Jean Paul
Leben Fibels
Jean Paul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

21. Judas-Kapitel

Die großen Geschäfte

Wer einige Monate nach dem vorigen Kapitel sich auf die Zehen gestellt und durch die Fenster in die drei bewilligten abc-darischen Arbeits-Zimmer des Schlosses hineingesehen hätte: würde vier Menschen in voller Arbeit gefunden haben, Fibel mit dem Farbenpinsel in der Hand, Pelz mit der Feder zum Verschreiben des Druck-Papiers, Pompier mit der Buchbinderpresse und voll Buchbindergolde – und einen vierten, uns noch gar nicht vorgestellten mit der Druckerpresse, namens Fuhrmann.

Letztern, einen halb verhungerten und viertels verdursteten Buchdrucker, schlug Pelz, da jetzt die Sache ins Große ging und ganze Länder und Zeiten aus der Raufe oder dem Futtergerüste des Letternkastens zu ernähren waren, zum Haupt-Uhrgewichte des Preßbengels vor. Der bestellte Fuhrmann lief aus der Stadt richtig ein und brachte an seinem Kopfe ein getreues arbeitsames Gesicht mit, worauf geschrieben stand, daß sein Lebensbuch bisher ein langer Geschäftsbrief, oder sein Leben ein verlängerter Werktag gewesen; ein guter Schlag Menschen, dem sogar der müßige Sonntag, besonders drei Festtage hintereinander nicht gelegen kamen. Die erste Sache, wornach er fragte, waren die Drucksachen, und er wünschte, »der Herr Buchdruckerherr (Fibel) ließ' ihn noch nachmittags über die Presse«. –

Anfangs des Kirchenjahrs, wo die Dorfkinder nicht mehr auf die Weide, sondern in die Schule gehen, um, statt zu weiden, geweidet zu werden, sollte nach ausdrücklichem markgräflichen Befehl die nötige Anzahl neuester Abc-Bücher ausgefertigt daliegen, um in alle Landes-Schulmeistereien eingewiesen zu werden.

Aber sie waren alle schon drei Sonntage früher fertig, so daß später die Exemplare bedeutend überschossen zum Vorteil für alle ausländische Eltern, welche zu Weihnachten den Kindern Christkindchen-Geschenke damit zu machen verlangten. Die unparteiische Geschichte setzt nun hierin auf Fuhrmann den Kranz, denn sein Nacharbeiten war so außerordentlich, daß ihn kein Vorarbeiter einholte; er trieb den Korrespondenzer (so nannte er Pelzen) und jeden zum Zuliefern an und fiel fast in Grobfraktur gegen Fibeln aus, wenn dieser mehr fremden als eignen Vorteil beherzigte und Sachen und Leuten den Lauf ließ.

Diese drei Mitarbeiter oder die drei Leiber des Riesen Geryon (Fibel stellte die Seele im Riesen vor) arbeiteten in den drei Schloßzimmern, gleichsam auf einer Insel St. Trinidad – daher auch das untere beseelte Stockwerk im Dorfe allmählich die Fibelei hieß, wozu noch Fibelei-Leute, der Fibelei-Hund etc. etc. kamen. Verfasser erinnert sich noch gut, in Jena gehört zu haben, daß man das große Schützische Haus, aus welchem die Literaturzeitung kam, die Literatur genannt und so nach dieser Analogie Literatur-Mägde, Literatur-Knechte, Literatur-Hunde, Literatur-Stall u. s. w. gebildet; unschuldige Ausdrücke an sich, welche man aber von der oberdeutschen Literaturzeitung nicht ohne die Gefahr gebrauchen dürfte, figürlich verstanden zu werden.

Kaum waren viele hunderte Pracht-Abc's im Lande eingeführt, sogar im Geburts-Dorfe selber die nötigen: als die angesehensten Buchbinder in großen baireuthischen, vogtländischen, sächsischen Städten, z. B. in Baireuth, Münchberg, Hof, Planen, Schleiz, bedeutende Bestellungen machten, so daß man gar nicht schnell genug abdrucken konnte, wenn gar der Drucker Fuhrmann mit einem voll befrachteten Schiebkarren aufbrechen und die Werke in die Korrespondenz-Städte schieben sollte. Der Name Buchführer kommt (nach Nicolai) davon her, daß damals und noch später (in Baiern) solche geistige Küchenwagen oder Küchenkarren (der Buchführer oder Buchschieber war seine eigne Hinterspann) wie einräderige Thespis-Wägen voll Kunst im Reiche umliefen und abluden. Auch Armeen wurde oft diese fahrende Habe der Gelehrsamkeit nachgeschoben.

