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IV.

Achmed verschwand sofort wieder, als ihm eine kurze Kopfbewegung seines Herrn zu eilen befahl, und schloß das Zelt hinter sich zu. Der hagere Killo stand an der Thür, und seine grauen Augen flogen ängstlich von dem Scheikh, der unbeweglich vor sich hinsah, zu dem greisen Ali, dessen behagliches Denken über den Ursprung des bösen Princips in der Welt noch zu keinem Ergebniß gekommen war. Killo murmelte halblaut einen Gruß, aber kein Laut antwortete ihm.

Sein Kopf verkroch sich in die schmalen Schultern, daß der spärliche weiße Bart fast bis zum Gurt seines schmutzigen Burnus reichte. Aber so durchbohrend sein Blick einen Augenblick lang auf den Zügen der Beiden ruhte, er konnte Nichts aus ihnen lesen, denn nur zu gut wahrten sie Beide die muhamedanische Etikette; regungslos schienen ihre Gesichter, als machte jede tiefe Erregung hinter dem Antlitz Halt.

Eine Schaar von Flughühnern mochte jetzt über das Zelt hingerudert sein, denn scharfes Flügelschlagen und ein vielstimmiges Helles »Küllü, küllü« scholl in die Stille hinein, um sich dann mit dem Echo des Gesanges aufgescheuchter Ammern und Finken zu vermischen. Ein Edelfink schien eben auf der Spitze einer Zeltstange sich niedergelassen zu haben, denn sein Ruf erklang aus nächster Nähe.

Wieder wagte Killo den scheuen Blick langsam vom Boden zu erheben, aber ängstlich blieb er an dem Gurt des Scheikhs hängen. Er sah, wie sich plötzlich die linke Hand Hameds um den Griff des Dolches legte, der im Gürtel hing, und ein Zittern durchlief ihn, als ahnte er, was ihm bevorstand.

»Du Hund!« fuhr ihn der Scheikh jetzt mit rauher Stimme an.

Killo kroch so tief in sich zusammen, daß der Blick des Scheikhs nicht eine Linie seines verwitterten Antlitzes sehen konnte, nur die spärlichen grauen Haare, die der Turban hinten am Halse freiließ.

»Mit wem war sie zusammen?« fragte der Scheikh schneidend und mit einer Festigkeit, die den Kuât erbleichen machte.

»Ich hab's geschworen, Herr, bei Allah hab' ich's geschworen, daß ich nicht reden will, so lange ich meine Zunge hab'!«

»Dann reiß ich sie Dir heraus!« schrie der Scheikh. Ali sah ihn erstaunt an, und Hamed fühlte, daß in seinem Blick ein Vorwurf lag. Ali hatte Recht. Wie konnte er sich vor diesem Hunde so verrathen!

Er schwieg einige Augenblicke still und holte tief Athem. Diese Schurken vom Schlage Killos schworen immer, ihre bösen Geheimnisse zu bewahren, und brachen die Schwüre, wenn es ihnen an's Leben ging.

Aber er wollte, er mußte wissen, wer der Geliebte war.

»Wo hat Subida ihn zuletzt gesehen?« fragte er nach langer Pause.

Mit einem Ruck schnellte der Kopf des Alten empor, und für einen Augenblick bemerkte der Scheikh in seinen grauen Augen einen so erstaunten Ausdruck, daß er stutzig wurde. »Sollte er doch auf falscher Spur sein?« dachte Killo. Aber er wußte, daß er über kurz oder lang doch vor dem Dolche Hameds die Wahrheit gestehen mußte, und so leitete er seine Beichte mit dünner Stimme ein:

» Subida? Nein! Warum sie Ysseïd erstochen hat, weiß ich nicht!« ...

»Ah!« – – – schrie der Scheikh auf. Er taumelte an einen Pfosten und lehnte sich schwerathmend zurück. Seine Ahnung hatte das Richtige getroffen.

Natürlich, wie konnte er auch nur denken, daß die kleine, schmale, blaßgraue Subida bei einem jungen Kabylen Liebe erwecken konnte, außer bei dem armen Ysseïd. Sah er nicht jetzt im Geiste, wie sie als Mädchen mit Fatthûme dahinschritt, jene klein und unscheinbar, und diese hoch und herrlich, so hoch, daß der kleine Kopf Subidas an ihrer Schulter ruhen konnte! Und hatten die jungen Krieger nicht über die so ungleichen Freundinnen gelacht? Hatte nicht Fatthûme stets den rechten Arm um Subida gelegt, gleichsam um Allen zu zeigen, daß sie ihr die Liebste war, obschon kaum ein Krieger ihrer begehrte? Hatte nicht das Lästermaul Ben Aïssa, als er die Beiden früher einmal zusammen zum Brunnen gehen sah, den Witz gemacht, sie gingen einher, wie ein großes königliches Kameel, das sein Junges zur Tränke führe? ...

