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II.

Es dunkelte schon stark, als sich Scheikh Hamed träge erhob, um seine beiden Freunde aufzusuchen. Warum sollte er auch heute von seiner Gewohnheit abweichen, heute gerade, wo er ihnen den wichtigen Entschluß, ein Weib zu nehmen, mitzutheilen hatte! Waren sie nicht die beiden Einzigen, denen er sein Herzeleid um Assaïdy anvertraut, die Einzigen, denen gegenüber sich die ganze Gluth seines heißen Blutes offenbart hatte? Als er nach der Heimkehr aus der verruchten Stadt seine Wuth in maßlosen Schimpfworten ausgelassen, hatte ihn nicht Ben Aïssa, der Junge, kräftig unterstützt und der alte Sidi el Kebir bedächtig zustimmend mit dem Kopfe genickt?

Freilich, der Weiberhaß des Alten war komisch. Wenn er an Alis Eheepisode dachte, dann verzog sich sein braunes Gesicht ein wenig, als wollte es lächeln. Wie Ali zu seinem Weibe gekommen, das wußte ja das ganze Dorf! Vier große Capitel des Koran kannte er auswendig, so gelehrt war er, und er wäre ein tüchtiger Mufti geworden, wenn das unsterbliche Gesetz nicht befohlen hätte, erst dann einen Mufti anzustellen, wenn er verheirathet war. Und Jahr und Jahr hatte der gelehrte spindeldürre Mann gewartet, da er die Weiber haßte und Nichts liebte als seinen Koran und den gelehrten Commentar des heiligen Zamachscharî. Endlich aber, da seine ganze Sehnsucht doch darauf stand, ein großer und gelehrter Mufti zu werden, hatte er sich der alten Aïscha anvertraut, und für sein ganzes Vermögen von sechzig Francs hatte sie ihm eine angejahrte Frau besorgt. Nun, wie hatte er damals aufgeathmet.

Hamed lachte, während er daran dachte und weiterschritt.

Jetzt mußte Ali zum Mufti gewählt werden! Da vergrub sich der Unglückliche immer tiefer in den weisen Commentar des Zamachscharî, und Tag für Tag hoffte er, seine neue Würde zu erlangen. Endlich sollte er zum Mufti gewählt werden; in zwei Tagen sollte er ein bedeutender Mann werden, der den Koran im Kopf und Herzen trug und die klugen Gesetze des heiligen Buches ernst und bedächtig auslegen würde. Aber – Scheikh Hameds Gesicht verzog sich jetzt zu einem breiten Lachen – da fiel es dem Weibe Alis ein, zum Kadi zu laufen und auf Ehescheidung zu klagen, weil ihr Mann sie ganz und gar vernachlässige. Was gab es nun für eine Scene! Der Alte wurde zum Kadi gerufen, und auf alle giftigen und boshaften Fragen seines Weibes konnte er nur trübselig dareinschauen und »Ja« sagen. Er hatte ihr Nichts zu essen gegeben, er hatte ihr keine Kleider geschenkt, er hatte sie nie geschlagen und angeschrieen, er hatte sie kaum angesehen! Gewiß, Alles gab er zu, denn Lügen, beim Barte Muhameds, die kamen nicht über seine geweihte, vor lauter Gebetsprüchen schon heilige Zunge. Und so stand er am Tage vor seiner Wahl zum Mufti wieder ohne Weib da. Das Gesetz gebot es: er konnte nicht Mufti werden und war es nicht bis zum heutigen Tag geworden. Er hatte für immer von den Weibern genug und haßte sie ingrimmig.

Der Scheikh fuhr aus seinem Brüten auf. Ein Esel hatte aus einem entfernten Zelt geschrieen, und ein vielstimmiges kreischendes Echo antwortete auf den Mißton. Hinten verschwanden die dunkelgrauen Wellenlinien der Wüste völlig in dem schwarzen Horizont, und die Orangenbäume zu seiner Linken regten sich kaum im Abendwind. Nur ein naher Bach rieselte deutlich durch die Dunkelheit mit geschwätzigem Gefäll, und ein paar Nachtigallen sangen selige Töne aus den dunklen Olivenkronen. Ueber die Fächer der Palmen floß das erste fahle Mondlicht und tropfte durch die breitgeöffneten Blattfedern hindurch, um sich im trüben Bache zu spiegeln.