Der Buchführer brachte auf seinem leeren Munitionskarren unermeßliche Schätze zurück, ein halbes Peru, das nicht in die Kreuzer, sondern in die Batzen lief; dies machte zu viel Eindruck aufs ganze Haus, ja auf das Ferney unsers kleinen Voltaire, welcher jetzt weit und breit darin bekannt und gesucht wurde; und der Pfarrer ließ ihn grüßen.

Aber ihm waren die Blätter am aufschießenden Lorbeerbaum zu pflücken lieber als die Früchte am Brotbaum. Einer lebenslänglichen Armut so vergnügt zugewohnt und immer aus dem engen Spalte seiner Selbst-Armenbüchse so langsam-dürftig herausschüttelnd als hineinsteckend, konnt' er gar nicht begreifen, wenn er jetzt von dünnen Lichtern zu dickern aufspringen sollte – von Bindfäden zu Strumpfbändern – oder von hölzernen Löffeln zu blechernen – von einem Korb Lese- zu einer halben Klafter Fuhr-Holz. Es betäubte ihn anfangs die Flut. Aber da seine Mutter als ein Extraweib am Dresdner Hofe gern den alten Glanz ihres vorigen Hofes erneuerte; und da Drotta als Haushälterin lieber im großen als kleinen, z. B. den Kaffee lieber zu einem ganzen Pfunde als zu Loten einkaufte; und vorzüglich da an seinem ganzen Menschen kein Saugäderchen eines Schluck- und Geizhalses oder kein Stäubchen eines Geld- und Aschenziehers war, was ich, um den Perioden leichter zu ründen, noch stärker in der NoteEr lebte nämlich von jeher auf geradewohl in den Tag, nämlich in das Abcbuch hinein. Es ist eine Sentenz, wenn ich schreibe: Die meisten Menschen wollen im Sommer ihres Lebens vorsorgend recht viele Eiskeller und Eisgruben füllen für den – Winter desselben; aber das Alter oder Grab ist selber eine Eisgrube. Und im Alter schlagen vielleicht Erinnerungen reichgenoßner Freuden dem ruhigern Busen besser zu als das Dasein jetziger. Denn der Alte lebt rückwärts, wie der Jüngling voraus, und das Stelldichein beider ist immer in einer Welt außer der Gegenwart. beweise; und da er überhaupt die lebendige Gefälligkeit selber war: so trank er leicht bei so viel Glanz und Auffoderung Bier statt Kofents, aß wöchentlich mehr als einmal Fleisch und machte fast ein halb so großes Haus als der Pfarrer. Drang denn nicht der Ruhm seines Reichtums sogar zum Christ-Juden Judas, aus dessen Judäa von Kapiteln ich selber dieses einundzwanzigste ziehe? Und holte dieser Neu-Christ nicht selber den Kaufpreis der bekannten vorgeschoßnen Plüschhosen ohne Zinsen, den er bloß nach dem jetzigen Vermögen bestimmte?

Aber was ihm noch mehr den Zunamen des Glücklichen, den Sulla führte, gewährte, war der Ruhm, den er aber nicht wie Sulla durch Abhauen, sondern Aufhellen der Köpfe gewann. Geehrt vom Landesfürsten und dessen Ländern – von vorbeigehenden Abcschützen, deren jeder eine wandelnde Ehrensäule oder ein vorgetragnes römisches Ahnenbild seiner Nachahnen war – vom verworren-gemachten Wildmeister, welcher doch sonst, wie er sagte, wisse, wo der Hase liegt – vom Franzosen, welcher seit der großen Cour beim Fürsten sich kaum zu den Nägeln des Fibelschen Stiefel-Absatzes zu erheben getrauete und von allen. Pelz setzte gar wie in einer Glashütte seine Pfeife an und ließ aus ihr den flüssigen durchsichtigen Fibel, in der Form eines großen Mannes oder Kolossus geblasen, abfliegen. Wenn er damit Hofleuten glich, welche Fürsten, wie Köchinnen Tauben, aufblasen, um wie diese besser zu rupfen: so unterschied er sich zu seinem Vorteil von den Leichenpredigern mancher verstorbnen Fürsten, welche gleich Ägyptern tote Krokodile einbalsamieren, so daß man die Vormittagsstunde pünktlich weiß, wo im ganzen Lande die größten und ähnlichsten Lügen gesagt werden, z. B. die sonst noch gewöhnlichere theologische, daß die Untertanen den Tod des Fürsten durch ihre Sünden verschuldet hätten, da sie durch diese vielleicht öfters das Leben desselben verdienet hatten. Kurz Pelz blies Helfen möglichst auf, und im ganzen gut genug; nur äußerlich wollte dieser nicht gebläht genug aussehen: sein obwohl längst erwarteter Ruhm machte weniger seine stolze Kälte als seine bescheidne Wärme gegen alle größer, die um ihn waren – es war ihm, als wären alle die Seinigen mit ihm zugleich gestiegen, und als müsse er dem halben Dorfe danken, da er ja in dem ganzen bisher geboren und erzogen worden. Er war der Sanfteste und Bescheidenste gegen die von ihm beglückte Klein- und Großwelt umher, der Versenkte ins Geschäft, der feurigere Liebhaber seiner Mutter und seiner Frau.

