Jean Paul
Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz
Jean Paul

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Erste Station von Neusattel nach Vierstädten

Der 22te Juli oder Mittwochs nachmittags um 5 Uhr war von der Postkarte der ordentlichen fahrenden Post selber zu meiner Abreise unwiderruflich anberaumt. Ich hatte also etwa einen halben Tag Zeit, mein Haus zu bestellen, welchem jetzt zwei Nächte und drittehalb Tage hindurch meine Brust als Brustwehr oder Verhack mit meinem Ich abgehen sollte. Sogar mein gutes Weib Bergelchen, wie ich meine Teutoberga nenne, reisete mir unaufhaltsam den 24ten oder Freitags darauf nach, um den Jahrmarkt zu beschauen und zu benutzen; ja sie wollte schon sogleich mit mir ausreisen, die treue Gattin. Ich versammelte daher meine kleine Bedientenstube und publizierte ihr die Hausgesetze und Reichs-Abschiede, die sie nach meinem Abschiede den Tag und die Nacht erstlich vor der Abreise meiner Frau und zweitens nach derselben auf das pünktlichste zu befolgen hatten, und alles, was ihnen besonders bei Feuersbrünsten, Diebs-Einbrüchen, Donnerwettern und Durchmärschen vorzukehren oblag. Meiner Frau übergab ich ein Sach-Register des Besten in unserm kleinen Registerschiffe, was sie, im Falle es in Rauch aufginge, zu retten hätte – Ich befahl ihr, in stürmischer Nacht (dem eigentlichen Diebs-Wetter) unsere Windharfe ans Fenster zu stellen, damit jeder schlechte Strauchdieb sich einbildete, ich phantasierte harmonisch und wachte; desgleichen den Kettenhund am Tage ins Zimmer zu nehmen, damit er ausschliefe, um nachts munterer zu sein. Ich riet ferner, auf jeden Brennpunkt der Glasscheiben im Stalle, ja auf jedes hingestellte Glas Wasser ihr Auge zu haben, da ich ihr schon öfter die Beispiele erzählet, daß durch solche zufällige Brenngläser die Sonne ganze Häuser in Brand gesteckt – Auch gab ich ihr die Morgenstunde, wo sie Freitags ab- und mir nachreisen sollte, so wie die Haustafeln schärfer an, die sie vorher dem Gesinde einzuschärfen hätte. Meine liebe kerngesunde, blühende Honig-Wöchnerin Berga antwortete ihrem Flitterwöchner, wie es schien, sehr ernsthaft: »Geh nur, Alterchen, es soll alles ganz scharmant geschehen – Wärest du nur erst voraus, so könnte man doch nach! Das währt ja aber Ewigkeiten.« Ihr Bruder, mein Schwager, der Dragoner, für den ich aus Gefälligkeit das Passagiergeld trug, um auf dem Postkissen einen an sich tapfern Degen und Hauinsfeld sozusagen als körperlichen und geistigen Verwandten und Spillmagen vor mir zu haben, dieser zog über meine Verordnungen (was ich leicht dem Hage- und Kriegsstolzen vergab) sein braunes Gesicht ansehnlich ins Spöttische und sagte zuletzt: »Schwester, an deiner Stelle täte ich, was mir beliebte; und dann guckte ich nach, was er auf seinem Reglements-Zettel hätte haben wollen.« – »O,« versetzte ich, »Unglück kann sich wie ein Skorpion in jede Ecke verkriechen; ich möchte sagen, wir sind den Kindern gleich, die am schön bemalten Kästchen schnell den Schieber aufreißen, und – heraus fährt eine Maus, die hackt« – »Maus, Maus, Raus, Raus!« (versetzte er, auf und nieder trabend) »Herr Schwager, aber es ist fünf Uhr; und Sie werden schon finden, wenn Sie wiederkommen, daß alles so aussieht wie heute, die Hunde wie die Hunde und meine Schwester wie eine hübsche Frau: allons donc!« – Er war eigentlich schuld, daß ich aus Besorgnis seines Mißdeutens nicht vorher eine Art von Testament gemacht.

