Jean Paul
Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz
Jean Paul

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Ich hatte mich auch – glaub' ich – nicht viel versehen; denn bald darauf fing er an, der Gesellschaft, worin ein Zwerg und ein Mädchen war, ganz kalt zu berichten, er habe schon zehn Leiber mit dem Dolch nicht ohne Lust durchstoßen – habe gemächlich ein Dutzend Menschen-Arme abgehauen, vier Köpfe langsam gespalten, zwei Herzen ausgerissen und mehr dergleichen – und keiner davon, sonst Leute von Mut, hab' ihm im geringsten widerstanden – »Aber warum?« setzt' er giftig hinzu und nahm den Hut vom häßlichen Glatzkopf, »- ich bin unverwundbar – Wer von der Gesellschaft will, lege auf meiner Glatze so viel Feuer an, als er will, ich lass' es ausbrennen.«

Mein Schwager, der Dragoner, setzte sogleich einen brennenden Tabaksschwamm auf den Schädel, aber der Jäger stand es so ruhig aus, als wär' es ein kalter Brand, und er und der Dragoner sahen einander wartend an, und jeder lächelte sehr närrisch – »es tue ihm bloß sanft«, sagt' er, »wie eine gute Frostsalbe, denn dies sei überhaupt die Winterseite an seinem Leibe.« Hier griff mein Schwager ein wenig auf dem nackten Schädel umher und rief verwundert: »er fühle sich so kalt an wie eine Kniescheibe.« Nun hob der Kerl auf einmal nach einigen Vorrüstungen zu unserem Entsetzen den Viertels-Schädel ab und hielt ihn uns hin, sagend: »er habe ihn einem Mörder abgesägt, als ihm zufällig der eigne eingeschlagen gewesen«; und erklärte nun, daß man das erzählte Durchstechen und Arm-Abhauen mehr als Scherz zu nehmen habe, indem ers lediglich getan als Famulus auf dem anatomischen Theater. – Inzwischen wollte der Scherztreiber doch keinem von uns sehr schmecken und zu Hals, so daß ich, als er den Kapselkopf, den Repräsentations-Schädel, wieder aufsetzte, schweigend dachte: diese Mistbeet-Glocke hat gewiß nur den Ort, nicht die Gift-Zwiebel verändert, die sie zudeckt.

Am Ende wurde mirs überhaupt verdächtig, daß er so wie sämtliche Gesellschaft (auch der blinde Passagier) gerade demselben Flätz zuschifften, wohin ich selber gedachte; besonderes Glück brauchte ich mir davon nicht zu versprechen; und mir wäre in der Tat das Umkehren so lieb gewesen als das Fortfahren, hätt' ich nicht lieber der Zukunft getrotzt.