Doch innerlich ging es mit dem Blähen erträglicher; er sah tagtäglich ein, wen er vor sich habe, sich nämlich, und wie sehr er von Kindheit an recht gehabt, sich für einen großen Mann, den er künftig mit Händen würde greifen können, so wie für einen langen zu halten, und wie beides schön zugetroffen. Himmel, wie viel Entschuldigung hat ein Mensch, der auf einmal sehr viel wird! Unvermerkt und dann erstaunt sieht sich der Mensch so ins Große hineingezogen als die Dörfer um London ins London, und er weiß nicht zu unterscheiden, sondern hält sich statt eines vorigen Dorfs für eine geborne Gasse in der Hauptstadt.

Je länger aber Fibel überlegte, daß sein Ruhm fast größer sei als sein Büchelchen, das nur ein Bändchen stark war, und je mehr er sich mit andern Gelehrten verglich, welche einen ähnlichen großen Ruhm kaum durch ein Dutzend schweinlederne Folianten mit Register errangen: um so mehr hielt er es für Pflicht, noch etwas Übriges zu leisten. Er erstand nämlich in Versteigerungen Bücher jedes Bands und Fachs und Idioms, welche auf den Titelblättern ohne Namen der Verfasser waren; in diese Blätter druckte er nun seinen Namen so geschickt hinein, daß das Werk gut für eines von ihm selber zu nehmen war; und jetzt erst fällt helles Licht rückwärts auf meine Vorrede und auf mein Erstaunen, als ich aus der Bücher-Versteigerung des Christen-Judas die schon darin gedachten Werke erstand, z. B.

Fibels Ruhe des jetztlebenden Europa, dargestellt in Sammlung der neuesten Friedensschlüsse von dem Utrechtschen bis auf 1726, Coburg 1726 – oder

Histoire du Diable par Fibel, Amst. 1729 – Und so weiter; denn ich habe noch viele nicht angeführt, z. B.

Villa Borghese di Fibel, 8. in Roma 1700, oder das seltne Werk Tale of a Tub from Fibel, Lond. 1700, oder Pensées libres sur la Religion de Fibel, à la Haye 1723 – und noch andere Fündlinge von höchst gottlosem und unzüchtigem Inhalt, die er unwissend an Kindes Statt annahm. Die schwersten Werke war er imstande herauszugeben, sobald er sich bei Pelzen erkundigt hatte, in welcher Sprache sie geschrieben waren, damit er das Einzudruckende »von Fibel« der Sprache angemessen ausdrückte, entweder durch di oder durch autore oder durch de oder from etc. Aber mit der menschlichen Schwachheit werd' es zugedeckt, daß er einmal vom Reize, einen Folianten geschrieben zu haben, sich so weit verlocken ließ, daß er seinen Namen als Verfasser auf ein Werk setzte, das einige Jahrzehende vor seiner eigenen Geburt geboren worden, unter dem Titel: »Acta in Sachen zwischen dem teutschen Orden, dann Bürgermeistern und Rath der Reichs-Stadt Nümberg, das Exercitium religionis zu St. Elisabeth und Jacob betreffend, von Gotthelf Fibel, Nürnberg 1631.« –

Übrigens sagen alle Unparteiischen, daß fast wir alle es nicht so machen wie Fibel, sondern viel schlimmer, weil wir nicht, wie er, nur auf anonyme Gedanken eines Einzelnen, sondern auf die unzähligen vieler Tausende, ganzer Zeitalter und Bibliotheken unsern Namen unter dem Titel »unsere gelehrte Bildung« setzen und sogar bald dem, bald den Plagiarius selber stehlen.

