Jean Paul
Leben Fibels
Jean Paul

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25. und 26. Judas-Kapitel

Gelehrte Streitigkeiten – oder antikritische Sitzungen

Und da sind sie, zwei auf einmal! Die verdammte biographische Vergangenheit ist fort, und man fängt ordentlich zu leben an. Künftig kann nun nichts mehr kommen, was ich öfter zu erzählen hätte als einmal in dem dazu anberaumten Kapitel, und alles, was nur vorfällt, ist den guten Lesern noch nicht erzählt, sondern wahre Neuigkeit. Vorfallen aber muß noch viel in den künftigen Kapiteln, da ja Fibel, Mutter, Frau und alles noch lebt, was erst künftige Kapitel begraben.

Dadurch entkomm' ich unschuldiger Verfasser dieses Werkes dem Vorwurf, dem Jupiter, dem größten Planeten, zu gleichen, als biographisch rückgängiger Stern; man sieht, daß mein Ruhm darin besteht, dieser größten Welt unsers Systems darin zu ähnlichen, daß ich wie er nach der scheinbaren Rückläufigkeit den schönen Bogen des Fortgangs rein beschreibe.

Ohne die geistige und sauere Gärung gelehrter Streitigkeiten hätten wir schwerlich jene köstlichen Felsenkeller und Essigkammern voll März- und Oktober-Bier oder Oster- und Michaelismeßbücher, welche wir Bibliotheken nennen und aus welchen wir so schöpfen. Der Janustempel ist der Heidenvorhof zum Ehrentempel. Ich habe mehrmals den Ausdruck gelehrte Raufereien dadurch verfochten, daß ich gute schwarze polemische Dinte das echte eau épilatoire nannte, womit man in Paris jedes schönheitswidrige Haar ausbeizt und durch welches oft ein Kritiker einen ganzen Weisheitsbart abnimmt. Und ich möchte auch wissen, was denn sonst anders als dieses Bespritzen und Beflecken mit polemischer Dinte uns von jeher zu jenen Streitschriften und Antikritiken aufgemuntert hat, worin wir Feuer speien und eben wie Vesuvius durch Speien und Auswerfen uns immer höher aufmachen. – Schon bloß was ich allein durch schreibende Feinde an Bescheidenheit auf der einen, und an Selbstachtung und Gelehrsamkeit auf der andern Seite gewonnen, ist kaum zu berechnen. So manchem Rezensenten, der gleich den türkischen Schreibern mit dem Schreibzeug den Dolch trug, klopft' ich stark auf die Achsel und sagte: »Schreib und stich, Männlein, du stichst mich in Kupfer, und dein Dinten-Ätzwasser ist mein Salböl.«

Wie schön hätte daher neuerdings Arndt in seinen »Briefen an Freunde« durch die Frechheit seines Urteils über mich auf mich einfließen können, wenn er dem Mangel an Verstand und Wahrheit, woran das gute Urteil leidet, durch ein reiches Werk, worein ers gesteckt hätte, in etwas abgeholfen hätte. Aber er wollt' es nicht recht, sondern schrieb ein leeres Buch, worin freilich sein Urteil, und wär' es noch zehnmal frecher gewesen, für keine zwei Pfennige werte Besserung auf mich wirken konnte. Den Schaden hab' ich allein, weil dadurch meine Verstockung wächst. Sonst ist das Werk als eine generatio aequivoca der frühern Schlegelschen Dinten-Infusion gut genug und der Zeit angemessen, in welcher man höhern Orts Kraft ungern sieht. Es tat sich nämlich eine Gesellschaft schwächlicher Egoisten oder guter Maul-Riesen (nach Art der Maul-Christen) auf dem Druckpapier zusammen, welche die Tränen der Empfindsamkeit auszurotten suchte, und welche sagte, man solle mehr von Kraft reden. Es kann aber allen Ministern nicht oft genug bewiesen werden, daß diese scheinbar verdächtigen Kraft-Menschen ihren Namen so wie die Butterblumen führen, aus welchen niemals Butter wird (denn die Kühe fressen sie nicht), und die man nur der gelben Farbe wegen so tauft; es sind gute tatenreine Seelen, welche, so wie man nach Martial, Lipsius und BayleDictionnaire, Art. Virgile. sehr wohl unzüchtig schreiben kann, ohne im geringsten so zu leben, mit ähnlicher Unschuld die Kraft-Sprache ohne schädlichen Einfluß ins Leben reden, wie Briten die französische ohne französische Gesinnung. Freilich sieht sich zuletzt mancher für ein Donnerpferd an, der nur ein Donneresel ist. Auch der gute Arndt findet beinahe alles um sich her klein und gemein, wenn er es mit seinem großen Leben vergleicht; dieses besteht, seinem Buche zufolge, jetzt darin, daß er sich seiner Jugendzeiten erinnert, in welchen er sich großer Ritter- und Römer-Zeiten erinnerte, wenn er die halbe Nacht in den Rheingegenden und in Italien mit guten Freunden spazieren gegangen und getrunken. – –

