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V.

Ein Jahr war vergangen, und wieder reiften die Datteln. In der Strohhütte Ben Aïssas hockte Fatthûme auf einer weichen Matte. Eine leise Dämmerung wogte durch das Innere der Hütte, und nur ab und zu hüpften ein paar goldige Sonnenstrahlen durch das dichte Dach. Vor ihr dampfte auf einem kleinen Tischchen der Kaffee, und das weiße Schälchen, das neben dem ihren stand, bewies, daß Ben Aïssa erst vor kurzer Zeit aufgebrochen war, um seine kleine Schafheerde auf die Weide zu führen.

Draußen war die Luft voll schwerer träger Sonne. Kein Windhauch strich durch die Lüfte und griff in die Wipfel der schlanken, kerzengeraden Oliven; das helle Grün der Granatbäume schien von der Hitze noch heller geworden zu sein, daß es fast grau schimmerte, und das tiefdunkle Laub der Karuba hing regungslos im schweren und schwülen Dunst des Sommers. In den Zweigen der Feigen- und Pfirsichbäume war es still, und nur selten klang der helle Schlag eines Finken oder eines Wiedehopfs durch den Frieden. Im Dorfe drüben selbst schien das Leben eingeschlafen zu sein. Selten zeigte sich ein Negersklave auf der Straße, der mit schweren Krügen beladen zum Brunnen ging; selten schlug ein Hund an, und das Echo, das er erweckte, war nur ein müdes Gebell, das bald erstarb.

Reglos lag Fatthûme da. Die Hände unter den Hinterkopf gelegt, starrte sie mit großen Augen in die Luft, und das stille Lächeln, das auf ihren Lippen ruhte, zeigte, daß ihr Geist glücklichen Gedanken nachging.

Und konnte sie nicht glücklich sein? Erst gestern, als eine Schaar junger Frauen und Mädchen an ihrem Zelte vorbei gegangen war, gerade als sie davor stand, hatte die Eine in Einem fort geschluchzt, weil sie ihr Mann tagaus tagein schlage; eine Andere wies mit zuckenden Lippen auf eine tiefe Wunde am Oberarm, und Niemand hatte Lust zu fragen, von wem sie herrührte, denn sie wußten Alle, daß nur ihr Herr und Gebieter der Thäter sein konnte. Und eine alte Frau hatte ruhig gelacht und gesagt: »Wie Allah es bestimmt; es war so und wird immer so sein. Wie Allah es bestimmt, so geschieht's!«

Wie glücklich war sie im Vergleich zu diesen armen Frauen! Nie hatte die Faust Ben Aïssas sie unsanft geschüttelt; sein Stirnrunzeln hatte ausgereicht, sie still und gefügig zu machen, wie die demüthige Frau eines echten Moslems es sein sollte. Wenn er Morgens aufbrach, um seine Schafheerde auf die Weide zu treiben, lehnte sie an dem Pfosten des Eingangs innerhalb der Thür, um ihm nachzuschauen und dann fromm zu beten: »Mir hat Allah einen guten und weisen Gebieter gegeben. Jedem Derwisch will ich darob die Füße küssen, und keiner soll von mir gehen unerquickt und unbelohnt!«

Und wenn die Sonne sich langsam hinten auf die Berge senkte, dann wartete sie vor dem Zelt, bis er heimkam, ohne Furcht zu haben, daß die andern Weiber sie auslachten ob ihrer verliebten Narrheit. Wohnte sie doch in der letzten Hütte des Dorfes, meist unbeobachtet von den neugierigen Augen der spähenden Frauen, die noch immer mit Fingern auf sie wiesen, weil sie der Scheikh verstoßen.

Welch ein stilles Glück, wenn er heimkam! Lachte er nicht immer? Und fragte er nicht immer gleich: »Hat Allah heute Deinen Tag gesegnet?« Und wenn sie lautlos in's Zelt huschte, um ihm dann glückselig in's Gesicht zu sehen, dann lachte er wieder, daß die weißen Zähne hervorguckten, und sie bekam dann nur mühsam die Frage heraus: »Willst Du Kußkussuh essen? Oder Mandeln? Oder Weizenkuchen?«

Wie anders war es früher gewesen! Den schmutzigsten Topf hatte ihr die alte Aïscha in die Hand gedrückt, daß sie ihn mit Sand wüsche; die zerrissenste Matte hatte sie ihr aufgedrängt, daß sie die großen Löcher geschickt zusammenflechte, indeß die Alte immer rief: »He, sput' Dich. Du kriechest ja fast!« Und wenn sie einen neuen Haïk wollte, mußte sie bei Aïscha betteln, die nach tagelangem Reden dem Scheikh drei Francs für das Kleidungsstück abpreßte. Nie hatte sie selbst gewagt, vor dem jähzornigen Manne einen Wunsch zu äußern, selbst nicht an den heißen, stillen Wüstenabenden, in denen er sich wie ein verliebter Sklave geberdete.