Ich komme endlich auch auf den rot gemantelten blinden Passagier, wahrscheinlich ein Emigré, oder ein Refugié (denn er spricht das Deutsche nicht schlechter als das Französische), entweder namens Jean Pierre oder Jean Paul ungefähr oder ganz namenlos. Sein roter Mantel wäre mir ungeachtet dieser Farbenverschmelzung mit dem Scharfrichter – der in vielen Gegenden trefflich Angstmann heißt – an sich herzlich gleichgültig geblieben, wäre nicht der besondere Umstand eingetreten, daß er mir schon fünfmal in fünf Städten (im großen Berlin, im kleinen Hof, Koburg, Meiningen und Baireuth) wider alle Wahrscheinlichkeit aufgestoßen, wobei er mich jedesmal bedeutend genug angesehen und dann seines Wegs gegangen. Ob er mir feindlich nachsetzt oder nicht, weiß ich nicht; nur ist auf alle Fälle der Phantasie kein Objekt erfreulich, das mit Observations-Corps oder aus Schießscharten vielleicht mit Flinten hält und zielt, die es jahrelang bewegt, ohne daß man weiß, in welchem es abdrückt. – Noch anstößiger wurde mir der Rotmantel dadurch, daß er auffallend seine weiche Seelenmilde pries; dies schien beinah auf Ausholen oder Sichermachen zu deuten. Ich erwiderte: »Mein Herr, ich komme eben, wie hier mein Schwager, vom Schlachtfeld her (die letzte Affäre war bei Pimpelstadt) und stimme vielleicht deshalb zu stark für Mark-Kraft, Brust-Sturm, Stoß-Glut, und es mag für manchen, der eine brausende Wasserhose, eigentlich Landhose von Herz hat, gut sein, wenn seine geistliche Lage (ich bin darin) ihn mehr mildert als wildert. Indes gehört jeder Milde ihr eisernes Schrankengitter. Fällt mich irgendein unbesonnener Hund bedeutend an, so tret' ich ihn freilich im ersten Zorn entzwei, und nachher hinter mir treibts mein guter Schwager vielleicht noch zweimal weiter, denn er ist der Mann dazu. Vielleicht ists Eigenheit, aber ich beklag's (gesteh' ich) noch heute, daß ich als Knabe einmal einem anderen Knaben drei erhaltene Ohrfeigen nicht derb zurückgereicht, und mir ist oft, als müßt' ich sie seinen Enkeln nachzahlen. Wahrlich, wenn ich auch nur einen Jungen vor den schwachen Kräften eines ähnlichen Jungen feig entlaufen sehe, so kann ich das Laufen nicht fassen und will ihn ordentlich durch einen Machtschlag erretten.« Der Passagier lächelte, indes nicht zum besten. Er gab sich zwar für einen Legations-Rat aus und schien Fuchs genug dazu zu sein, aber ein tollgewordener Fuchs beißt mich am Ende so wasserscheu als ein toller Wolf. Übrigens fuhr ich unbekümmert mit meinem Anpreisen des Mutes fort, nur daß ich absichtlich statt des lächerlichen Bramarbasierens, welches gerade den Feigen recht verrät, fest, still, klar sprach. »Ich bin«, sagt' ich, »bloß für Montaignes Rat: man trage nur Furcht vor der Furcht.«

»Ich würde« (versetzte der Legationsmann unnütz spitzfindig) »wieder fürchten, daß ich mich nicht genug vor der Furcht fürchtete, sondern zu feig bliebe.«

»Auch dieser Furcht«, erwidert' ich kalt, »steck' ich Grenzen. Ein Mann kann z. B. nicht im geringsten Gespenster glauben und fürchten; gleichwohl kann er nachts sich in Todesschweiß baden, und zwar bloß vor Angst, wie sehr er sich entsetzen würde (besonders mit welchen Nachwehen von Schlagflüssen, fallenden Suchten u. s. w.), falls nichts als bloß seine so lebhafte Phantasie irgendein Fieber- und Vexierbild vor ihn in die Lüfte hineinhinge.« – – »Man sollte daher«, fiel mein Schwager, wider Gewohnheit moralisierend, ein, »das so arme Schaf von Mann auch gar mit keinem Geister-Spuk foppen, der Hase kann ja auf der Stelle auf dem Platze bleiben.«

Ein lautes Gewitter, das dem Postwagen nachfuhr, veränderte den Diskurs. Ihr, Freunde, erratet wohl alle – da ihr mich nicht als einen Mann ohne alle Physik kennen lernen – meine Maßregeln gegen Gewitter: ich setze mich nämlich auf einen Sessel mitten in der Stube (oft bleib' ich bei bedenklichem Gewölk ganze Nächte auf ihm) und decke mich durch mein Reinigen von allen Leitern, Ringen, Schnallen etc. etc., und durch mein Absitzen von allen Blitzabsprüngen immer so, daß ich kaltblütig die Sphären-Musik der Donner-Pauke vernehme. – Diese Vorsicht hat mir nie geschadet, da ich ja dato noch lebe; und ich wünsche mir noch heute Glück, daß ich einmal aus der Stadtkirche, ob ich gleich tags vorher gebeichtet hatte, ohne weiteres und ohne vorher das Abendmahl zu nehmen, ins Gebeinhaus hinausgelaufen, weil ein schweres Gewitter (was wirklich in die Kirchhofs-Linde einschlug) darüberstand; – ich kam auch sogleich nach der Entladung der Wolke aus dem Gebeinhaus in die Kirche zurück und war so glücklich, noch hinter dem Henker (als dem letzten) zu kommen und das Liebesmahl zu genießen.