Um zu Fibeln zurückzukommen, so gibt es sogar unter den Literaturzeitungen jetzt nur wenige, welche durch unschuldige Bosheit und Einfalt Schriftsteller zu guten Streitschriften spornten und es tut mir leid, daß ich dem Universität-Tetrarchat von literarischen ökumenischen Konzilien, Heidelberg, Halle, Jena, Leipzig, jenes Lob nicht geben kann (höchstens ist ihre Dinte zuweilen offizineller Vier-Räuber-Essig); aber von der fünften Literaturzeitung (ein schönes fünftes Rad, das erträglich rädert), von der Ober–Deutschen, behaupten sogar Feinde, daß sie mit ihren Wassern jene erhabne Pisse-Vache für die unten stehenden Köpfe Nieder–Deutschlands sei und, recht als Tropfbad unterwegs verstäubend, so wenig auffalle.

– Es ist Zeit, endlich der Pelzischen Antikritik-Sitzung beizuwohnen. Der Schulmeister Flegler war im Wirtshaus die gelehrte kritische Anstalt jeden Sonntag nach der Abendkirche und nach der Sitzungszeit. Er durfte freilich ein langes Gesicht dabei machen, daß er, so lange berühmter Schullehrer mit dem Wappenschild des Abchahns, der einen Prügel hält, und der selber Fibeln unterrichtet und geprügelt hatte, nun von seinem jungen Jünger sich Schulbücher mußte in die Hand geben lassen; sein Hahnengeschrei im Wirtshause sollte den verleugnenden Petrus wenigstens ins Bereuen hineinkrähen. Da Pelz mit dessen Rügen und Hahnenkämpfen mehr als eine Sitzung bestreiten konnte: so trank er gerne nach dem Gottesdienst im Wirtshause sein Glas und holte vermittelst des Widersprechungs-Geistes gleichsam wie mit einem Stechheber aus dem Schulmanne alles Sauere gegen Fibel heraus, was er in der nächsten Sitzung aufzutischen und abzusüßen hatte.

Ich glaube nicht, daß ich dem Schulmeister Abbruch tue, wenn ich seine gelehrten Angriffe Fibels in die gefällige Form einer Rezension, mit Auslassung seiner Sprache, zusammenziehe und nur so viele pöbelhafte Ausdrücke aufnehme, als sich mit einer gesitteten Rezension vertragen.
 

Oberdeutsche Literaturzeitung
No. 0000001
Pädagogik

A A a b c d e f g h u. s. w. (von Herrn Gotthelf Fibel) ohne Druckort. (In Heiligengut bei dem Verfasser.) (Einen Oktavbogen stark.)

Es war uns vor Ekel unmöglich, den abscheulich-langen Titel abzuschreiben. Der Verfasser dieses sein sollenden Schulbuchs (es scheint ein junger Mensch zu sein) gehe doch ja vorher in eine Schule, aber nicht als Lehrer, sondern als Schüler, damit er wenigstens Rechtschreibung lerne. Peil statt Beil, Trache statt Drache (das wir von draco ableiten), Yüdenkirschen statt Judenkirschen, Appfel statt Apfel sind wahrlich, zumal in einem Schulbuche, Schnitzer gegen den Priscian-Adelung, die wir wenigstens in unserem Hör- und Lehrsaale nicht einmal Abcschützen verzeihen würden, die noch nicht schreiben könnten. Der Schulbakel gehört weniger in als auf die Hand des Herrn Verfassers. Das Machwerk selber (bei dem wir uns nicht aufhalten) ist aus den allerbekanntesten abgedroschensten Sachen zusammengeflickt, aus dem Abc und den Diphthongen (wobei der Verfasser sich ewig oben auf der Zeile jedes Blattes wiederholtSiehe Anhang. ) – aus den bekannten Syllaben – aus dem Vaterunser, das der Plagiarius aus der Bibel wörtlich abgeschrieben, so wie die 10 Gebote, sogar das 7te – aus dem christlichen Glauben, der schon zu Luthers Zeiten im Katechismus gestanden.

Jetzt kommt aber der originelle Teil des Buchs, der uns eine Gemälde-Ausstellung mit einer (scilicet!) poetischen versio interlinearis auftischt. Wir wollen nun ein wenig beleuchten, was Herr Fibel im Fache der Kunst geleistet. Was erstlich das Kolorit, so wie auch die Farbengebung anlangt, so gestehen wir gerne, daß uns das schlechteste Stück von Vecelli Titian (aus Friaul, gestorben 1576) tausendmal besser mundet als das beste in Herrn Fibels Galerie; denn unser große Kolorist fertigt alles mit 3 Farben ab, mit Gelb, Grün und Rot. In dieser dreifarbigen Kokarde ist besonders Rot seine Leibfarbe, es sei nun seine Schminke oder seine sonst nicht unnötige Schamröte, wiewohl auch Zorn und Trunk rot machen. Genug unser Rotgießer und Rotgerber treibt uns einen roten Bären, roten Wolf und eine rote Katze vor; auch anderem Vieh, dem Kamel, Esel, Lamm u. s. w., legt er hinten und vorn immer etwas Rot auf. Ob nun aber durch diese türkische Garnfärberei die Jugend wahre Begriffe von dem Kolorite auch nur des gemeinsten Viehs einsauge, entscheide der Leser.

