Jean Paul
Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz
Jean Paul

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Es kam der gewöhnliche Fremden-Balbier des Hotels, hatte aber sogleich in seinem viellinigen ausgezackten Gesichte mehr von einem endlich tollwerdenden als von einem weiser werdenden Manne an sich. Tolle nun hass' ich unglaublich und bin daher in kein Tollhaus zu bringen, weil da der erste beste Wütige mich mit Riesenfäusten erschnappt, wenn er mag, und weil ich überhaupt der Ansteckung wegen nicht weiß, ob ich wieder mit dem Verstande herauskomme, den ich hineintrage. – Gewöhnlich sitz' ich (bin ich eingeseift) dergestalt auf dem Stuhle, daß ich beide Hände (den Blick spann' ich scharf gegen das balbierende Gesicht) auf den Schenkeln dem Zwerchfell des Balbiers gegenüber schlagfertig liegen habe, um ihn bei der kleinsten zweideutigen Bewegung wie wütig umzustoßen.

Ich weiß kaum recht, wie es zuging, aber indes ich mich ins närrisch-gewundene Gesicht des Bartputzers vertiefe und da er eben das lang' gewetzte Schlacht-Messer etwas vorschnell gegen meine entblößte Gurgel führte: so gab ich dem Feld- und Bart-Scherer einen so plötzlichen Stoß auf den Nabel, daß der Mann sich im Fallen bald selber selbstmörderisch die Gurgel abgeschnitten hätte. Mir blieb freilich nichts davon als Gutmachungen und eine gegen meine sonstigen Grundsätze umgebundne geschwollne Krawatte als Deckmantel dessen, was unbeschoren geblieben.

Jetzt brach ich denn endlich zum General auf und trank die Pontaks-Reste noch unter der Schwelle aus. Ich hoffe, in mir lagen Plane fertig, richtig zu antworten, ja zu fragen. Das Bittschreiben hatt' ich in der Tasche und in der rechten Hand. In der linken hatt' ich dessen Duplikat. Mein Feuer half mir leicht über alle ministeriellen lebendigen Zäune hinüber, und ich befand bald mich unverhofft im Vorzimmer unter seinen vornehmsten Lakaien, die, soviel ich merkte, nichts verpassen sollten. Ich überreichte dem ansehnlichsten meine papierne Bitte mit der mündlichen, sie seinerseits zu überreichen. Er nahm sie, aber unverbindlich. Ich wartete tief in die Stunde 6 Uhr hinein vergeblich, worin allein dem frohen Generale manches vorzutragen ist. Endlich erseh' ich einen Stief- oder Duzbruder des vorigen Lakaien und wiederhole mein Gesuch; dieser rennt umsonst umher, um Bruder oder Schreiben zu suchen – nichts war zu finden; – wie glücklich war ich, daß ich das Duplikat der Bittschrift mitten im Pontak vor dem Rasieren mir wieder abgeschrieben und also – bloß aus dem Grundsatz, daß man immer ein zweites hölzernes Bein im Mantelsack eingepackt haben müsse, wenn man ein erstes am Leibe habe – und aus der Furcht, daß, wenn mir das Urschreiben auf dem Wege vom Tiger zu Schabacker verloren ginge, meine ganze Reise und Hoffnung zu Wasser müßte werden – dies, sag' ich, war gut, daß ich das Repetierwerk des Ur-Schreibens eingesteckt hatte und folglich in jedem Falle etwas, und zwar ein detto, einzuhändigen vermochte. Ich händigte dasselbe ein.