Wie anders war ihr zu Muthe, wenn sie Ben Aïssa gegenüberstand. Sie sehnte sich nicht nach einem blauseidenen Turban, und wenn eine junge Araberfrau hochfahrend vorüberging, daß die Armspangen aneinanderklirrten, lief sie nicht in's Zelt und flehte auch um welche. Nein, sie empfand ein unendliches Wohlgefühl, sich ihm zu Füßen hinzukauern, wenn er gegen Sonnenuntergang heimgekehrt war. Dann reichte sie ihm die kurze Elfenbeinpfeife, die er in Marocco erworben hatte, und sie wurde nicht müde, zuzuhören, was er in dieser großen, heiligen Stadt gesehen.

Nein, wie klug er auch war! Immer wieder konnte sie den Beschreibungen der fremden Stadt lauschen, und Einzelnes vermochte sie fast schon wörtlich zu wiederholen. Wenn er ihr von dem mächtigen Meer erzählte, dann hatte sie die Vorstellung, als ob es so weit und unendlich wäre wie die Wüste, die sich draußen vor ihren Augen ausdehnte, und schüttelte immer ungläubig den Kopf, wenn er erzählte, daß das ganze Meer nur blau und grün aussehen sollte. Und wenn er berichtete, wie die Christen – diese Ungläubigen! – aussähen in ihren steifen Kragen und starren runden Hüten, dann machte sie den Mund auf wie ein kleines Kind, lachte hell und schlug die Hände zusammen über diese unerhörten und neuen Dinge. Und einmal – sie lächelte jetzt still, als sie daran dachte – hatte sie ihn gefragt, wie viel eine weiße Frau koste! Da hatte er den Mund verzogen und mit beiden Händen ihren Kopf umfaßt: »Fatthûme!« hatte er lachend gerufen, »diese Ungläubigen bekommen ihre Frauen geschenkt und soviel Ochsen und Kühe und Franken, harte, blanke Franken dazu!« Da hatte sie verblüfft gesagt: »O, da muß es viel weiße Frauen geben und soviel Ochsen und Kühe! Nicht wahr?«

Wie hatte er sie damals ausgelacht und in seiner Lustigkeit ihr den weißen Turban verschoben, damit er sie beim Haar zupfen konnte!

Sie lächelte wieder still vor sich hin und versank immer tiefer in Träumereien. Unbeweglich stand die Luft im Zelt, und nur ein paar summende Fliegen spielten im Scheine der Sonnenstrahlen, die sich hellgoldig durch die Ritzen des Palmenrohrs hindurchschoben. Einmal hörte sie ein Rauschen über dem Zelt, als ob eine Vogelschaar mit breiten Flügeln darüber hinweggestrichen wäre, und sie hob einen Augenblick den Kopf hoch, um zu horchen, ob es die Flughühner waren, die alltäglich am Nachmittag vom Walde her über das Dorf flogen. Aber sie ließ den Kopf sinken. Die Sonne konnte jetzt erst gerade über dem Dorfe stehen, und ehe Ben Aïssa heimkam, mußte sie tiefer und tiefer sinken.

Manchmal empfand sie es mit leiser Trauer, daß sie tagaus tagein allein blieb. Niemand suchte eine Frau auf, die der Scheikh verstoßen hatte, und sie selbst hätte nie gewagt, in's Dorf zu gehen und eines der Mädchen wie ehedem anzusprechen. Früher, als ihre kleine Subida noch lebte, da hatte sie ein Wesen, mit dem sie plaudern und dem sie die wichtigen Schicksale jedes einzelnen Tages anvertrauen konnte. Mehr als je sehnte sie sich jetzt nach der Todten, und oft fiel ihr ein, wie sie Beide am Brunnenrand gesessen und geklagt hatten und wie Subida immer leise geantwortet hatte: »Wie Allah will!« Wenn Subida jetzt bei ihr gesessen hätte, vor ihr auf der Matte am Fußboden ... Allah sei gesegnet! – Fatthûme und Subida hätten nicht geklagt und gejammert, sondern gelacht und Mandeln gegessen und Kaffee geschlürft.