Da schlug der leise, melancholische Klang einer maurischen Quitzra (Guitarre) an sein Ohr. Nun war er an das Ende des Dorfes angelangt, und drüben unter der letzten Palme sah er schon das Zelt Ben Aïssas. Der Scheikh zog die Augenbrauen halb hernieder, um die immer tiefer sinkende Dunkelheit zu durchspähen, und seine scharfen Augen erkannten bald die beiden Gestalten, die vor dem Zelte hockten. Ohne seine Schritte zu beschleunigen, näherte er sich ihnen, indeß die einförmigen Töne der Quitzra immer lauter durch die Stille klangen.

»Allah behüte Euch!« rief er ihnen zu und setzte sich auf die breite Rasenbank vor dem Zelt.

»Der Prophet segne Dich!« klang die zitternde, leise Stimme des Alten zurück, indeß Ben Aïssa nur nickte und fortfuhr, zu den traurigen Tönen seiner Guitarre zu summen. Endlich hörte er mit einem scharfen Klang auf und hob den Kopf. Ein volles Lachen lag auf seinen jungen Zügen, und als er jetzt zum Himmel aufsah, glitt das bleiche Mondlicht kühl und gespenstisch über die schmalen und fast kindlichen Züge.

»Paß auf, Scheikh ich habe heut ein neues Lied gemacht!« –

»Ah!« entschlüpfte es dem Alten, und er sah Ben Aïssa an, um auf seinem offenen Gesicht zu lesen, welcher Art seine neue Improvisation sein würde. Er hatte immer Angst, wenn Ben Aïssa ihn mit seiner kurzen schrecklichen »Liebesehe« aufzog. Aber als dieser den Kopf ein wenig hin- und herwiegte, gleichsam als ob er sich auf seinen Text besinnen wollte und ein paar Töne lustig und schnell anschlug, erkannte er zu seiner Beruhigung, daß es ein friedliches Gedicht sein mußte, ohne grausame Anspielungen. Und das war doch gut! Wie oft hatte Ben Aïssa durch ein paar lose Verse den Zorn manches reichen Kabylen erweckt, und wenn er noch dazu einmal den jähzornigen Scheikh reizte, dann war der arme Teufel, der keine Verwandte hatte, kaum noch seines Lebens sicher, und Niemand war da der ihn rächen würde. Er hatte ihn zwar gern trotz seiner losen Streiche, aber was konnte er für ihn thun, wenn ihm der Scheikh zürnte?

Die Quitzra klang jetzt in vollen rhythmischen Tönen, und langsam, mit starker Betonung sang Ben Aïssa halblaut durch die Nacht, indem er ab und zu den Oberkörper nach vorn beugte, gleichsam, als wollte er damit einen Vers oder einen Ton nachdrücklich hervorheben:

»Geh weg, Assaïdy, Du falsches Weib.
Bring Datteln nicht und braune Feigen an,
Denn jetzt ist Fastenmonat Ramadan.

Wieg nicht so zitternd Deinen schlanken Leib,
Und wag' es nicht, mit Mandeln mir zu nahn,
Denn jetzt ist Fastenmonat Ramadan.

»Was, Du willst fort, Assaïdy?« ... O bleib' ...
Biet' mir nur Deine rothen Lippen an,
So brech ich, Allah, gern den Ramadan! –

Mit ein paar kräftigen Tönen schloß Ben Aïssa das Lied, lachte laut auf und bog den Oberkörper nach vom, um die Wirkung seines Liedes auf den Scheikh zu erkunden. Er konnte nicht sehen, daß Ali ängstlich das Gesicht des Scheikhs musterte und daß dieser die Stirn gerunzelt, weil der Sänger keck an seine schmerzlichste Wunde gerührt hatte. Aber zu stolz, um dem armen Teufel einen Vorwurf zu machen, schwieg er, obschon er fühlte, daß Ben Aïssa auf eine Antwort wartete. Es wurde still im Kreise, und nur der ängstliche Ali, der vergebens nach einer Koranstelle suchte, um die Aufmerksamkeit der Beiden abzulenken, fing an zu hüsteln.