Leider nur war schon sechs Uhr vorbei. Der Lakai aber blieb nicht lange aus, sondern brachte mir bald – ich möchte sagen den Predigt-Text dieses Zirkelbriefes – die fast rohe Antwort (die ihr, Freunde, aber aus Achtung für mich und Schabacker geheimzuhalten habt): »falls ich der Attila Schmelzle beim Schabackerschen Regiment wäre, so möcht' ich mich nur mit meinem Hasenpanier wieder zum Teufel scheren, wie ich bei Pimpelstadt getan.« Ein anderer wäre auf dem Platze geblieben; ich aber ging ganz derb davon und versetzte dem Kerl: »Ich schere mich auch willig zum Teufel und schere mich den Teufel darum.« Unterwegs untersucht' ich mich selber, ob nicht etwa der Pontak aus mir gesprochen – wiewohl schon die Untersuchung widerspricht, da kein Pontak untersucht –; aber ich fand, daß nur ich, mein Herz, vielleicht mein Mut etwas gesprochen; und wozu denn überhaupt Kleinmut, da das Vermögen meiner guten Frau mich ja besser besoldet als zehn katechetische Professuren, und da sie alle Ecken meines Buchs des Lebens mit so viel goldnen Beschlägen versieht, daß ichs, ohne es abzunutzen, immer aufschlagen kann! – Schwangere mögen bei Schrecken an den Hintern greifen, um das Muttermal des Versehens dorthin zu verstecken; ich griff bei dem Mute ans Herz und sagte: »Schlage dich nur tapfer durch! wer auch dabei geschlagen werde!« Ich fühlte mich ganz erhoben und erhitzt – ich dachte mir Republiken, wo ich als Held nach Hause kommen könnte – ich sehnte mich in jene heroischen Griechen-Zeiten hinein, wo ein Held vom andern Prügel gern einsteckte und sagte: schlage nur, aber höre mich!, und aus unseren feigen heraus, wo man kaum Schimpfworte aushält, geschweige mehr – ich malte mir es aus, wie ich mich fühlen würde, wenn ich in glücklichern Umgebungen After-Thronen umwürfe und vor ganzen Völkern auf Großtaten wie auf Tempelstufen unsterblich aufstiege und in gigantischen Zeiten ganz andere und größere Männer zu übermannen und zu übertreffen fände als jetzt den Milben-Pöbel um mich her und höchstens einen und den andern Vulkanello. Ich dachte – und machte mich immer wilder, und ich selber berauschte mich (also kein Pontaks-Rausch, der bekanntlich mehr durch als ohne Trinken wächst) und gestikulierte öffentlich – als ich mich fragte: »Willst du ein bloßer Staats-Schoßhund werden – ein Hunds-Hund – ein pium desiderium eines impii desiderii – ein Ex-Ex – ein Nichts-Nichts? – – O Sackerment!« Darüber stieß ich mir aber meinen Hut in den Markt-Kot. Da ich ihn aufhob und säuberte, sah ich überall, wie verschossen er war, und entschloß mich, sogleich einen neuen zu kaufen und anfangs selber zu tragen in der Hand.

Ich vollzogs und erhandelte einen vom feinsten Kaliber. Sonderbar, durch diesen Hut, als wär's ein Magister-Hut, wurde in der Ziegengasse ordentlich mein Kopf geprüft und examiniert. Da nämlich der General Schabacker darin daherfuhr und ich (wie sich wohl von selber versteht) mich nicht durch gemeine Grobheit, sondern durch Höflichkeit rächen wollte: so bekam ich eine der kitzlichsten Aufgaben zu lösen vor. Schwenkt' ich nämlich bloß den feinen Filz, den ich schon in der Hand trug, behielt aber den verschossenen auf dem Kopfe: so konnt' ich einem Grobian von Haus aus ähnlich sehen, der nichts abzieht; zog ich hingegen den alten vom Kopfe und hofierte damit: so spielten zwei Filze auf einmal (ich mochte nun den andern mitbewegen oder nicht) die Sache ins Lächerliche. Nun stimmt doch ab, ihr Freunde, eh' ihr weiterleset, wie man sich hier herauszuziehen hätte, ohne den Kopf zu verlieren!.... Ich glaube, vielleicht dadurch, daß man bloß den Hut verliert; kurz und gut, ich ließ eben geradezu den Putz-Hut aus der Hand in den Kot fallen, um mich instand zu setzen, den Sudel-Hut einsam abzunehmen und mit nötiger Höflichkeit zu schwenken ohne einen Anstrich von Lächerlichkeit.

Im Tiger ließ ich – um etwas schließen zu lassen – den brillantierten Fein-Fein-Fein-Filz früher ausbürsten als den Kotsassen- oder Scharteken-Hut.