Ich packte noch entgegengesetzte Arzneien, sowohl temperierende als erhitzende, gegen zwei Möglichkeiten ein – ferner meine alten Schienen gegen Arm- und Beinbrüche bei Wagen-Umstürzen – und (aus Vorsicht) noch einmal so viel Geld-Wechsel, als ich eigentlich nötig hatte. Nur wünschte ich dabei wegen der Mißlichkeit des Aufbewahrens, ich wär' ein Affe mit Backentaschen oder ein Beuteltier, damit ich in mehr sichere und empfindungsvolle Taschen und Beutel solche Lebens-Pretiosen verschanzte. Rasieren lasse ich mich sonst stets vor Abreisen aus Mißtrauen gegen fremde mordsüchtige Bartputzer; aber diesmal behielt ich den Bart bei, weil er doch unterwegs, auch geschoren, so reich wieder getrieben hätte, daß mit ihm vor keinem Minister wäre zu erscheinen gewesen.

Ich warf mich heftig ans Kraft-Herz meiner Berga an und riß mich noch heftiger ab, aber sie schien über unsere erste Ehe-Trennung weniger in Jammer als in Jubel zu sein, viel weniger bestürzt als seelenvergnügt, bloß weil sie auf das Scheiden nicht halb so sehr als auf das Wiedersehen und Nachreisen und die Jahrmarkts-Schau ihr Augenmerk hatte; doch warf und hing sie sich an meinen etwas dünnen und langen Hals und Körper fast schmerzhaft als eine zu fleischige derbe Last und sagte: »Fege nur frisch davon, mein scharmanter Attel (Attila) – und mache dir unterwegs keine Gedanken, du aparter Mensch! – Haben wir denn zu klagen? Einen oder ein Paar Püffe halten wir mit Gottes Hülfe schon aus, solange mein Vater kein Bettelmann ist – Und dir aber, Franz,« fuhr sie gegen ihren Bruder ordentlich zornig fort, »bind' ich meinen Attel auf die Seele, du weißt recht gut, du wüste Fliege, was ich tue, wenn du ein Narr bist und ihn wo im Stiche lässest.« Ich verzieh ihr hier manches Gut-Gemeinte; und euch Freunden ist ihr Reichtum und ihre Freigebigkeit auch nichts Neues.

Gerührt sagt' ich: »Nun, Berga, gibts ein Wiedersehen für uns, so ists gewiß entweder im Himmel oder in Flätz, und ich hoffe zu Gott, das letztere.« – Stracks gings rüstig davon. Ich sah mich durch das Kutschen-Rückfenster um nach meinem guten Städtchen Neusattel; und es kam mir gerührt vor, als richte sich dessen Turmspitze ordentlich als ein Epitaphium über meinem Leben oder meinem vielleicht tot zurückreisenden Leichnam in die Höhe; – wie wird alles sein, dacht' ich, wenn du nun endlich nach zwei oder drei Tagen wiederkommst? Jetzt sah ich mein Bergelchen uns aus dem Mansardenfenster nachschauen; ich legte mich weit aus dem Kutschenschlage hinaus, und ihr Falkenauge erkannte sofort meinen Kopf; Küsse über Küsse warf sie mir mit beiden Händen herab, dem ins Tal rollenden Wagen nach. »Du herziges Weib,« dacht' ich, »wie machst du deine niedrige Geburt durch die geistige Wiedergeburt vergeßlich, ja merkwürdig!«