Freilich, ob Ben Aïssa gütig zu Subida gewesen wäre ... hm, das bezweifelte sie doch. Hatte er nicht einmal mit gerunzelter Stirn gesagt, als sie über ihr Alleinsein geseufzt hatte: »Ist es nicht gut, daß Du das ganze Dorf nicht siehst? Sollen sie Dich anschreien? Sollen die Kinder mit Steinen nach Dir werfen?«

»Hätt' ich nur eine, wie Subida war!« hatte sie geantwortet. Wie zornig war er da geworden! So hatte sie ihn noch nie gesehen! » Ein Weib ist schon schlimm!« hatte er geschrieen, »und wenn zwei zusammen sind, dann ist der Betrug fertig!« Damals hatte sie geschluchzt, und an demselben Abend, als sie im Zelt gesessen, waren ein paar Buben vorbei gelaufen und hatten geschrieen: »Mit wem betrügt sie ihn jetzt?«

Fatthûme seufzte tief. Sie wußte, daß ein leises Mißtrauen gegen sie in Ben Aïssas Brust schlummerte. »Wär' ich der Scheikh gewesen, ich hätte Dich damals erstochen wie ein tolles Füllen!« hatte er einmal gesagt. Da hatte sie ihn ängstlich angeguckt, und er hatte sofort wieder gelacht.

Mit Bangen hatte sie damals die Worte gehört, und mit Bangen traten sie ihr jetzt vor die Seele. O, er konnte unbesorgt des Morgens fortgehen und, wenn die Sonne auf den Hügeln lag, heimkehren. Immer lebte nur sein Bild in ihrer Seele, obschon eines sie an manchen Tagen und in mancher Nacht beunruhigte: das war der Scheikh!

Sie zog die Stirn kraus, als sie jetzt an ihn dachte, und seufzte schwer. Allah! wer ihr nur sagen konnte, was er von ihr wollte! Und während sie den Oberkörper erhob und die Knie noch mehr anzog, stand ihr wieder die Schreckensscene vor Augen an jenem Tage, an dem Subida gestorben ...

*

... Mit gefüllten Krügen war sie in sein Zelt geschlichen und hatte demüthig und leis wie immer: »Allah segne Dich!« geflüstert. Er hatte ihr den Rücken zugekehrt und blieb in dieser abweisenden Stellung eine ganze Minute, ohne ihrer zu achten. Vielleicht, dachte sie, füllt er seine Pulverhörner nur, und in dieser Männerarbeit pflegte er nie seinem Weibe einen gnädigen Blick zu schenken. Langsam ging sie mit den beiden Krügen an ihm vorüber, und als sie ihn verstohlen anschaute, um zu sehen, in welcher Stimmung er war, traf sie ein Blitz aus seinen verdüsterten Augen so scharf, daß sie regungslos stehen blieb, wie eine Maus vor dem Blick der Schlange. »Was hat er nur?« fragte sie sich angsterfüllt und neigte demüthig das Haupt auf die Brust. Aber das Herz schlug ihr, daß sie meinte, er müßte den Schlag hören.

Hamed verschloß die Thür.

»Stell' die Krüge hin!« befahl er mit rauher Stimme, und leise trug sie sie in eine Ecke. Aber trotz aller Behutsamkeit rann das Wasser über den Rand des einen auf den Boden. Sie erblich, denn sie wußte, selbst dieses geringste Versehen genügte, seinen Zorn zu wecken.

In der Ecke blieb sie schüchtern stehen und wagte nicht auszuschauen.

»He!« schrie er sie an.

Sie hob, erschreckt durch seinen Schrei, den Kopf.

Da geht er zur Wand, an der die Gewehre hängen, und sein Auge fliegt ruhelos von einem Lauf zum andern, bis er an einem geraden Dolche hängen bleibt. Langsam hebt sich seine rechte Hand hoch, langsam sinkt sie herunter, und langsam zieht er den schlanken schmalen Stahl aus der blinkenden goldgelben Scheide. Er dreht sich zu ihr um und prüft die scharfe Spitze an dem Ballen seiner linken Hand.

»Allah!« schreit sie auf und sinkt in's Knie.