Indes einen lebendigen Feind hatte der milde Mensch in ganz Heiligengut. Lebendiger Feind? Welch ein Wort voll glühender Widerhaken für ein stilles Herz! Nicht aus Haß, nicht aus Schwäche, aber aus Gewohnheit der Liebe wird eine warme Seele schon durch die Vorstellung, noch mehr durch die Gegenwart eines Hassers durchdringend verwundet.

Es hieß dieser Fibels-Feind Flegler, der bekannte Schulmeister, der einige Tage nach dem Dekretalbriefe des Konsistoriums, welcher Fibels Abc einzuführen anbefohlen, keine Suppe recht mehr verdauen konnte, und den Dekretalbrief noch weniger.

Es läßt sich schon ohne das 21te Judas-Kapitel denken, daß ein so lange in der Schulstube ansässiger Schulmann ebensogut einen Diamant zerkäuen könne, als die Nuß aufreißen, daß ihm ein Voglers-Junge Gesetze vorschrieb und den gemalten Fibelhahn, der einen Stock in der Kralle auf dem letzten Blatte des alten Abcbuch hält, daraus verjagte. Allen Papieren zufolge wurd' er darüber gelb und legte also an seinem Leibe die Farbe an, welche sonst andere Bankbrüchige (Banqueroutiers) tragen mußten. Er wollte durchaus sein Abc mit dem Hahne behalten, welcher daher als Kampfhahn gegen Fibel oder als Petrushahn noch diese Stunde den Namen Fibelhahn trägt. Zehn Frei- und Pracht-Exemplare wurden von ihm dem schenkenden Verfasser sehr verächtlich zurückgeschickt. Im Kruge macht' er sich öffentlich lustig über das Werk und sagte, der Mensch schreibe nicht einmal orthographisch, sondern Trache, Ygel und Yüdenkirschen; dabei schwank' er so sehr in seiner Rechtschreibung, z. B. zwischen Juden und Yüden. Ja Flegler, nur ein malerischer Laie, griff sogar die Fibelische Bilder-Ausstellung an und fand manches verzeichnet, z. B. den Schwanz des Ochsen zu lang, den des Esels zu dünn; und fragt' er die Bauern nicht, ob jemand wohl je einen grünen Dachs, eine rote Katze anderswo habe stehen sehen als im Abcbuch? Sogar – und dies ist so betrübt – auf den Lehrstuhl seiner Abc-Jugend setzte er diesen harten Richterstuhl und tat Fibeln bei der Schulbank wirklichen Abbruch. Kurz, wie Attila eine Völker-Knute, so war Flegler ein Fibelio-Mastix.

Ich weiß schon so gewiß voraus, als ichs hersetze, daß irgendein trüber Jeremias hier sagt: »So ists denn stets das Schicksal aller großen Autoren und großen Anfänger, daß sie bei dem Eintritt in den Unsterblichkeits-Tempel die Zeremonie sich müssen gefallen lassen, welche alle Hottentotten beim Eintritt in die Volljährigkeit, in die Ehe, in ein Ehrenamt erfahren, daß sie nämlich nach hottentottischer Sitte ein Priester – anpißt?« –

Jawohl, versetz' ich freudig, ists unser sämtlicher Fall; aber werden denn die trefflichen Folgen der Sache von einem von uns durch eine literarische rota romana geräderten Riesen berechnet? Oder sind es denn eben nicht jene ungerechten Kritiken, welche uns alle der Bescheidenheit wieder zuführen, um welche wir so leicht durch gerechte kommen? Ist nicht das Schandtäfelchen einer recht Dummen-Teufels-Rezension gerade das Brettchen, welches ein Turmdecker scharf in der Hand und vor das Auge hält, um, darauf hinstarrend, nicht in seiner Höhe zu schwindeln, wegen der zu großen Tiefe der Hunderte unter ihm? – Himmel! wie oft hat selber der Verfasser dieses seinen Dank groben und einfältigen Kunstrichtern auszudrücken gewünscht, welche ihm so viel von seinem gerechten Selbstbewußtsein wegschnitten, daß er bescheiden genug wurde! – Es halte sich doch jeder wahrhaft große Autor für ein Rom (Fibel ist eines), das durchaus eines Karthago bedarf (Flegler ists), damit dasselbe (wie die Scipionen so richtig weissagten) immer an einem Feinde seine außerordentliche Größe übe und erhalte; und jeder Tropf nehme sich für ein Karthago eines Roms.


 << zurück weiter >>