Sein Weib verrieth ihn. Sein Weib hatte ihn verrathen!

»Allah!« drängte es sich fast unbewußt auf seine trockene Zunge, während sein Gesicht fahl wurde wie Wüstenstaub in der Frühe.

Der Sand knirschte leise unter dem schlürfenden Schritte Killos, der sich langsam an der Wand entlang der Thürspalte zuschob, aber der Scheikh hörte es nicht, auch nicht den Schlag des lustigen Finken, der noch immer auf dem Dache saß und sein Lied in die durchsonnte Luft hinauspfiff. Als aber die Hand des Kupplers leise den Vorhang zurückschob, der in's Freie führte, und plötzlich ein heller heißer Streif goldenen Lichtes in das verdüsterte Zelt fluthete, schreckte der Scheikh aus seinem Brüten auf.

Mit einem Blick überschaute er, daß Killo sich aus dem Staube machen wollte. Ein Satz zum Eingang, ein mächtiger Griff seiner rechten Faust, und Killo lag stöhnend am Boden. Rasend vor Wuth beugte der Scheikh den Oberkörper über den Aechzenden; in seinen Augenhöhlen trat das Weiße hervor, während sein Athem schwer und heiß über das furchtentstellte Gesicht des Alten wehte.

»Scheikh!« wimmerte er unter dem Griff der würgenden Rechten. »Was willst Du? Bei Allah! Laß mich los. Ich sag' Dir, was Du willst. Nur laß mich!«

»He!« höhnte Hamed grimmig und hob die Hand vom Halse des Alten, um seinen Dolch zu packen, »erst schwörst Du bei Allah, sie nicht zu verrathen. Jetzt schwörst Du bei Allah, es mir zu sagen! Du Hund Du!« Und mit einem Ruck zog er den Dolch und strich, gleichsam um seine Schärfe zu prüfen, mit der Spitze über die Stirn des Kupplers, daß aus der geradlinigen Wunde das Blut über das entsetzte Gesicht strömte.

Da riß Ali den Arm des Scheikhs zurück.

»Pfui, ein Kuât! Mach' Deinen Dolch nicht gemein!« rief er tadelnd aus. Unsagbare Verachtung lag in seinen Worten. Sofort erhob sich der Scheikh und duldete es, daß Killo vom Boden aufstand und sich mit seinem schmutzigen Aermel das Blut aus dem Gesicht strich.

Mit geducktem Kopf schlich er von Neuem zum Eingang.

»He! Du! mit wem war sie zusammen?« grollte die tiefe Stimme des Scheikhs. »Sag's, oder ich reiße Dir die Leber aus dem Leib!«

»Mit Ben Aïssa!« klang die Antwort des Alten zurück, und blitzschnell schob er sich hinaus, um dem neuen Zornesausbruch des Scheikhs zuvorzukommen. In sinnloser Wuth riß dieser den Dolch aus dem Gürtel und schleuderte ihn dem Fliehenden nach. Aber seine zitternde Hand verfehlte das Ziel, das Eisen fuhr knirschend in ein Palmenrohr, daß der blanke Stahl zitterte und schwirrte.

Da legte sich die Hand Alis langsam auf den schlaff heruntergesunkenen Arm des Scheikhs, und sein weißer Turban drängte sich dicht vor dessen Gesicht. Aber der Scheikh achtete nicht darauf. Weit in's Leere starrten seine Augen, und nur das Auf- und Niedergehen der breiten Männerbrust verrieth die gewaltige Erregung, die ihn durchtobte. Wie von einer unsichtbaren Macht getrieben, drängten sich wieder die Worte über seine Lippen: »Wer ein treuloses Weib hat, der tödte es!« Und gleichsam, als ob ihn der fremde Klang seiner Stimme aufgeweckt hätte, fuhr er mit der Linken über das Gesicht und schüttelte dann die Hand des Alten von seinem Arm.

Jetzt war er wieder Herr über sich selbst, ein großer Scheikh, ein echter Muselmann. Mit ruhigen Schritten ging er in die eine Ecke seines Zeltes, in der seine Waffen hingen, und prüfend glitten seine Augen über die glänzenden Lanzenspitzen hin. Kurze geradlinige Dolche hingen dort über langen, mit Messing ausgeschmückten Steinschloßflinten, und dazwischen drängten sich die Widderhörner, angefüllt mit Pulver.