Der Mond war indeß voll aufgegangen, und die weite Wüste lag in hellem Grau vor ihren Blicken da. Der Wind war fast still, und kaum regte sich ein Blatt in den Palmenkronen über ihren Häuptern. Durch die klare ruhige Luft drang scharf der tiefe Schrei aufgeweckter Kameele und wurde von einem Chor blökender Schafe und heulender Hunde fast endlos fortgesetzt.

Endlich brach Ben Aïssa das Schweigen.

»Nun, Scheikh, ist die süße Assaïdy denn in Deinem Herzen schon todt? Du thust, als ging Dich mein Lied Nichts an.«

»Assaïdy?« fragte der Scheikh mit gedehnter Stimme und so ruhig, als spräche er den Namen zum ersten Male aus. »Was geht sie mich an? Was Allah will, geschieht und muß geschehen. Was kann ich dagegen thun?«

»Recht so!« bestätigte Ali und fügte salbungsvoll den Spruch aus dem Koran hinzu: »Gott ist Herr über Ost und West, und wohin Ihr Euch wendet, da ist Gottes Auge, denn Gott ist allgegenwärtig und allwissend«.

»Und noch vorgestern hast Du mit den Zähnen geknirscht und gesagt, daß Du sie haben wolltest, um sie zu zerschneiden, Stück für Stück!« warf Ben Aïssa lachend und erstaunt ein.

Der Scheikh wiegte den Kopf ein paar Mal nach vorn, als betete er, wie es fromme Moslems zu thun pflegten. Endlich sagte er und beobachtete die verblüfften Mienen der Beiden genau:

»Assaïdy ist bei mir so vergessen wie Fatthûme bei Dir, Ben Aïssa!«

Der junge Mann fuhr auf, aber der Name, den er eben gehört, verschloß ihm den Mund, der sich schon zu einer zornigen Antwort geöffnet hatte. Nur sein Herz pochte so heftig, daß er es zu hören vermeinte.

»Nicht wahr, Ben Aïssa, Du hast sie doch ganz vergessen? Und das ist gut! Man muß solche Mädchen vergessen, wenn es auch in den Eingeweiden brennt und rast. Assaïdy ist bei mir längst vergessen, denn ich habe einen – Ersatz!«

»Was?« klang es durch die Nacht. Ben Aïssa bog seinen Kopf dem Haupt des Scheikhs zu, um ihm in's Gesicht zu sehen, indeß der alte Ali erschrocken an sein erstes und einziges Weib dachte und sich trübe den Bart strich. Langsam, mit scharfer Betonung, ein leises Lächeln in den Mundwinkeln, fuhr Scheikh Hamed fort:

»Ja, ich will heirathen!«

Einen Augenblick herrschte Todtenstille. Auch die Thiere im Dorfe waren verstummt, so daß die drei Männer in der Stille der Nacht ihre eigenen Athemzüge hören konnten.

Ben Aïssa lachte jetzt laut auf, und auch der Alte wiegte den greisen Kopf hin und her, wobei der Turban sich ein wenig nach links verschob.

»Aber Scheikh,« rief Ben Aïssa aus, »weißt Du nicht, daß die Frauen uns den Weg zur Hölle zeigen? Hast Du das nicht selbst oft genug gesagt?«

»O tiefe Wahrheit!« murmelte Ali.

»Nein!« wehrte Hamed ab und sah ihn ruhig an. »Es giebt gute und schlechte Kameele, und es giebt gute und schlechte Frauen!«

»Aber Scheikh,« wiederholte Ben Aïssa, »wird sie sich nicht mit der alten Mutter prügeln?«

»Hm,« antwortete er gelassen, »ist ein junges Füllen tückisch, bekommt es die Peitsche.«

»Scheikh,« fing er von Neuem an, »giebst Du Dein Herz einem Weibe, wird es darauf herumtreten, sagt ein Weiser!«

Ali nickte wiederum lebhaft.