Nun ging ich, meine wichtige Vergangenheit in der Adjustier- und Probierwaage tragend, feurig auf und nieder. Der Pontak mußte – ich weiß wohl, daß es hienieden nur unechten gibt – ein noch unechterer gewesen sein; so sehr jagte er meine Phantasie in ein Feuer nach dem andern. Ich sah jetzt in ein weites glänzendes Leben hinein, wo ich ohne Amt lebte bloß von Geld; und das ich gleichsam mit den delphischen Höhlen und zenonischen Gängen und Musenbergen aller der Wissenschaften übersäet sah, die ich ruhig treiben konnte. Besonders konnte ich mich mehr auf Preisschriften bei Akademien legen, deren (nämlich der Schriften) sich kein Urheber jemals zu schämen braucht, weil eine ganze krönende Akademie in jedem Falle für den Koronanden steht und errötet. Schießt auch der Preiswerber neben der Krone vorbei, so bleibt er doch stets unbekannter und anonymer (da man seine Devise nicht entsiegelt) als ein anderer Autor, der zwar namenlos ein Langohr von Buch ediert, den aber doch bald ein literarisches Eselbegräbnis (sepultura asinina) öffentlich vor der halben Welt einsenkt.

Nur etwas dauerte mich voraus, das Leid meiner Berga, welcher ich morgen, der lieben Müde-Gereisten, die Ankunft und die abgekürzte Markt-Schau mit meiner abschlägigen Nachricht versalzen mußte. Sie wollte so gern in Neusattel – und wer verübelts einer reichen Pächters-Tochter – etwas vorstellen und manche Honoratiorin ausstechen – jeder Mensch verlangt sein Parade-Plätzchen und eine frühere lebendigere Ehre als die letzte Ehre – Besonders will eine so gute niedriggeborene, sich vielleicht mehr ihres metallischen als ihres geistigen Schatzes und Tilgungsfonds bewußt, doch bei Ehrengelagen Meisterin von irgendeinem Stuhl oder Stühlchen sein und über die erste beste dumme gerupfte Gans loci hinaufsitzen.

Dazu sind nun Ehemänner so unentbehrlich. Ich nahm mir daher vor, mir und folglich ihr einen der besten Titel, womit die Höfe in Deutschland (gleichsam wie in einem Auerbachs-Hof in Leipzig) vom Adel und Halbadel an bis zum Rate herunter in einem fort feilstehen, anzukaufen und dieser geadelten Seele durch meinen Viertels-Adel einen solchen Achtels-Adel zuzuspielen, daß (hoff' ich) manche gemeine nebenbuhlerische Neusattlerin, vom Neide halb geborsten, sagen und rufen soll: »Ei du dummes Pachters-Ding! Seht doch, wie das schwänzelt und wedelt! Es denkt nicht daran, was es mit ihm wäre, wenn es keinen Geldsack und keinen Hofrat hätte!« Denn letzteres nämlich müßt' ich etwa vorher geworden sein.

Aber ich sehnte mich in der kalten Einsamkeit meines Zimmers und im Feuer meiner Erinnerungen unbeschreiblich nach dem Bergelchen – ich und mein Herz waren müde vom fremden treibenden Tage – niemand um mich her sagte mir ein gutes Wort, das er nicht in die Wirts-Rechnung zu bringen verhoffte. – Freunde, ich schmachtete nach der Freundin, deren Herz gern das Blut zum Balsam für ein zweites vergießt – ich verfluchte meine überklugen Maßregeln, daß ich nicht, um die Gute sogleich mit mir zu nehmen, lieber das dumme Hauswesen allen Spitzbuben und Feuerschäden preisgegeben – Im Auf- und Abgehen ward es mir immer leichter, alles zu werden, jeder Kammerrat, Akzisrat, anderer Rat, und was sie nur befahl, wenn sie ankäme.

»Mach dir nur einen guten Tag in der Stadt!« sagte Bergelchen diese ganze Woche hindurch. Aber wie ist einer ohne sie zu machen? Unsere Trauertränen trocknen auch Freunde ab und begleiten sie mit eignen; aber unsere Freudentränen finden wir am leichtesten in den Augen unserer Frauen wieder. – Verzeiht, Freunde, diese Libationen meiner Rührung – ich zeig' euch nur mein Herz und meine Berga – Bedarf ich eines Ablaß-Krämers, so nehmt den Pontaks-Krämer dazu.


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