir auf: »Gäb' es denn etwas Höllischeres, als wenn du mitten im Empfange des Heiligen Abendmahls verrucht und spöttisch zu lachen anfingest?« Sogleich rang ich mich mit diesem Höllenhund von Einfall herum – versäumte die stärksten Rührungen, um nur den Hund im Gesichte zu behalten und abzutreiben – kam aber, von ihm abgemattet und begleitet, vor dem Altars-Schemel mit der jammervollen Gewißheit an, daß ich nun in kurzem ohne weiteres zu lachen anfangen würde, ich möchte innen weinen und stöhnen, wie ich wollte. Als daher ich und ein sehr würdiger alter Bürgermeister uns miteinander vor dem langen Geistlichen verbeugten und letzterer mir (vielleicht kam er mir auf dem niedrigen Kniepolster zu lang vor) die Oblate in den klemmen Mund steckte: so spürt' ich schon, daß an den Mundwinkeln alle Lachmuskeln sardonisch zu ziehen anfingen, die auch nicht lange an der unschuldigen Gesichtshaut arbeiteten, als schon ein wirkliches Lächeln darauf erschien – und als wir uns gar zum zweiten Male verneigten, so grinst' ich wie ein Affe. Mein Nebenmann, der Bürgermeister, redete ganz mit Recht, als wir hinter den Altar um gingen, mich leise an: »Um Gottes Willen, sind Sie ein ordinierter Prediger oder ein Pritschenmeister? – Lacht denn der lebendige Gott-Seibeiuns aus Ihnen?« – »Ach Gott! wer denn sonst?« sagt' ich; erst nachher bracht' ich meine Andacht ernsthafter zu Ende.

Aus der Kirche – (ich komme wieder in die Flätzer) – ging ich in den Gasthof zum Tiger und aß an der Wirtstafel, weil ich nie menschenscheu bin. Vor dem zweiten Gerichte reichte mir der Kellner einen leeren Teller, worauf ich zu meinem Erstaunen einen französischen Vers mit der Gabel eingekratzt erblickte, der nichts Geringeres enthielt als ein Pasquill auf den Kommandanten von Flätz. Ohne Umstände bot ich den Teller der Tischgesellschaft hin und sagte, ich hätte das pasquillantische Geschirr, wie sie sähen, eben bekommen und bäte sie zu bezeugen, daß der Handel mich nichts angehe. Ein Offizier wechselte sogleich mit mir Teller. Bei dem fünften Gerichte durft' ich mich über die chemisch-medizinischen Unkenntnisse der Tischgesellschaft verwundern, indem ein Hase, aus welchem ein Herr mehrere Schrotkörner, das heißt also ein mit Arsenik versetztes und durch den warmen Essig nun aufgelöstes Blei, öffentlich herausgezogen und vorgezeigt hatte, von den Zuschauern (mich ausgenommen) lustig fortgespeiset wurde.

Unter den Tischgesprächen faßte mich eines gewaltig bei meiner schwachen Seite, bei meiner Ehre. Es wurde nämlich der Gerichts-Gebrauch der Residenz erzählt, daß ein unzüchtiges Mädchen jeden, wen eine solche Dirne dazu wähle, in den Vater ihres Wurms verkehren könne bloß durch ihr Eidwort. »Schrecklich!« – sagt' ich, und mir stand das Haar zu Berg – »Auf diese Weise kann sich ja der erste beste Hausvater mit Frau und Kindern oder ein Geistlicher, der im Tiger logiert, von der ersten schlimmsten Aufwärterin, die er oder die ihn leider abends zufällig kennen lernen, um Ehre und Unschuld gebracht sehen!« Ein ältlicher Offizier fragte: »Soll denn aber das Mädchen sich lieber zum Teufel schwören?« Welche Logik! »Oder gesetzt,« fuhr ich ohne Antwort fort, »ein Mann reiset mit jenem Wiener Schlossergesellen, der nachher Mutter wurde und mit einem Söhnchen niederkam, oder mit irgendeinem verkleideten Ritter d'Eon, mit dem er häufig übernachtet; und der Schlossergeselle oder der Ritter dürfen dann ihre Beilager beeidigen: so kann ja kein zarter Mann zuletzt mehr mit einem andern reiten und fahren, weil er nicht weiß, wann dieser die Stiefel auszieht und die Weiberschuhe an und ihn dann zum Vater schwört und sich zum Teufel!«

Aber einige von der Tischgesellschaft vergriffen sich in meinem Kanzel-Feuer so sehr, daß sie schafsmäßig zu glauben andeuteten: ich selber sei in diesem Punkte nicht richtig, sondern lax. Beim Himmel! ich wußte da nicht mehr, was ich fraß und sprach. Zum Glücke wurde mir gegenüber eben die Lüge irgendeiner französischen Niederlage ausgesagt; da ich nun an den Straßen-Ecken die französische und deutsche Proklamation angesehen, welche jeden, der Kriegs-Berichte – nämlich nachteilige – anhört, ohne sie anzuzeigen, vor das Kriegsgericht bestellt: so konnt' ich als ein Mann, der sich nie gern vergessen will, wohl nichts Klügers tun als davongehen mit leeren Ohren und nur dem Wirte rapportieren warum.

Es war keine unrechte Zeit, denn absichtlich um 4½ Uhr wollt' ich mir den Bart scheren lassen, um gegen fünf so recht mit einem vom Balbiermesser-Glättzahn geleckten Kinn, wie glattes Velinpapier, ohne Wurzelstöcke von Kinnhaaren (Barthaar ist Pleonasmus) auf- und vorzutreten. Vorher goß ich, wie Pitt vor Parlamentssitzungen, verdammt viel Pontak mit wahrem Ekel in meinen Magen hinunter gegen jede Heilslehre und Sperrordnung desselben, nicht sowohl um den leichten, fremden Bartputzer zu bestehen als den Minister-General Schabacker, mit welchem ich eines und das andere Feuerwort zu wechseln vorhatte.


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