So denk' ich für meine Person; aber im vollen Postwagen traf ich Menschen, denen Physik wahre Narretei ist. Denn als die Gewitter sich fürchterlich über unserem Kutschenhimmel versammelten und prasselnde Feuerklumpen, als wärens Johanniswürmchen, im Himmel umherspielten; und als ich endlich ersuchen mußte, das schwitzende Post-Konklave möchte nur wenigstens Uhren, Ringe, Gelder und dergleichen zusammenwerfen, etwa in die Wagentaschen, damit kein Mensch einen Leiter am Leibe hätte: so tats nicht nur keiner, sondern mein eigner Schwager, der Dragoner, stieg gar mit gezognem nacktem Degen auf den Bock hinaus und schwur, er leite ab. Ich weiß nicht, war der desperate Mensch ein gescheuter oder keiner; kurz unsere Lage war fürchterlich, und jeder konnte ein gelieferter Mann sein. Zuletzt bekam ich gar einen halben Zank mit zweien von der rohen Menschenfracht der Kutsche, dem Vergifter und der Hure, weil sie fragend fast zu verstehen gaben, ich hätte vielleicht bei dem angepriesenen Pretiosen-Pickenick nicht die ehrlichsten Anschläge gehabt. So etwas verwundet die Ehre mit Gewalt, und in mir donnerte es nun stärker als oben; dennoch mußt' ich den ganzen nötigen Erbitterungs-Wortwechsel so leise und langsam als möglich führen und haderte sanft, damit nicht am Ende eine ganz in Harnisch gebrachte Kutsche in Hitze und Schweiß geriete und in unsere Mitte so den nahen Donnerkeil auf Ausdünstungen durch den Kutschenhimmel herabfahren ließe. Zuletzt setzt' ich der Gesellschaft das ganze elektrische Kapitel deutlich, aber leise und langsam – ich wollte nicht ausdampfen – auseinander; und suchte besonders von der Furcht abzuschrecken. Denn in der Tat vor Furcht konnte jeden der Schlag – ja ein doppelter, mit dem elektrischen ein apoplektischer – treffen, da aus Erxleben und Reimarus genug bewiesen ist, daß starkes Fürchten durch Dünsten den Strahl zulockt; ich stellte daher in ordentlicher Angst vor meiner und fremder Furcht den Passagieren vor, daß sie jetzt durchaus bei unserer schwülen Menge, bei dem die Blitze spießenden Degen auf dem Kutschbock und bei dem Überhang der Wetterwolke und selber bei so vielen Ausdünstungen anfangender Furcht, kurz bei so augenscheinlicher Gefahr nichts fürchten dürften, wollten sie nicht samt und sonders erschlagen sein. »O Gott!« rief ich, »nur Mut! Keine Furcht! Nicht einmal Furcht vor der Furcht! – Wollen wir denn, als zusammengetriebne Hasen hier seßhaft, von unserem Herrgott erschossen sein? – Fürchte sich meinetwegen jeder, wenn er aus der Kutsche heraus ist, nach Belieben an andern Orten, wo weniger zu befürchten ist, nur aber nicht hier!«

Ich kann nicht entscheiden – da unter Millionen kaum ein Mensch an der Gewitterwolke stirbt, aber vielleicht Millionen an Schnee- und Regenwolken und dünnen Nebeln –, ob meine Kutschen-Predigt Anspruch auf Menschen-Rettungs-Preise zu machen hatte, als wir sämtlich unbeschädigt einem Regenbogen entgegen in das Städtchen Vierstädten einfuhren, wo ein Posthalter in der einzigen Gasse wohnte, die der Ort hatte.


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