Jean Paul
Leben Fibels
Jean Paul

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4. Leibchen-Muster

Weihnachten

Gotthelf sollte einmal die schönsten Weihnachten der Erde erleben. Es war so:

Engeltrut kam in gesegnete Umstände, Siegwart dadurch fast in verfluchte; sie war voll Gelüste und Verabscheuungen, und die 600 Krankheiten, die nach Hippokrates die Gebärmutter erzeugt, färbten mit ihren 600 Schatten sein Leben etwas grau. Zu allererst hatte sie einen noch größern Abscheu vor dem Manne als sonst vor Wein und Sauerkraut – weil beide häufig mit fremden Füßen gestampft werden. Dann war ihr jeder Vogel horribel, den er besaß, seine Turteltauben ihre Basilisken; das Dorf war ihr eine schmutzige Untersetzschale für Vogelhäuser und eine überall offne Pandorasbüchse – sogar Gott selber sank bei ihr zuletzt – bloß Gotthelf nicht. Sie weinte einmal drei Tage lange und war, da sie keine Ursache dazu wußte, nicht zu trösten, bis glücklicherweise ihr Helf, da er auf einer Gartenmauer ritt, sich durch einen Sturz einige Glieder verstauchte; dies gab ihr wieder Leben.

Freilich hätte sie eine schwangere Nabobin oder Fürstin sein sollen: welche ganz andere Wünsche hätte sie tun können als bloß solche, einen Lerchen-Hals zu braten, eine Henne zu kochen bloß zum Essen von Eiern ohne Eiweiß und Schale und sich wie Dorfbier durch Kreide zu entsäuern! Hätte sie nicht als Fürstin verlangen können, z. B. daß man ihr eine Zaunkönigs- und Elefanten-Mark-Suppe auftrage – oder daß sie die zarten Hirschkolben auf der Geburtsstelle selber, auf dem Hirschkopfe gereift, d. h. gebraten bekäme? – Hätte sie nicht ein Kanapee aus Barthaaren für ihre Kammerfrauen begehren können, ein Stadt-Tor als Rahmen für ihr Groß-Bild, Streuzucker statt der Streublumen für ihre Einzugs-Straße und noch stärkere Gaben, z. B. Windeln aus bloßen Palliums, Wickelbänder aus zerschnittenen Schäferkleidern, eine Toiletten-Schachtel aus Paris mit 6 Pferden zugerollt, für das Wickelkind einen Christbaum aus zerspaltenen Hoheitspfählen gezimmert und geästet und ein Christgeschenk aus Thron-Insignien? Könnte man solche Phantasien zu erschöpfen glauben: so ließen sich noch mehrere Foderungen einer gedachten Landes-Mutter gedenken, z. B. daß sie schlechte Dekorations- und Deckenmaler lieber selber auf einer Kochenille-Mühle zu Farbenkörnern und Farbentropfen vermählen möchte – daß sie vornehme Gefangene mit (Zucker-) Wasser und (Zucker-) Brot traktierte – daß sie ein Kollegium ins andere gösse, das der Kammer in das der Justiz etc. etc., etwa wie Wasser in Schmelz-Kupfer oder wie Öl in Wasser oder wie Wasser in brennendes Öl.

Bei mehreren Völkern legen sich daher die Väter ins Kindbette, um sich von den bisherigen Mutter- oder Vaterbeschwerungen der Schwangerschaft zu erholen. Der alte Vogler heilte sich seine Töpferkolik – eine passende Metapher, da er der Töpfer des Fötus war – bloß durch sein gewöhnliches Verreisen – ließ aber der Geplagten ihren Liebling als maitre de plaisirs zurück.

Welche Weihnachten wurden im Häuschen gefeiert! Kaum war er aus dem Dorfe hinaus: so fing die mütterliche oder Oppositions-Erziehung an. Zuerst durfte Helf alle Vögel selber füttern; daher er der Heidelerche so viele Mehlwürmer vorwarf, daß sie am dritten Festtage verreckte. Darauf durfte er ihre Küchen-Soubrette sein und half für das Fest-Gebäcke viele Mandeln schneiden, die er verschluckte. Wie froh-murmelnde Frühlings-Wasser floß den ganzen heiligen Abend heiteres Geschwätz des Sohnes und der Mutter durch Stube und Stubenkammer. Sie brachte ihm Scharrfuß und Handkuß der vornehmen Herrschaften in Dresden bei und er scharrte und küßte unaufhörlich an der Mutter. Sie stand neben ihm ihre alten Kopfschmerzen aus, aber ohne sie zu bemerken.

Der Kleine war eine personifizierte triumphierende Kirche im kleinen, ein tanzender Sitz der Seligen, bloß weil er den ganzen Tag nicht das geringste zu fürchten hatte, nichts was ihn prügelte. Den wenigen mütterlichen Schlägen lief gewöhnlich eine lange Vorerinnerung und Kriegsbefestigung voraus und er ihnen unterdessen davon; hingegen der Vogler hatte die Gewohnheit, daß er als lange Windstille dastand und als Blau-Himmel; und daß daraus die Vaterfaust unversehens wie ein Wetterstrahl auf die Achselknochen fuhr.

