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I.

Scheikh Hamed war seit einigen Tagen sehr mißgestimmt. Das Kußkussuh, das seine alte Mutter Aïscha so trefflich zuzubereiten verstand, hatte er nur zur Hälfte aufgegessen, obschon die Fürsorge der Alten es so stark gepfeffert hatte, daß es ihm fast die Kehle zerschnitt. Und gestern war ihm beinahe Etwas zugestoßen, was einer schweren Sünde gleichkam. Als die Sonne hinter den mächtigen Palmenbäumen in die Wüste gesunken war, stieg der Mueddin auf das Minaret, pflanzte die weiße Fahne auf und pries in näselndem Lobgesang den Schöpfer und Muhamed, seinen Propheten. Beinahe hätte er, der fromme Muselmann, das Gebet des Mueddin überhört, er, der Scheikh, der sich selbst rühmte, ein direkter Nachkomme des Propheten zu sein!

Seine alte Mutter war gestern mit verschobenem Turban in die Kniee gesunken und ein paar Augenblicke in dieser Haltung geblieben, wie ein Christ, ein richtiger Christ – Allah verderbe sie, dachte Hamed bei sich – weil ihr Sohn, der große und mächtige Scheikh von El Kantarah sich so hatte vergessen und vor lauter Schläfrigkeit das Gebet des heiligen Mueddin hatte überhören können! Was war nur mit ihm? O, sie wußte es genau! Vor zwei Monden war er aus Biskarah zurückgekehrt, aus dieser gottlosen Stadt, wo jeder Muselmann inmitten des Lärms und der Vergnügungen der Kaffeehäuser die Lehren Muhameds vergaß! Ueber einen Monat war er in Biskarah geblieben, und von den sechshundert und dreiundsiebzig Francs, die er mitgenommen hatte, war nicht ein einziger nach El Kantarah zurückgekehrt.

Biskarah und seine bösen Vergnügungen mußten schuld sein, daß ihr herrlicher Sohn jetzt wieder so düster und traurig vor seinem Zelte saß und mit Niemandem sonst sprach als mit dem jungen und tollen Ben Aïssa und dem alten Junggesellen, dem Sidi Ali el Kebir.

Was mußte El Biskarah auch für ein schrecklicher Ort sein! Der alten Frau fiel ein, was ihr eine andere gläubige Frau über das fluchbeladene Treiben dieser Stadt erzählt hatte! Das ewige Höllenfeuer, in dem die Ungläubigen einst dampfen und winseln sollten, mußte sich über die schamlose Stadt ergießen, denn sie hatte mit ihren schändlichen Tänzerinnen den Scheikh so mürrisch gemacht! Ganz Biskarah sollte voll von diesen abscheulichen Mädchen sein, und in jedem Kaffeehause sollten sie in sinnberückender Anmuth tanzen, schön wie die Huris im seligen Paradies.

Die alte Aïscha senkte den Kopf. Sie ließ die braunen Töchter ihres Stammes einzeln vor ihrem inneren Auge vorbeiwandeln, und ab und zu nickte sie mit dem Kopf, als wenn sie eine Schöne im Geiste freundlich begrüßt hätte. Eins stand bei ihr fest: Sie mußte ihn zu bewegen suchen, sich ein Weib zu nehmen. Er, der Scheikh Hamed, war schon dreißig Jahre alt, und noch nicht ein einziges Mal hatte er seiner Mutter gesagt: »He, Täubchen, wie ist's? Willst Du nicht fragen, was die schöne Semila kostet, oder Leila, das schlanke Mädchen mit den runden Augenbrauen?«

Eben senkte sich die Sonne hinter die weiße Moschee, daß das kugelige Minaret in rothem Feuerschein erglühte. Am dunkelnden Himmel hoben sich die Orangenbäume scharf gezackt ab, so daß die strengen Linien der Aeste stark hervortraten; das tiefe Grün der Olivenbäume schien fast schwarz, und ihre Stämme glitzerten wie Bronze, während die letzte Gluth der sinkenden Sonne an ihnen hinabglitt. Ein Roß wieherte von einem nahen Zelte her, und ein paar Hunde bellten durch die Dämmerung.

Aber selbst als ein paar Kameele heiser kreischten, störte das den Scheikh nicht in seiner Ruhe. Erst als sich eine Hand leise auf seine rechte Schulter legte, wandte er das Gesicht um, das er eben dem tiefrothen Glanz der Abendwolken zugekehrt hatte. Er erkannte das gebräunte welke Gesicht seiner Mutter, und einen Augenblick glitt ein sanfter Zug über sein verfinstertes Gesicht.

»Nun, was ist's, Aïscha!« hub er an.

»Allah segne Dich, Scheikh.« Sie machte eine Pause und suchte nach Worten. Wie selten kam es vor, daß sie ihn zuerst ansprach, denn es ziemte sich nicht für ein Weib, dem Herrn und Scheikh mit einem Anliegen zu nahen, sondern zu warten, bis er sich zu dem demüthig dastehenden Weibe herabließ. Und so stand sie und suchte nach Worten.