»Geh, Ben Aïssa,« rief ihm lachend Scheikh Hamed zu, »das heilige Buch sagt: ›Wenn die Frauen Euch erzürnen, gebet Verweise, sperret sie in ihre Gemächer ein und züchtigt sie‹.«

Da ermannte sich der alte Sidi Ali el Kebir und murmelte fast traurig:

»Nun wirst Du nicht mehr Abends zu uns Beiden kommen. Wer ein junges Weib im Zelt hat, der bleibt des Abends daheim!«

Ben Aïssa fing von Neuem zu lachen an. »Ei, woher weißt Du das? Doch nur vom Hörensagen!«

Ali verstand diese Anspielung wohl, aber er war dem jungen lustigen Ben Aïssa zu freundlich gesinnt, als daß er ihm zürnen konnte. Mit einem Weisheitsspruch that er ihn ab:

»Wer einen weißen Bart zaust, der wird im Jenseits von seinen eigenen Kindern gezüchtigt!«

Ben Aïssa hörte nicht auf das Gemurmel des Alten, denn aufgestachelt durch die überraschende Neuigkeit Hameds, regte sich seine Neugier geschäftig, und so fragte er:

»Hast Du denn schon gewählt? Hat Deine Mutter schon mit ihrer Mutter gesprochen?« – Er stützte das Kinn in die rechte Hand, indeß sein Ellenbogen auf dem rechten Knie ruhte.

»Gewählt habe ich schon! Und morgen geht Aïscha zu ihr!« klang die ruhige Antwort des Scheikhs zurück.

Er wollte nicht den Namen sofort sagen. Unbewußte Scheu und stille Schadenfreude verschlossen ihm noch den Mund.

»Ist sie schön?«

»Wie eine Huri!«

»Schlank?«

»Wie die Palmen von El-Aghuat!«

»Augen?«

»Wie junge Gazellen; ihre Blicke versengen die Eingeweide!«

»Kennen wir sie? Ist sie aus El Kantarah?«

»Gewiß, Ihr kennt sie gut. Du sagst sogar ... sehr gut!«

»Fatthûme?« schrie es laut durch die Nacht. Mit einem Ruck fuhr Ben Aïssa auf und griff nach dem Dolch in seinem Gürtel.

Der Scheikh hob langsam den Kopf empor und sah ihm ruhig in's Auge. Der Bursche würde es doch wohl nicht wagen, den Scheikh anzugreifen, der ihn um Haupteslänge überragte!

Schlaff ließ Ben Aïssa die Rechte sinken, und als der Alte, erschreckt über die Heftigkeit Ben Aïssa, ihn auf die Rasenbank niederziehen wollte, folgte er kraftlos der zitternden, schwachen Hand und setzte sich still zu Boden, als sei Nichts geschehen. Scharf durchstießen die Blicke des Scheikhs die monderhellte Dunkelheit, aber das Gesicht des jungen Kabylen lag tief im Schatten der hohen Palmenfächer, und die Linien seines Burnusses lagen unbeweglich da, als trüge ihn eine unbewegte Brust.

Mit berechneter Langsamkeit erhob sich der Scheikh.

»Bringt den Abend gut zu, Ihr Beide!« rief er ihnen zu, und der grausame Hohn dieser Worte fiel wie Gifttropfen in das zuckende Herz Ben Aïssas.

»Bleib' in Allahs Hut!« klang die dünne, spärliche Stimme des alten Ali als Antwort zurück.

Auch Ben Aïssa wollte antworten, aber kein Laut kam über die arme zuckende Lippe. Was sollte er sagen? Er wußte, wie es kommen würde. Morgen würde die Mutter des Scheikhs den Kaufpreis Fatthûmes bestimmen, der Scheikh würde zahlen, und in acht Tagen knatterten die Büchsen zum Hochzeitsfeste. Er stöhnte auf. Was sollte er dazu thun? Nichts! Hatte er Geld? Nein! Und er senkte den Kopf. Wie Allah bestimmt, ist es gut ...

In acht Tagen war Fatthûme die Frau des Scheikhs.

*


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