An diesem heiligen Abende war Helf ein verklärter Junge, Engeltrut eine verklärte überirdische Schwangere! Welches Fortgenießen! Mittags wurde gar nicht gegessen vor Back-Lust. Schon um drei Uhr war – der Geschichte zufolge – alles Scheuern abgetan, und die Fest-Kuchen dampften ausgebacken durchs Haus. Helf konnte sich vor seinen eignen Leuchter hinsetzen und fünf neue willkürliche Alphabete erfinden, womit er vieles zur Probe aufsetzte, was niemand lesen konnte, auch er nicht ohne Einsehen ins Alphabet. Abends soupierte er selig, denn es schmeckte der Mutter; dieser aber schmeckte es, weil es ihm schmeckte. Eucharistische oder sakramentalische Streitigkeiten mit ihrem Manne fielen weg; denn sie brauchte weder das Mahl anzupreisen, wär' es versalzen und verkohlt gewesen, noch es herabzusetzen, wenn nichts daran gefehlt hätte.

Kinder lieben, wie Pariser, langes Aufbleiben; die Mutter erlaubte eines, und in diesen stillen Goldstunden schrieb er fast in allen seinen Alphabeten etwas Unbedeutendes – die Mutter genoß ihren sitzenden Vorschlummer aus, obwohl ein Gift des Nachtschlafs – aus der Pfarrei funkelte das goldne Feuerwerk des Christbaums herüber (der Bauerstand bescherte sich erst am Morgen) – jeder Stern schien licht und nah, und der hohe Himmel war an das Fenster herabgerückt – Gotthelf kratzte mit der Feder sehr leise, um die Mutter nicht zu wecken – endlich legte er, matt von gelehrten Arbeiten, selber den Kopf auf den Tisch. Dann erwachte und erweckte die Mutter – erinnerte an Christkindchen und Schlafengehen – und befahl ihm, in dieser heiligen Nacht mit ihr niederzuknien und Gott um alles zu bitten, besonders daß er einmal kein Vogler werde, sondern ein Rektor magnifikus wie ihr Großvater und sein Herr Pate. Er tats gern. Ebenso ersuchte Lavater Gott, ihm das Pensum zu korrigieren, und Lichtenberg desfalls, ihm seine gelehrten Fragen auf Zettelchen zu beantworten. Recht hat hierüber jeder Beter; vor dem Unendlichen ist eine Bitte um eine Welt und die um ein Stückchen Brot in nichts verschieden als in der Eitelkeit der Beter, und er zählt entweder Sonnen und Haare, oder beide nicht.

Nach dem Gebete ließ sie ihn in ihres Mannes Bette steigen, bloß um es am Morgen wieder zu betten; eine Freude, um die sie der alte selber bettende Siegwart täglich brachte, der ungern Weibern mehr verdankte als seine Geburt und Kinder. »Wie wird unser Vater jetzt liegen, Helfchen?« (sagte sie) »Und schließ ihn mit in dein Abendgebet ein«; worauf sie den Sohn einsegnete und seine Hände selber für die ganze Nacht faltete, gegen jedes Gespenst. – Engeltrut wünschte nie Siegwarts Gegenwart sehnlicher als in seiner Abwesenheit; so wenig tut der Liebe die Ferne auch in der Ehe Abbruch, und so sehr muß der Mann wie ein Brennspiegel erst in die Brennpunkts-Ferne von dem Gegenstande, den er schmelzen will, geschoben sein.

Am Morgen verschwand Helfen das übrige Christgeschenk vor zwei Stücken desselben, vor einem weiß-roten Büchelchen von Marzipan und einem lackierten Näh-Buch der Mutter – aus diesen an sich leeren Büchern – was sind aber die meisten Bücher anders als höhere Bücherfutterale – schöpfte er mehr geistige Nahrung als ich aus so vielen vollen.

Landweiber versäumen an ersten Feiertagen lieber die Kirche als die Küche; gleichwohl blieb er nicht bei seiner Mutter daheim, sondern verrichtete seinen vormittägigen Gottesdienst. Sie maß dies sehr seinem Geschmack an längern Predigten zu; der Studiosus Pelz aber fügt bei, er habe sich in der Kirche immer so gesetzt, daß, wenn der sogenannte Heiligenmeister mit dem Klingelbeutel-Stabe (dem waagrechten Opferstock, der Heller-Wünschelrute, dem Queue mit Billard-Beutel) ankam, er dem Manne, weil der Stab nicht so lang war als die ganze Kirchenbank, solchen abnehmen und damit bei sich und andern das einsäckeln konnte, was gegeben wurde. Diese kirchliche Untereinnehmers-Stelle, so wie die Predigt-Disposition und die Predigt-Teile, welche er der Mutter unter dem Essen überlieferte, rissen ihn in die Kirche hinein.

Aber auch nachmittags, ob man ihn gleich da nur gratis erbaute, kam er gern mit dem schwarzen Müffchen an den Händen neben seiner Mutter wieder und schauete beim Eintritte sehr familiär im ganzen Tempel herum, um zu zeigen, daß er früher dagewesen. Wenn er schon sonst aus dem umgekehrt gehaltenen Gesangbuche stark ins große Singen hineinsang: wieviel mehr jetzt, da er das Buch richtig hielt und notdürftig las! Noch auffallender war die Schnelligkeit, womit er, sobald nur oben am Chore auf die schwarze Tafel die weiße Seiten-Zahl des Sing-Lieds aufgesteckt war, der Mutter das Gesangbuch aufschlagen konnte mit dem verlangten Liede.

Wenn er dann nach Hause kam, und die goldne Stunde der Dörfer anfing, die nach der Abendkirche, so hatt' er die schönste im Dorfe, den Pfarrer selber nicht ausgenommen. Die Herings-Papiere sind dazu da, sie uns zu malen.


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