Was die Zeichnung anlangt, so schiebt dieser kleine Guckkasten zwanzig Tierstücke und nur fünf Menschenstücke vor. Doch das sei; der Kunstkenner hält sich nicht an Stoff, sondern an Form, und ein guter Ochs ist Rezensenten lieber als ein schlechter Evangelist Lukas, darneben er steht. Aber leider müssen wir, wenn wir nicht ganz unsere niederländische Schule und niederländische Reise vergessen wollen, in diesem gemalten Viehstalle die Fragen aufwerfen: wo ist hier ein David Tenier (Vater und Sohn, jener 1649 gestorben, dieser 1674) – ein Potter – ein Stubb – ein Jacob Ruysdal (aus Haarlem, gestorben 1681) – ? Freilich ein Lamm ist da, aber man vergleich' es mit dem Nicolaus Berghem (aus Amsterdam, gestorben 1683); freilich ein Gaul ist da, aber man vergleich' ihn mit einem Philipp Wouvermann (aus Haarlem, gestorben 1668)! Und so könnten wir die ganze herrliche Maler-Reihe durchgehen, aber immer vergeblich fragen: ist der und der da? – Wollte der junge Mann in der Blumenmalerei etwan einen Huysum erreichen oder gar übertreffen (wie es bei den blumistischen Zeilen scheint: »Das Cränzlein ziert den Hochzeitgast; Vom Rettig man den Koth schabt ab; Nach Yüdenkirschen mich gelüst«). so soll uns jeder für einen Verleumder und Verkenner echter Malerei erklären, wenn wir je sagen, daß dieses herbarium vivo-mortuum nur von weitem an eines unsterblichen Huysums herbarium perenne reiche.

Noch sind, wie gesagt, 5 Menschenstücke darin. 1) Ein Mönch, gegen welchen ein Messer gerichtet ist; soll das bedeuten, daß Mönche Könige erstachen, oder daß Mönche zu erstechen? 2) Eine Nonne; wer aber die Nonne della sedia von Urbino Raffael gesehen (gestorben 1520), der entscheide zwischen beiden Bildern. – Das dritte Menschenstück ist ein Jude, ja Judas mit Beutel, worunter die versio interlinearis steht: Der Jüde (Jude) schindet arme Leut. An sich mag der Jude mit dem Hute, und mit der Rechten am Magen, mit der Linken im Beutel, ganz gut und vielleicht das Beste in der ganzen Galerie sein; aber ob gegen die Zeichnung, Stellung und die versio: »er schinde« nicht die ganze Judenschaft eine Injurienklage anstellen, ob nicht jetzt, wo die Christen immer jüdischer werden, gerade eine Annäherung und Gemeinschaft von Tempel und Kirche, gleichsam der Einband des alten Testaments ins neue, mehr dadurch gehindert als befödert werde, muß laut gefraget werden. Auch in den Jüdenkirschen kommt wider unser Vermuten später der Jude wieder vor, und der Verfasser gelüstet nach ihnen; was soll man davon denken? Der Verfasser ist gewiß zu rechtschaffen, um sich an Juden (zumal da er auf keiner Universität war und da borgen mußte) durch Aufhetzung der Jugend zu rächen. Es ist aus dem Buche nicht anzunehmen, daß er sonst andere widrige Familienverhältnisse mit JudenDer Rezensent spielt vielleicht auf des Judas Verschlucken des Edelsteins und dessen Wechselgeschäft mit dem Fibelschen Hause an; aber Fibels gutmütige Seele war keines rachsüchtigen Einfalls auf ein Einzelwesen fähig und zwickte aus Weichheit so wenig als ein Krebs mit seinen weichen Scheren in der Mauße. gehabt; um so mehr fällt der Ausfall auf.

Das vierte Menschenstück ist ein Vogelsteller. Wir sagen nichts darüber – ein Sohn kann seinem Vater doch nicht so viel Unsterblichkeit zurückgeben, als er von ihm vorher erhalten, indem er vom Vater für die ganze Ewigkeit gezeugt worden.

Das fünfte Menschenstück ist die Xantippe. Ihr Zurückflughaar und Vorwärtsschritt wird keinen Kenner, der nur einmal des Peter, sogenannten Höllen-Breughels (gestorben 1642) Furienbilder zu sehen bekommen, täuschen und bestechen, daß er diese Xantippe so wie auch den Trachen (im Buchstaben T des Abc) für etwas Gelungnes und Wahrhaftes hielte.

Schlüßlich bedauert Rezensent jeden Leser so wie sich, der sich durch dieses Machwerk durcharbeiten mußte. Aber wie soll man erst einen armen Schulmann genug beklagen, welcher gar ein solches unhaltbares Flocken-Gewebe zum Leitfaden im Labyrinthe des Schulgebäudes täglich in die Hand zu nehmen und daran Kinder zu führen hat? O Dii immortales!

R. F.


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