Mit durchdringenden Blicken verfolgte der Alte die Bewegungen des Scheikhs. Er wußte, daß das Leben Ben Aïssas und Fatthûmes kein Durrakorn und keine Dattel mehr werth waren, wenn er nicht dazwischentrat. Und das mußte er thun, um des Scheikhs, um Ben Aïssas willen: dem ganzen Stamme zu Liebe.

Pah, Fatthûme ging ihn Nichts an. Ob sie lebte, ob sie im Wüstensand verendete, wie ein gestochenes Füllen, hm, das rührte ihn wenig. Sie war nur ein Weib, und der heilige Prophet verachtete die Weiber und jeder echte Moslem mit ihm. Aber sie stammte aus der großen und mächtigen Familie des tapferen Sidi Mustapha, dessen Wort und Einfluß fast so viel galten, wie die des Scheikhs. Und hatte Sidi Mustapha nicht vier Söhne, vier große starke Söhne mit blitzenden Gewehren und ragenden Lanzen?

War der älteste, Gorfon, nicht fast so groß und stark wie der Scheikh selbst? Und kannten sie nicht die strengen Gebote der Blutrache so gut wie Hamed? Der Tod Fatthûmes hätte einen ewigen Krieg beider Familien zur Folge, der Niemanden schonte, nicht den entferntesten Verwandten, nicht das kleinste Kind, nicht das geringste Schaf, das ihr Eigenthum war. In Rauch würde das ganze weite Dorf aufgehen und der Stamm aussterben in dem Kampfe dieser beiden Familien!

»Allah!« klang es dumpf aus dem Munde des nachdenklichen Greises. Das mußte verhindert werden! Und Alles um eines elenden Weibes willen! »Ach, diese Weiber! ...«

Und er begann leise zu reden:

»Was willst Du thun, Scheikh?«

»Wer ein treuloses Weib hat, der tödte es!« zischte dieser zwischen den Zähnen hervor, und mit einem Ruck riß er ein Gewehr herab und betrachtete den blinkenden Lauf mit gierigen Blicken.

»Fatthûme hat noch einen Vater!« wagte der Alte einzuwerfen.

»Was hat er solche Hündin zur Tochter!« schrie der Scheikh ihn an.

Unbekümmert um seinen Zorn fuhr der Alte fort:

»Und sie hat vier Brüder. Gorfon ist kühn wie Du! Büchsen tragen weit. Ist Fatthûme heute todt, ist Dein Leib morgen ein Sieb. Die Schakale werden dann ein paar Nächte lang weniger vor Hunger heulen.«

Der Scheikh starrte ihn durchdringend an. Er hatte die Warnung verstanden. Langsam stellte er das Gewehr an die Wand und ließ das Widderhorn fallen. Ja, Ali hatte Recht. So sehr sich sein Groll dagegen wehrte, so sehr sein Rachegefühl danach verlangte, Fatthûmes weißen Hals zu würgen, bis kein Laut mehr zwischen ihren Zähnen hindurchkonnte, so sagte ihm blitzschnell sein Verstand, daß er lebendig nicht aus El Kantarah kommen würde, wenn er Fatthûme tödtete.

In diesem Augenblick war sie gewiß weit draußen am Brunnen, und ehe sie zurückkam oder ehe Hamed sie einholen konnte, konnte Killo – der Schakal! – schon längst beim alten Mustapha gewesen sein. Dann waren freilich fünf Büchsen geladen und fünf Speere geschärft, die darauf warteten, daß er Fatthûme erstach. Konnte Killo jetzt etwas Anderes thun, als sich in den Schutz Mustaphas begeben? Gewiß war er schon da, sagte sich der Scheikh, und erzählte in diesem Augenblick die Geschichte seiner, des Scheikhs, Schande. Und würde Mustapha nicht sofort zur Flinte greifen? Er hörte schon dessen heisere tiefe Stimme: »Fatthûme ist in Gefahr. Der Scheikh ist nur noch ein Sandkorn werth. Blutrache bis in's letzte Glied!« Und wie der Blitz griffen jetzt seine vier Söhne nach den Lanzen und Gewehren, und aus der Halle Mustaphas schufen sie eine bewaffnete Festung. Vielleicht standen sie schon draußen, weit hinter den dunklen Palmenbäumen. Gewiß, sie waren schon draußen, sagte sich die unruhig tastende Phantasie des Scheikhs. Und er horchte, als hätte er nicht eine Vision, sondern als ob draußen schon ein paar Flintenschlösser knackten.