Er weiß Alles! Und in wahnsinniger Flucht jagen sich die Bilder vor ihrem inneren Auge: Ein Brunnen, aus dem sie Wasser schöpft, Ben Aïssa, der vor ihr steht, Subida, die auf eine neue Botschaft wartet, Killo, der seine Franken schmunzelnd einstreicht ... Dazwischen hört sie, als ob es meilenweit ist, entferntes Gebell von Hunden. Ihr ist, als sei sie ganz allein mit dem fürchterlichen Manne auf der Welt, und wenn sie auch nach ihrem Vater Sidi Mustapha rufen will, nach ihren Brüdern, ... sie sind gar nicht da; ihre Brüder, wo sind sie? ... Wo ist überhaupt das ganze Dorf geblieben? Ist nur die Wüste da, die große, weite durstige Wüste, und Niemand in dem heißen Sonnenbrand, als sie und er und der schrecklich blitzende Dolch!? ...

»Allah!« schreit sie noch einmal. Aber eine eherne Faust packt sie an dem Burnus, und ehe sie noch einen Laut ausstoßen kann, liegt sie lang auf dem Boden, und der Scheikh mit blutunterlaufenen Augen kniet auf ihrer Brust.

Sie schließt die Augen vor entsetzlicher Angst, und ihr fallen nur ein paar Worte ein, die sie tagaus, tagein von den Derwischen gehört, und die ihre kleine Subida in jeder Noth gesprochen hat: »Wie Gott will. Es kommt, wie es kommt. Und ich sterbe auch, wie Allah will.«

Rettung giebt es nicht. Auf den Verrath eines Weibes steht der Tod, und das Weib war begnadet, dem nur ein milder Dolchstich zu Theil wurde.

Da hört sie seine Stimme hervorkeuchen:

»Ben Aïssa ist's. He?«

Sie schweigt.

Da wird er wüthend und schlägt sie mit der geballten Faust in's Gesicht. »He, Ben Aïssa? Du Tochter einer Hündin?«

Sie macht mühsam die Augen auf und nickt nur ganz wenig mit dem Kopf.

»Du weißt, daß ich Dich tödten kann, wenn ich Lust hab', und wie ich Lust hab', Stück um Stück?«

Sie nickt wieder, fast gefühllos. Eine lange bange Pause vergeht, und sie mustert mit unstetem Blick sein Antlitz. Endlich fliegt ein entsetzliches Lachen über sein Gesicht. Er erhebt sich, und ganz betäubt, daß er den Dolch noch unbenutzt in der Hand zückt, steht sie auf und starrt ihn wie irre an.

»Ich laß' Dich leben, wenn Du mir bei Allah dreierlei versprichst!«

Sie vermag vor Ueberraschung keinen Laut herauszustoßen, nur das Blut schießt ihr in den Kopf, und sie hält sich zitternd an der Wand fest.

»Schwöre mir bei Allah, daß Du Sidi Mustapha sagst, Du hast Schuld, und daß ich Dich gehen lasse, weil Du ein schlechtes und faules Weib bist!«

»Aha!« durchblitzte es ihr Gehirn. Er wollte den Kaufpreis zurückhaben. Und obschon sie dumpf vorausahnte, daß sie nun im ganzen Dorfe vervehmt war, weil der Scheikh sie verstoßen, obschon sie wußte, daß ihr Vater sich die Haare ausraufen würde vor Zorn, wenn er den theuren Preis zurückzahlen mußte, schwor sie mit zitternder Stimme: »Ja!«

»Bei Allah und Muhamed schwöre, daß Du Ben Aïssa heirathest und mit ihm in meinem Dorfe leben wirst!«

Sie sah ihn verständnißlos an. Sie wußte nicht, was er beabsichtigte, denn sein Gesicht war wieder undurchdringlich geworden; nur in den Augen zuckte ein seltsames Feuer:

»Allah segne Dich!« flüstert sie inbrünstig, nachdem sie den zweiten Schwur geleistet.

Und schwöre mir bei Allah und Muhameds heiligem Haupt, bei allen Heiligen im Paradies, daß Du heute über's Jahr mit mir freundlich thun wirst, als wäre ich Ben Aïssa!« ...

Der Scheikh trat so dicht auf sie zu, daß nur eine kleine Luftschicht zwischen Beiden stand, aber seine Augen waren so flackernd, daß sie meinte, die Luft brenne fast, die zwischen ihnen lag. Instinctiv wich sie einen Schritt zurück. Aber obgleich er die letzten Worte noch einmal hervorstieß und sie beim Handgelenk packte, verstand sie ihn nicht und bewegte blos die Lippen.

Aber glücklich, auch den letzten Schwur leisten zu können, schwor sie zum dritten Male: »Ja!« Erschöpft sank sie dann zur Erde, und ihre brennenden Augen sahen nur noch, wie der Scheikh den Dolch wieder an die Wand hing und mit einem sonderbar teuflischen Gesicht aus dem Zelt ging ...

*


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