Da fiel ihr eine List ein, und in lebhafterem Tone fuhr sie fort:

»Achmed hat schon wieder drei Töpfe zerschlagen.«

»Was? Der Hund? Drei Töpfe?« Zornig funkelten die Augen des Scheikhs, denn seine Habsucht berechnete sofort den Schaden mit ein und einem halben Franc. »Gieb ihm die Peitsche, dem Hundesohn!« Und er ballte die rechte Faust, als wollte er selbst den armen Negersklaven züchtigen.

»Scheikh, ich werde alt und schwach. Ich kann's nicht mehr. Nimm Dir eine Frau, eine junge schlanke Frau!«

Jetzt war's heraus, und die Alte wich einen Schritt nach dem Zelte zu zurück, ganz erschreckt über ihre eigene Kühnheit und um dem drohenden Jähzorn ihres Sohnes auszuweichen.

Aber seltsam! Er fuhr nicht auf; er packte sie nicht bei den Schultern und warf sie nicht in das Zelt zurück, sondern zu ihrem maßlosen Erstaunen drehte er den Kopf von ihr weg und starrte wieder vor sich hin über die weiße glänzende Moschee hinweg zu den Oliven- und Palmenbäumen und dann zu der grauen Wüste, die sich hinten in unendlicher Weite verlor.

Aber als sie noch immer keine Antwort erhielt, huschte sie wie ein Schatten in das Zelt zurück, äußerst zufrieden mit der ersten Wirkung ihrer Worte.

»Nimm Dir eine Frau, eine junge schlanke Frau!« Diese Worte gingen ihm nicht aus den Ohren, und immer mehr versank er in süßes Nichtsthun und in Träumereien.

Eine junge schlanke Frau! Ein Name drängte sich stumm über die Zunge: Assaïdy ... Er sprach ihn nicht aus, aber er fühlte, daß er auf seinen Lippen lag und daß ihre schlanke Gestalt sich in sein schläfriges Sinnen drängte. Wo war sie geblieben, die junge Tänzerin von Biskarah, die ihn vom ersten Tage seiner Ankunft an gefesselt hielt wie ein junges stürmisches Roß an der wallenden Mähne? Ein Fluch entrang sich seiner Brust. O, hätte er sie jetzt in seinen Händen, er hätte sie erdrosselt mit einem frommen Gebet auf den Lippen, weil sie eines Tages mit einem Franzosen auf und davon gegangen war! Und doch, wie schön waren ihre Gazellenaugen! Wie konnte sie tanzen, die junge Assaïdy vom Stamme der Ulad-Naïl! Kein Muskel an ihrem schmalen Körper ruhte dann, es flogen an ihr die Gewänder und die bebenden Glieder, nur das braune, ovale Gesicht blieb unbeweglich, und die tiefliegenden Augen schauten starr und stumm. Wie war er an dem ersten Tage, an dem er sie tanzen gesehn, aufgesprungen und hatte ihr ein Zehnfrancsstück an die Stirn gepreßt, wo es einen Augenblick haften blieb, um dann von ihrer braunen Hand aufgefangen zu werden. Auge in Auge standen sie sich da gegenüber, und heiß flog sein Athem um ihre Wange. Als sie sich völlig erschöpft auf die Strohmatte des Fußbodens hinfallen ließ, hatte er keinen Blick von ihr gewandt und nicht gehört, wie ein alter Schriftgelehrter von dem großen und berühmten Sidi Abd-el-Kader zu erzählen anfing und es still wurde im ganzen Kreis. Und als dieser endlose Bericht den Naïlijah-Mädchen zu langweilig wurde und sie aus dem Kaffeehaus stürzten, um in das zweite zu laufen, da war er ihnen fast taumelnd gefolgt. Dort hatte er zum ersten Mal den gottverfl... Wein genossen, und keiner seiner Blicke glitt ab von den blitzenden Goldketten der leichtfüßigsten der ganzen Tänzerinnenschaar, der lustigen Assaïdy. Ueber einen Monat lang war er in Biskarah geblieben, und als das letzte Goldstück gewechselt war, war sie verschwunden, und er zog mit dem Morgengrauen nach El Kantarah zurück, um nicht dem Spott der klügeren Kabylen El Biskarahs anheimzufallen.

Eine Frau fehlte ihm, braun und schlank wie Assaïdy. Er fühlte es, seine Mutter hatte Recht.

»He, Aïscha!« rief er halblaut in das Zelt hinein und hockte sich wieder mit gleichmüthigem Gesicht hin. Die Dämmerung hatte zugenommen, und ein leiser Wind strich durch die Palmenbäume und streute würzige Düfte in die Abendluft. Die Blätter der dunklen Oliven erschienen jetzt tiefschwarz, und durch die federartigen schmalen Palmenzweige leuchtete das letzte schwache Abendroth.