Freilich das Postkutschen-Gelag und Pickenick wollte mir weniger schmecken; lauter verdächtiges, unbekanntes Gesindel, welches (wie gewöhnlich die Märkte tun) der Flätzer durch seine Witterung einlockte. Ungern werd' ich Unbekannten ein Bekannter; aber mein Schwager, der Dragoner, war, wie immer, schon mit allem, mit Himmel und Hölle herausgeplatzt. Neben mir saß eine höchst wahrscheinliche Hure – Auf ihrem Schoße ein Zwerg, der sich auf dem Jahrmarkte wollte sehen lassen – Mir gegenüber blickte ein Kammerjäger mich an – Und unten im Tale stieg noch ein blinder Passagier mit einem roten Mantel ein. Mir gefiel gar niemand, ausgenommen mein Schwager. Ob nicht die Hure meine Bekanntschaft zu einer eidlichen Angabe benützen, ob nicht Spitzbuben unter den Passagieren mich und meine Eigenheiten und Zufälle studieren würden, um auf der Tortur mich in ihre Bande zu flechten – dafür konnte sich mir niemand verpfänden. An fremden Orten schau' ich schon ungern – und aus Vorsicht – an irgendein Kerkergitter lange empor, weil ein schlechter Kerl darhinter sitzen kann, der eilig herunterschreiet aus bloßer Bosheit: »Drunten steht mein Spießkamerad, der Schmelzle!« – oder auch weil ein vernagelter Scherge sich denken kann, ich suchte meinen Konföderierten oben zu entsetzen. Aus einer wenig davon verschiedenen Vorsicht dreh' ich mich daher niemals um, wenn ein Star mir nachruft: Dieb!

Was den Zwerg selber anlangt, so könnt' er meinetwegen mitfahren, wohin er wollte; aber er glaubte ein besonderes Froh-Leben in uns zu bringen, wenn er uns verhieße, daß sein Pollux und Amtsbruder, ein seltener Riese, der ebenfalls der Messe zur Anschau zuzog, gegen Mitternacht uns unfehlbar mit seinem Elefanten-Schritte nachkommen und sich einsetzen oder hintenaufstellen würde. Beide Narren beziehen nämlich gemeinschaftlich die Messen als gegenseitige Meßhelfer zu entgegengesetzten Größen: der Zwerg ist das erhabne Vergrößerungsglas des Riesen, der Riese das hohle Verkleinerungsglas des Zwergs. Niemand bezeugte große Freude an der Aussicht der Nachkunft des Mas-Kopisten des Zwergs, ausgenommen mein Schwager, der (ist das Wortspiel erlaubt) wie eine Uhr bloß zum Schlagen gemacht zu sein glaubt und mir wirklich sagte: »Könn' er einmal oben in der ewigen Seligkeit keine Seele zuweilen wamsen und koram nehmen, so fahr' er lieber in die Hölle, wo gewiß des Guten und der Händel eher zu viel sein werden.« – Der Kammerjäger im Postwagen hatte, außerdem schon, daß uns niemand sehr einnimmt, der bloß vom Vergiften lebt, wie dieser Freund Hein der Ratten und diese Mäuse-Parze, und daß ein solcher Kerl, was noch schlimmer, sogleich ein Mehrer des Ungeziefer-Reichs zu werden droht, sobald er nicht dessen Minderer sein darf – dieser hatte überhaupt so viel Fatales an sich, zuerst den Stechblick wie eines Stiletts – dann das hagere scharfe Knochen-Gesicht in Verbindung mit seinem Vorrechnen seines ansehnlichen Gift-Sortiments – dann (denn ich haßte ihn immer heißer) seine geheime Stille, sein geheimes Lächeln, als seh' er in irgendeiner Schlupf-Ecke eine Maus, ähnlich einem Menschen – Wahrlich mir, der ich sonst ganz andern Leuten stehe, kam endlich sein Rachen als eine Hunds-Grotte vor, seine Backenknochen als Untiefen und Klippen, sein heißer Atem als Kalzinier-Ofen und die schwarzhaarige Brust als Welk- und Darr-Ofen – –


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