Es war jetzt seltsam still im Zelt. Der Finke oben hatte sein Schlagen eingestellt. In den Lüften schienen sich die Flughühner und Ammern nicht mehr fröhlich zu tummeln, nicht das Blöken eines einzigen Schafes drang in das ruhige Zelt, nur die Fliegen summten vorlaut durch die Stille, und ab und zu knirschte der Sand unter den langsamen Schritten Alis.

Wie sonderbar still es war, dachte sich der Scheikh, und unwillkürlich sah er sich um. Aber sein Blick begegnete nur dem ernsten Auge des Greises und blieb an ihm hängen. Er holte tief Athem und steckte die Daumen in den Gürtel.

»Du hast Recht! Es darf nicht so sein. Aber meine Rache muß ich haben. Soll der Stamm mit Fingern nach mir zeigen, und sollen die Mädchen die Nase ziehen, wenn ich vorbeigehe?«

»Ach was!« lehnte Ali unwillig ab. »Keiner wird wagen. Dich scheel anzusehen. Und bist Du klug, Scheikh,« – hier lachte er leise – »so läßt Du Fatthûme gehen und bemühst Dich, das Kaufgeld zurückzubekommen! Weiber sind Weiber. Kaufst Dir eben ein anderes!«

Gewiß, Ali sprach ganz klug. Aber Fatthûme war eine gute und tüchtige Hausfrau. Er konnte den ganzen Tag in die Luft schauen und rauchen und Kaffee trinken. Sie war eine stille Frau, die er kaum hörte, und nahm seiner alten Mutter Aïscha alle Arbeiten ab. Was konnte sie für die Alte Kuchen backen! Wenn die Tage des Ramadan zu Ende gingen, des großen Fastenmonats, den er als getreuer Muselmann gewissenhaft einhielt, da zeigte sie ihre Künste. Da gab es Kuchen in zweiunddreißig Arten, und wenn er an den Mischelwisch dachte, der vor lauter Honig und Oel schon von Weitem duftete, und an den süßen Burek, da regte sich in ihm der leise Wunsch, sie zu behalten und sich nicht scheiden zu lassen. Aber was half es! Die Schande war zu groß, und sein ganzer Stamm würde ihn anspeien, wenn er erfuhr, er hätte Beweise von ihrer Untreue und lebte mit ihr weiter in alter Gemeinschaft.

Und Ben Aïssa! Wenn er an dessen lachendes Gesicht dachte, dann kochte es in ihm.

Dieser Spaßmacher also war es, der immer Gesichter schnitt und Abends so täuschend wie Schakale schreien konnte, damit die Hunde aus den Hütten hervorliefen und wie toll bellten. Der Lump, der nicht einmal die erste Sure des Koran auswendig wußte und nur Verse machen konnte von früh bis spät, der sich einmal in einen Frauenburnus verkleidete und am hellen Tag den alten Schriftgelehrten Omar umarmte, so daß alle Frauen das fluchvergessene Weib steinigen wollten, bis sein lachendes Gesicht zum Vorschein kam. Dieser Spaßmacher – sein Nebenbuhler!

Aber er wollte klug sein, sehr klug, denn Ali hatte Recht.

»Allah! Ich werde sie würgen, bis sie keinen Laut mehr schreien kann. Dann laß' ich sie los und geb' sie frei, wenn sie bei Allah schwört, daß sie die Schuldige ist. Dann muß der alte Knauser Mustapha mir mein Kaufgeld wiedergeben!«

Seine Augen leuchteten wie im Triumph, denn nun regte sich seine Habsucht auch. Mochte sie gehen, wohin sie wollte, auch zu Ben Aïssa – dieser Lump würde die Ehebrecherin gewiß nehmen –, wenn er nur seinen Kaufpreis wiedererhielt, seine zweihundert Francs, für die er sich drei oder vier Sklavinnen kaufen konnte.

Sidi Ali war sehr vergnügt über den Scheikh. Er war doch klug, und so erschöpfte sich der Alte in Lobeserhebungen und pries Hameds Verschlagenheit. Aber als er den Scheikh anguckte, bemerkte er, wie dessen Augen weit offen in's Leere starrten und wie sein Gesicht von ingrimmiger Lust durchleuchtet war.

»Was hast Du?« fragte er erstaunt.

»O, ich hab' jetzt meine Rache! Warte ab, wart' ein ganzes Jahr ab! Dann wirst Du sagen: Ich bin ein kluger Scheikh!«

Ein Zug des Triumphes glitt über sein Gesicht, indeß der Alte ungewiß den Kopf schüttelte. Aber als würdiger Moslem verschmähte er es, neugierig zu sein, und so schwieg er ...

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