Die Alte schlich sich zaghaft aus dem Zelt, in der bangen Erwartung, jetzt den Zornesausbruch ihres Sohnes ertragen zu müssen. Schweigend stand sie am Eingange und wartete mit gesenktem Kopfe auf die ersten Worte des Scheikhs. Dieser schwieg, um seine Worte möglichst unbefangen und gleichgiltig erscheinen zu lassen. Endlich nach längerer Pause hub er mit leiser Stimme an:

»Allah hat Dich heute mit Klugheit gesegnet. Weißt Du, wen ich zur Frau nehmen soll?«

Ein maßloses Erstaunen zog über die verwitterten Züge der Alten, und ihre Hände strichen erregt über ihre zerlumpte Kleidung. Aber sie wußte, daß sie nicht mit der Antwort zögern durfte, wenn sie nicht seinen Zorn erregen wollte, und sofort fand sie einen Namen: »Fatthûme«.

Als er, um seine Erregung nicht zu verrathen, von Neuem schwieg, fuhr sie, sicher gemacht durch seine Ruhe, geschwätzig fort: »Der alte Sidi Mustapha ist Dir gut. Und er hat vier tapfere Söhne. Sie können mit Dir zusammen alle Tuaregs davonjagen, wenn Du ihre Schwester Fatthûme nimmst.«

Während sie so weiter schwatzte, schloß der Scheikh die Augen halb, und in seinem Geiste sah er die prächtige hohe Gestalt des jungen Kabylenmädchens, wie sie zum Brunnen schritt, neben sich die kleine unscheinbare Subida, ihre liebste Freundin, mit der sie zusammen Wasser holen ging. Was für große ernste Augen sie hatte! Wie still sie meist war, wenn die beiden Mädchen mit anderen Frauen zusammen saßen und Kußkussuh aßen oder süße Mandeln! Sie gefiel ihm, und bald glitt in seiner Phantasie der Schatten der leichtfüßigen und leichtsinnigen Assaïdy weit weg, um dem Bilde der schwermüthigen Fatthûme Platz zu machen.

Aber, sie war gewiß nicht billig! Er fragte Aïscha, wieviel Rinder er noch habe. Die Alte verstand ihn. sofort, schüttelte aber bedenklich den Kopf.

»Nun!« stieß er hervor, ärgerlich, daß sie schwieg, und runzelte die schwarzen Augenbrauen.

»Zweihundert Francs!« sagte sie endlich und erhob sich von der Erde.

»Wa–s? Zweihundert? Fatthûme zweihundert Francs?« Die Zahl schnitt ihm in die Seele, denn geizig war er wie ein echter Kabyle, der jahrelang in seinem schmutzigen Burnus umherlief, ehe er ein paar Francs für einen neuen hervorholte. Zweihundert Francs, das war eine ungeheure Summe, zumal jetzt, wo er in Biskarah sechshundertdreiundsiebzig Francs seines Vermögens verloren hatte. Aber hatte Sidi Mustapha, Fatthûmes Vater, nicht jüngst erst seinem lustigen Freunde Ben Aïssa Fatthûme abgeschlagen, als er nur 20 Francs geboten? Hatten nicht die vier Brüder über den Spaßmacher aufgebrüllt, als er wirklich zwanzig Francs hervorgeholt hatte?

»He, Ben Aïssa,« hatte Gorfon, der Aelteste, geschrieen, »dafür kaufe Dir ein Kalb und heirath' es.«

Zwanzig Francs war in der That wenig, aber Ben Aïssa hatte nicht mehr.

Freilich, schön war sie, so schön, daß Ben Aïssa ein langes Gedicht gemacht hatte, das er an demselben Abend zum Besten gegeben, um sein Leid in die tiefe Abendstille auszusingen:

»Vor Liebesgram wank ich daher;
Mein Schatten, der wankt hinterher.
Mich macht ja die Sehnsucht so matt,
Die tief mich getroffen hat,
Du Kind mit den schmachtenden Augen.«

Und während dem Scheikh ein paar Töne dieses traurigen Liedes einfielen, lächelte er befriedigt. Er würde nicht klagen und ein Lied singen, wie der närrische Ben Aïssa. Das hatte er nicht nöthig. Mehr als zwanzig Francs würde er schon bieten, denn er besaß mehr, viel mehr, so viel, daß er es Niemandem sagte, als nur sich allein, wenn er in seinem einsamen Zelte lag. Kein Laut seiner klingenden Francsstücke durfte in die Stille hinausgehen, so eifersüchtig bewachte er seine Krüge voll Münzen.

Aber freilich, zweihundert Francs, das war eine harte Nuß. Und doch wenn er sie sich vorstellte, wie sie Morgens zum Brunnen ging, wie sie sich in den Hüften wiegte, daß das lange Gewand sich in prächtigen Falten um den Leib schmiegte, wie ihr dunkles Auge durch die Luft starrte und die Stirn leuchtete gleich dem Blitz in den Wolken ... dann ...

»Aïscha!« schrie er seine Mutter an. »Geh hin zu Sidi Mustapha Und sage seiner alten Mutter: Der Scheikh Hamed will Fatthûme zum Weibe. Und biet' ihm hundertundfünfundzwanzig Francs. Und geh hinauf bis zweihundert Francs. Aber Du weißt, Aïscha, immer wenig, immer ganz wenig. Sagt sie: ›Noch zehn Francs!‹ so leg fünf hinzu! Hörst Du, nur immer fünf!«

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